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Gegen eine Dämonisierung der Branche: Betriebsräte kämpfen ums Auto

Die Diskussion um Klimaziele und den SUV-Boom erreicht die Mitarbeiter der Autoindustrie. Die Betriebsräte von Daimler, BMW und VW bangen um die Zukunft ihrer Branche.

„In der öffentlichen Diskussion bekommt man den Eindruck, das Auto sei nichts als ein einziges Risiko.“ Foto: dpa
„In der öffentlichen Diskussion bekommt man den Eindruck, das Auto sei nichts als ein einziges Risiko.“ Foto: dpa

Irgendwann platzt Michael Brecht der Kragen. Der Betriebsratschef von Daimler stößt bei seinem Rundgang über die Internationale Automobilmesse (IAA) vielerorts auf geharnischte Kritik, mit der Umweltschützer die Branche derzeit überziehen. „Klimakiller“ ist wohl der härteste Vorwurf, den der 54-Jährige verdauen muss.

Die Industrie mit ihren vier Millionen Mitarbeitern sei doch kein Klub von Verbrechern, klagt er. Vielmehr hätten die Beschäftigten ein Interesse daran, dass durch die Fertigung nachhaltiger Elektroautos die Jobs gesichert und die Luft sauber seien.

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Brecht, eigentlich ein ruhiger Mensch, bangt in diesem Umfeld um die Zukunft der Autobranche. Er will in die Offensive gehen – und ist nicht allein.

Auch der Betriebsratschef von Volkswagen, Bernd Osterloh, und Manfred Schoch, der oberste Arbeitnehmervertreter von BMW, sind besorgt. „Eine Demonstration ist gut, aber wir brauchen eine gute Lösung“, sagt Schoch mit Blick auf die Proteste, von denen die IAA begleitet wird. Für ihn ist dies die Elektromobilität. „Ein Umschwenken der Automobilindustrie ist überlebensnotwendig.“

Die Betriebsratschefs der drei Konzerne haben in der Debatte ein gewichtiges Wort mitzureden. Zusammen beschäftigen Daimler, VW und BMW weltweit rund eine Million Mitarbeiter direkt, viele Hunderttausend Menschen arbeiten zudem bei Zulieferbetrieben.

Der Schritt, sich gemeinsam an die Öffentlichkeit zu wenden, ist indes ungewöhnlich. In der Regel definieren Osterloh, Schoch und Brecht jeweils ihre eigene Position. Aber die drei Arbeitnehmerführer eint in diesen Tagen die Sorge um die Zukunft der deutschen Automobilindustrie.

Die Unternehmen stecken jeweils zweistellige Milliardenbeträge in die Entwicklung und den Bau neuer strombetriebener Fahrzeuge. „Volkswagen meint es ernst mit der Elektromobilität und den Klimazielen“, sagt daher auch Osterloh. Volkswagen rüste mit Emden, Zwickau und Hannover drei deutsche Standorte auf Stromautos um und hole zudem eine eigene Zellfabrik nach Deutschland.

Brecht, Osterloh und Schoch wollen eine sachliche Diskussion. Die Argumente müssten doch gehört werden, bei aller Kritik, lautet ihre Aussage.

Die Fronten wollen sie aufbrechen – und sie sind dabei selbstkritisch: „Die Automobilindustrie hat in der Vergangenheit etwas Mist gebaut, aber wir haben inzwischen aufgeräumt“, sagt Brecht. Und den Blick nach vorne gerichtet. Etliche Elektrofahrzeuge hätten die Hersteller entwickelt, und Daimler biete elektrifizierte Lkws und Busse.

Aktivisten üben Druck auf die Autobauer aus

Dennoch stehen die Unternehmen zu Beginn der Branchenmesse IAA in Frankfurt massiv unter Druck. Mehrere Umweltverbände haben unter dem Dach des Aktionsbündnisses „Aussteigen“ für das Wochenende zu Demonstrationen aufgerufen. Die Gruppierung „Sand im Getriebe“ will zudem bewusst Regeln brechen und mit Blockaden die IAA in Frankfurt faktisch stilllegen.

Die Kritiker stoßen sich unter anderem an den seit Jahren steigenden Motorleistungen und dem wachsenden Anteil an Geländewagen im Portfolio der Autohersteller. Dieser führe unter anderem dazu, dass die Autoindustrie ihren Klimazielen nicht nachkomme.

Die Umweltaktivisten fordern sogar ein Verbot von Autos in Innenstädten und im Gegenzug einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Teile der Grünen schließen sich zudem der Forderung an, schwere SUVs aus den Innenstädten zu verbannen. Am vergangenen Freitag wurden aus noch ungeklärter Ursache bei einem Unfall mit einem SUV vier Menschen getötet.

Brecht weist diese Forderung zurück. Die Debatte über zu große SUVs könne man führen, auch wenn diese sehr deutsch sei. „Aber solche Fahrzeuge sind doch o. k., wenn sie sauber sind.“ Jeden wird er mit dieser Aussage allerdings nicht überzeugen können.

Aus Sicht der Betriebsräte nimmt die Debatte einen bedrohlichen Verlauf. Die Arbeitnehmerführer wehren sich gegen eine Dämonisierung der Autoindustrie: „In der öffentlichen Diskussion bekommt man im Moment den Eindruck, das Auto sei nichts als ein einziges Risiko. In der Gefahrenskala liegt es irgendwo zwischen Ebola und nordkoreanischen Raketen“, sagt Osterloh. Manche sähen das Auto offenbar nur noch als eine überholte Technik von Leuten, die in der Vergangenheit leben.

Der oberste Arbeitnehmervertreter des Volkswagenkonzerns steht eng an der Seite von Konzernchef Herbert Diess. Der hatte erst am Montag öffentlich mit „Tina Velo“ diskutiert. Die unter einem Pseudonym auftretende Aktivistin vertritt die Gruppe „Sand im Getriebe“. „Ihr Greenwashing macht mich wütend“, schleuderte Velo dem VW-Chef entgegen.

Der verteidigte die Politik des Konzerns. Volkswagen brauche die Gewinne aus den SUV-Verkäufen, um den Umstieg auf die Elektromobilität zu finanzieren. Die Branche habe „die Zeichen der Zeit verstanden“.

Tatsächlich vollzieht Volkswagen wie BMW und Daimler einen massiven Schwenk zur Elektromobilität. Auf dem Stand der Marke in Halle drei stehen fast ausschließlich Elektroautos.

Der Vorreiter ist der auf der IAA vorgestellte ID.3, der im nächsten Jahr auf den Markt kommt. „Wir haben vor, in den nächsten zehn Jahren 50 Prozent unserer Flotte auf Elektrobetrieb umzustellen“, sagte Diess.

Ein Weiter-so lehnen die Betriebsräte ab: „Das Auto muss sich bewegen, das meine ich wörtlich, aber auch im übertragenen Sinn“, sagt Osterloh. Fahrzeuge müssten sauberer und sicherer werden. „Wer aber – wie unsere Kritiker es wollen – das Auto per Vorschriften und Gesetzen abschaffen will, nimmt uns Bürgerinnen und Bürgern einen Teil des guten Lebens.“

Der Umstieg von Verbrenner- auf Elektroantrieb ist nur mit der Unterstützung der Betriebsräte in den Aufsichtsräten zu schaffen. Schoch nimmt für sich in Anspruch, die Entwicklung bei BMW erst richtig getrieben zu haben.

Dabei ist der Wandel für die Beschäftigten ein Risiko. So braucht ein Elektroauto weniger Bauteile als ein herkömmliches Auto – weniger Arbeitsschritte bedeuten weniger Jobs. Alleine im VW-Konzern werden 23.000 Stellen abgebaut, im Gegenzug will Volkswagen 7000 neue Softwarespezialisten einstellen.

Stromauto bleibt eine Wette auf die Zukunft

Den Vorschlag von Umweltschützern, Mitarbeiter der Hersteller könnten auf andere Positionen wie im Pflegedienst wechseln, weist Brecht zurück. „Es ist doch naiv zu glauben, wenn 150.000 wegfallen, dann könnten diese Menschen Lok- oder Busfahrer werden“, sagt er. Betroffene könnten doch nicht so einfach von einem Ort an den anderen verschoben werden.

Das Stromauto bleibt eine Wette auf die Zukunft, weil derzeit niemand die Nachfrage vorhersehen kann. Dennoch sind Brecht, Schoch und Osterloh starke Befürworter der neuen Antriebsform. Elektroautos schützen die Konzerne vor Strafzahlungen, die fällig werden, wenn ab 2021 die Klimaziele der EU für die Autoindustrie fällig werden.

Damit die Wende gelingt, schlägt Brecht eine konzertierte Aktion vor: „Wenn wir ein Bündnis aus Politik, Umweltverbänden und Autoindustrie schmieden, dann werden wir schneller zu Lösungen kommen.“ Ziel eines Dialogs könne aber nicht sein, das Auto abzuschaffen.

Vor allem die Politik sieht BMW-Betriebsrat Schoch am Zuge. Es müssten schnell die Rahmenbedingungen für die Elektrifizierung des Verkehrs geschaffen werden. Dazu sollten neben dem Ausbau der Ladeinfrastruktur auch ein Wegfall der Mehrwertsteuer auf E-Autos sowie günstigerer Strom gehören, fordert er.

Der Mangel an Stromtankstellen gilt als eines der größten Hemmnisse beim Absatz von Stromern. Die Bundesregierung müsse aus Sicht von Brecht ein ureigenes Interesse an einer Lösung haben.

„Durch die Polarisierung treibt man die Menschen Parteien wie der AfD zu“, betont Daimler-Betriebsratschef Brecht. Die rechtspopulistische Partei macht sich etwa für Dieselautos stark, um Stimmen frustrierter Autofahrer zu sammeln.

Letztlich gehe es um die Demokratie im Land. „Die Autoindustrie ist ein Stabilitätsanker für Deutschland. Das sollten wir nicht so leichtfertig aufs Spiel setzen.“