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Nach Bombardier-Übernahme: Alstom findet neuen Deutschlandchef und verhandelt über Werksverkauf

Der Milliardendeal wird am Freitag abgeschlossen. Um EU-Auflagen zu erfüllen, führt Alstom „exklusive Gespräche“ mit Skoda Transportation über das Werk Reichshoffen.

Alstom-CEO Henri Poupart-Lafarge hat es geschafft: Der 52-jährige Franzose hat den Kauf des Rivalen Bombardier Transportation (BT) in einer Rekordzeit von nur elf Monaten durchgezogen und ist nun Chef des größten Bahntechnikunternehmens der westlichen Welt. Auf diesem Spitzenposten führt er einen Weltkonzern mit 15 Milliarden Euro Umsatz, 75.000 Mitarbeitern und einem Auftragsbestand von 70 Milliarden Euro.

Allerdings hat sich Poupart-Lafarge mit Bombardier auch ein Problem eingekauft. Der kanadische Lokhersteller leidet unter Gewinnschwund und schleppt seit Jahren Altlasten aus früheren unprofitablen Aufträgen mit sich herum. Analysten sind trotzdem optimistisch und sagen der Alstom-Aktie, die bei rund 47 Euro notiert, Potenzial voraus. Commerzbank-Analyst Ingo Schachel etwa sieht ein Kursziel von 57,50 Euro.

Am 29. Januar wird Alstom den Abschluss des Deals verkünden, der überraschende Personalien mit sich bringt. So wird nach Informationen des Handelsblatts aus Industriekreisen mit Müslüm Yakisan ein ehemaliger Siemens-Manager künftig eine wichtige Rolle spielen. Der in Deutschland ausgebildete Elektroingenieur soll Chef der Region Deutschland, Österreich und Schweiz werden.

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Yakisan, erst vor einem Jahr zu Alstom gewechselt, arbeitete mehr als zwei Jahrzehnte für Siemens Mobility unter anderem im Ausland und führte zuletzt als Leiter der Regionalbahnsparte erfolgreich den neuen Siemens-Paradezug RRX für das Schnellverkehrsnetz im Rhein-Ruhr-Gebiet ein.

Alstom wollte sich auf Anfrage zu Personalien nicht äußern. Als sicher gilt aber, dass BT-Deutschland-Chairman Rüdiger Grube, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn, seinen Posten verlieren wird. Das Aufsichtsgremium dürfte binnen kurzer Zeit aufgelöst werden. Für den ehemaligen CEO von Bombardier Transportation, Danny Di Perna, soll dagegen eine neue Aufgabe im neu formierten Konzern gefunden worden sein.

Dominierende Stellung in Europa

Kurz vor einer Lösungsfindung steht Alstom offenbar mit Blick auf die Auflagen der EU-Wettbewerbskommission. Ein Alstom-Sprecher bestätigte „exklusive Gespräche“ mit Skoda Transportation zur Übernahme des Alstom-Werks im elsässischen Reichshoffen und der Fahrzeugbaureihe Coradia-Polyvalent sowie der Bombardier-Plattform Talent 3 inklusive der dazugehörigen Fertigungsanlagen in Hennigsdorf bei Berlin.

EU-Kommissarin Margrethe Vestager hatte das zur Bedingung für eine Freigabe der Übernahme gemacht. Vestager will damit die Konkurrenz stärken.

Denn Alstom und Bombardier dominieren den Markt in Europa vor allem bei Regionalzügen, den sogenannten Commuter Trains. Beide Unternehmen kamen zuletzt nach Berechnungen der Beratungsfirma SCI-Verkehr auf einen Marktanteil von 48 Prozent, gemessen an den insgesamt 2400 zwischen 2018 und 2020 verkauften Zugeinheiten.

Werden die Bedingungen Brüssels erfüllt, verlassen insgesamt 1000 Beschäftigte den Konzern, allein 800 in Reichshoffen. SCI-Schätzungen zufolge verliert der neue Bahntechnikkonzern dadurch 350 bis 400 Millionen Euro an Umsatz.

Poupart-Lafarge hatte die Bedingungen frühzeitig mit Brüssel ausgehandelt und so die Genehmigung in einem ersten Anlauf bekommen. Kommissarin Vestager begnügte sich sogar mit der Zusage, dass Gespräche mit Kaufinteressenten geführt werden, Verträge müssten bei Übernahme noch gar nicht abgeschlossen sein.

Ganz anders war das bei der gescheiterten Fusion Siemens-Alstom. Die beiden Konzerne wären mit einem Marktanteil von 50 Prozent in der Signaltechnik sehr stark geworden, was Vestager nicht akzeptieren wollte. Siemens lehnte massive Einschnitte in diesem lukrativen Geschäft ab. Die geplante Fusion platzte 2018.

Siemens Mobility rangiert künftig mit neun Milliarden Euro Umsatz deutlich hinter den beiden Bahntechnikriesen Alstom und der chinesischen CRRC-Gruppe. Die Deutschen sind aber alles andere als abgeschlagen. Siemens Mobility hat sich auf Selbstständigkeit eingerichtet. Partner in der Größenordnung von Alstom oder Bombardier stehen jetzt ohnehin keine mehr zur Auswahl.

Siemens Mobility hätte dem französischen Wettbewerber beinahe die Show gestohlen. Vor wenigen Tagen meldeten die Münchener einen milliardenschweren Eisenbahnauftrag aus Ägypten. Siemens Mobility soll eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke planen und mitbauen. Der Auftragswert liegt zunächst bei drei Milliarden US-Dollar. Es könnten in einer zweiten Ausbaustufe sieben Milliarden Dollar werden.

Verträge mit dieser Dimension – auch wenn es bislang nur eine Absichtserklärung ist - werden in dieser Branche nicht alle Tage unterzeichnet. Zumal sich Siemens nach Informationen aus Industriekreisen sowohl gegen harte Konkurrenz aus China als auch gegen ein Konsortium um Alstom durchgesetzt haben soll. „Siemens ist zurzeit der strahlende Sieger“, erklärt Maria Leenen, geschäftsführende Gesellschafterin von SCI-Verkehr.

In einer komfortablen Lage ist Siemens Mobility aber noch aus einem anderen Grund. Poupart-Lafarge hat sich mit Bombardier zwar ein weltumspannendes Netzwerk bis nach China eingekauft, wo Alstom bislang noch keinen Fuß in der Tür hatte. BT verfügt über Produktions- und Entwicklungsstandorte in 25 Ländern. Doch verschwinden wird nur der Name, die Probleme des Unternehmens sind trotz aller Sanierungsarbeiten noch nicht beseitigt.

Expertin: Bombardier ist „finanziell extrem ausgeblutet“

Bombardier „ist finanziell extrem ausgeblutet“, sagt Branchenkennerin Leenen. Der Schienenfahrzeugkonzern mit Sitz in Berlin hatte nach ihrer Einschätzung in den vergangenen Jahren zu wenig Geld, um eigene neue Entwicklungen auf den Markt zu bringen. Als Beispiel nennt Leenen Lokomotiven: „Früher war die Traxx-Reihe vom Bombardier einmal führend, heute ist die Vectron von Siemens der Maßstab.“

Der kanadische Mutterkonzern Bombardier stand vor einigen Jahren am Rande der Insolvenz. Das zweite Standbein, der Flugzeugbau, hatte sich mit der Neuentwicklung einer Serie für mittelgroße Flieger verhoben. Die kanadische Zentrale saugte jeden Dollar Cash ab. Doch bei der Bahnsparte gab es zuletzt nichts mehr zu holen. Im Geschäftsjahr 2019 blieben von 8,3 Milliarden US-Dollar Umsatz bescheidene 212 Millionen Dollar Betriebsgewinn (Ebitda).

Der Konzern überlebte nur dank staatlicher Hilfe. Im Zuge der Rettungsmaßnahmen stieg die Regionalbank Caisse de dépot et placement du Québec (CDPQ) 2015 als Gesellschafterin der Transportsparte ein und übernahm 32,5 Prozent.

Im vergangenen Sommer stand zudem eine 750-Millionen-Euro-Bürgschaft des Bundes und der Bundesländer für Bombardier Deutschland zur Diskussion. Dazu kam es allerdings nicht. Weder Bombardier noch der künftige Eigentümer Alstom wollten die hohen Zinsen, die der Staat verlangte, akzeptieren.

Konzernchef Poupart-Lafarge sieht bislang keinen akuten Sanierungsbedarf. Keiner der Standorte soll geschlossen werden, Arbeitsplätze stünden nicht zur Disposition, verkündete er im vergangenen Jahr. Synergieeffekte von 400 Millionen Euro jährlich verspricht sich der Alstom-Chef vor allem im Einkauf. Und das auch erst in vier bis fünf Jahren nach der Übernahme Bombardiers.

Der Franzose vertraut darauf, dass die Klimadebatte der Eisenbahnindustrie auf lange Zeit eine hohe Nachfrage bescheren wird. Die Unternehmensberatung Roland Berger schätzt das Wachstum eher konservativ auf zwei Prozent. Das aber auf hohem Niveau: Der Gesamtmarkt liegt bei 51 Milliarden Euro – nur in Westeuropa.

Commerzbank-Analyst empfiehlt Alstom-Aktie zum Kauf

Auf den „Megatrend Schienenverkehr“ setzt auch Commerzbank-Analyst Schachel. Für ihn ist Alstom ein klarer Kauf. Die Ankündigung, Bombardier zu übernehmen, hatte die Aktie des französischen Zugbauers im vergangenen Jahr zunächst auf Talfahrt geschickt. Groß war die Skepsis, dass sich unter dem hohen Bombardier-Auftragsbestand von mehr als 30 Milliarden Euro noch reichlich unprofitables Geschäft verstecken könnte.

Zu Recht, denn im Mai 2020 nahm Bombardier bereits Wertberichtigungen von 435 Millionen Euro vor. Und in Kreisen des Unternehmens heißt es, im vierten Quartal werde Bombardier Transportation noch einmal kräftig aufräumen. Die Ergebnisse werden Anfang Februar dieses Jahres veröffentlicht.

Den Alstom-Chef dürfte das nicht mehr überraschen. Poupart-Lafarge verhandelte schon im Herbst nach und drückte den Kaufpreis um eine halbe Milliarde Euro. Alstom musste nach Ansicht von Branchenexpertin Leenen zwar „den Retter für die europäische Bahnindustrie spielen“ – Bombardier Transportation hätte allein „wahrscheinlich nicht überlebt“. Doch für Alstom könnte die Rechnung aufgehen.

Eine erfolgreiche Kapitalerhöhung und die Beteiligung der kanadischen Bank CDPQ schonen die Konzernkasse gewaltig. CDPQ wird am neuen Alstom-Konzern 18 Prozent halten. Am Ende werden die Franzosen keine drei Milliarden Euro aus eigener Tasche für BT zahlen. Und das bei einer Verdoppelung des Umsatzes. Analyst Schachel hat ausgerechnet, dass Alstoms Nettoverschuldung nach dem Deal sogar fast unverändert sein wird.

Bombardier Transportation könnte sich damit als ein smarter Deal erweisen. Eben eine „einmalige Gelegenheit“ wie Poupart-Lafarge selbst sagt, und eine „historische Etappe im Leben unseres Konzerns“.