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Neue Datenstrategie: EU will keine weitere Chance verpassen

Europäische Konzerne sollen nicht mehr von amerikanischen und chinesischen Anbietern abhängig sein. Der neue EU-Industriekommissar setzt auf die nächste Welle der Digitalisierung.

Die erste Welle der digitalen Geschäftsmodelle hat Europa verpasst – Konzerne aus den USA und China dominieren das Geschäft mit Nutzerdaten im Internet. Der neue EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton will dafür sorgen, dass sich dies nicht wiederholt: Mit der Digitalisierung von Industrie, Verkehr und Gesundheitsversorgung komme „eine neue Welle, und wir müssen in der Lage sein, diese zu reiten“, sagte Breton dem Handelsblatt.

Der frühere Chef des französischen IT-Konzerns Atos will dafür am 19. Februar eine umfassende EU-Datenstrategie vorlegen. Der Kern: den heimischen Firmen mehr Zugriff auf Daten aus ihrer Branche oder der öffentlichen Hand zu verschaffen sowie die innerhalb Europas anfallenden Informationen auch hier zu speichern und zu verarbeiten. Und zwar nach eigenen Regeln: „Es ist an der Zeit, unseren Bürgern und Unternehmen einen sicheren Hafen zu bieten“, sagt Breton.

Heute würden die allermeisten Informationen von Konzernen aus den USA oder China kontrolliert. Mit strengeren Standards könne sich Europa von diesen Ländern abgrenzen, so der Kommissar: „Unsere Regeln sind klar, unsere Speicherlösungen sind sicher, und niemand nutzt Ihre Daten gegen Ihren Willen oder stiehlt sie gar.“

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Breton präzisiert damit die Pläne von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Beide hatten sich dafür ausgesprochen, die technologische Souveränität Europas zu stärken.

Von der Leyen hat ihren Binnenmarktkommissar mit einer Fülle von Aufgaben und mit einem sehr engen Zeitplan ausgestattet: Noch in diesem Monat soll er mit den EU-Staaten abgestimmte Handlungsvorschläge für den Umgang mit der neuen Mobilfunkgeneration 5G vorlegen, Mitte Februar eine Strategie für die ethische Nutzung von Künstlicher Intelligenz, Anfang März dann eine neue Industriestrategie.

Dabei hatte Breton erheblich weniger Zeit als seine Kollegen, sich auf die Amtsübernahme am 1. Dezember vorzubereiten: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nominierte ihn erst Ende Oktober, nachdem seine erste Kandidatin Sylvie Goulard bei der Anhörung im Europaparlament durchgefallen war.

Viele der Themen aber kennt Breton schon aus seiner Laufbahn in der Industrie, während der er unter anderem dem IT-Dienstleister Atos und France Télécom vorstand. Auf Grundlage seiner Erfahrungen drängte er von der Leyen dazu, dem ohnehin vollen Arbeitsprogramm noch ein weiteres, zentrales Element hinzuzufügen: eine Datenstrategie.

„Als ich neu hinzugekommen bin, habe ich viel mit meinen Kollegen und der Präsidentin diskutiert, und gesagt: Wir brauchen nicht einfach eine Strategie für Künstliche Intelligenz, denn KI ist im Grunde nur eine Form, Daten zu nutzen“, erzählt er. Denn: „Wir können nur mit einer klaren Datenpolitik eine klare KI-Strategie haben“.

Breton gibt das Rennen nicht verloren

Daher wird Breton nun am 19. Februar mit der KI- auch eine Datenstrategie vorstellen. Gemeinsam übrigens mit seiner Kollegin Margrethe Vestager, die als Vize-Präsidentin inzwischen die Digitalpolitik der Behörde koordiniert. Heute verarbeiteten eine Handvoll Großkonzerne aus den USA und China ungefähr 80 Prozent der Informationen auf diesem Planeten das Geschäft mit den Daten, so Breton. „Wir Europäer würden das gerne ändern.“

Den Pessimismus vieler, wonach die Europäer das Rennen mit Unternehmen wie Facebook, Google, Amazon oder Alibaba längst verloren haben, teilt Breton nicht. Die Menge aller verfügbaren Informationen werde sich in den kommenden 18 Monaten verdoppeln, sagt er, von 35 Zettabyte auf 70 Zettabyte (ein Zettabyte entspricht einer Billion Gigabyte). Mit der neuen Welle, ausgelöst durch die beschleunigte Digitalisierung der Industrieproduktion, des Transports oder der öffentlichen Verwaltung und neue Übertragungstechniken wie 5G, würden auch die Karten neu gemischt.

Damit europäische Unternehmen mit der Konkurrenz in Asien und den USA mithalten könnten, müssten sie aber leichter auf große Datenmengen zugreifen können. Unternehmen aus den USA oder China könnten deshalb so erfolgreiche Dienste anbieten, weil sie auf Datenpools von der Größe eines Kontinents zugreifen könnten. „Wir müssen sicherstellen, dass wir auch in Europa solche Datenpools bekommen“, so Breton.

Dazu müsse die grenzüberschreitende Nutzung von Informationen erleichtert werden, und zwar Sektor für Sektor. Vertrauliche Informationen der Unternehmen etwa aus ihren Forschungsvorhaben blieben natürlich außen vor, die Weitergabe werde an die Einwilligung der Urheber geknüpft.

Auch die öffentliche Hand, Kommunalverwaltungen wie Regierungen, sollten mehr Daten bereitstellen, fordert Breton. Dann könnten gerade Start-ups und Mittelständler daraus innovative Dienste entwickeln, etwa für die Gesundheitsvorsorge oder den Nahverkehr.

Unternehmen klagen über rechtliche Unsicherheiten

Der neue Kommissar wird dabei aber viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Auch unter der Führung von Jean-Claude Juncker hatte die Kommission schon Initiativen gestartet, um den grenzüberschreitenden Austausch von nicht-personenbezogenen Daten in der EU zu erleichtern und die nationalen Behörden zu ermuntern, aus Steuermitteln finanzierte Informationen auch öffentlich zur Verfügung zu stellen. Aber Widerstände und rechtliche Unsicherheiten bremsen den Austausch.

So zögerten gerade in Deutschland öffentliche Stellen oft damit, die gesammelten Daten an private Unternehmer unentgeltlich herauszugeben, sagt der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab – in der vagen Hoffnung, eines Tages selbst Kapital daraus schlagen zu können. Dabei seien die Informationen häufig nicht sensibel. „Ohne Zugang zu Daten aber wird eine europäische Datenökonomie nie entstehen“, warnt der binnenmarktpolitische Sprecher seiner Fraktion.

Die heimische Industrie werde bislang durch „unklare Vorgaben“ an der Nutzung der zur Verfügung stehenden Daten gehindert, beklagt Matthias Wahl, Präsident Bundesverband Digitale Wirtschaft. Die datenverarbeitenden Unternehmen klagen zudem über rechtliche Unsicherheiten, die sich aus der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ergäben. Die geltenden Regeln für den freien Datenfluss in der EU müssten dafür besser mit den Vorschriften zum Schutz der Privatsphäre in Einklang gebracht werden, fordert Wahl.

Dazu gehöre eine rechtssichere Definition zur Anonymisierung personenbezogener Daten. „Wegen der oftmals gegebenen mittelbaren Personenbeziehbarkeit stößt jedes Datenvorhaben ansonsten immer wieder an die Grenzen der DSGVO“, warnt Wahl. Dieses konkrete Problem müsse die neue Kommission lösen.

Breton selbst verspricht, „sehr klare Regeln“ zu schaffen. Neben dem erleichterten Zugang zu den Daten will er die Verarbeitung und Speicherung regeln. In Europa generierte Informationen müssten in der Regel auch in Europa aufbewahrt und verarbeitet werden, so der Kommissar.

Es gehe aber nicht darum, den eigenen Markt abzuschotten: „Außereuropäische Anbieter sind willkommen, solange sie unsere Regeln respektieren“, betonte er. Die EU, nicht die ausländischen Digitalkonzerne würden künftig die Spielregeln vorgeben: „Wir Europäer erden uns nicht an diese Anbieter anpassen. Wenn sie weiter mit uns arbeiten wollen, müssen sie sich uns anpassen.“

Den Druck beim 5G-Aufbau verteilen

Der gleiche Grundsatz gelte für den Aufbau der nötigen Infrastruktur in Europa, so Breton, vor allem den Aufbau eines ultraschnellen Mobilfunknetzes. Die Kommission legt gerade letzte Hand an Sicherheitsempfehlungen beim Aufbau von 5G-Netzen, die gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten erarbeitet wurden. Sie sollen noch im Januar veröffentlicht werden.

Das Thema ist hochpolitisch: Die US-Regierung drängt die EU-Staaten, chinesische Netzausrüster wie Huawei bei der Auftragsvergabe für die neuen Netzen auszuschließen – sie warnt vor Hintertüren für Spionage und Sabotage. Peking wiederum würde einen solchen Ausschluss als schweren Affront betrachten und droht seinerseits mit Vergeltungsmaßnahmen gegen die Europäer. Angesichts dessen ringt auch die Bundesregierung noch um eine klare Position.

Durch das abgestimmte Vorgehen wollen die EU-Staaten den Druck auf mehrere Schultern verteilen. „Es ist nicht mein Job zu sagen, nehmt dieses Unternehmen oder jenes“, sagt Breton. Seine Aufgabe sei es, „extrem strikte und klare Regeln zu bekommen, damit alle in der Lage sind, selbst zu entscheiden“. Niemand dürfe Lücken in den Netzwerken ausnutzen können, um Dinge zu tun, die nicht mit den europäischen Regeln vereinbar seien.

Die Kommission werde zudem mit eigenen Vorschlägen auch Sorge dafür tragen, dass der Wettbewerb fair verlaufe: Unternehmen, die hier mit europäischen Unternehmen konkurrieren, dürften etwa nicht zuhause von Staatshilfe profitieren. Dies werde Bestandteil einer neuen Industriepolitik sein, die die Kommission in den vergangenen Jahren habe vermissen lassen, kritisierte Breton.

Uneinigkeit mit Vestager

Die Behörde arbeitet derzeit an einer neuen Industriestrategie, die die Staats- und Regierungschefs angesichts des wachsenden Wettbewerbsdrucks in Auftrag gegeben hatten. „Wir müssen vor allem technologisch wieder in allen Bereichen auf die Höhe der Zeit, auf das, was Weltmaßstab ist, kommen“, mahnte Kanzlerin Angela Merkel im vergangenen Herbst. „Wir sind das nicht mehr.“

In der Kommission wird aber noch um die Einzelheiten des Strategiepapiers gerungen. Einen ersten Entwurf schickte Breton dem Vernehmen nach kürzlich an die Arbeitsebene zurück. Auch mit seiner Kollegin Vestager gibt es laut EU-Kreisen einige Reibereien. Die oberste Wettbewerbshüterin wehrt sich dagegen, das europäische Kartellrecht aufzuweichen, um große Firmenzusammenschlüsse zu erleichtern.

Das aber fordern nicht nur Berlin und Paris, auch Breton hält Anpassungen für geboten: „In einigen Fällen“ müssten die Wettbewerbshüter auch die industriepolitische Dimension berücksichtigen.