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Blick ins Ausland zeigt: Diese Folgen kann eine vierte Welle mit der Delta-Mutation bei uns haben

Menschen warten vor einem Corona-Impfzentrum in Sydney. Die Bewohner der australischen Großstadt dürfen diese wegen eines Ausbruchs der Delta-Variante großteils nicht verlassen.
Menschen warten vor einem Corona-Impfzentrum in Sydney. Die Bewohner der australischen Großstadt dürfen diese wegen eines Ausbruchs der Delta-Variante großteils nicht verlassen.

Hochansteckend, aggressiver als bisherige Mutationen und eine Gefahr selbst für manche Geimpfte: Die Delta-Variante ist in Deutschland bereits für 15 Prozent der neuen Coronavirus-Fälle verantwortlich — Tendenz schnell steigend. Das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) geht davon aus, dass Delta schon im August 90 Prozent aller Corona-Fälle in Europa ausmachen wird. Schon jetzt befürchten Immunologen, dass die neue Corona-Variante die Herdenimmunität in Deutschland — und damit ein Ende der Corona-Krise — gefährdet.

Die Szenarien über die Auswirkungen der Delta-Variante sind also düster. Ein Blick in Länder, in denen die Variante sich bereits durchgesetzt hat, zeigt konkret, was auf die Bundesrepublik zukommen könnte, wenn Delta auch hierzulande den Großteil der Corona-Infektionen ausmacht.

Großbritannien: Fast 100 Prozent Delta, mehr Infektionen, mehr Krankenhauseinweisungen

Kein Land in Europa hält so gut nach, welche Mutationen des Coronavirus in ihm gerade auftreten, wie Großbritannien. Am Beispiel des Vereinigten Königreichs lässt sich deshalb gut veranschaulichen, wie schnelll die Delta-Variante sich ausbreiten kann.

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Mittlerweile macht sie in Großbritannien nahe zu 100 Prozent aller neuen Corona-Fälle aus. Innerhalb von knapp zwei Monaten hat sich die zuerst in Indien entdeckte Variante auf den britischen Inseln durchgesetzt. Laut Regierungsangaben gab es allein in England in den vergangenen vier Wochen knapp 40.000 Infektionen mit der Delta-Variante. Die 7-Tage-Inzidenz liegt in Großbritannien mittlerweile wieder bei fast 120, Tendenz steigend — und das, obwohl etwa 80 Prozent der Erwachsenen mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft sind. Mitte Mai lag die Inzidenz noch bei um die 25.

Laut einer Studie des Imperial College London und des Marktforschungsunternehmens Ipsos MORI ist der Anstieg der Infektionszahlen vor allem auf die Altersgruppen 5 bis 12 und 18 bis 24 Jahre zurückzuführen. Zu diesem Ergebnis kommt auch das englische Gesundheitsministerium: Es sind vor allem die Menschen unter 40, die sich mit Delta anstecken.

https://twitter.com/PHE_uk/status/1405511588719779842

Ein Grund dafür: Zwar haben 80 Prozent der erwachsenen Briten mindesten eine Impfung gegen Corona bekommen, vollständig geimpft sind aber weniger als 50 Prozent. Während eine einfache Impfung bereits gut gegen die bisherigen Mutationen des Coronavirus schützt, bleibt die Delta-Variante auch für Erstgeimpfte höchst ansteckend. Eine schottische Studie fand zuletzt heraus, dass selbst bei einer doppelten Impfung mit AstraZeneca — der in Großbritannien besonders häufig eingesetzt wurde — die Schutzwirkung gegen Delta nur bei 60 Prozent liegt.

Immerhin: Die britische Regierung gab Anfang der Woche bekannt, dass sowohl der Impfstoff von Biontech/Pfizer als auch der von AstraZeneca auch bei Delta zu über 90 Prozent vor schweren Verläufen mit Krankheitsaufenthalt schützen. Dennoch stiegen die Krankenhauseinweisungen von Corona-Infizierten in Großbritannien in den vergangenen Wochen an, auf etwa 200 Fälle pro Tag. Auch hier wird der Anstieg wieder von den jungen — und potenziell noch ungeimpftem Menschen — angetrieben.

https://twitter.com/jneill/status/1407831456345473027

Die gute Nachricht aus Großbritannien ist, dass die Delta-Variante bisher nicht für einen starken Anstieg der Todeszahlen sorgt. Der 7-Tage-Schnitt im Vereinigten Königreich liegt bei 14 Corona-Toten.

Indien: Fallende Corona-Zahlen — trotz der Delta-Variante

In Indien wurde die Delta-Variante zuerst entdeckt, sie trieb dort im Mai die täglichen Corona-Infektionen auf nahezu 400.000 pro Tag. Mittlerweile haben indische Virologen sogar eine Variation der Variante enteckt: Delta-Plus, besonders ansteckend und besonders aggressiv beim Angriff auf die Lunge.

Und dennoch, die Corona-Infektionen in Indien sinken seit Wochen. Mittlerweile werden unter 60.000 Fälle pro Tag bekannt, die 7-Tage-Inzidenz liegt bei 27, die täglichen Todeszahlen sind von einem Hoch von über 4200 Ende Mai auf um die 1300 gefallen. All das in einem Land mit weit über einer Milliarde Einwohnern, von denen nur 18 Prozent erst- und nur vier Prozent zweitgeimpft sind. Die Dunkelziffer der Infektionen mag höher liegen, dennoch ist der steile Fall der Corona-Infektionen in Indien bemerkenswert.

Zum einen ist er durch harte Lockdowns begründet, die die indische Regierung und viele Bundesstaaten verfügt haben. Zum anderen, so sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach der "Welt", könnte das Präventionsparadox zu den sinkenden Zahlen beitragen: "Wenn die Zahl der Corona-Neuinfektionen exponentiell steigt, fangen die Menschen an, sich vorsichtiger zu verhalten. Durch das vorsichtigere Verhalten stagnieren die Zahlen zunächst, dann sinken sie sogar."

Eine ähnliche Entwicklung erwartet Lauterbach auch in anderen von Delta betroffenen Ländern, wie Großbritannien, Russland und Portugal: "Ich sage voraus, dass wir das gleiche Phänomen in anderen Staaten sehen werden, in denen sich die Delta-Variante des Coronavirus gerade stark ausbreitet."

Portugal: Am Anfang der Delta-Welle

Gerade Portugal ist derzeit um Prävention bemüht. Nach Großbritannien ist das Land das mit dem größten Anteil der Delta-Variante an den Neuinfektionen in Europa: Knapp 50 Prozent der neuen Corona-Fälle in Portugal sind auf die Delta-Variante zurückzuführen, in der Hauptstadt Lissabon sind es sogar über 60 Prozent. Die 7-Tage-Inzidenz in Portugal liegt mittlerweile wieder knapp unter 80. Auch die Zahl der Krankenhauseinweisungen steigt wieder, bisher gibt es jedoch wenige besonders schwere Fälle — die Zahlen der täglich an Corona verstorbenen Menschen in Portugal sind einstellig.

Dennoch, die portugiesische Regierung befürchtet einen weiteren Anstieg der Infektionszahlen im Land. Und nicht nur sie. Anfang der Woche kritisierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Portugal dafür, britische Touristen ins Land gelassen zu haben. "Ich bereue, dass wir nicht in der Lage waren, uns unter den Mitgliedsstaaten auf einheitliche Reisebeschränkungen zu einigen. Das rächt sich nun", sagte die Kanzlerin. "Wir haben jetzt eine Situation in Portugal, die wir vielleicht hätten vermeiden können."

Die portugiesische Gesundheitsministerin Marta Temido gab Merkel am Donnerstag recht: "Wenn wir damals alles gewusst hätten, was wir heute wissen, hätten wir zu bestimmten Zeiten anders handeln können? Ja, vermutlich." Es sei jedoch unmöglich, die Zeit zurückzudrehen. Und so sah sich die portugiesische Regierung Ende vergangener Woche gezwungen, die Hauptstadt Lissabon abzuriegeln, um eine Ausbreitung der dort besonders verbreiteten Delta-Variante in andere Regionen aufzuhalten.

In Portugal beginnt nun — wie in den meisten EU-Staaten — ein Wettlauf gegen die Zeit. Es geht darum, die Delta-Variante so lange zu bremsen, bis über Impfungen eine Herdenimmunität gegen das Corona-Virus geschaffen wurde. Für Portugal noch ein weiter Weg: Stand Dienstag waren laut Regierungsangaben 46 Prozent der 10 Millionen Bürger mindestens einmal gegen Corona geimpft, nur 29 Prozent haben bereits die Zweitimpfung erhalten.

Russland: "Explosion" der Corona-Zahlen dank Delta

Noch härter wird der Kampf gegen die Delta-Variante für Russland. Die Impfskepsis im Land ist enorm, nur 11 Prozent der Russen sind vollständig gegen das Coronavirus geimpft — obwohl das Land als allererstes im vergangenen Jahr mit Sputnik V einen Corona-Impfstoff einsetzte.

Nun treibt die Delta-Variante in Russland die Zahl der Corona-Neuinfektionen nach oben. Die 7-Tage-Inzidenz hat sich seit Anfang des Monats auf 80 verdoppelt, die Zahl der täglichen Fälle ist am Donnerstag bei über 20.000 angekommen. Ein Großteil von diesen konzentriert sich auf Moskau, wo in den vergangenen Tagen zwischen 6000 und 9000 Fällen täglich registriert wurden. Laut Moskaus Bürgermeister Sergei Sobyanin gehen 90 Prozent davon auf die Delta-Variante zurück; russlandweit sind es über 60 Prozent. "Die Situation ist explosiv", sagte Sobyanin am Mittwoch.

Tatsächlich wirken sich die steigenden Infektionszahlen auch auf die Todeszahlen aus. Ende Mai lagen diese bei täglich unter 400, am Donnerstag starben nun fast 600 Menschen in Russland am Coronavirus. Kreml-Chef Wladimir Putin gestand am Montag vor dem Parlament ein: "Leider ist die Bedrohung durch das Coronavirus nicht vorüber." Nun führen viele Regionen in Russland auf Geheiß des Präsidenten eine eingeschränkte Impfpflicht ein: Unternehmen im Gesundheits- oder Bildungssektor, aber auch Schönheitssalons, Fitnessstudios oder Betriebe im öffentlichen Nahverkehr sollen bis September 60 Prozent ihrer Angestellten impfen.

USA: Gefährliche Mischung aus Impfverweigerern und der Delta-Variante

Auch in den USA sind Impfgegner zurzeit das größte Problem im Kampf gegen das Coronavirus. 54 Prozent der Bevölkerung haben mindestens eine Impfdosis erhalten, 45 Prozent sind vollständig geimpft; bei den Erwachsenen sind es 66 beziehungsweise 56 Prozent — noch zu wenig für eine effektive Herdenimmunität. Die Zahl der täglichen Impfungen hat zuletzt stark abgenommen, von über 3 Millionen im April auf unter 1 Million stand heute. Gehen die Impfungen in diesem Tempo weiter, würde es bis nach Angaben des Centers for Disease Control and Prevention (CDC) bis zum 2. November brauchen, um 70 Prozent der Bevölkerung zu impfen. Für 90 Prozent bräuchte es bis zum 12. April 2022. Immunilogen und Virologen gehen davon aus, dass eine effektive Herdenimmunität irgendwo zwischen diesen beiden Meilensteinen erreicht wäre.

Viele US-Amerikaner sind also noch ungeimpft und deshalb besonders durch die Delta-Variante gefährdet. Anthony Fauci, renommierter Immunologe und Chief Medical Advisor von US-Präsident Joe Biden, sagte am Dienstag, Delta wäre mittlerweile für ein Fünftel aller Corona-Neuinfektionen in den Vereinigten Staaten verantwortlich. Ein Wert, der sich laut Fauci innerhalb von nur zwei Wochen verdoppelt habe. Fauci nannte die Delta-Variante die "größte Bedrohung" im Kampf der USA gegen das Coronavirus.

Tatsächlich könnte Delta für neue Corona-Wellen in den USA sorgen — gerade in Bundesstaaten und Regionen, in denen die Impfquote gering ist. Noch ist der Trend in den USA positiv: Landesweit sanken zuletzt sowohl die Infektionszahlen (im Schnitt zuletzt um die 11.000 pro Tag), die Einlieferungen in Krankenhäuser (im Schnitt zuletzt um die 16.000 pro Tag) und die Zahl der Todesfälle (im Schnitt zuletzt um die 300 pro Tag). Breitet sich die Delta-Variante im Land aus, könnte sich der Trend jedoch schon bald umkehren.

Wie sich Deutschland auf die drohende Delta-Welle vorbereitet

Was also lässt sich aus den Entwicklungen um die Delta-Variante in den oben genannten Ländern für Deutschland ableiten?

Zunächst ist festzuhalten, dass die 7-Tage-Inzident in der Bundesrepublik mittlerweile im einstelligen Bereich liegt. Nur 850 Corona-Patienten wurden Stand Dienstag intensivmedizinisch behandelt, etwa 600 davon wurden künstlich beatmet. Der 7-Tage-Mittelwert für Corona-Todesfälle lag Stand Mittwoch bei 72. Hinzu kommt, dass über 52 Prozent der Gesamtbevölkerung mindestens einmal gegen Corona geimpft sind, ein Drittel sind vollständig geimpft. Im Schnitt kommen pro Tag zurzeit über 800.000 Impfungen hinzu. Deutschland ist also auf einem guten Weg, in den kommenden beiden Monaten eine Herdenimmunität zu erreichen — sofern die Annahme der Bundesregierung, dass etwa 70 Prozent der Erwachsenen sich impfen lassen wollen, eintritt.

Das sind auch gute Nachricht im Kampf gegen die Delta-Variante. Dennoch warnte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag im Gespräch mit dem "Handelsblatt": "Ich appelliere an alle Reisenden, sich sorgsam über das Infektionsgeschehen zu informieren, Testangebote anzunehmen und die Quarantänepflichten ernst zu nehmen." Auf den Urlaubssommer dürfe kein "Sorgenherbst" folgen. Bundeskanzlerin Merkel hatte schon am Mittwoch im Bundestag mit Blick auf die Delta-Variante gemahnt: "Wir dürfen jetzt das, was wir gemeinsam erreicht haben, nicht leichtfertig riskieren." Die Entwicklungen in Portugal und Russland müssten Deutschland "Warnung und Auftrag zugleich sein".