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Bitcoin: Das Gegenteil von einem sicheren Hafen

In der ersten großen Finanzkrise seit Entstehung des Bitcoins wird klar – die Kryptowährung ist kein Zufluchtsort für Anleger auf der Suche nach Sicherheit. Gründe für die horrenden Kursverluste von bis zu 50 Prozent.

Dass sich Kryptowährungen wie der Bitcoin in den vergangenen Jahren als eigene Anlageklasse am Finanzmarkt etabliert haben, darüber sind sich alle Investoren einig. Die digitalen Münzen werden längst auch von Profiinvestoren an etablierten Handelsplätzen gehandelt, etwa der Chicago Mercantile Exchange (CME) in den USA.

Uneinig dagegen waren Analysten darüber, wie sich diese neue Anlageklasse im Vergleich zu Aktien oder auch Gold verhält. Sackten Aktien ab, waren in den vergangenen Jahren mitunter leichte Kursgewinne beim Bitcoin zu beobachten. In anderen Fällen jedoch verlor auch der Bitcoin, wenn die Aktienkurse nachgaben.

Seit vergangenem Donnerstag dürfte nun allen Investoren und Analysten klar sein: Kryptowährungen verhalten sich wie der Aktienmarkt auch. Elf Jahre, nachdem die ersten Bitcoin-Münzen auf den Markt kamen, wurde der Bitcoin zum ersten Mal wirklich geprüft. Seit 2009 hatte es vor allem an den US-Börsen keine echte Finanzkrise mehr gegeben. Und der Bitcoin hat die Prüfung nicht bestanden. Galt er zuletzt als digitaler Goldersatz und wurde von manchen Anlegern als sicherer Hafen bei Krisen des Finanzmarktes gehandelt, kommt nun die bittere Erkenntnis: Bitcoins und andere Kryptowährungen sind das Gegenteil eines sicheren Hafens. Sie verloren in der Spitze knapp 50 Prozent an Wert und konnten sich auch am Montag nicht erholen.

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„Der Ausverkauf der Kryptowerte ist Teil der globalen Suche von Investoren nach Sicherheit. In diesem Fall ganz klar Cash“, sagt Raffael Huber, Kryptoanalyst beim Schweizer Krypto-Handelshaus Bitcoin Suisse. „Selbst sichere Häfen wie Gold haben im aktuellen Marktumfeld an Wert verloren. Solche Bewegungen sind nicht unüblich in den ersten Phasen einer potenziell globalen Krise.“

Daten der Handelsplattform Binance zeigen, dass die Kursverluste wie im Zeitraffer abliefen: Binnen 15 Minuten sackte der Bitcoin am Donnerstag zwischen 11.32 und 11.47 Uhr von rund 7100 Dollar auf 5600 Dollar ab. Ein Minus von knapp 25 Prozent. Die Aktienmärkte dagegen verloren am Donnerstagmorgen nur einstellig an Wert.

Die naheliegendste Erklärung dafür, dass der Bitcoin stärker sinkt als andere Anlageklassen: Viele Investoren haben in den vergangenen Jahren satte Gewinne mit den Kryptowährungen gemacht. Wer an den Aktienmärkten gerade Verluste macht, verkauft Bitcoins, um sich Cash zu sichern.

Den Kryptowährungen wird nun auch zum Verhängnis, dass sie dezentral organisiert sind. Denn inmitten der Corona-Verkaufspanik an den weltweiten Aktienmärkten gibt es im etablierten Finanzsystem Sicherheitsanker:

Börsen können den Handel nach zu drastischen Kursverlusten aussetzen. Die US-Börsen mussten das in dieser Woche bereits dreimal machen, nachdem die Kurse zum Handelsstart um mehr als sieben Prozent gefallen waren. Eine 15-minütige Handelspause soll Händlern Zeit geben, nächste Schritte zu überdenken und den Markt vor einer irrationalen Panikwelle bewahren. Auch in Brasilien griff die Notabschaltung in dieser Woche.

Die Zentralbanken können Unterstützung bieten, etwa mit Zinssenkungen, wie es die US-Notenbank Fed machte, oder weiteren Anleihekäufen und günstigen Krediten, wie bei der EZB.

Regierungen können Hilfsprogramme auflegen und Steuererleichterungen umsetzen.

Das dezentrale System der Kryptowährungen kennt keinen dieser Sicherheitsanker. Denn Bitcoin und Co. sind ja gerade per Definition von keiner Zentralbank, keiner Regierung und keinem einzelnen Unternehmen oder einer Bank abhängig, sondern werden dezentral von ihren Nutzern verwaltet. Auch das scheint sich in der ersten großen Finanzmarktkrise seit Entstehung des Bitcoins im Jahr 2009 nun zu rächen.

Am Donnerstag lag das Handelsvolumen bei Bitcoin Suisse 400 Prozent über dem täglichen Handelsdurchschnitt im Februar. Käufer traten am Markt kaum auf: „Vor allem nach der Öffnung der US-Aktienmärkte haben wir einen starken Abfall auf der Kauf-Seite gesehen“, sagt Huber. „Über den Tag verteilt hatten wir 70 Prozent Verkaufsorders und 30 Prozent Kaufanfragen.“

Stattdessen versuchten Investoren mit dem Ausverkauf Profit zumachen. Der Anbieter Amun hat in der Schweiz an der Börse SIX und an der Börse Stuttgart den 21Shares Short Bitcoin ETP gelistet. Ein Zertifikat, das von Kursverlusten beim Bitcoin profitiert. Es gewann am 12. März um knapp 30 Prozent. Mit über 500.000 Transaktionen war die Nachfrage für das Papier an der Schweizer Börse außergewöhnlich hoch. Auch die Short Mini Futures vom Anbieter Vontobel legten kräftig zu.


Hat das Coronavirus die Lieferkette der Bitcoin-Wirtschaft getroffen?

Ein weiterer Grund für die Schwäche der Kryptowerte: Das Coronavirus könnte die Lieferkette der Bitcoin-Wirtschaft getroffen haben. Die spezialisierte Hardware, mit der die Rechenzentren des Bitcoin-Netzwerks in aller Welt ausgestattet werden, kommt aus China. Die Geräte halten oft nur ein gutes Jahr. Unter Dauerlast in den Bitcoin-Minen müssen sie zudem ständig gewartet werden. Fehlt den Minern nun der Nachschub an Spezialrechnern aus Asien, könnte das zum Problem werden.

Sie müssen ihre veralteten Geräte länger nutzen. Deren Einsatz lohnt sich aber nur mit besonders günstigem Strom und bis zu einem bestimmten Kurs der Bitcoins.

Fällt der Preis wie in den vergangenen Tagen zu schnell, könnten Miner gezwungen sein, vom Netz zu gehen und ihre Bitcoin-Bestände zu verkaufen, um Kosten zu decken. In den nächsten Wochen könnte diese Entwicklung den Kurs zusätzlich unter Druck bringen.

Die Rechenleistung des Bitcoin-Netzwerkes erreichte zwar im März ein neues Rekordniveau. In den vergangenen Tagen sackte sie allerdings etwas ab. „Am Donnerstag konnten wir zwischenzeitlich einen starken Einbruch der Hashrate beobachten. Solch ein Einbruch ist für den Fall eines starken Kursverfall des Bitcoins erwartbar“, sagt Analyst Huber. „Miner, die zuvor mit alter Hardware profitabel waren, musste ihre Geräte abschalten.“

Ob Lieferprobleme aus Asien noch zu weiteren Problemen im Miningnetz des Bitcoins führen, sei nicht abzusehen, aber eher unwahrscheinlich, schätzt Huber. „Chinas weitreichende Maßnahmen, um die Verbreitung des Virus zu stoppen scheinen zu wirken. Selbst Hotspots wie Wuhan scheinen sich langsam zu erholen.“

Der dramatische Kurseinbruch ist ein Schock für Kryptoinvestoren. Das Jahr 2020 sollte eigentlich ein Kurstreiber für Bitcoin werden. Im Mai steht eine Halbierung bei der Belohnung an, die Miner für ihre Arbeit im Bitcoin-Netzwerk erhalten. Statt 12,5 Bitcoins, wie aktuell, erhalten sie in rund 60 Tagen nur noch 6,25 Bitcoins. Theoretisch müsste eine solche Halbierung bei gleichbleibenden Kosten für die Miner den Kurs in die Höhe treiben. Bei den bisherigen Halbierungen war dieser Trend mittelfristig zu beobachten. Davon ist nun nichts mehr zu erkennen.

Doch alle Hoffnung sollten Anleger nicht aufgeben. Denn möglicherweise können nun wieder Bitcoin-Anhänger statt Spekulanten den Kurs treiben. Die Finanzkrise zeigt schließlich erneut, wie abhängig die Märkte von den Notenbanken sind. Der Bitcoin wurde ja gerade als Reaktion auf die weltweite Finanzkrise im Jahr 2007 ins Leben gerufen und sollte ein Zahlungssystem etablieren, das ohne Banken funktioniert.

Investoren, die inmitten der Verkaufspanik an den Börsen weiter an die langfristige Vision des Bitcoins als alternative und dezentrale Währung glauben, könnten dem Ausverkauf ein Ende setzen und ihre Positionen aufstocken. Schließlich lag der Kurs des Bitcoins zuletzt vor einem Jahr auf einem so tiefen Niveau wie jetzt.