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Bosch will das Auto der Zukunft programmieren

Der Zulieferkonzern baut ein Softwarehaus für Autos mit 17.000 Beschäftigten. Auch Continental und ZF investieren Milliarden in ihre Softwarekompetenz.

Bosch richtet seine Organisation für die Zukunft auf Software aus. Der weltgrößte Automobilzulieferer gründet dafür einen neun Geschäftsbereich mit dem sperrigen Namen „Cross-Domain Computing Solutions“. Bis zu 17.000 Beschäftigte, davon 8000 reine Softwareingenieure und 9000 Elektronik-Spezialisten, die bislang mit Steuergeräten und Sensorik beschäftigt waren, sollen in der neuen Einheit zusammenfinden.

Ziel ist es, die Autohersteller ab Anfang 2021 aus einer Hand zu bedienen und beraten, wenn es um Software und Elektronikarchitektur von Fahrzeugen geht. Eng angebunden bleiben die rund 24.000 Beschäftigten, die sich um Sensoren und Steuergeräte kümmern. Insgesamt arbeiten damit rund 40.000 Bosch-Beschäftigte am Gehirn und Nervensystem künftiger Autos.

Es geht um ein Milliardengeschäft. Bis zum Jahr 2030 soll der Markt für softwareintensive Elektroniksysteme jährlich um rund 15 Prozent wachsen. Das heutige Volumen liegt bei rund 20 Milliarden Euro weltweit. Experten rechnen mit einer Verdreifachung innerhalb dieser Dekade – mindestens. Wer hier mitspielen will, muss in Vorleistung gehen. Bosch investiert jährlich drei Milliarden Euro in seine automobile Software-Kompetenz.

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Elektroniksysteme und die dazu passende Software für alle Fahrzeugbereiche wird in Zukunft über Erfolg und Misserfolg in der Industrie entscheiden. „Fahrzeuge haben sich zu fahrenden Rechenzentren entwickelt“, sagte Stefan Hartung, Chef der Mobilitätssparte von Bosch.

Die Zukunft der Mobilität könne nur gestalten, wer über umfassende Elektronik- und Softwareexpertise verfüge. Sein Unternehmen zählt er zu den Gestaltern. „Die Krise mischt die Karten neu. Wer jetzt etablierte Vorgänge hinterfragt, Grundsätze neu denkt und Innovationsaktivitäten für neue Technologien ausbaut, kann sich vorne platzieren, wenn der Konjunkturzug wieder stärker Fahrt aufnimmt“, sagt Felix Kuhnert, oberster Autoberater bei PricewaterhouseCoopers. Covid-19 habe das Mobilitätsverhalten neu definiert und offengelegt, dass die Industrie noch wenig Flexibilität für schnelle Lösungen zeige.

Aus 50 Computern wird einer

Die Zeiten, in denen Luxusfahrzeuge 100 Steuergeräte unter der Haube haben und Kleinwagen immer noch 50, sind jedenfalls passe. Die Geräte, schon heute vollgestopft mit Elektronik und Software, kommen von großen Zulieferern wie Boch, Continental und inzwischen auch von ZF Friedrichshafen.

Damit ist allerdings die einträglichste Einnahmequelle der großen Zulieferer bedroht, doch die Entwicklung weg von dezentralen Systemen ist nicht aufzuhalten. Tesla hat vorgemacht, wie man das Auto um einen leistungsfähigen Zentral-Computer konstruiert, der alles steuert: Antrieb, Fahrwerk, Cockpitfunktionen und Vernetzung des Autos. Das ist einfacher, leistungsfähiger und am Ende auch kostengünstiger.

Um das neue Gehirn des Autos ist der Wettlauf entbrannt. Denn in den automobilen Supercomputern liegt nicht nur die Kontrolle über das gesamte Fahrzeug, es ist nach Batterie und Antriebsstrang wichtigster Teil der Wertschöpfung. Alle deutschen Hersteller versuchen sich daran und auch mit Macht die Zulieferer. Und die haben einen großen Vorteil: Da sie seit Jahrzehnten Steuergeräte bauen, verfügen sie bereits über erhebliche Softwarekompetenz.

Es rächt sich, dass Volkswagen BMW und Daimler jahrelang diese Entwicklung den Zulieferern überlassen haben. Rund 90 Prozent aller Programme im Auto kommen von den Zulieferern. Daimler hat beispielsweise nur 5000 Softwareingenieure für das Thema. Jetzt drängen Bosch, Conti und ZF bei der Transformation zum elektrischen und vernetzten Fahren in die Fahrzeugarchitektur.

„Software bestimmt künftig maßgeblich die Fähigkeiten und Eigenschaften von Fahrzeugen. Sie sorgt dafür, dass Autos immer smarter werden und liefert Autofahrern einen erlebbaren Mehrwert“, sagt Harald Kröger, der der obersten Führungsebene von Bosch angehört und die neue Einheit leiten wird.

Die Herausforderungen sind gewaltig: Hatte ein Auto vor zehn Jahren noch rund zehn Millionen Zeilen Software-Code, wird die Software von automatisiert fahrenden Fahrzeugen zwischen 300 und 500 Millionen Codezeilen umfassen. Zur Einordnung: Alleine eine Million Zeilen Code entsprechen rund 18.000 gedruckten Textseiten.

Der große Bosch-Konkurrent Continental hat ebenfalls bereits die ersten großen Schritte in diese Richtung unternommen. Im aktuellen VW ID.3 – Volkswagens erstes Fahrzeug mit zentralen Rechnern – steckt der Hochleistungsrechner ICAS1 des Zulieferers. Er ist für die Vernetzung des Fahrzeugs zuständig und kann Over-the-Air-Updates koordinieren.

Conti arbeitet am „Software-Baukasten“

Insgesamt hat sich Conti mit seinen Autocomputern bereits Umsätze in Höhe von drei Milliarden Euro gesichert. Bis 2022 peilt der Dax-Konzern zehn weitere Projekte mit Autoherstellern aus Europa, den USA und Asien an. Der nicht börsennotierte Stiftungskonzern Bosch dagegen hält sich mit Zahlen traditionell zurück. Bereits in einer Million E-Autos sind Bosch-Teile verbaut. Bis 2022 sollen es 14 Millionen sein. Mehr als fünf Milliarden Euro will Bosch bis 2025 mit Komponenten und Systemen in der Elektromobilität umsetzen.

Continental entwickelt den Supercomputer ICAS1 samt Software in seinen Automotive-Abteilungen „Autonomous Mobility and Safety“ (AMS) und „Vehicle Networking and Information“ (VNI), sowie der Softwaretochter Elektrobit.

Der Logik des Zentralrechners folgend verknüpft Conti dabei die jeweiligen Abteilungen miteinander und richtet die Entwicklung – ähnlich wie bei Bosch – auf einen ganzheitlichen Ansatz aus. Der Wust an Steuergeräten verschwindet, ein Zentralrechner mit einem Auto-Betriebssystem, das sich modular erweitern lässt, bündelt alle Funktionen in sich.

Bei Conti gilt deswegen seit 2020 das Prinzip des „Holistic Engineering“, wie es CTO Dirk Abendroth bezeichnet. Es ist das Pendent zu Boschs „Cross-Domain Computing-Solutions“ – ohne die Organisation in einem Bereich zu bündeln. Abendroths Aufgabe ist es, das zu orchestrieren.

Lange Zeit war das anders. Bei Bosch und Conti fand die Softwareentwicklung in voneinander unabhängigen Bereichen statt. Jede Abteilung hat für jede Funktion im Auto ein eigenes Steuergerät und die dazugehörige Software entwickelt.

Wenn zum Beispiel Entwickler die Software für ein Fahrerassistenzsystem schreiben und ein anderes Team eine Software für ein Multimediasystem programmiert, dann geschah das früher getrennt voneinander. Jedes Entwickler-Team nutzte hierfür eigene Tools. In der neuen Organisationsform wird der Entwicklungsprozess der beiden Bereiche zusammengezogen.

Alle nutzen die gleichen Tools und dieselbe Programmiersprache. Die Teams programmieren nicht mehr die Software für ein eigenes Steuergerät, sondern die Software für den Zentral-Computer. Sie programmieren sozusagen jeweils einen Software-Baustein, also eine Applikation, für das Gesamtkonstrukt Auto-Betriebssystem. Jeder Baustein soll sich an vielen Stellen anwenden lassen und wiederwendbar sein.

Am Ende soll ein „Software-Baukasten“ entstehen, bei dem der Autobauer je nach Bedarf für sein eigenes Betriebssystem einzelne Bausteine nachfragen kann. Beim ICAS1 laufen beispielsweise sowohl die Applikationen von Conti als auch Programme von VW.

Die Zulieferer sehen sich auf Augenhöhe mit den Herstellern

Selbst der Getriebe und Fahrwerkspezialist ZF hat nach der Übernahme des US-Konkurrenten TRW vor sechs Jahren in der Autoelektronik und Software zu den beiden Marktführern aufgeschlossen. ZF verfügt über nicht ganz so viele Softwareentwickler wie Bosch oder Conti, aber mehrere tausend sind es auch. „Wir konzentrieren uns dabei auf unsere Domänen Fahrwerk und Antriebstrang“, sagte ZF-Entwicklungschef Dirk Walliser dem Handelsblatt.

Ähnlich wie das Vorbild Tesla setzt ZF auf kleine schlagkräftige Teams. Mit erstaunlichem Erfolg. In einem gemeinsamen Projekt mit dem US-Chipspezialisten Nvidia wurde eine Familie um den Zentralrechner ZF ProAI für teilautomatisiertes Fahren gebaut und auch schon an erste Kunden verkauft. Auch ZF überlegt, die im Konzern verstreuten Kompetenzen organisatorisch noch enger zusammenzubinden.

Die Verlockung, die fertigen Bausteine von Bosch, Continental oder ZF nachzufragen, statt sie in einem aufwendigen Prozess selbst zu bauen, dürfte für die Autobauer groß sein. Denn bei der Entwicklung eigener Betriebssysteme kommen VW, Daimler und BMW nur schleppend voran.

Peter Fintl, Director Technology & Innovation beim Beratungsunternehmen Altran, wundert das. „Was es für ein funktionierendes Auto-Betriebssystemen braucht, ist weitestgehend bekannt und auch die Programmierung ist beherrschbar“, sagt der Experte. „Das dürfte die Autobauer eigentlich nicht überfordern und bietet die Möglichkeit, sich von den etablierten Zulieferern zu emanzipieren.“

Wie schwer es den Autobauern fällt, die eigenen Strukturen auf das Software-Zeitalter auszurichten, zeigt zudem das Beispiel VW. Beim ID.3 waren die Software-Probleme so groß, dass der Elektrokleinwagen nun im Spätsommer mit einer abgespeckten Version auf den Markt kommt.

Außerdem hat der Autobauer noch immer keine Partner für seine Software-Schmiede Car.Software.Org gefunden. Die soll ein konzernweit einheitliches Betriebssystem entwickeln, mit dem alle Marken im VW-Reich ausgestattet werden sollen. VW ist auf Bosch und Conti zugegangen.

Doch beide Zulieferer haben abgewunken. Offenbar sahen weder Bosch noch Conti ein, die Bedingungen für eine Kooperation mit Car.Software.Org zu akzeptieren. Beim Thema Software wollen die Zulieferer mit den Autoherstellern auf Augenhöhe verhandeln.