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Biotech-Unternehmen treiben den Kampf gegen Bakterien voran

Antibiotikaresistenzen sind weltweit ein großes Problem. Jetzt forcieren Biotech-Unternehmen die Suche nach neuen Waffen gegen gefährliche Keime.

Wenn Ende Oktober auf dem World Health Summit in Berlin mehr als 2 800 Experten aus aller Welt über die Herausforderungen der weltweiten Gesundheitspolitik und -versorgung sprechen, dann wird auch das Problem der wachsenden Antibiotikaresistenzen und der fehlenden Wirkstoffe wieder auf der Agenda stehen.

Laut einer in der Zeitschrift Lancet veröffentlichten Analyse der weltweiten klinischen Pipeline antibakterieller Wirkstoffe gibt es derzeit rund 40 chemische und biologische Wirkstoffe gegen bakterielle Infektionen, sowie zehn weitere gegen Tuberkulose.

„Das sind auf jeden Fall viel zu wenig“, sagt Marc Gitzinger, Vizepräsident des Beam-Alliance, in der sich Antibiotika erforschende Unternehmen in Europa zusammengeschlossen haben. „Für praktisch jede Unterart von Krebs sind dagegen 30 bis 50 Projekte in der fortgeschrittenen klinischen Entwicklung“, so Gitzinger weiter.

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Die Antibiotikaproblematik ist lange bekannt: Unsachgemäßer und massenhafter Antibiotikaeinsatz bei Mensch und Tier hat in den vergangenen Jahrzehnten dazu geführt, dass immer mehr Bakterienstämme Resistenzen bilden. Mit fatalen Folgen: Allein in Europa sterben jährlich rund 25.000 Menschen an Infektionen durch resistente Keime, schätzt die Weltgesundheitsorganisation.

Auf der anderen Seite gibt es zu wenig Wirkstoffe vor allem gegen multiresistente Keime. Viele große Pharmaunternehmen haben sich in den vergangenen Jahren aus der Antibiotikaforschung zurückgezogen und sich lukrativeren Therapiefeldern wie Krebs oder Autoimmunerkrankungen zugewendet.

Die Entwicklung der Antibiotika braucht einen neuen Schub, forderte auch der Verband der forschenden Pharmahersteller unlängst. „Neben Maßnahmen gegen die Entstehung und Verbreitung von Resistenzen werden auch neue Antibiotika und andere antibakterielle Therapien sowie Impfstoffe gebraucht“, sagt Siegfried Throm, Geschäftsführer Forschung beim Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa).

Antibiotika gehören mit einem weltweiten Umsatz von mehr als 36,9 Milliarden Dollar immer noch zu den zehn größten Therapieklassen, zeigen die Zahlen des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens IQvia. Allerdings schrumpft der Umsatz seit Jahren, während beispielsweise die größte Therapieklasse der Krebsmedikamente zuletzt zweistellig zulegte.

Die vielen Antibiotika, die in den 80er- und 90er-Jahren zugelassen wurden, sind heute für Cent-Beträge zu haben. Das setzt vielerorts den Maßstab für die Erstattung von Neuentwicklungen – damit ist der wirtschaftliche Anreiz für Unternehmen gering, Summen von mehreren Hundert Millionen bis zu einer Milliarde Dollar in die Entwicklung eines neuen Wirkstoffs zu stecken.

In der Antibiotikaforschung sind neben den sechs Pharmakonzern Astra-Zeneca, Glaxo Smithkline, Johnson & Johnson, Merck & Co., Pfizer und Roche mittlerweile vor allem kleinere und mittlere Unternehmen aktiv. In Deutschland sind es die Biotech-Unternehmen Aicuris in Wuppertal und Evotec in Hamburg, daneben forschen noch Tochterunternehmen des US-Unternehmens Enbiotix in Leipzig und der Liechtensteiner Lysando AG in Regensburg.

Forscher suchen nach neuen Wirkmechanismen

Aicuris wurde 2006 aus der Infektionsforschung von Bayer ausgegründet und erforscht und entwickelt seitdem neue Medikamente gegen virale und bakterielle Erkrankungen. Das Unternehmen, dessen Hauptinvestor die früheren Hexal-Besitzer Strüngmann sind, hat erfolgreich ein Medikament gegen eine lebensbedrohliche Virusinfektion bei Knochenmarkstransplantationen entwickelt, das an Merck & Co. lizenziert wurde und mittlerweile auf dem Markt ist.

Im Bereich Antibiotika sind nach Einschätzung von Aicuris-CEO Holger Zimmermann vor allem neue Wirkmechanismen notwendig, die die Bakterien noch nicht kennen, um die Resistenzen zu bekämpfen. Deshalb ist Aicuris im Sommer eine Kooperation mit Lysando eingegangen.

Das Liechtensteiner Biotechnologie-Unternehmen Lysando mit seinen Tochterfirmen in Regensburg und Bangkok erforscht und entwickelt seit 2009 künstliche Proteine, sogenannte Artilysine. Sie können die Schutzmembran von Bakterien durchdringen und zum Platzen bringen. Damit könnten Artilysine auch gegen multiresistente Keime eingesetzt werden, gegen die Antibiotika heute nicht länger wirksam sind. Bis das Produkt auf dem Markt ist, dürften allerdings noch Jahre vergehen, denn geforscht wird noch im präklinischen Stadium, also vor dem Einsatz am Menschen.

Deutlich weiter ist da das Hamburger Biotech-Unternehmen Evotec, das im vergangenen Jahr eine umfangreiche Kooperation mit dem Pharmakonzern Sanofi vereinbarte. Sanofi wird mehr als zehn Forschungsprogramme zur Behandlung von Infektionskrankheiten, die sich noch im frühen Stadium der Entwicklung befinden, an Evotec lizenzieren und behält bestimmte Optionsrechte an der Entwicklung, Herstellung und Kommerzialisierung. Evotec erhielt zudem eine Vorabzahlung von 60 Millionen Euro und wird auch langfristig von Sanofi bei der Entwicklung dieser Projekte finanziell unterstützt.

100 Mitarbeiter von Sanofi wechselten zu Evotec, sodass das Unternehmen nach Ansicht von CEO Werner Lanthaler mit insgesamt 180 Wissenschaftlern zum führenden Entwicklungspartner bei Infektionskrankheiten aufsteigt. Zunächst hat sich das Unternehmen auf Antibiotikaresistenzen, also Infektionen hervorgerufen durch sogenannte ‚Superbugs‘, fokussiert. Außerdem auf Tuberkulose und die Entwicklung neuer antiviraler Therapien mit neuen Wirkungsmechanismen. Zudem arbeitet es in verschiedenen Forschungspartnerschaften.

Die Ambitionen der Biotechunternehmen sind hoch, aber beim Thema Refinanzierung stoßen sie auf dieselben Hürden wie die großen Player: Antibiotika können in wenigen Tagen Menschenleben retten. Im Gegensatz zu Krebsmedikamenten oder Medikamenten mit Langzeitbehandlung werden neue Antibiotika aber nicht ausreichend vergütet.

„Während für einige Krebsmedikamente durchaus mehrere Hunderttausend Euro pro Therapie anzusetzen sind, liegen die Kosten der Antibiotikabehandlung zumeist im niedrigen vierstelligen Bereich. Die Kosten der Entwicklung sind aber gleich hoch“, sagt Aicuris-CEO Zimmermann.

Hohe Entwicklungskosten, aber geringe Umsätze

Zudem sollen neue Antibiotika auch nur ganz selten eingesetzt werden, um die Entstehung neuer Resistenzen auch gegen diese Mittel zu verhindern. Die Folge: ein hohes Entwicklungsrisiko und auch im Erfolgsfall nur geringe Umsätze.

Die Lösung sieht Zimmermann langfristig nur in adäquaten Preisen. Oder besser noch: in einer kompletten Neugestaltung der Erstattung hin zu Bereitstellungsprämien. „Eine Sprinkleranlage kaufen und bezahlen Sie ja auch in der Hoffnung, dass sie nicht gebraucht wird“, sagt er.

Weltweit wird über solche alternativen Konzepte nachgedacht. Aber noch sind sie Zukunftsmusik. „Ideen, wie man gegensteuern kann, gibt es viele und seit Langem. Das Problem ist, dass die Politik den Worten noch nicht wirklich hat Taten folgen lassen“, sagt Gitzinger von der Beam-Alliance. Der Vizepräsident ist zugleich CEO des Schweizer Biotechunternehmens Bioversys, das einerseits neue Wirkstoffe gegen bakterielle Infektionen entwickelt, aber auch Wirkstoffe, die die Wirkung bestehender Antibiotika verbessern sollen.

In der Diskussion sind beispielsweise auch Unterstützungszahlungen für den Marktzutritt, die nach einer Analyse der Boston Consulting Group signifikant sein müssen, also eine Summe bis zu einer Milliarde Dollar pro Wirkstoff umfassen müssen. Gitzinger sieht hier allerdings das Problem der Vergabekriterien: „Wer soll das Geld bekommen? Nur der Pionier mit der neuen Antibiotikatherapie oder auch noch die Nachfolger, die dann oftmals Verbesserungen für den Patienten etwa bei der Dosierung entwickelt haben?“

Die Beam-Alliance hat einen eigenen Vorschlag ausgearbeitet, damit schneller neue Antibiotika auf den Markt kommen können: Gutscheine für ein Jahr Marktexklusivität – sogenannte Transferable Exclusivity Vouchers. Das kleine Unternehmen entwickelt ein Antibiotikum, bringt es auf den Markt, die Zulassungsbehörde gibt einen Gutschein für eine zusätzliche Marktexklusivität von einem Jahr.

Diesen Gutschein, der auf andere Indikationen übertragbar ist, könnte das kleine Unternehmen an ein großes Pharmaunternehmen verkaufen, welches ihn beispielsweise für ein Krebsmedikament einsetzen kann, für das es dann ein Jahr länger Marktexklusivität bekommt. „Das ist für die Pharmafirma ein Anreiz, den Gutschein zu kaufen.

Und das Biotechunternehmen bekommt ausreichend Geld, um sein Medikament weiter zu vermarkten“, sagt Gitzinger. Den Vorteil dieses Instruments sieht er darin, dass man mit diesen Gutscheinen sehr schnell Ergebnisse erzielen könnte. „Man kann sie auch kontrollieren, etwa indem Umsatzschwellen festgelegt werden, ab denen die Exklusivität nicht mehr gilt“, so Gitzinger weiter.

Nachteile gibt es allerdings auch: Bei der Politik stoße diese Idee auf große Bedenken, weil am Ende die Krankenkassen oder die Patienten die Kosten dafür tragen müssen, sagt Gitzinger. Allerdings würden auch die anderen Lösungsvorschläge wie die Marktzugangsförderung Geld kosten, was am Ende der Steuerzahler übernehmen müsse, meint der Vizepräsident der Beam-Alliance.
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