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Blaumachen auf Französisch: Das Recht auf Rückzug von der Arbeit

Museumswärter, Lehrer und Busfahrer entdecken, dass sie unter unzumutbaren Gefahren leiden. Nicht nur in der Coronakrise stellen sie immer häufiger die Arbeit ein – fast legal.

Das Coronavirus macht es möglich: Mehrere hundert Mitarbeiter des Pariser Louvre legten Anfang März ihre Arbeit nieder. Mal wieder. Ihre Begründung: Sie fürchteten wegen des Coronavirus Covid-19 um ihre Gesundheit. Der Museumsleitung blieb nicht anderes übrig, als den Louvre offiziell zu schließen. Die Besucher blieben im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehen.

Nicht zum ersten Mal: Französische Arbeitnehmer nutzen immer häufiger eine Bestimmung des Arbeitsgesetzbuchs, um blau zu machen. „Droit de retrait“, wörtlich das „Recht auf Rückzug von der Arbeit“ nennt sich die Vorschrift.

In Deutschland gibt es etwas mit dem Arbeitsverweigerungsrecht etwas ähnliches. Hierzulande ist es allerdings an sehr strikte Bedingungen geknüpft und wird nur äußerst selten wahrgenommen: Es muss eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben, bzw. ein gravierender Verstoß gegen den Arbeitsschutz bestehen. Oder ein schwerer Gewissenskonflikt.

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In Frankreich ist die gesetzliche Vorschrift ähnlich strikt wie in Deutschland: Rückzug von der Arbeit ist nur erlaubt, wenn eine „gravierende und unmittelbare Gefahr für das eigene Leben oder die Gesundheit“ droht. Die Handhabung ist allerdings völlig anders.

Beispiel Louvre: Bereits seit Januar sieht man keine Besuchergruppen mehr aus China, deren Anwesenheit möglicherweise ein Risiko darstellen könnte. Die Personendichte ist niedrig, um ein Vielfaches geringer als in einer U-Bahn, in der man Seite an Seite mit anderen Fahrgästen steht. Ein besonderes Risiko für die Museumswärter ist beim besten Willen nicht zu erkennen. Jede Kassiererin schwebt in größerer Gefahr.

Im Louvre ist der Coronavirus nur der jüngste Anlass für die Aufpasser, um der Museumsleitung und den Besuchern eins auszuwischen. Für sich entdeckt haben sie das „droit de retrait“ schon vor sieben Jahren. Da zogen sie sich zum ersten Mal zurück.

Die Begründung damals: Im meistbesuchten Museum Europas liefen zu viele minderjährige Sinti und Roma herum, die als Taschendiebe ihr Unwesen trieben. „Wir sind völlig überwältigt von den Ereignissen, mit den Nerven am Ende.“ meldete sich ein Gewerkschaftsführer zu Wort. Sogar Bestechungsversuche habe es gegeben: „Die kamen an und sagten: ‚Ich gebe Dir 20 Euro und Du lässt mich in Ruhe machen.“

Damit nicht genug: Junge Roma-Mädchen hätten „ihre nackten Brüste gezeigt, um unsere Kollegen seelisch zu destabilisieren“, entsetzte sich der Gewerkschafter. Die uniformierten Museumsdiener sahen in den Kindern eine unzumutbare Gefahr für sich und blieben der Arbeit fern.

Nach dem Louvre steht Schulbetrieb still

Seitdem erfreut sich der Rückzug vom Dienst zunehmender Beliebtheit. Im vergangenen Jahr legten hunderte Zugführer der Staatsbahn SNCF die Arbeit nieder. Eine Regionalbahn, die ohne Schaffner betrieben wurde, war entgleist. Das zeige, wie gefährlich das System sei, Regionalbahnen ohne Zugbegleiter fahren zu lassen – flugs legten die Lokführer die Arbeit nieder. Die Verweigerer waren zwar fast ausschließlich auf Zügen mit zwei oder mehr Schaffnern im Einsatz, von der angeblichen Gefahr also gar nicht betroffen - aber das tat nichts zur Sache.

Häufig und gerne nutzen Lehrer das Rückzugsrecht. Kommt es in einer Schule in einem Problemgebiet der Banlieue zu Konflikten zwischen den Kindern oder wird ein Lehrer von einem Schüler bedroht, ziehen die Unterrichtenden die Karte: droit de retrait, wir stellen den Schulbetrieb ein.

Das Covid-19 lässt, das kann man bereits heute sagen, die Fieberkurve der Arbeitsverweigerung hochschnellen. Die besorgten Louvre-Mitarbeiter haben den Startschuss gegeben. Gleich danach blieben Lehrer zu Hause, auch in Städten, in denen keine Coronavirus-Fälle aufgetreten sind. Und dann fiel den Busfahrern in Paris auf, dass auch sie gefährdet sind.

Dabei sind sie durch eine hohe Glasscheibe von den Fahrgästen getrennt. Zusätzlich haben die Verkehrsbetriebe sie mit Desinfektionsgel ausgestattet, falls ein Fahrgast bar bezahlen will – was äußerst selten vorkommt. Der Fahrer kann dann seine Hände desinfizieren.

Schaut man sich die Fälle an, in denen das droit de retrait wahrgenommen wird, stellt man fest: Hier weisen nicht die wirklich gefährdeten Berufsgruppen wie Polizisten, Feuerwehrleute, Notfallärzte oder Reinigungskräfte von Atomkraftwerken auf ihr Risiko hin.

Unternehmen fürchten Arbeitskampf

Es gibt eine andere Gemeinsamkeit: In allen Fällen geht es um Betriebe, die Hochburgen der weit linksstehenden Gewerkschaften CGT oder SUD sind. Das Rückzugsrecht ist für sie eine gute Möglichkeit, einen unerklärten Streik zu veranstalten, den der Arbeitgeber sogar noch bezahlen muss: doppelte Pein.

Theoretisch könnten die Unternehmen auf das Arbeitsgesetzbuch verweisen, feststellen, dass keine akute Gefahr besteht und auf der Arbeitsleistung bestehen oder die Löhne kürzen. Aber das wäre in Frankreich äußerst kontraproduktiv: Es würde sofort als Anschlag auf die Arbeitnehmerrechte gewertet und mit einem breiteren spontanen Arbeitskampf beantwortet. So regelt man die Sache unter der Hand: eine kleine Prämie da, ein paar Freistunden dort.

Es sieht ganz danach aus, dass dem Recht auf Rückzug noch eine glänzende Karriere bevorsteht – auch wenn die Covid-19-Epidemie längst abgeklungen sein wird.