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Brüssels virtueller Politikbetrieb: So will die EU handlungsfähig bleiben

Mit digitalen Hilfsmitteln versucht die Europäische Union, in der Krise agieren zu können. Das gestaltet sich als schwierig. Ein großes EU-Vorhaben liegt brach.

Selbst Spitzenpolitiker sprechen dieser Tage in Brüssel vor leeren Rängen. Foto: dpa
Selbst Spitzenpolitiker sprechen dieser Tage in Brüssel vor leeren Rängen. Foto: dpa

Brüssel befindet sich im Corona-Lockdown: Die meisten Einrichtungen und Geschäfte sind geschlossen, die Menschen sollen das Haus nur für das Allernötigste verlassen. So liegen auch die EU-Institutionen in aller Stille da, kein Verkehrsbrausen mehr, das sie umgibt, keine Menschengruppen; nur noch das Knarren der Fahnenmasten im Wind, vereinzelt auch Vogelgezwitscher.

Der EU-Politikbetrieb hat sich zu großen Teilen ins Home Office zurückgezogen, die führenden Köpfe konferieren per Video, das EU-Parlament setzt bis Sommer auf Fernabstimmung. So versucht Brüssel in Zeiten von Corona, Heim-Quarantäne, Grenzschließungen und eingestelltem Flugverkehr handlungsfähig zu bleiben. Doch die politische Agenda der EU ist komplett umgekrempelt.

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EU-Kommission setzt auf leere Flure

Seit vergangener Woche arbeitet ein Großteil der Belegschaft der Kommission von zu Hause aus. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat veranlasst, dass nur Mitarbeiter, die Schlüsselpositionen innerhalb der Brüsseler Behörde innehaben, sich auf den Weg ins EU-Viertel machen.

Das „Midday Briefing“, die tägliche Pressekonferenz der EU-Kommission, vergleichbar mit der Bundespressekonferenz, findet nur noch virtuell statt. Der Chefsprecher der Kommission steht vor einem leeren Saal, die jeweiligen Pressesprecher der Fachbereiche sind per Video zugeschaltet und antworten auf die Fragen, die Journalisten zuvor per Mail einreichen konnten. All das gibt es wiederum per Video zu sehen auf der Webseite der Kommission.

Auch die EU-Kommissare tagen untereinander per Video: Sie sind zwar vor Ort im Berlaymont-Gebäude, sollen aber in ihren jeweiligen Büros bleiben. Die Kommissionspräsidentin persönlich dürfte der Lockdown nicht weiter stören: Sie wohnt ohnehin im Hauptgebäude der EU-Kommission, wo sie sich eine 1-Zimmer-Wohnung hat einrichten lassen.

EU-Parlament setzt auf Fernabstimmung

Unterdessen ist das EU-Parlament, etwa einen Kilometer entfernt, komplett verlassen. Parlamentspräsident David Sassoli, ging vor zwei Wochen selber in Quarantäne und setzte nahezu die gesamten Plenarsitzungen aus. Lediglich drei Debatten zu den drängendsten Themen fanden statt, Abstimmungen gab es keine.

Die Parlamentarier machten sich auf in ihre Wahlkreise. Manche hatten es dabei ziemlich eilig, aus Angst, es angesichts der Grenzschließungen nicht mehr nach Hause zu schaffen. Nun posten Abgeordnete auf Twitter fleißig Bilder davon, wie sie mit ihren Büromitarbeitern oder Fraktionsmitgliedern per Video konferieren.

Lange Zeit herrschte unter den Parlamentariern große Sorge, inwieweit das Parlament seine Kontrollfunktion überhaupt weiterhin sicherstellen kann. „Es gibt keine Pandemie-Notfallpläne, wie das Parlament in einer solchen Phase handlungsfähig bleibt“, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Michael Bloss.

Ein großes Problem ist, dass ohne die Zustimmung des Parlaments die EU-Maßnahmen gegen die Krise nicht verabschiedet werden können. Die EU-Kommission hat zum Beispiel bereits in Absprache mit den Mitgliedstaaten 7,5 Milliarden Euro Corona-Hilfsgelder versprochen. Dabei handelt es sich um noch nicht in Anspruch genommene Finanzmittel aus den Strukturfonds. Doch solange das Parlament nicht zustimmen kann, kann auch das Geld nicht fließen.

Besteht die Gefahr der Manipulation?

Aus diesem Grund hat Sassoli für diesen Donnerstag eine außerordentliche Plenarsitzung einberufen, um die Notfallmaßnahmen der Kommission genehmigen zu können. „Es wird die erste Plenarsitzung sein, in der wir ein System der Fernabstimmung nutzen“, kündigte er an. Soll heißen: Die Dokumente werden elektronisch verschickt, ausgedruckt, ausgefüllt, eingescannt und wieder elektronisch zurückgeschickt.

Dies sorgte bei einzelnen Abgeordneten bereits für Probleme, da sie zu Hause keinen Drucker haben und es durch die Shutdowns auch nicht möglich ist, sich schnell einen zu kaufen oder auswärts zu drucken.

Auch der Piraten-Europaabgeordnete Patrick Breyer sieht das Vorgehen kritisch: „Das Verfahren birgt die Gefahr der Manipulation durch Hacker“, sagte er. „Es ist leicht, die Unterschrift eines Abgeordneten zu bekommen und einzuscannen.“ Externe Akteure könnten auf diese Weise versuchen, knappe Abstimmungen zu manipulieren. Selbst wenn die Abstimmungsergebnisse veröffentlicht werden, sei zweifelhaft, ob jedes Mitglied jede Abstimmung überprüfen und Manipulationen bemerken würde.

Trotzdem geht es wohl nicht anders: Selbst wenn die Parlamentarier in Brüssel zusammenkommen wollten, sie könnten es derzeit gar nicht wirklich. Die belgische Fluggesellschaft Brussels Airlines, die sämtliche Verbindungen zwischen den europäischen Hauptstädten bedient, hat ihren Betrieb eingestellt. Die Grenze ist geschlossen – für Warenverkehr und medizinische Fachkräfte gibt es eine Ausnahme. Aktuell ist vorgesehen, dass das EU-Parlament noch bis Sommer auf diese Weise abstimmt.

EU-Rat setzt auf Videos

Der Rat ist dazu übergegangen, Ministertreffen nur noch per Video oder Telefon abzuhalten. Doch dabei können die Minister nur miteinander diskutieren und untereinander abstimmen, offiziell beschließen können sie nichts. Das ist extra so konzipiert, dass die gestalterische Macht in Brüssel gehalten wird.

Entschlüsse werden nun für einen Monat per schriftlichem Umlaufverfahren gefällt. Auch der EU-Gipfel am Donnerstag Woche wird per Videotelefonie stattfinden.

Botschafter setzen auf Abstand

Eine große Ausnahme im Brüsseler Politikbetrieb stellt derzeit der „Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten“ dar, im EU-Jargon AStV oder Coreper (für französisch „Comité des représentants permanent“) bezeichnet. Damit gemeint sind die Botschafter der Mitgliedsländer, die die Sitzungen der EU-Räte vorbereiten. Diese Treffen finden nach wie vor nicht digital statt – und werden es auch in Zukunft nicht.

Der Grund: Hier laufen die kniffligen Verhandlungen – und die sind per Videokonferenz nicht möglich. Die meisten Verhandlungsdurchbrüche werden nicht in der großen Runde erzielt, sondern in kleinen Gruppen am Rande. An Lösungen für Probleme wird sich bevorzugt in bilateralen Gesprächen herangetastet.
Und so werden die Botschafter und ihre Mitarbeiter weiterhin in persönlicher Präsenz tagen: im größten Sitzungssaal, mit größtem Abstand voneinander.

Der gefährdete Green Deal

Die Coronakrise hat nicht nur dazu geführt, dass in Brüssel nun Vieles auf digitalem Wege passiert, sie hat auch die Prioritäten auf der politischen Agenda verschoben: Die EU ist derzeit fast ausschließlich damit beschäftigt, irgendwie die Coronakrise zu meistern und möglichst viele Menschen zu retten. Danach wird es darum gehen, eine lahmgelegte Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen.

Erst dann wird es wieder um die eigentlichen Großpläne der amtierenden Kommission gehen. Beispielsweise wurde die Vorstellung der neuen Strategiepapiere rund um den Green Deal, dem EU-Klimapaket für eine klimaneutrale Wirtschaft, ist erst einmal auf Unbekannt verschoben.

Das größere Problem ist aber, dass der Klimaplan der EU-Kommission Billionen-Investitionen vorsieht, wovon ein Großteil aus der Privatwirtschaft kommen soll. Die befindet sich nun aber in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg und auch die öffentlichen Haushalte werden enorm belastet.

„Europa sollte den Green Deal jetzt vergessen und sich stattdessen auf das Coronavirus konzentrieren“, hatte der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis vergangene Woche bereits gefordert. Tschechien gehört zu den EU-Ländern, die einer ambitionierten Klimapolitik nicht sonderlich wohlwollend gegenüberstehen.

Der für den Green Deal verantwortliche Vizekommissionschef Frans Timmermans stellte dagegen auf Twitter klar: „Wir haben kurzfristige und langfristige Herausforderungen zu bewältigen und die Fähigkeit, beides hinzubekommen.“ Und weiter: „Wir bringen gerade zu Recht viele Opfer und bleiben drinnen, um die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten. Aber wenn die besseren Tage kommen - und sie werden kommen - werden wir entschlossener denn je sein, unsere Menschen und unseren Planeten zu schützen und die Natur um uns herum zu genießen.“