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Wie das Bonusprogramm der Lufthansa zum Vielfliegen verführt

Bonusprogramme sind zu einem Millionengeschäft für die Airlines geworden. Und zum Symbol unser aller Verführbarkeit – sogar in Zeiten des Klimawandels.

Lufthansa (Getty)
Lufthansa (Getty)
  • Millionen Menschen sammeln Meilen mit der Lufthansa und anderen Airlines. Auf der Jagd nach dem Vielfliegerstatus heben sie häufiger ab als nötig.

  • Wie funktioniert das verschwiegene Geschäft mit den Meilen? Miles & More-Chef Sebastian Riedle gewährt einen Blick hinter die Kulissen von Europas größtem Vielfliegerprogramm.

  • Ist ein Rührei vor dem Flug wirklich 1000 Euro wert? Ein nüchterner Blick auf die Statuskarten der Lufthansa.

  • Wie Vielreisende am meisten aus ihren gesammelten Meilen herausholen, verraten wir hier.

Um 4.40 Uhr klingelt der Wecker. Niklas Lemke springt unter die Dusche, gelt sich seine blonden Haare zurecht. Eine Stunde später steht der 17-Jährige auf dem Bahnsteig von Graal-Müritz Koppelweg, mitten im mecklenburgischen Nirgendwo. Möwen kreischen, die Regionalbahn dieselt um 6.04 Uhr heran. In Rostock steigt Lemke in den Regionalexpress Richtung Berlin-Gesundbrunnen um und schläft, zusammengekrümmt über zwei Sitze. In Berlin nimmt er S-Bahn und Bus, um gegen 9.25 Uhr endlich am Tegeler Flughafen anzukommen. „Herrlich, der Kerosingeruch“, sagt Lemke, als sich die Bustüren öffnen.

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Zielstrebig hüpft er die Treppe zur Business Lounge hoch, zückt am Lufthansa-Empfang seine silberne Statuskarte. „JetFriends“ steht drauf, die Kindersparte des Vielfliegerprogramms Miles & More. „Manchmal werde ich damit nicht ernst genommen oder komisch angeguckt“, sagt Lemke. Aber den FTL, den Frequent Traveller Status, hat er sich innerhalb weniger Monate erflogen, auch in diesem Jahr kommt er schon wieder auf 30 Flüge. In der Lounge zeigt er seinen Lieblingsplatz: zwei blaue Ledersessel, direkt am Fenster, Blick aufs Vorfeld des Flughafens. Er holt sich eine Cola mit Zitrone und Eiswürfel. „Es ist kaum Eis da“, sagt er und lächelt, „Vielfliegerprobleme.“

Dann geht es ab zum Boarding. Für die Dreiviertelstunde nach Frankfurt hat sich Lemke die Business Class der Lufthansa gegönnt. Mehr als 300 Euro hat er dafür gezahlt. Lemke sitzt auf Platz 4A, am Fenster. Der Unterschied zur fünften Reihe, die es schon für 69 Euro gab: Bulette mit Kartoffelsalat und ein freier Nebensitz. „Das Essen war o.k.“, sagt Lemke hinterher. Den Service fand er durchwachsen.

Als er seine vierte Cola bestellen will, sagt ihm die Flugbegleiterin, dass man hier nun mal nur auf einem 45-Minuten-Flug sei. „Bei dem Preis kann man auch Glas erwarten, es gab nur Plastikbecher“, moniert Lemke, der links ein Armband mit der Aufschrift „VIP“ trägt, goldene Buchstaben auf schwarzem Grund. Das gibt es nicht auf Meilen, das hat er sich gekauft.

„Very import person“ sein, im Flugzeug vorne sitzen, einen Drink in der Lounge nehmen statt am Gate Schlange stehen: Die Anziehungskraft des Meilensammelns macht auch vor Teilen jener Fridays-for-Future-Generation nicht halt, die auf Deutschlands Straßen für mehr Klimaschutz demonstriert. Insgesamt 35 Millionen Menschen, davon knapp zehn Millionen in Deutschland, sind Mitglieder im Lufthansa-Kundenprogramm Miles & More. Nahezu alle Fluggesellschaften haben ähnliche Programme, bei British Airways wird man Mitglied im „Executive Club“, Emirates vergibt „Skywards“-Meilen.

Das Prinzip ist immer gleich: Für jeden Flug werden dem Mitglied Meilen gutgeschrieben, die sich für Gratisflüge, Upgrades in eine höhere Klasse oder allerlei Sachprämien einlösen lassen. Sammeln und einlösen kann man die Meilen auch bei zahlreichen Partnerfirmen wie Hotelketten oder Autovermietungen. Daneben, und das kreiert die eigentliche Magie, ist die Mitgliedschaft je nach Meilenzahl in verschiedene Statusstufen unterteilt. Je höher der Status, desto mehr Privilegien genießt der Passagier.

Meilenprogramme sind weit mehr als ein bloßes Rabattsystem zur Kundenbindung. Sie sind Sinnbild des modernen Konsums. Verkauft wird nicht in erster Linie ein konkretes Produkt, sondern ein Lebensgefühl, das mit diesem Produkt einhergeht: Mit der Senator-Card in der Brieftasche kann sich jeder Vertriebler als Teil des globalen Jetset fühlen. Gleichzeitig gibt es stets eine noch prestigeträchtigere Karte, die es zu erfliegen gilt. Die Welt der Meilenprogramme liefert einen entlarvenden Einblick in das, was Menschen wirklich antreibt. Und wie es die Fluggesellschaften verstehen, daraus ein blendendes Geschäft zu machen.

Europaweit hat keines der Programme so viele Mitglieder wie das der Lufthansa. Dabei ist der Erfolg von Miles & More auf den ersten Blicke schwer verständlich. Das Meilenprogramm der Lufthansa gehört im internationalen Vergleich zum Mittelmaß. Eine Meile bei der Lufthansa ist im Schnitt 1,2 Cent wert, wie das Portal Airguru errechnet hat. Bei Mileage Plan, dem Programm von Alaska Airlines, liegt der Schnitt bei 1,6 Cent, auch British Airways liegt mit 1,3 Cent noch über den Deutschen. Wer im Meilenprogramm der Lufthansa-Billigtochter Eurowings sammelt („Boomerang Club“) kommt lediglich auf Meilenwerte von 0,74 Cent.

Zugleich kostet das Privileg, sein Gepäck am Business-Schalter abzugeben oder ein Gratisbier in der Flughafenlounge zu trinken, viel Geld. Für 1000 Euro muss man mindestens fliegen, um den „Frequent Traveller“ (FTL), den niedrigsten Status bei Miles & More, zu erlangen. Vorausgesetzt, der Kunde stellt sich geschickt an und bucht möglichst günstige Flüge. Weniger Gewitzte zahlen gut und gerne einige Tausend Euro. Auf den FTL folgt der Status als „Senator“, benannt nach dem ursprünglichen Namen der ersten Klasse bei der Lufthansa.

Die Elitetruppe von Miles & More sind die HON-Mitglieder. Die Abkürzung steht für „Honorary“, was übersetzt „ehrenhalber“ heißt. Für mehrere Zehntausend Euro müssen die HON-Mitglieder fliegen, um an die mysteriös-schwarze Karte zu kommen und an den Lufthansa-Drehkreuzen per Porsche Cayenne zum Flieger gebracht zu werden. Wie viele HONs es gibt – streng geheim. Branchenexperten schätzen die Zahl auf ungefähr 5000.

Klar, Bonusprogramme gibt es überall. Payback oder Deutschlandcard beim Einkaufen, Shell ClubSmart beim Tanken, Hilton Honors im Hotel. Sogar Krankenkassen geben mittlerweile Apps heraus, mit denen sich fleißige Jogger Gesundheitsprämien erlaufen können. Doch keines dieser Programme hat es geschafft, sich einen derartigen Mythos zu erarbeiten wie die Pendants in der Vielfliegerei.

Der Erfolg ist allerdings gefährdet. Nicht etwa, weil die Kunden die Statusillusion durchschauen. Sondern weil der Klimawandel die gesellschaftliche Sicht auf die Flugmeilen verändert. Vielflieger gelten immer seltener als smarte Jetsetter, immer häufiger als Ökofrevler, die für ihren Lebensstil den Planeten ruinieren. Der Begriff der „Flugscham“ hat das Zeug zum Wort des Jahres 2019. Meilenprogramme, die letztlich darauf ausgelegt sind, die Menschen zum Immer-mehr-Fliegen zu verführen, wirken da wie aus der Zeit gefallen.

Die Luftfahrtbranche verteidigt sich, der globale Flugverkehr steuere weniger als drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen bei. Allerdings wächst der Flugverkehr stark und ist zudem ein Symbol für den überproportionalen Ressourcenverbrauch einer kleinen globalen Elite.

Aber egal, das schlechte Gewissen steht meist hintan, wenn Vielreisende die Status-Gier packt. Besonders im Dezember müssen Tausende von zumeist männlichen Vielfliegern noch mal eben ein bisschen durch die Luft düsen. Mit dem eigens gebuchten „Mileage Run“ heimsen sie die letzten fehlenden Meilen ein, um ihren Senator-Status ins nächste Jahr zu retten. Denn wer nicht genug fliegt, büßt seine Privilegien ein.

Und im Leben wie in der Lounge gilt: Die Angst vor Statusverlust ist ein noch weit stärkerer Antrieb als die Aussicht auf den Aufstieg. Um die Vielfliegerei ist daher eine ganze Branche entstanden. Es gibt Dutzende Blogs, Vielfliegerforen und Reisebüros, die sich auf das Optimieren von Meilenausbeute und Flugstrecken spezialisiert haben.

1. Das dicke Geschäft mit den Meilen

Der Frankfurter Zweckbau, in dem die Zentrale von Miles & More residiert, will so gar nicht zum Luxusimage passen. Aber genau hier, neben den Büros der IT-Firma Dell und der Piloten-Gewerkschaft Vereinigung Cockpit, empfängt Sebastian Riedle, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Miles & More GmbH.

Mit dem Begriff Vielflieger hat der 41-Jährige so seine Probleme. „Die Beschreibung ist unzureichend“, sagt er. Es gehe längst um mehr. Zutreffender sei der Begriff „New Premium“, den etwa die Muttergesellschaft Lufthansa verwende. „Wobei wir New Premium eben nicht mit goldenen Wasserhähnen verbinden. Es geht darum, den Kunden Angebote zu unterbreiten, die relevant sind, die einen Mehrwert bieten.“

Ist sie passé, die gute alte Welt der Vielflieger, wie sie etwa im Film „Up in the air“ mit George Clooney auf die Leinwand gebannt wurde? Riedle lacht: Was Miles & More einzigartig mache, sei natürlich die Vorstellung des Vielreisenden, dank der Meilen irgendwann „mit seiner Frau in der Business Class nach New York zu fliegen“. Aber klar sei eben auch: „Wir sind nicht Payback und werden das auch niemals sein“ – auch wenn Miles & More tatsächlich bis 2005 Mehrheitseigentümer des Payback-Rabattprogramms war, mit dem man selbst an der Penny-Kasse punkten kann.

Miles & More ist in 245 Ländern aktiv. Damit gibt es in jedem Staat der Welt Nutzer. 36 Airlines machen mit, daneben über 300 Partner, die meisten davon am Boden, bei denen Meilen gesammelt und eingelöst werden können. Das Geschäft mit den Partnerfirmen von Miles & More lohnt sich – auch aufgrund der so gewonnenen Datenmacht. „Wir wissen nicht nur, wann jemand fliegt. Wir wissen auch, was er wo einkauft, welche Mietwagen er gerne nimmt oder welche Hotelkategorie“, sagt Riedle. Diese Daten würden zwar ausgewertet, aber nur in dem Rahmen, in dem der Kunde das dem Unternehmen gestattet.

Denn die Vielflieger-Klientel ist sensibel. Ungefragt irgendwelche Dienstleistungen angeboten bekommen, die keiner braucht – das wäre der sichere Tod der Loyalität. „Und wir können die Kunden nur schwer zurückgewinnen“, erklärt Riedle, der seit Januar Chef des Programms ist. Zu Beginn seiner Karriere hat er für den Lufthansa-Ableger Germanwings, mittlerweile in Eurowings aufgegangen, deren Vielfliegerprogramm Boomerang Club aufgebaut. Es war das erste Bonusprogramm einer Billigairline in Europa.

Bisweilen funktionieren bei Miles & More Kooperationen, an die selbst Riedle nicht so recht geglaubt hat: Der Reifenhersteller Michelin wollte vor einiger Zeit Partner werden. Riedle fragte sich: „Miles & More und Autoreifen – passt das überhaupt?“ Es passte – und wie. In der Einführungskampagne bekamen die Kunden beim Kauf eines Reifens je nach Größe pro Euro Umsatz bis zu acht Prämienmeilen gutgeschrieben. Es wurde ein voller Erfolg für Michelin. Vielleicht auch, weil dabei gleich noch eine Innovation zum Einsatz kam: Die Kunden mussten einfach nur ein Foto vom Kaufbeleg machen, dieses per Miles- & -More-App hochladen, und die Meilen wurden gutgeschrieben.

Statusdrang und Spartrieb kommen in der Welt der Vielflieger prächtig miteinander aus. Das Bild vom Vielflieger, dem Prämien egal seien und der nur Wert auf den Rundumservice und den Zugang zur Lounge am Flughafen lege, stimmt laut Riedle nicht mehr.
Auch deshalb hat Miles & More für die Topkunden der Lufthansa ganz besondere Angebote entwickelt: sogenannte „Can’t buy for money“. „Da kann dann etwa ein Vielflieger mit seiner Gattin zum Wiener Opernball reisen, wo er normalerweise vielleicht gar nicht hinkäme“, nennt Riedle ein Beispiel.

Auch Besuche bei einem Formel-1-Event gehören zum Programm. „Das lösen die Kunden mit ihren Meilen ein, und das machen sie sehr gerne.“ Ständig sind Riedle und sein Team auf der Suche nach solchen Besonderheiten. 2017 war ein Whirlpool im Miles- & -More-Angebot, gefertigt aus dem Triebwerk eines Airbus A320.

Das Geschäftsmodell von Miles & More basiert vor allem auf Transaktionen mit den Partnern. Autovermietungen, Hotels oder andere Unternehmen kaufen Bonusmeilen ein, die sie dann wiederum ihren eigenen Kunden anbieten. Ein Einsatz, der sich in der Regel rechnet. Denn die Aussicht, nebenbei noch Meilen zu bekommen, erhöht die Kaufbereitschaft. Zwar gibt es auch zu den Erlösen aus dem Meilenverkauf keine Geschäftszahlen bei Miles & More – die verfügbaren Daten erlauben aber zumindest eine vorsichtige Annäherung.

So schätzen Experten für Bonusprogramme, dass Drittfirmen bis zu zwei Cent pro Meile bezahlen, in Ausnahmefällen sogar darüber hinaus. Die dagegenstehenden Verbindlichkeiten pro Meile setzt Lufthansa offensichtlich deutlich niedriger an. So weist der Geschäftsbericht für 2018 darauf hin, dass der Konzern zum Jahresende 2018 Verpflichtungen über 225 Milliarden Prämienmeilen in der Bilanz hat. Die sich daraus ergebenen finanziellen Verpflichtungen würden sich auf 2,2 Milliarden Euro belaufen. Das ergäbe den Wert von etwas weniger als einem Cent je Meile.

100 Prozent Bruttogewinnmarge beim Handel mit Prämienmeilen, das ist nicht schlecht. Hinzu kommt: In der Regel werden rund 20 Prozent der Prämienmeilen nicht eingelöst, sie verfallen nach einer gewissen Zeit. Ist das der Fall, verbucht Lufthansa diese Meilen als Umsatz.

Im Geschäftsbericht der Lufthansa wird der Ergebnisbeitrag von Miles & More im Jahr 2018 in der Rubrik Finanzbeteiligungen auf 101 Millionen Euro beziffert. Das sei eine Verbesserung gegenüber dem Vorjahr, heißt es dort, ohne aber Vergleichszahlen zu nennen. Inwieweit dieser buchhalterische Wert eine wirkliche Aussage über die Profitabilität von Miles & More zulässt, ist aber offen.

2. Aus dem seltsamen Leben der Vielflieger

Für Simon Schmitz ist Fliegen Alltag. Auf 300 bis 350 Flugsegmente kommt der Unternehmer pro Jahr, 70 bis 80 davon sind Langstrecken. Seit mehr als zehn Jahren gehört er zum exklusiven Zirkel der HONs. Schmitz hat in Frankfurt eine Firma gegründet, die weltweit Rechenzentren betreibt und Unternehmen berät. Jede Woche ist er unterwegs, vor allem Richtung Asien. Es gibt sogar Wochen, da fliegt er zweimal gen Fernost und wieder zurück.

Wenn verfügbar, bucht Schmitz First Class – und das fast immer bei der Lufthansa-Gruppe. Laut seinen Reiserichtlinien darf er für alle Flüge, die länger als vier Stunden dauern, die höchste Klasse buchen, bis zu 4 500 Euro kann er dafür bei den Kunden abrechnen. „Oftmals ist ein First-Class-Flug im Sale gleichwertig oder sogar noch günstiger als das vollflexible Business-Ticket“, erklärt er. Das liegt auch daran, dass Schmitz seit drei Jahren in Moskau wohnt, wo er einen weiteren Unternehmensstandort aufgebaut hat.

Das ist eine der vielen Vielflieger-Verrücktheiten, die angesichts des Klimawandels wie aus der Zeit gefallen wirken: Wer Umwege in Kauf nimmt und umsteigt, statt direkt zu fliegen, kann weitaus günstiger ans Ziel kommen als auf direktem Weg. So fliegt Schmitz, wenn er sich von Moskau nach Hongkong, Singapur oder Bangkok aufmacht, wie selbstverständlich erst einmal drei Stunden in die falsche Richtung, nämlich nach Westen statt nach Osten. Entweder über Frankfurt oder München mit Lufthansa, mit Austrian über Wien oder mit Swiss über Zürich. Schmitz: „Dadurch, dass ich in Moskau starte, sind die Tickets viel günstiger, als würde ich direkt aus Deutschland losfliegen.“

Oft schwebt er nur für ein einziges Meeting ein – die Kunden würden das so verlangen. Er landet dann Ortszeit morgens, bleibt den Tag über in einer der asiatischen Metropolen und fliegt abends wieder zurück. Die Nächte verbringt er in seinem Luxusbett über den Wolken.

Probiert er sich dort durch alle Schampus-Varianten? Schlemmt Kaviar und Austern? „Im Flieger esse ich fast nie“, sagt Schmitz. Zum Einschlafen gönnt er sich höchstens mal einen schweren Rotwein, zum Wachwerden am Morgen gibt‘s Espresso. „Ich esse immer vor dem Flug in der Lounge oder im Restaurant, versuche dann aber auch, Bitteres oder Fettiges zu vermeiden.“ Im Flieger will Schmitz vor allem eines: schlafen.

Dieses Bedürfnis ihrer Passagiere kennt Susanne Kaun nur zu gut. Seit vielen Jahren arbeitet sie in der First Class der Lufthansa und heißt eigentlich anders. Gerade hatte Kaun wieder einen Enddreißiger an Bord, CEO einer kleinen Handelsfirma. „Auf dem Hinflug Richtung USA hat er nur gearbeitet, einen Kamillentee getrunken und kurz vor der Landung einen kleinen Salat gegessen. Als wir 24 Stunden später zurückflogen, war er auch wieder mit an Bord – und hat die ganze Nacht geschlafen. Nach dem Aufstehen wollte er nur einen Espresso.“

Früher war die First Class voller Promivolk. „Yellow Press Schickimickis“ nennt Kaun die Leute, die damals noch mit der „Hansa“ unterwegs gewesen seien. „Die Klientel hat sich in den vergangenen Jahren komplett geändert“, so Kaun. Heute chartern sich Stars und Sternchen lieber einen eigenen Jet. „Abgesehen von wohlhabenden Chinesen, die zum Privatvergnügen First fliegen, gibt es in der First Class heute fast nur noch Geschäftsleute“, sagt Kaun. Viele hätten eigentlich Business gebucht, gönnten sich aber ein Meilenupgrade.

Den ein oder anderen Gast kennt sie persönlich, die Leute freuen sich, wenn sie ein bekanntes Gesicht sehen und auch mal jemand mit ihnen Deutsch spricht. Manchmal hat sie auch Mitleid mit ihren Passagieren. Mit jungen Familienvätern, die von ihren Chefs um die Welt geschickt werden, einsam in Hotelburgen übernachten und kaum je ihre Kinder und Ehefrauen sehen. „Es sind ja meist nicht die ganz oben in der Hierarchie, die viel unterwegs sind, sondern die aus dem mittleren Management“, weiß Kaun.

Sie arbeitet gern in der First, hat sich bewusst für die Zusatzausbildung in der Freizeit entschieden. Denn die schlimmsten Passagiere säßen meist in der Business Class. Frequent Traveller, die sich ein Meilenupgrade gegönnt hätten oder automatisch hochgestuft worden seien – und dann teuren Schnaps und Rotwein aus der First verlangen, „weil sie ja sonst, wie sie dann behaupten, immer ganz vorne sitzen“.

Sie hatte auch schon randalierende Gäste an Bord, „die um sich schlagen und bei denen wir kurz davor waren, sie zu fesseln“, erklärt Kaun. Das sei das allerletzte Mittel, das den Flugbegleitern erlaubt sei. Meistens sei Alkohol im Spiel. „Männer, die allein eine Flasche Wein leeren, sind keine Seltenheit.“ Oder die einen Gin Tonic nach dem anderen bestellen. Doch da hat Kaun ihre Tricks: „Je betrunkener die werden, umso mehr verdünnt man die Mischung, das merken die dann ja gar nicht mehr.“

HON Schmitz hat derzeit rund 7,9 Millionen Meilen auf seinem Konto. „Ich komme überhaupt nicht dazu, die mal abzufliegen“, sagt er. Für seine Frau kann er ab und an mal Meilen einlösen, er nimmt sie dann mit auf Reisen. Sie ist Managerin bei einem großen russischen Rückversicherer, kann auch von unterwegs gut arbeiten. Natürlich, meint Schmitz, würde er den HON-Status vermissen, wenn er ihn nicht mehr hätte. Aber der Reiz habe abgenommen. „Ich habe den Status gerade wieder innerhalb von dreieinhalb Monaten requalifiziert“, sagt Schmitz. „Das kommt bei mir einfach automatisch durch meinen Job.

Den Service bei Lufthansa findet er klasse. Gerade bei Verspätung oder verpasstem Anschluss sei man als HON schon sehr gut aufgehoben: „Es wird alles versucht, damit man ohne allzu großen Zeitverlust an seinen Zielort kommt.“

Wenn sein Langstreckenflug aus Asien etwa verspätet in Wien landet und er dadurch den Anschluss nach Moskau verpasst, blockiert ihm Austrian meist schon prophylaktisch einen Sitz auf der nächsten Aeroflot-Maschine – und das, obwohl die russische Airline noch nicht einmal in der gleichen Allianz ist. Austrian gehört zur Star Alliance, Aeroflot ist Mitglied beim Wettbewerber Sky Team. Auch dort hat sich Schmitz längst den höchsten Status erflogen. „Aber beim Service und beim Flugnetzwerk unterscheiden die Airlines Welten“, findet Schmitz.

Nächtelang in der Luft, von einem Flieger zum anderen: Wird ihm das alles nicht irgendwann zu viel? „Doch, die Phasen habe ich immer wieder, vor allem in der Winterzeit, wo man nur noch in der Dunkelheit unterwegs ist“, sagt Schmitz. Er vermeide es dann, im Flieger auf die Uhr zu gucken. Urlaub macht er am liebsten mit dem Auto. Er fährt dann einfach drauflos, komplett ungeplant, um seinem durchgetakteten Leben zu entfliehen.

Reisen, weil man es muss, das kennt Achim Kammerer nicht mehr. Der 44-Jährige ist ein „Spaß-HON“, wie er selbst sagt. Einer, der vor allem aus Leidenschaft reist. Dafür gibt er eine fünfstellige Summe im Jahr aus. Mit etwa sieben First-Class-Trips schafft er es, seinen HON-Status zu halten. Auch Kammerer hat vor Jahren sein eigenes Unternehmen gegründet, berät mit seiner Kammachi Consulting Firmen in SAP-Fragen. Er wurde HON, weil er über einen längeren Zeitraum einen Kunden in Brasilien betreute. Damals merkte er, wie luxuriös man fliegen kann – und will den Status seitdem nicht mehr missen.

Kammerer, schwarzes T-Shirt, die langen Haare zum Pferdeschwanz gebunden, empfängt im Düsseldorfer Hilton, einem zwischen Schnellstraßen eingeschlossenen Betonklotz im Norden der Stadt. Eigentlich hat das Hotelrestaurant „Max“ heute geschlossen. Doch für Kammerer und seine Gäste ist trotzdem eingedeckt. Kammerer übernachtet fast jede Woche hier. Dank seiner vielen Nächte im Hilton ist er schon seit Jahren Diamond-Mitglied. Das ist der höchste Status bei der US-Kette. Und für einen „Diamond“ öffnet man eben auch mal ein geschlossenes Restaurant, wenn der treue Kunde das verlangt.

In der gespenstisch leeren Kulisse, den Mixed-Grill-Teller vor sich, erzählt Kammerer, was ihn an der Fliegerei so fasziniert. Er liebt das Unterwegssein, rauszukommen aus dem Alltag, mal von woanders zu arbeiten, neue Eindrücke. Als er vor Kurzem mit seiner Freundin in Tokio war, sind sie jeden Tag 20 Kilometer durch die Stadt gelaufen, ohne eine einzige Sehenswürdigkeit anzuschauen. „Wir haben uns treiben lassen, Viertel gesehen, in denen es keine englische Speisekarte gibt“, erzählt Kammerer.

Wenn er zusammen mit Leuten reist, die zum ersten Mal in der First sitzen, beobachtet er immer die gleichen Verhaltensmuster: „Die wollen dann so viel wie möglich essen und trinken, jeden Film gucken, alles mitnehmen, was geht.“ Er sei da mittlerweile viel entspannter, genieße lieber vor dem Flug das Restaurant im Frankfurter First Class Terminal, zu dem HONs bei jedem Flug Zutritt haben – separate Passkontrolle, Schlaf- und Duschmöglichkeiten sowie privater Limousinen-Service zum Jet inklusive.

Lufthansa führte den HON-Status 2004 ein. Die Idee vom damaligen Vorstandschef Wolfgang Mayrhuber ging auf: Die Airline verkauft seitdem mehr First-Class-Tickets, ohne die sich der Status nur schwer erreichen lässt.

Wie sehr das Kundenbindungsprogramm funktioniert, zeigt der Leidensbericht eines prominenten früheren HONs gegenüber dem Handelsblatt: Der Mann war von der ersten Stunde mit dabei und wollte es auch bleiben. Für einen Vortrag in Mexiko verlangte er daher vom Veranstalter kein Honorar, sondern ein First-Class-Ticket. Der Flug hätte den Status gerettet.

Doch die Maschine gen Mexiko konnte an jenem Tag im November 2016 nicht starten – erst wegen schlechten Wetters, später wegen des Nachtflugverbots in Frankfurt. Seitdem ist der einstige HON nur noch Senator. „Das hat wehgetan“, sagt er. Die Senator-Lounge komme ihm nun vor wie eine bessere Bushaltestelle.

3. Neue Konkurrenz für Miles & More

Eigentlich sind Lufthansa und die türkische Fluggesellschaft Turkish Airlines seit mehr als elf Jahren Partner in der Star Alliance. Doch Harmonie herrscht nur nach außen, zwischen Frankfurt und Istanbul tobt seit Jahren ein Streit um Bonusmeilen und zahlungskräftige Vielflieger. Nach dem Beitritt zur Star Alliance startete Turkish für mehrere Jahre einen aggressiven Preiswettbewerb, um Marktanteile zu gewinnen. Für die Lufthansa wurde die Konkurrenz aus Istanbul immer gefährlicher, vor allem auf Langstreckenverbindungen Richtung Asien.

2013 schaltete die Lufthansa auf Gegenschub: Sie kündigte an, dass Miles- & -More-Kunden, die mit Turkish fliegen, nur noch ein Viertel der ursprünglichen Meilen gutgeschrieben bekommen. Sprich: Wer mit Lufthansa sammelt, aber mit Turkish Airlines abhebt, wird benachteiligt. Ein Jahr später kündigte die Lufthansa gar ihr Codeshare-Abkommen mit Turkish Airlines auf, ein Verfahren, bei dem sich mehrere Airlines die Plätze auf einem Linienflug teilen.

Mit nahezu allen Mitteln versucht Lufthansa, die eigenen Kunden vom vermeintlichen Partner Turkish fernzuhalten. So müssen Turkish-Passagiere an den Flughäfen Köln, Düsseldorf und München von anderen Terminals abfliegen als Lufthansa-Kunden. Theoretisch haben die Status-Kunden von Miles & More zwar weiterhin das Recht, an diesen Flughäfen eine Lufthansa-Lounge zu besuchen, auch wenn sie mit Turkish-Ticket unterwegs sind. Doch faktisch machen die langen Wege zum anderen Terminal den Loungebesuch denkbar unattraktiv.

Derweil lassen die Türken nicht locker. Mehrere Jahre lang erlaubte Turkish einen „Status Match“: Wer bei einem fremden Meilenprogramm eine Gold-Karte nachweisen konnte, erhielt probeweise auch bei Turkish den gleichwertigen Gold-Status – mitunter für zwei Jahre, ohne auch nur einmal in einer Maschine der Airline gesessen zu haben.

Mit der Eröffnung des neuen Flughafens in Istanbul, der in seiner letzten Ausbaustufe rund dreimal so viele Passagiere abfertigen kann wie Frankfurt, wird es jedoch schwer, sich den Konkurrenten vom Hals zu halten. Istanbul und Turkish Airlines wollen das neue Drehkreuz der Welt werden. Immer mehr Flüge gehen von Europa nach Asien, von Arabien nach Amerika, von China nach Afrika. Genau in der Mitte liegt: Istanbul.

Den „Status Match“ bieten die Türken inzwischen nicht mehr an. Doch noch immer sind die Hürden hier deutlich niedriger als bei Lufthansa. Für den mit dem Senator vergleichbaren „Elite“-Status braucht man nur 30 000 Meilen in einem Jahr – oder 45 000 in zwei Jahren. Wer seinen Wohnsitz außerhalb der Türkei hat, bekommt noch einmal 5000 bis 7500 Meilen Rabatt. Der höchste Turkish-Status („Elite Plus“) ist schon mit 80 000 Meilen zu erreichen.

Über die unterschiedlichen Statusregelungen kann sich Simon Schmitz, der HON mit den 7,9 Millionen Lufthansa-Meilen auf dem Konto, ziemlich aufregen. Vor allem die Lounge-Logik findet er paradox, das hat er auch Lufthansa-CEO Carsten Spohr schon mal bei einem Treffen zugeflüstert: „Jemand, der seinen Star-Gold-Status auf vergleichsweise billigem Weg bei Turkish gemacht hat, darf bei der Lufthansa in die Senator-Lounge. Ein FTL, der im Zweifel der viel bessere Kunde ist und viel mehr Segmente im Lufthansa-Konzern zusammengesammelt hat, darf aber nur in die Business Lounge.“

Das merken auch Zehntausende Kunden aus Deutschland, die die Lücke im System ausnutzen – und ihren Goldstatus statt bei der Lufthansa einfach kostengünstig bei einer anderen Airline der Star Alliance erfliegen. Wahlweise bei Turkish (Vielfliegersprech: „Dönergold“), den Griechen von Aegean Airlines („Gyrosgold“) oder bei der afrikanischen Airline Ethiopian. Deren Karte hat den Beinamen „Katzengold“– weil das Programm, ähnlich wie Katzenfutter, „Sheba Miles“ heißt.

4. Ein Statussymbol fällt aus der Zeit

Welches Vielfliegerprogramm ist das beste? Das lässt sich nicht verallgemeinern, sagt Ralf Schumann, der mit seiner Firma Net-D-Sign als Internetprovider im Münchener Norden sitzt – und außerdem noch das Reisebüro Sky Travel Agent betreibt. „Es gibt kein ,one size fits all‘, nicht jedes Vielfliegerprogramm passt zu jedem Flugverhalten.“

Die Fliegerei habe sich extrem verändert, urteilt der 39-Jährige, der sich schon seit knapp 20 Jahren mit dem Meilenoptimieren beschäftigt. Das Reisen sei durch die Digitalisierung heute wesentlich unpersönlicher geworden. „An Tagen mit größeren Flugunregelmäßigkeiten bilden sich vor den Servicecentern am Flughafen lange Schlangen, das Personal ist in den Situationen nicht ausreichend, um sich zeitnah um die betroffenen Fluggäste kümmern zu können. Teilweise bricht dann auch gern mal die Telefonanlage zusammen.“

Ein Vielfliegerstatus sichere heutzutage nicht nur Privilegien, sondern auch eine „gewisse Basisversorgung, ohne die so mancher Berufspendler, Berater, Service-Techniker oder auch Firmenvorstand auf Dauer wahrscheinlich die Krise bekommen würde“. Denn für das Gros der Geschäftsleute gehe es nicht um Glamour, sondern primär um zwei Fragen: „Schaffe ich es pünktlich zum Termin – und abends noch zurück zu meiner Familie?“

Nur eine Minderheit flöge zum Spaß durch die Welt. Rund 80 Prozent täten es wegen ihres Jobs, schätzt Schumann. Dazu kämen bei ihm Kunden, die etwa in Fernbeziehungen leben oder zweimal im Monat ihre pflegebedürftigen Eltern besuchen. Schumanns Reisebüro berät Kunden, welcher Umweg sich beim Abflug lohnt, wo günstige Tickets in First oder Business Class zu haben sind, wie sich Geld sparen lässt.

Für die Buchung verlangt er ein Serviceentgelt. 400 bis 500 Kunden hat er pro Jahr, denen es nur um die reine Flug- und Meilenoptimierung geht. Immer wieder biete er auch Rat bei Mileage Runs. Er habe sehr viele Manager von mittelständischen Unternehmen als Kunden. „Kaum einer von denen hat in den Reiserichtlinien die First Class drin stehen“, berichtet Schumann. Im Zweifel würden die Manager die Differenz von der Business Class zur First Class von ein paar Hundert Euro selbst zahlen, um in den Genuss des Top-Produkts zu kommen. „Weil es die Reise erleichtert – und natürlich auch dabei hilft, den Status zu erhalten.“

Viele der Lufthansa-Kunden buchen aber auch die First, weil die Business Class der Lufthansa auf der Langstrecke nicht den besten Ruf hat. „Die Business der Lufthansa hinkt anderen Produkten am Markt schon sehr hinterher“, meint Schumann. Berüchtigt ist das unfreiwillige Füßeln mit dem Nachbarn, weil sich die Sitze in der Liegeposition im Fußraum dreieckig verjüngen.

Das Nachfolgeprodukt kommt wegen Verzögerungen beim Flugzeugbauer Boeing frühestens Anfang 2021. „Dafür sticht Lufthansa durch seinen Service, das große Netzwerk und das einmalige First Class Terminal in Frankfurt hervor“, meint Schumann. Selbst Kunden aus Afrika oder Indien flögen daher lieber über Frankfurt gen USA als über London oder Paris.

Und beim Meilensammeln? Miles & More sei schon sehr weit vorne, was die Anzahl der Sammelmöglichkeiten gerade im deutschsprachigen Raum betrifft. „Vom monetären Gegenwert beim Fliegen ist Miles & More durch die umsatzbasierte Meilenvergabe allerdings nicht mehr das Top-Programm“, urteilt Schumann.

British Airways, Teil der zweitgrößten Luftfahrtallianz Oneworld, zu der auch American Airlines, Finnair und Qatar gehören, ist hingegen dafür bekannt, die Kunden mit seinen Meilen zu überschütten, oft gibt es Bonusaktionen, bei der sich die „Avios“ günstig kaufen lassen. Auf Kurzstrecken lassen sich Avios sehr gut einlösen, die Meilenwerte sind gering, auch die Zuzahlung für Steuern und Gebühren sind sehr niedrig.

„Auf der Langstrecke gibt es dagegen gerade in den Premium-Klassen vielfach nur schlechte Verfügbarkeiten – und auch Steuern und Gebühren sind sehr hoch“, weiß Schumann. Am Ende sei es für die Programme immer eine Mischkalkulation, sie müssten ja profitabel sein: „Die Airlines versuchen, mehr durch den Verkauf von Meilen an Autovermietungen, Hotels, Verlage und Kreditkartenanbieter zu erlösen, als am Ende die Einlösung durch den Kunden kostet.“

Am liebsten dürfte es den Airlines sein, wenn die Kunden sich mit den teuer erflogenen Meilen einen billigen Trolley aus dem Bordshop bestellen – oder die Meilen gar verfallen lassen.

„Eine wesentliche Quelle für das wirtschaftliche Ergebnis von Meilenprogrammen liegt beim Meilenverfall“, gibt Anton Lill unumwunden zu. Lill führte zuletzt Topbonus, das Meilenprogramm von Air Berlin, das mit der Fluggesellschaft in die Insolvenz schlitterte, obwohl es zuletzt der Emirate-Airline Etihad gehörte. Fleißige Sammler von damals bekommen noch heute ab und an Post vom Insolvenzverwalter.

Dass sie jemals für die Millionen von verlorenen Meilen entschädigt werden, gilt als höchst unwahrscheinlich. Wer Meilen hortet, läuft Gefahr, sie bei einer Insolvenz zu verlieren – oder von einer Entwertung betroffen zu sein, wie es sie auch bei der Lufthansa immer wieder gibt. Erst im Mai wurden die benötigten Prämienmeilen für Flüge im Schnitt um fünf Prozent erhöht.

„Die wertvollste Einlösung ist immer das Upgrade, da dort zum einen keine Steuern und Gebühren fällig werden und zum anderen das ,value-for-money‘ aufgrund der Preisdifferenz zwischen den Beförderungsklassen am höchsten ist“, erklärt Lill, der in den Neunzigern auch das Miles- & -More-Programm geleitet hat.

2018 wurden bei Miles & More 860.000 Flugprämien und 155.000 Upgrades eingelöst. „Die Flugprämie ist unser emotionales Herzstück und Alleinstellungsmerkmal“, sagt auch Programmchef Sebastian Riedle. Kein Wunder also, dass die Kritik gewaltig war, als die „Hansa“ vor einigen Jahren die Möglichkeiten von Prämienflügen stark einschränkte. Lieber wollte man den Sitz teuer verkaufen.

Doch die Kritik fruchtete. Mittlerweile gibt es einen ganzen Baukasten, aus dem ein Flug über Meilen bezahlt werden kann. Zwei Erwachsene und bis zu fünf Kinder können ihre Flugmeilen bündeln, Pooling nennt sich das. Oder es gibt eine Early-Bird-Prämie: Wer sehr früh eine Flugprämie bucht, kann viele Meilen sparen. Laut Riedle alles Wünsche, die von Kunden herangetragen wurden „und die wir berücksichtigt haben“.

Meilen sammeln lohne sich immer nur dann, wenn man plant, die Meilen auch wieder für Flüge einzulösen, betont Moritz Lindner, Chef und Mitgründer des Reiseportals Reisetopia. Die größte Falle sei und bleibe die Einlösung für Sachprämien, Hotels und andere Leistungen, die nicht direkt mit dem Fliegen zu tun haben. Trotzdem liegt die Sachprämien-Quote über alle Programme hinweg bei etwa einem Drittel. Lindner: „Dies ist aber auch so gewünscht, weil die guten Einlösungen geschickt verschleiert werden – und kaum zu finden sind.“

Beim Fliegen gilt am Ende die gleiche Überlebensregel wie in allen anderen Bereichen der Konsumgesellschaft: Lass dich nicht verführen! Wer regelmäßig abhebt, der sollte auch Meilen sammeln und sie für gelegentliche Gratis-Upgrades in eine höhere Klasse nutzen – ein einfacher Weg, sich das Leben unterwegs angenehmer zu machen. Wer so viel fliegt, dass es für eine Statuskarte reicht, kann sich freuen. Denn sie hilft vor allem dann, wenn beim Reisen mal nicht alles nach Plan geht.

Wer sich hingegen den Senator-Status eigens für den Zutritt zur Lounge erfliegt, der wird dort mit Sicherheit das teuerste Rührei seines Lebens verspeisen. Ganz abgesehen davon, dass solche „Mileage Runs“ angesichts des Klimawandels ökologisch nicht mehr in die Zeit passen. Und wer tatsächlich glaubt, dass ihm der Status als Vielflieger auch in den Zeiten der Flugscham noch einen Imagegewinn verschafft, dem sei das Sortiment des Online-Auktionshauses Ebay anempfohlen: Den charakteristischen roten Gepäckanhänger aus Leder, den jeder Senator der Lufthansa erhält, gibt es dort gebraucht schon für rund 30 Euro zu kaufen.

Der flugverrückte Schüler Lemke aus Graal-Müritz verfolgt einen anderen Plan. Er will selbst Pilot werden – und wenn das nicht klappe, eben Flugbegleiter oder Bundespolizist. Hauptsache, was am Flughafen. „Fliegen ist absolut mein Leben“, sagt Lemke.

Seine Eltern, die Mutter Hebamme, der Vater Marketingmanager, fragen ihn manchmal, ob er spinne, wieso er jeden Monat in der Luft sein muss. Geld geben sie ihm nicht für das Luxushobby. Lemke hat sich jeden Cent selbst verdient, betont er. Auch schon mal Toiletten geputzt für fünf Euro die Stunde. Alles für die Fliegerei. Die sei ein Muss für ihn, erklärt er, „sonst fehlt mir was“.

Mitarbeit: Ozan Demircan, Thomas Jahn

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