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Blackrock-CEO Larry Fink: „Der Kapitalismus ist zu weit gegangen“

Larry Fink lässt nicht locker. Regelmäßig trifft sich der Blackrock-CEO mit Konzernvorständen, Regierungschefs und Großinvestoren. Und immer bringt er das Thema zur Sprache, das derzeit oben auf seiner Agenda steht. „Wir müssen langfristiges Denken sicherstellen. Vorstände und Verwaltungsräte müssen dafür mehr Verantwortung übernehmen und die Unternehmen müssen sich mehr für die Gesellschaft engagieren“, sagte Fink im Interview mit dem Handelsblatt.

„Purpose“ heißt das Stichwort, das der Chef des größten Vermögensverwalters von Unternehmen überall auf der Welt einfordert. Also auf Deutsch so viel wie „Zweck“ oder „Bestimmung“. In Zeiten großer politischer Umwälzungen und gelähmter Regierungen müssten Unternehmen die Lücke schließen, die Regierungen hinterlassen, fordert Fink. „Ich glaube, die Unternehmen werden gar keine andere Wahl haben.“

Der Blackrock-Chef mischt sich damit in die Kapitalismus-Debatte ein, die derzeit leidenschaftlich an der Wall Street geführt wird. Erst Anfang April hat Ray Dalio, der Gründer des weltgrößten Hedgefonds Bridgewater, vor einer Revolution gewarnt, wenn die sozialen Ungleichgewichte in den USA nicht beseitigt würden.

„Es gibt eine gewisse gesellschaftliche Frustration, weil der Kapitalismus für immer weniger Leute funktioniert. Und in manchen Fällen muss man sagen: Der Kapitalismus ist zu weit gegangen“, räumt auch Fink ein, dessen Konzern Kundengelder in Höhe von 6,5 Billionen US-Dollar verwaltet. Allerdings gibt er auch zu bedenken, dass „vom Kapitalismus insgesamt mehr Menschen profitiert haben als von jedem anderen politischen Modell.“

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Blackrock arbeite derzeit an Instrumenten, um Purpose zu messen und zu vergleichen. Schließlich sind diese Werte deutlich schwieriger zu messen als harte Unternehmenskennzahlen wie Gewinn und Rendite. Dass Unternehmen neben dem Geld-Verdienen noch einen größeren, gesellschaftlichen Sinn haben, muss laut Fink jedoch nicht schlecht fürs Geschäft sein.

„Die besten Unternehmen schauen nicht nur auf ihre Aktionäre“, so der 66-Jährige. „Sie verbinden die Belange der Mitarbeiter mit denen der Kunden und sie kümmern sich um die Gemeinden, in denen sie tätig sind.“ Davon würden langfristig wiederum auch die Aktionäre profitieren.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Herr Fink, in Ihrem jährlichen Brief an die Chefs globaler Konzerne haben Sie diese bereits zum zweiten Mal aufgefordert, sich mit dem Thema Purpose zu beschäftigen. Warum?
Weil es mir um langfristiges Denken geht. Das ist der rote Faden in allen meinen Briefen. Sie behandeln die Frage, wie Unternehmen langfristig Wachstum erzielen können angesichts wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umwälzungen. Purpose ist eine weitere Ausprägung dieses Konzepts: der Notwendigkeit, über längere Zeiträume zu denken und zu investieren. In meinem ersten Brief an die Vorstandschefs vor sieben Jahren war zwar noch nicht von Purpose die Rede, aber es ging um dasselbe Thema: wie man sich dem wachsenden Druck kurzfristigen Denkens widersetzen kann.

Was treibt dieses Thema?
Die Gesellschaft verändert sich rasant. Wir leben in einer Zeit großer Umbrüche. Viele Menschen sind beunruhigt über die Zukunft. Unternehmen können nicht jedes soziale und wirtschaftliche Problem lösen. Aber es gibt viele, wie etwa die Altersvorsorge, bei deren Lösung Unternehmen eine Führungsrolle einnehmen müssen.

Das wird sich fortsetzen, auch weil seit zehn Jahren immer mehr Millennials ins Arbeitsleben kommen. Rund 35 Prozent der Arbeitnehmer sind Millennials, bei Blackrock sind es sogar 55 Prozent. Sie stellen andere Fragen und haben andere Ansprüche. Ihnen ist wichtiger, dass ein Unternehmen die Gesellschaft verbessert, als dass es kurzfristig hohe Gewinne erwirtschaftet. Daher ist klar: Wir müssen langfristiges Denken sicherstellen. Vorstände und Verwaltungsräte müssen dafür mehr Verantwortung übernehmen, und die Unternehmen müssen sich mehr für die Gesellschaft engagieren.

Gab es ein bestimmtes Ereignis, das Sie zum Purpose-Konzept gebracht hat?
Das fügte sich alles im Sommer 2017. Damals gab es extreme politische Veränderungen in verschiedenen Ländern. Frustrierte Stimmen wurden lauter, weil viele Regierungen nicht in der Lage sind, das zu erfüllen, was Teile der Wähler von ihnen erwarten. Daher fingen immer mehr Leute an, sich an die Unternehmen zu wenden und sie zu fragen, welche Rolle sie in der Gesellschaft spielen wollen. Mir wurde bewusst, dass Unternehmen einer größeren öffentlichen Diskussion ausgesetzt sein würden – und auf diese veränderten Erwartungen vorbereitet sein müssen.

Unternehmen sollen also die Lücke schließen, die Regierungen hinterlassen.
Die Unternehmen werden gar keine andere Wahl haben. Mir wurde sehr klar, dass die besten Unternehmen nicht nur auf ihre Aktionäre schauen, sondern alle wichtigen Anspruchsgruppen berücksichtigen. Sie verbinden die Belange der Mitarbeiter mit denen der Kunden, und sie kümmern sich um die Gemeinden, in denen sie tätig sind. Davon werden langfristig auch die Aktionäre profitieren.

Ihre Briefe kommen zu einer Zeit, in der sich die Firmenskandale häufen. Boeing ganz aktuell, aber auch VW und Facebook. Wie passt das zusammen?
Das passt perfekt zusammen.

Wieso?
Die Fälle zeigen, wie transparent die Welt geworden ist. Es wird immer schwieriger, sich zu verstecken. Und das ist gut so. Ich sehe das als Reinigungsprozess und nicht als Ausprägung einer Krankheit. Die Transparenz zwingt Unternehmen mehr denn je, ihren Purpose zu artikulieren. Niemand ist perfekt. Und es wird immer Einzelne in Organisationen geben, die gegen Regeln verstoßen. Aber wer einen gut ausformulierten Purpose hat, an den die Mitarbeiter, die Kunden und die Gemeinschaft glauben, dem fällt es leichter, über schwierigere Phasen hinwegzukommen.

Wie reagieren die Firmen auf Ihre Forderung, dass sie sich eine tiefgründigere Mission geben sollten?
Nach meinem ersten Brief habe ich viel Gegenwind bekommen. Aber ich schreibe diese Briefe ja nicht, damit alle mit mir einer Meinung sind, sondern um die Investments unserer Kunden zu verbessern. Mittlerweile hat der Widerstand abgenommen. Vergangene Woche waren die Chefs der größten US-Banken bei einer Anhörung im Repräsentantenhaus, und alle haben betont, wie sehr ihre Institute nun auf langfristige Gewinne ausgelegt sind. Das ist gut.

Gerade wird viel über die negativen Auswüchse des Kapitalismus diskutiert. Ray Dalio, Gründer des weltgrößten Hedgefonds Bridgewater, hat Anfang April mit seiner Kritik am US-System für viel Aufsehen gesorgt. Wo stehen Sie in der Debatte?
Man muss beide Seiten sehen. Vom Kapitalismus haben insgesamt mehr Menschen profitiert als von jedem anderen wirtschaftlichen Modell. Aber das hat auch Kosten mit sich gebracht, die nie so richtig diskutiert wurden. Der Brexit und die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten haben das in den Fokus gerückt. Es gibt eine gewisse gesellschaftliche Frustration, weil der Kapitalismus für immer weniger Leute funktioniert. Und in manchen Fällen muss man sagen: Der Kapitalismus ist zu weit gegangen.

Ganz klar, die Gewinnerzielung muss im Vordergrund stehen. Doch wenn der einzige Sinn eines Unternehmens ist, Gewinne zu erzielen, ist das keine nachhaltige Strategie. Wir haben jetzt eine Diskussion darüber, und das ist fantastisch. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen: Die größten Krisen entstehen immer dann, wenn wir nicht darüber reden. Die öffentliche Diskussion über den Kapitalismus, die wir nun führen, stimmt mich hoffnungsvoll. Vor zwei Jahren gab es das noch nicht.

Aber was muss sich konkret verbessern? Dalio und andere fordern auch, Reiche stärker zu besteuern.
Ein wichtiger Hebel ist aus meiner Sicht die Kapitalertragsteuer. Ich war schon immer dafür, diese neu zu gestalten. Der Steuersatz für Kapitalerträge sollte erst nach fünf oder zehn Jahren unter denjenigen regulärer Einkommen fallen – und nicht schon nach einem Jahr. Das wäre wirklich langfristig. Schließlich klaffen die Einkommen seit der Finanzkrise auch deshalb immer weiter auseinander, weil die Aktienbesitzer mächtige Gewinne eingestrichen haben. Viele Normalverdiener, auch in Deutschland, halten nur wenige Wertpapiere. 78 Prozent ihres Vermögens halten die Deutschen auf dem Sparkonto, in Pensionsfonds und Lebensversicherungen. Ich frage mich: Ist das klug?

Ist das Konzept des Shareholder Value in Zeiten von Purpose noch aktuell?
Ja. Gewinne und Purpose gehen auf jeden Fall zusammen. Und wir sehen, dass etwa die Hälfte der Briefe, die CEOs an ihre Aktionäre schreiben, über eine langfristige Perspektive und über Purpose sprechen.

Wie misst man Purpose?
Wir schauen, ob Unternehmen ihre Versprechen einhalten. Das ist keine quantitative Analyse wie bei den Finanzdaten. Das geht auch gar nicht, zumindest noch nicht. Wir arbeiten aber beispielsweise schon an Analysewerkzeugen, um zu messen, welchen Einfluss ein Unternehmen auf den Klimawandel hat. Wir stecken da eine gute Menge an Geld und Zeit rein. Viele der führenden Universitäten befassen sich ebenfalls mit dieser Frage. Wir hatten einen der führenden Harvard-Professoren hier. Der machte deutlich, dass es schon jetzt eine Reihe von Studien gibt, die beweisen, dass Unternehmen mit Purpose mehr leisten.

Sie haben ein Team aufgebaut, das sich nur mit Themen wie Purpose befasst und das gezielt mit Topmanagern diskutiert. Wie viel Druck kann dieses Team wirklich auf die Unternehmen ausüben?
Nehmen wir den Klimawandel als ein Beispiel. Dazu hatten wir Gespräche mit über 230 Unternehmen weltweit. Ein großer Energiekonzern beispielsweise hatte sich vor zwei Jahren noch gegen unsere Verbesserungsvorschläge gestellt. Also haben wir auf der Hauptversammlung gegen den Vorstand gestimmt. Seitdem hat sich jedoch einiges getan, und wir haben daher das Management im vergangenen Jahr wieder unterstützt.

Blackrock stimmt in gut 90 Prozent der Fälle für die Unternehmen. Das ist ganz schön viel.
Das sehe ich anders. Es ist nicht unser Wunsch, gegen die Unternehmen zu stimmen. Ich will, dass wir in den Monaten vor der Hauptversammlung Gespräche führen und sie von unseren Anliegen überzeugen. Wir wollen nicht aktivistisch auftreten und durch öffentlichem Druck Veränderungen erzwingen.

Warum nicht?
Wir können mehr erreichen, wenn wir abseits der Öffentlichkeit das ganze Jahr über Gespräche führen und so Veränderungen herbeiführen.

Verkauft Blackrock auch Aktien von Unternehmen, bei denen der Purpose nicht stimmt?
Mehr als 80 Prozent der Aktien, die wir halten, sind in Indexfonds. In diesen Fonds können wir die Aktien gar nicht verkaufen. Wir können allerdings Veränderungen über das Managementteam oder über den Verwaltungsrat herbeiführen. Aber das geht nicht sofort. Das dauert drei, fünf oder gar sieben Jahre. Unternehmen sind jetzt erst dabei, ihren Purpose zu beschreiben.

Werden die Firmen bald Purpose-Reports schreiben, so wie es jetzt Nachhaltigkeitsberichte gibt?
Einige machen das schon. Johnson und Johnson beispielsweise verfasst schon seit Jahren einen solchen Report.

Manche glauben, das ganze Thema diene nur dazu, das Image der Konzerne zu verbessern.
Solche Kritiker wird es immer geben. Und sie helfen den Unternehmen im Grunde dabei, ihre Ziele genauer zu definieren und einzuhalten. Die Diskussion um mehr Verantwortung generiert viel Lärm, im Guten wie im Schlechten. Davon darf man sich nicht ablenken lassen. Die Frage ist: Werden wir mit der Zeit sehen, dass sich die Unternehmen anders verhalten? Werden wir sehen, dass der Kapitalismus wieder für eine größere Anzahl von Leuten funktioniert? Das ist alles Teil des öffentlichen Diskurses.

Ist es überhaupt die Aufgabe eines Investors, seine politischen und gesellschaftlichen Überzeugungen den Firmen aufzudrücken, in die er investiert?
Es geht nicht darum, unsere eigenen politischen oder sozialen Überzeugungen durchzudrücken. Es geht darum, dass man die Interessen der Mitarbeiter, der Kunden und der Gesellschaft miteinander verbindet, um nachhaltigere Gewinne zu erwirtschaften.

Und was ist der Purpose von Blackrock?
Ich habe gerade zwei Tage mit meinen obersten Führungskräften, 156 Manager, verbracht und darüber diskutiert. Schon vom ersten Tag an hatten wir bei Blackrock den Kunden im Fokus. Unser Job ist es, mehr Leuten dabei zu helfen, eine bessere finanzielle Zukunft zu haben. Ich glaube, wir haben diesen Purpose schon seit 30 Jahren verfolgt, auch wenn wir das Wort nicht explizit benutzt haben. Aber wir sind von dieser Mission nicht abgewichen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Vermögensverwaltungsbranche?
Die Branche ist in einer schwierigen Position. Für unsere Kunden gibt es heute vier große Anforderungen: Sie wollen mehr Transparenz, sie interessieren sich mehr für Ergebnisse statt für Produkte, sie wollen höhere Renditen, und sie verlangen geringere Gebühren. Die meisten Investmentmanager sind darauf jedoch nicht vorbereitet. Sie orientieren sich vor allem am Produktverkauf.

Werden solche Firmen vom Markt verschwinden?
Wie bei den Banken und Versicherungen auch werden ein paar wenige immer wachsen können.

Erwarten Sie noch mehr Konsolidierung bei den Banken, vor allem in Europa?
Keine Frage: Weil der Kongress und die US-Notenbank Fed damals darauf gepocht haben, haben die US-Banken ihre Bilanzen schon vor vielen Jahren in Ordnung gebracht – deutlich schneller als in Europa. Zehn Jahre nach der Krise gibt es immer noch Diskussionen über einige deutsche, italienische und andere europäische Banken.

Wären europaweite Fusionen die Lösung?
Diese Frage muss die europäische Gesellschaft beantworten. Historisch gesehen hat sich die EU seit Langem gegen zu große Banken ausgesprochen. Aber wenn das Thema „too big to fail“ nicht mehr so entscheidend ist wie früher, weil es etwa höhere Kapitalstandards, eine bessere Aufsicht und bessere Standards der Unternehmensführung gibt, kann man das überdenken. Banken haben heute fast doppelt so viel Kapital wie vor zehn Jahren. Und wenn man glaubt, dass die Finanzaufsicht stärker und die Transparenz besser ist, dann ist eine Bank, die vor zehn Jahren noch zu groß war, heute vielleicht nicht mehr zu groß.

Und was ist mit Blackrock? Sie verwalten mittlerweile gut sechs Billionen Dollar an Kundengeldern. Könnte Blackrock jemals zu groß werden?
Wenn all das Geld unseres wäre, dann könnte man diese Frage stellen. Aber wir haben Tausende verschiedener Investmentstrategien, die wir für unsere Kunden verfolgen. Es ist schwer für mich, mir eine Zeit vorzustellen, in der die Mischung des Ganzen als zu groß angesehen würde. Das Risiko ist eher, dass wir nicht performen und unsere Kunden dann ihr Geld abziehen. In der Branche insgesamt geschieht das bereits: 80 Prozent der börsennotierten Vermögensverwalter verlieren Monat für Monat Kunden. Blackrock aber wächst. Die Kunden stimmen in unserer Branche mit den Füßen ab.

Sie haben zuletzt angekündigt, in China expandieren zu wollen, ein für die ausländische Finanzbranche schwieriger Markt. Was lockt Sie dorthin?
Es gibt mehrere Gründe. Zum einen wird China es ab Anfang Juni erlauben, dass ausländische Konzerne 51 Prozent an bestimmten heimischen Firmen halten und in drei Jahren dann 100 Prozent. Und zum anderen hat China eine große Krise in der Altersvorsorge. Das Land hat nicht die sozialen Netze, die viele westliche Länder haben. Daher spart der durchschnittliche Chinese 40 Prozent seines verfügbaren Einkommens. Wir sprechen mit chinesischen Regulierern darüber, wie wir dabei helfen können, eine sicherere Basis für einen Altersvorsorgemarkt zu schaffen.

Und die Debatte über Menschenrechte und Überwachung? Passt das mit Ihrem Purpose überein?
Hier liegt durchaus ein Spannungsverhältnis. Wenn ich in China chinesisch auftreten will, dann sollte das dort kein Problem sein. Die Frage ist: Beißt sich das mit unseren grundlegenden Werten?

Und, tut es das?
Wir werden unsere Ziele, beispielsweise was die Vielfalt unserer Mitarbeiter angeht, nicht verändern. Aber China hat nicht denselben Schutz der Privatsphäre, den es in Europa gibt. Und es ist nicht meine Aufgabe, den Chinesen zu sagen, dass sie europäischer oder amerikanischer werden sollen. Dann wären wir in dem Markt nicht chinesisch.

Sie könnten dort keine Geschäfte machen.
Das gilt für jedes Unternehmen. Und vergessen Sie nicht: Europa rückt auch gerade näher an China heran. Ich glaube, je mehr sich China öffnet und transparenter wird, desto mehr wird das zu einer offeneren Gesellschaft führen. China wird von einer Welle globaler Investments profitieren, wenn sich das Land weiter öffnet und positiv entwickelt. Aber wenn nicht, wird das Kapital wieder abgezogen werden. Die Türkei ist ein gutes Beispiel dafür.

Kapital wurde zuletzt auch aus Europa abgezogen. Wie besorgt sind Sie um die wirtschaftliche Lage?
Lassen Sie mich zunächst einmal sagen: Die meisten europäischen Länder bieten für die Mittelschicht eine fantastische Lebensqualität. Das ist inspirierend für mich. Aber Europa ist gleichzeitig weniger inspirierend für viele sehr gut ausgebildete junge Leute. Das ist eines der größten strukturellen Probleme: Europa hat nicht am Technologieboom teilgenommen. Der wurde von drei Ländern dominiert, die große Militärbudgets haben.

USA, China und Israel.
Exakt. Viele Innovationen stammen aus militärischer Technologie. Denken Sie an Satelliten, GPS, Gesichtserkennung, Cybersecurity. Hier hat Europa strukturelle Nachteile. Und die EU hat noch einen anderen strukturellen Nachteil.

Nämlich?
Es fehlt an Einzelpersonen, die in Aktien investieren. Daher sind europäische Aktien im Vergleich zu anderen sehr viel niedriger bewertet. Das ist ein großer Nachteil.

Der Internationale Währungsfonds hat die Wachstumsprognose für Europa und auch für andere Regionen gesenkt. Lauert eine weltweite Rezession?
Ich sehe keine Anzeichen für eine globale Rezession in den kommenden zwölf Monaten. Die Notenbanken haben ihre Zügel gelockert, vor allem wegen des schwachen vierten Quartals 2018. Wir werden uns noch eine Weile in einem Umfeld bewegen, in dem die Dinge nicht großartig sind, aber eben auch nicht schlimm. Aber wir sind natürlich in einer späten Phase des wirtschaftlichen Wachstumszyklus.

Und was ist mit den vielen Risiken an den Märkten?
Im Moment sehe ich keine Blasen. Aber falls die Geldpolitik der Notenbanken in zwei Jahren immer noch so locker sein wird, könnte daraus eine Blase entstehen. Das viel größere Problem derzeit ist, dass der durchschnittliche Anleger unterinvestiert ist, weil er Angst vor einer neuen Krise hat.

Herr Fink, vielen Dank für das Interview.