Börsenturbulenzen: Die Angst vor der zweiten Welle
So heftig wie seit März nicht mehr wurden die Weltbörsen in der vergangenen Woche durchgeschüttelt. Baut sich an den Kapitalmärkten nun die zweite Welle des Corona-Crashs auf?
Über Monate schien etwas nicht mit rechten Dingen an der Börse zuzugehen. Die Kurse stiegen und stiegen – und machten über zehn Wochen keine Anzeichen auch nur der kleinsten Korrektur. Und das, obwohl die Corona-Pandemie weder abgehakt noch die wirtschaftlichen Folgen bislang klar abschätzbar waren.
Kursexzesse um Hertz und Nikola
Wie weit die spekulativen Exzesse inzwischen wieder gediehen waren, machten in den vergangenen Wochen mitunter absurde Kursentwicklungen deutlich. Alle Aktien flogen hoch – auch die von Unternehmen, die bereits vor Wochen ihren Bankrott angemeldet hatten, wie etwa der Mietwagenverleiher Hertz, dessen Anteilsscheine um mehr als hundert Prozent höher notierten als noch vor der Verkündung der Pleite.
I’ve seen a lot of unusual micro-bubbles over the years. Cannabis. Blockchain. Fuel cells. Space. Electric cars. Etc.
But I don’t think I’d have ever guessed before that *bankruptcy* itself would be an exciting investment theme.
unbelievable stuff here https://t.co/yeRPSsg3B7 pic.twitter.com/3GaqK8fAOT— Joe Weisenthal (@TheStalwart) June 8, 2020
Noch verrückter muten die Kurszuwächse beim Truckhersteller Nikola an, der – wie der Name vermuten lässt, auf der Erfolgsspur von Tesla mitfahren will. Nikola bietet LKWs mit Wasserstoffantrieb an, hat bislang aber nicht ein einziges Fahrzeug ausgeliefert. Der Wall Street ist das egal: Nach dem Börsendebüt vergangene Woche war das sechs Jahre alte Start-up mit einem Börsenwert von über 30 Milliarden Dollar zeitweise mehr wert als Autopionier Ford.
Cars sold 2019:
Ford: 5.5 million
Nikola: 0
Market capitalization:
Ford: $28.7 billion
Nikola: $29 billion— Hipster (@Hipster_Trader) June 9, 2020
Schwerster Kurseinbruch seit März
Dass die Börsenspekulation im aktuellen Ausmaß kaum länger so weitergehen kann, dämmerte Anlegern dann im weiteren Wochenverlauf. Am Donnerstag machten Anleger rund um den Globus kollektiv Kasse und schickten die Kurse an der Wall Street und Frankfurt so drastisch nach unten wie seit den crashartigen Verkaufswellen im März nicht mehr.
BREAKING: Stocks suffer worst day since March with Dow plunging 6.9% https://t.co/hFAry0FoSu pic.twitter.com/5dlC41oT7M
— CNBC Now (@CNBCnow) June 11, 2020
Mal eben 1862 Zähler bzw. knapp 7 Prozent wurden im US-Leitindex Dow Jones binnen eines Handelstages ausradiert. Die fünf wertvollsten US-Unternehmen – Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet und Facebook – mussten binnen 6,5 Handelsstunden mal eben einen Wertverlust von 270 Milliarden Dollar im Börsenwert verkraften.
Nervosität an der Wall Street ist zurück
Auch wenn die US-Indizes und vor allem die Tech-Schwergewichte weiter in der Nähe ihrer Höchstkurse notieren, ist an der Wall Street nach sorglosen drei Monaten die Nervosität zurückgekehrt. Stellen sich die Märkte auf den zweiten Crash ein, fragt sich etwa der Daytrader Sven Henrich.
Are markets setting up for crash #2?https://t.co/QxfL72SXWa
— Sven Henrich (@NorthmanTrader) June 8, 2020
Genau diese Frage wird von Marktexperten in diesen Tagen intensiv diskutiert. Das Investmentportal Motley Fool ist gleicher Meinung: „Der zweite Börsencrash in diesem Jahr steht wahrscheinlich bevor, aber er spiegelt sich nicht in den aktuellen Aktienkursen wider“, mutmaßt etwa die Analystin Anna Sokolidou.
Der amerikanische Starökonom Nouriel Roubini stößt im aktuellen Der Spiegel ins gleiche Horn. „ Der Absturz ist noch größer als damals“, erklärt Roubini auf eine Wiederholung der Depression aus den 30er-Jahren. Die Börse mache sich etwas vor: „Es ist zu viel kaputtgegangen.“ Anleger können nicht sagen, sie wären nicht gewarnt worden.
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