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Big Four machen Kasse: Bundesregierung vergibt Aufträge für 400 Millionen Euro

Die vier größten Wirtschaftsprüfer erhalten viele Aufträge aus Berlin. Es gibt auch personelle Verbindungen – vor allem an zwei wichtigen staatlichen Stellen.

Die Wirtschaftsprüfer stehen derzeit stark unter Beschuss. Bundesfinanzminister Olaf Scholz und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (beide SPD) haben angesichts des Wirecard-Skandals weitreichende Reformschritte angekündigt, unter anderem wollen sie eine stärkere Trennung von Wirtschaftsprüfung und Beratung.

Der Reformbedarf hat die Bundesregierung allerdings nicht davon abgehalten, in den vergangenen fünf Jahren an die vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Aufträge in Höhe von 400 Millionen Euro zu vergeben. Spitzenreiter ist mit knapp 135 Millionen Euro KPMG, gefolgt von PwC mit 108 Millionen Euro und Deloitte mit 98 Millionen Euro.

Die Prüfungsgesellschaft EY, die Wirecard über Jahre die Abschlüsse testierte, kassierte vom Bund fast 57 Millionen Euro. Das geht aus einer Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Grünen hervor, die dem Handelsblatt vorliegt.

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Zudem entsteht zunehmend der Eindruck, dass sich die Big Four quasi selbst beaufsichtigen. Bei der Bilanzpolizei DPR waren 80 Prozent der Mitarbeiter früher bei einer der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften beschäftigt, auch wenn sie nicht in jedem Fall direkt gewechselt sind. Bei der Wirtschaftsprüferaufsicht APAS sind es fast 60 Prozent. Der Leiter der APAS war früher Partner bei KPMG.

Grünen-Finanzpolitikerin Lisa Paus sagt: „Die Antwort der Bundesregierung zeigt, dass die Marktkonzentration und die wirtschaftlichen Abhängigkeiten von den großen Prüfungsgesellschaften in den letzten Jahren noch einmal zugenommen haben.“

Beratung wird immer wichtiger

Für Finanzminister Scholz ist klar, wer die Hauptverantwortung für den Wirecard-Skandal trägt: die mit dem Geldinstitut befassten Wirtschaftsprüfer. „Es ist schwer begreifbar, warum es ihnen nicht gelungen ist, den Bilanzskandal aufzudecken“, sagte Scholz jüngst in einer Regierungsbefragung im Bundestag.

Trotz aller Kritik an den Wirtschaftsprüfern kommt die Bundesregierung selbst nicht ohne sie und ihre Expertise aus, im Gegenteil: Der Einfluss der vier großen Gesellschaften auf den Staat wird immer größer. Das zeigt sich nicht nur bei den vielen Berateraufträgen an Deloitte, KMPG, PwC, und EY. Die Anfrage der Grünen legt auch offen: Die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und den Big Four wurde immer enger.


Das eigentliche Kerngeschäft der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ist die Testierung der Jahresabschlüsse für Unternehmen. Daneben allerdings bieten die Gesellschaften ihren Kunden auch Wirtschaftsberatung an, vor allem in Steuerfragen. Dieses Beratungsgeschäft ist für die Big Four ein immer wichtigeres Geschäftsfeld geworden. So verkündete KPMG 2019 stolz, mit Beratung erstmals so viel umzusetzen wie mit dem Prüfungsgeschäft.

Zwar werden das Prüfung- und das Beratungsgeschäft in den Big Four personell strikt getrennt. Dennoch birgt die doppelte Rolle potenziell Interessenkonflikte. „Eine unabhängige, ernsthafte Prüfung wird nicht leichter, wenn man schon mit einem Auge auf die nächsten lukrativen Beratungs- und Folgeaufträge schielt“, kritisiert Grünen-Finanzpolitikerin Paus.

Ihre Expertise dienen die Big Four nicht nur ihren Mandanten aus der Privatwirtschaft, sondern verstärkt auch dem Staat an. Nach langen Jahren des Personalabbaus seit der Jahrtausendwende fehlt es in den Ministerien häufig an Manpower im eigenen Haus. Insbesondere wenn wie in der Coronakrise hoher Zeitdruck besteht, ruft die Politik die Big Four zu Hilfe.

So griffen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sowie Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) in der Coronakrise etwa auf EY zurück, als es um die Frage ging, wie viel Schutzausrüstung gebraucht wird oder wie sich der Rettungsfonds für Unternehmen am besten aufstellen lässt.

Die Berater gehen in den Bundesministerien aber auch ein und aus, wenn keine Krise ist. Vor allem zum Wirtschaftsministerium gibt es einen kurzen Draht, egal ob unter den früheren Ministern Philipp Rösler (FDP) und Sigmar Gabriel (SPD) oder unter dem jetzigen Minister Altmaier. Die Antwort der Bundesregierung verzeichnet seit 2019 immerhin 21 persönliche Kontakte zwischen Mitarbeitern der Big Four und der Leitungsebene des Wirtschaftsministeriums.

Etliche Treffen im Wirtschaftsministerium

EY ist vor allem im Bereich der Energiepolitik gefragt. Wirtschafts-Staatssekretär Andreas Feicht (CDU) traf sich im Juni und August dieses Jahres jeweils gleich dreimal mit Vertretern von EY, um sich über das Thema Stromnetze auszutauschen. Dabei wirkt das Ministerium in der Energiepolitik personell nicht gnadenlos unterbesetzt. Es ist der einzige Bereich, für den es gleich zwei Abteilungen im Haus gibt.

Eng ist auch der personelle Austausch zwischen staatlichen Aufsichtsbehörden und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Vielfach kontrollieren staatliche Aufseher ihre früheren Kollegen. Von den 15 Mitarbeitern der „Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR)“ kommen zwölf aus den Big Four, also 80 Prozent. Die DPR wird auch „Bilanzpolizei“ genannt. Sie prüft, ob ein Unternehmen nach den geltenden Rechnungslegungsregeln bilanziert hat.

Bei der Wirtschaftsprüferaufsicht Apas seien „derzeit rund 30 Mitarbeiter tätig, die zuvor bei einer der sogenannten Big Four waren“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung. Das sind 58 Prozent. Die Apas ermittelt wegen des Wirecard-Skandals seit Ende 2019 in einem Berufsaufsichtsverfahren gegen EY.

Die Mehrzahl der früheren Big-Four-Mitarbeiter seien zwischen ihren Tätigkeiten für die Big Four und den Aufsichtsbehörden zwar einer anderen Tätigkeit nachgegangen, schreibt die Bundesregierung. Dennoch hält Paus „die vielfältigen Verflechtungen und Abhängigkeiten zwischen der Bundesregierung und den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften“ für problematisch.

Mit dem Wirecard-Skandal sind diese jahrelangen engen Verflechtungen nun wieder in den Blickpunkt gerückt. Insbesondere für die Gesellschaft EY, die die Bilanzen von Wirecard zehn Jahre lang durchgewinkt hat und deshalb in der Politik als Hauptschuldiger für den Bilanzskandal bei Wirecard gilt, könnten harte Zeiten anbrechen.

So wollen erste börsennotierte Unternehmen EY als Wirtschaftsprüfer nicht mehr mandatieren. Die Commerzbank hat kürzlich angekündigt, das Prüfungsmandat zu wechseln. Die Telekom will das EY-Mandat nach dem Wirecard-Skandal überprüfen, und bei der staatlichen KfW-Bank hätten einige Verwaltungsratsmitglieder Bauchschmerzen, sollte EY den nächsten Prüfungsauftrag wieder erhalten.

Noch unbeantwortet ist die Frage, ob EY möglicherweise auch Nachteile bei den staatlichen Aufträgen drohen. Finanzminister Scholz sagte vergangene Woche im Bundestag, er könne sich nicht vorstellen, neue Aufträge an die in den Cum-Ex-Steuerskandal verwickelte Anwaltskanzlei Freshfields zu vergeben. Zwar ist Wirecard ein anders gelagerter Fall, dennoch könnte EY vorläufig das gleiche Schicksal drohen.

Einen Vorteil hat die Beratungsgesellschaft allerdings. Die Big Four machen das staatliche Beratungsgeschäft unter sich aus. Entweder werden die Berater wie in der Coronakrise vom Gesundheitsministerium wegen der Dringlichkeit gleich ohne jede Ausschreibung beauftragt. Oder die Ausschreibungen sind so konzipiert, dass für den Auftrag ohnehin nur die Big Four infrage kommen, sagt ein Insider.

Grünen-Politikerin Paus fordert: „Die vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften haben ein Oligopol – das muss aufgebrochen werden. Öffentliche Aufträge müssen endlich auch an mittelständische Wirtschaftsprüfer gehen.“

Weitere Bausteine für eine Reform der Regulierung werden derzeit diskutiert. So will Finanzminister Scholz den Wirtschaftsprüfern vor allem bei ihrem originären Geschäft, dem Kontrollieren von Jahresabschlüssen, schärfere Auflagen machen. Im Finanzausschuss ließ er jüngst Sympathien für die Idee erkennen, Wirtschaftsprüfer alle fünf Jahre rotieren zu lassen. „Ich werde nicht zu denen gehören, die sagen, das geht nicht“, sagte Scholz in der Sitzung. „Das kann ich mir sehr gut vorstellen.“

Streit über Rotationsfrist

Wirtschaftsminister Altmaier hält allerdings von einer zu kurzen Rotationsfrist wenig. „Die Bundesregierung hält eine Höchstlaufzeit eines Abschlussprüfungsmandats von zehn Jahren für Unternehmen von öffentlichem Interesse für grundsätzlich sinnvoll“, heißt es in dem Antwortschreiben seines Staatssekretärs. „Bei zu kurzen Rotationsfristen besteht die Gefahr des Informationsverlustes und in der Folge einer Absenkung der Prüfungsqualität bei Abschlussprüfungen.“

Bislang ist noch jeder Versuch, die Big Four stärker zu kontrollieren, gescheitert. Die EU-Kommission wollte schon 2011 die Marktmacht der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften aufbrechen, ihnen wurde damals eine Mitverantwortung an der Finanzkrise zugeschrieben.

Der Markt für Prüfungen sollte damals für kleinere Mitbewerber geöffnet werden, eine Rotation der Kunden nach sechs Jahren vorgeschrieben und die gleichzeitige Prüfung und Beratung verboten werden. Der damalige Kabinettschef von EU-Kommissar Michel Barnier, Olivier Guersent, sagte später einmal, „wir dachten, was Lobbying angeht, hätten wir schon alles gesehen. Aber was wir mit den Big Four erlebt haben, war die Mutter allen Lobbyings.“

Das Lobbying wirkte, die Reform versandete. Auch das deutsche Justizministerium hielt die Vorschläge damals für zu weitgehend. Der Regelungsgrad sei zu detailliert. Auch dass Prüfer verpflichtet werden sollten, Unregelmäßigkeiten an Behörden zu melden, sah die Bundesregierung kritisch.

Acht Jahre später hat sich an der Regulierung wenig geändert, dafür aber an der politischen Lage. Nun sieht sich die Bundesregierung mit einem Bilanzskandal konfrontiert, der weltweit Wellen schlägt.

Scholz will nach dem Wirecard-Skandal bei den staatlichen Stellen keinen Stein auf dem anderen lassen und auch die Finanzaufsicht Bafin neu aufstellen. Doch auch wenn er derzeit in keinem seiner Interviews mit Kritik an den Wirtschaftsprüfern spart, setzt er zugleich auf ihre Hilfe: Die Rechtsexperten von KPMG sollen bis Ende November einen Vorschlag für die Reform der Finanzaufsicht Bafin vorlegen.