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Klimatechnologien könnten sich für die Industrie zum großen Geschäft entwickeln

Unternehmen in Deutschland entwickeln Zukunftstechnologien für eine CO2-ärmere Produktion. Die Verfahren könnten bald weltweit gefragt sein.

Das Unternehmen rechnet mit Kosten von gut zehn Milliarden Euro, um seine Stahlproduktion bis 2050 klimaneutral aufzustellen. Foto: dpa
Das Unternehmen rechnet mit Kosten von gut zehn Milliarden Euro, um seine Stahlproduktion bis 2050 klimaneutral aufzustellen. Foto: dpa

Auf dem Werksgelände von Thyssen-Krupp in Duisburg sind die Vorbereitungen für eine CO2-freie Zukunft bereits angelaufen. Der Stahlkonzern testet in einem modernen Gebäude nur einige Hundert Meter vom Hochofen entfernt, wie sich die Klimagase, die bei der emissionsintensiven Stahlherstellung entstehen, einfangen und zu nützlichen Produkten weiterverarbeiten lassen.

Eine gut zwölf Meter hohe Testanlage reinigt dafür rund 240 Kubikmeter Hüttengas pro Stunde. Anschließend wird das enthaltene CO2 umgewandelt – in Ammoniak, Methanol und andere Alkohole, mit denen nützliche Chemikalien hergestellt werden können.

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Die Synthese ist den Forschern im Technikum schon gelungen. Doch noch ist das „Carbon2Chem“ getaufte Projekt noch nicht marktreif. Erst nach einem Langfristtest über zwei Jahre soll die Technologie Thyssen-Krupp dabei helfen, den CO2-Fußabdruck mittelfristig zu verringern.

Denn wie auch viele andere Industrieunternehmen treffen die Pariser Klimaziele, nach denen die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf möglichst 1,5 Grad Celsius begrenzt werden soll, den Ruhrkonzern schwer: Mit Kosten von gut zehn Milliarden Euro rechnet das Unternehmen, um seine Stahlproduktion bis 2050 klimaneutral aufzustellen.

Es ist eine Herausforderung, die Thyssen-Krupp mit Wettbewerbern in aller Welt teilt. Und so hat der Konzern fast nebenbei ein neues Geschäftsmodell entwickelt.

„Es gibt weltweit gut 50 Stahlwerke, die technologisch ebenfalls in der Lage wären, Carbon2Chem an ihren Hochöfen einzusetzen“, sagt Markus Oles, Head of Technology Strategy & Projects bei Thyssen-Krupp, dem Handelsblatt. „Auch der Einsatz in Zementfabriken und in der Chemieindustrie wäre denkbar“. Es winkt ein vielversprechendes Geschäft.

Aus der Not eine Tugend machen: Diese Strategie verfolgen derzeit viele Industrieunternehmen, wenn es um die Entwicklung grüner Technologien für die klimafreundlichere Wirtschaftswelt von Morgen geht.

Egal ob Thyssen-Krupp, der Elektrotechnik- und Automatisierungskonzern ABB, der Düsseldorfer Anlagenbauer SMS oder Chemiekonzerne wie Covestro und BASF: Unter dem Druck einer CO2-ärmeren Produktion entwickelt die Industrie Zukunftstechnologien für einen Markt, der gerade erst entsteht – und der in den kommenden Jahrzehnten noch rasant wachsen dürfte.

So schätzte etwa die Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG) im vergangenen Jahr, dass sich der globale Bedarf ausgewählter Klimatechnologien von rund 500 Milliarden Euro im Jahr 2015 auf rund 1,5 Billionen Euro im Jahr 2030 verdreifachen wird.

Die größten absoluten Zuwächse erwarten die Analysten dabei in den Bereichen Stromnetztechnik (118 Prozent), Industrie 4.0 (476 Prozent), Technologien zur CO2-Rückgewinnung (8900 Prozent) sowie bei der E-Mobilität samt der nötigen Ladeinfrastruktur (2431 Prozent).

Marktvolumen von gut 5,9 Billionen Euro bis 2025

Andere, wie die Beratung Roland Berger, fassen den Begriff der grünen Technologien noch weiter – und stellen sogar ein Marktvolumen von gut 5,9 Billionen Euro bis 2025 in Aussicht, wovon rund 740 Milliarden Euro allein auf Deutschland entfallen. Auch hier rechnen die Berater vor allem mit Zuwächsen im Mobilitätssektor sowie bei der Energie- und Rohstoffeffizienz, aber auch in der Wasserwirtschaft.

Gemein ist all diesen Branchen: Das Rennen um die globale Marktführerschaft in der grünen Technologie ist noch offen. Die ingenieurgetriebene deutsche Industrie ist prädestiniert dafür und positioniert sich bereits. „Klimaschutz braucht technologische Innovationen“, sagt Martin Brudermüller, der Vorstandschef von BASF.

Mit Blick auf die erwarteten Geschäftschancen sieht es Brudermüller als Kernaufgabe der deutschen Industrie, die besten nachhaltigen Verfahren selbst zu entwickeln. „Wir müssen dies hier hinbekommen und dürfen es nicht anderen überlassen“, warnt er.

Etwa den Chinesen. Das Land ist zwar heute noch ein riesiger Emittent von CO2, die Regierung hat der Wirtschaft aber eine klare Nachhaltigkeitspolitik verordnet. Schon jetzt arbeiten chinesische Forschungsinstitute und Unternehmen an der dafür notwendigen Technologie und könnten mit staatlicher Unterstützung an westlichen Anbietern vorbeiziehen.

BASF will bis zum Jahr 2030 seine Verkaufsmengen um die Hälfte steigern, ohne dabei die CO2-Emissionen zu erhöhen. Dazu arbeitet der Konzern an Technologien, mit denen riesige Chemieanlagen komplett mit Strom anstelle von Gas betrieben werden können.

ABB-Tochter baut klimaneutrale Fabrik

Der verstärkte Einsatz regenerativer Energie allein wird aber nicht reichen – es geht auch um die Entwicklung einer neuern Verfahrenstechnik in der Chemie. In Indien etwa plant BASF einen ersten, komplett klimaneutralen Chemiekomplex. Dort sollen Superabsorber – also sehr saugfähiges Material für Windeln – nur mit erneuerbaren Energiequellen und einem innovativen Herstellverfahren aus Synthesegas produziert werden.

Mit neuen Verfahren will auch der Schweizer Elektrotechnik- und Automatisierungskonzern ABB auf den Märkten für grüne Technologie punkten. Dabei hält es ABB wie Thyssen-Krupp – und testet viele der Technologien zunächst einmal selbst.

Ein Beispiel dafür ist die ABB-Elektroinstallationstechnik-Tochter Busch-Jäger: An deren Heimatstandort in Lüdenscheid hat der Konzern im Mai seine erste vollständig klimaneutrale Fabrik errichtet. Dort sorgt unter anderem eine Photovoltaikanlage für Energiezufuhr; an sonnigen Tagen wird eine Batterie auf dem Dach mit dem Überschuss geladen. Insgesamt senkt das den CO2-Ausstoß des Standorts um 629 Tonnen jährlich.

Damit die Energie im Zusammenspiel aus zugeliefertem Grünstrom, Photovoltaik, Batteriespeicher und Blockheizkraftwerk auch kostenoptimal genutzt wird, analysiert eine Software in Echtzeit die Verbrauchs-, Strompreis- und Wetterdaten am Standort von Busch-Jäger. Der Algorithmus erstellt daraus eine Prognose – und steuert daraufhin, welche Stromquelle zu welchem Zeitpunkt genutzt werden soll.

„Wir wollten etwas für die Umwelt, aber gleichzeitig auch etwas für die Kosteneffizienz tun“, sagt Christian Kohlmeyer, Digital Service Sales Manager im Bereich Industrieautomation bei ABB. „Allein die Vermeidung hoher Stromspitzen durch das intelligent gesteuerte Hochfahren von Anlagen kann schon hohe Kosten einsparen, weil Stromspitzen häufig über das ganze Jahr bezahlt werden müssen.“ So produziert Busch-Jäger nun trotz Umstellung auf Klimaneutralität weniger Energiekosten als zuvor. Die Investition rechnet sich irgendwann.

Bleibt dann noch Energie aus der Solarproduktion über und die Batterie ist voll, können damit an drei Ladesäulen auf dem Parkplatz des Standorts auch E-Autos geladen werden. Denn auch die Ladeinfrastruktur stellt der Schweizer Mutterkonzern ABB schon länger selbst her – und ist damit in für einen weiteren grünen Zukunftsmarkt vielversprechend aufgestellt, den etwa BCG allein bis 2030 auf rund 66 Milliarden Euro pro Jahr schätzt.

Intensiv arbeiten deutsche Industriefirmen daran, wie der Klimakiller CO2 als Rohstoff wiederverwertet werden kann. Projekte wie „Carbon2Chem“ von Thyssen-Krupp zählen zu den vielversprechendsten Technologien für eine emissionsärmere Produktion in Europa. In der Chemie zeigt die Nutzung der Treibhausgases als Alternative zum Rohöl bereits erste geschäftliche Erfolge.

Spezialchemikalien aus CO2

Der Leverkusener Kunststoffhersteller Covestro beliefert bereits Matratzenhersteller mit Weichschäumen, die zu einem gewissen Grad auf Kohlenstoff basieren, der aus CO2 gewonnen wird. Das geschieht zwar noch in kleinem Maßstab. Die Technologie findet aber immer mehr Einsatzgebiete – etwa bei der Produktion eines neuen Bindemittels für Sportunterböden.

Covestro beliefert damit den Sportbodenhersteller Polytan. Als nächstes könnte CO2 für die Herstellung von synthetischen Fasern verwendet werden – das Verfahren steht nach Firmenangaben vor der Marktreife.

In Marl im nördlichen Ruhrgebiet haben sich der Spezialchemiekonzern Evonik und Siemens zusammengetan, um die Chemie zu revolutionieren. Im dortigen Industriepark läuft das Projekt Rheticus auf Hochtouren: Mit Hilfe von Mikroorganismen und Strom aus erneuerbaren Quellen sollen aus CO2 Spezialchemikalien gewonnen werden.

Weltweit entstehen immer mehr solche Anlagen zur ersten kommerziellen Nutzung, beobachtet Michael Carus, Chef des auf Bioökonomie spezialisierten Nova-Instituts aus Hürth bei Köln. Der Wissenschaftler und Berater ist überzeugt: „In 50 Jahren werden wir Chemikalien und Treibstoffe komplett ohne Öl herstellen können.“

Für Stahlkonzerne wie Thyssen-Krupp ist es allerdings vielversprechender, CO2 erst gar nicht erst entstehen zu lassen. Der Konzern bereitet sich darauf vor, die Stahlherstellung langfristig von Kohle auf Wasserstoff umzustellen, um so ab 2050 nahezu emissionsfrei produzieren zu können.

Dass sich derzeit angesichts der Pariser Klimaziele und der geplanten Umsetzung durch die EU-Kommission viele Stahlhersteller den gleichen Fragen wie der Ruhrkonzern stellen müssen, freut Anlagenbauer wie die SMS Group, der unter anderem Stahlwerke ausrüstet.

Grüne Technologien hängen vom Strompreis ab

„Wenn die Produzenten in ihren Prozessen Kohle durch Wasserstoff ersetzen, müssen dabei auch alle Hochöfen durch Reduktionsanlagen und Elektroöfen ersetzt werden“, sagt Hans Ferkel, der verantwortliche Geschäftsführer für Technologie bei SMS. „Für uns bedeutet dies natürlich sehr viel Arbeit, für unsere Kunden stellt dies jedoch eine hohe Belastung dar. Die Umsetzung braucht völlig andere Rahmenbedingungen, als derzeit herrschen.“

So brauche etwa die Elektrolyse, also die Teilung von Wasser in Wasser- und Sauerstoff, große Mengen Strom, die zusätzlich zum bisherigen Verbrauch erzeugt werden müssen. Typischerweise beträgt der Wirkungsgrad bei der Umwandlung von Strom zu Wasserstoff rund 60 Prozent. „Mithilfe von Prozesswärme können wir den Wirkungsgrad zwar erhöhen“, sagt Ferkel.

Doch letztlich hänge die industrielle Umsetzung dieses Wandels weniger von den technischen Möglichkeiten der Anlagenbauer ab. Bereits heute kann SMS entsprechende Lösungen seinen Kunden bieten. Vielmehr komme es auf die ausreichende Verfügbarkeit von bezahlbarem und grünem Strom an.

Dennoch investiert das Düsseldorfer Familienunternehmen in die Technologie. Mit dem Dresdner Start-up Sunfire hat der Konzern sich kürzlich an einem Unternehmen beteiligt, das seine Wasserstoffelektrolyse-Anlagen derzeit auch am Standort des Stahlherstellers Salzgitter testet. Hier liegt der Wirkungsgrad bei der Umwandlung von Strom zu Wasserstoff bei rund 80 Prozent.

Egal ob bei BASF, Evonik oder bei den Stahlkonzernen: Es zeigt sich, dass die Wettbewerbsfähigkeit neuer, grüner Technologien stark vom Strompreis abhängt. BASF könnte seinen riesigen Cracker von Gas auf Strombetrieb umstellen – wenn große Mengen Energie aus regenerativen Quellen vor Ort stabil verfügbar sind.

„Wichtig ist: Der Strom muss grün sein“, sagt auch Markus Oles, der bei Thyssen-Krupp das Projekt Carbon2Chem. „Nimmt man den Strom, den man für die CO2-Umwandlung in andere Stoffe braucht, aus Kohlekraftwerken, dann ist jede Klimatechnologie ineffizient.“