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Jetzt soll ein Beamter den Berliner Flughafen retten

Engelbert Lütke Daldrup mag nicht lachen. Die Aufsichtsratssitzung der Berliner Flughafengesellschaft ist gerade zu Ende gegangen, aber der BER-Chef muss noch zur Pressekonferenz im Mercure Airport Hotel nahe dem Flughafen Tegel. Die roten Stühle und der beige-schwarz gestreifte Teppich wirken wie ein Relikt aus den Achtzigerjahren. Es ist ein schwüler Julitag. Gestern habe der Blitz eingeschlagen, sagt Aufsichtsratschef Rainer Bretschneider. Die Klimaanlage sei ausgefallen. Es wurde eine „erwärmende Sitzung“, witzelt er. Lütke Daldrups Mundwinkel zuckt kein Stück.

Humor? Nicht so seine Sache. Der 60-Jährige trägt einen dunklen Anzug, schwarze Schuhe und karierte Krawatte. Als er zu Wort kommt, fühlen sich seine Sätze so drückend an wie die Luft im Raum. „Wir konzentrieren uns voll auf die Fertigstellung“, sagt er. Dem Kontrollgremium habe er detailliert den „Sachstand am BER“ erklärt.

Seit März dieses Jahres ist Lütke Daldrup neuer Chef des Flughafens Berlin Brandenburg (FBB) und damit zuständig für die Airports in Tegel und Schönefeld. Aber vor allem für die Dauerbaustelle BER. Der Job hat schon ganz anderen den Spaß verdorben.

Seit der geplatzten Eröffnung 2012 zählt der künftige Hauptstadtflughafen mit ihm bereits den vierten Chef. Lütke Daldrup ist dabei das Gegenteil seiner Vorgänger, allen voran ein Gegenstück zum rumpeligen, ewig rauflustigen Hartmut Mehdorn (BER-Chef Nummer zwei). Karsten Mühlenfeld (Nummer drei) war zwischenmenschlich Welten weiter als der staubtrockene Lütke Daldrup.

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Und noch ein Unterschied kommt hinzu: Der Neue ist von Haus aus Karrierebeamter und kein Manager: technokratisch, spröde, preußisch pflichtbewusst. Bringt ausgerechnet so einer das Chaosprojekt BER endlich an den Start?

Der Flughafenchef empfängt persönlich an einem regnerischen Sommertag in der Hauptverwaltung, einem Backsteinensemble am Airport Schönefeld. Gut zweieinhalb Wochen sind seit der Pressekonferenz vergangen, aber wieder schwankt die Stimmung zwischen ernst und angespannt. Lütke Daldrup ist misstrauisch. Er fürchtet, so scheint es, ins falsche Licht gerückt zu werden. Bilder beim Interview? Nur, wenn er sie vor Veröffentlichung freigeben darf.

Damit ist der Ton gesetzt. Seine steife, ernste Attitüde legt Lütke Daldrup fast nie ab. Nur auf die Frage, warum ausgerechnet ein Beamter wie er es besser machen solle als die erfahrenen Manager vor ihm, lehnt er sich leicht zurück, setzt kurz ein Lächeln auf. Er wiegt die Frage: Will man ihm eine Falle stellen? Dann sagt er, schon wieder gefasst: „Ich habe langjährige Bau- und Planungserfahrung, war zehn Jahre Baubürgermeister in Leipzig, vier Jahre Baustaatssekretär auf Bundesebene und habe das Projekt als Aufsichtsrat und Flughafenkoordinator mehrere Jahre begleitet. Man wird da durchaus klüger.“ Eine Antwort wie aus einem Bewerbungsgespräch.


Der Stadtentwickler aus Leipzig

Der neue Job mache ihm aber Freude, schiebt er hinterher, denn er sei „ein operativer Mensch“. Gleich nach der Promotion Ende der Achtzigerjahre geht er in die Berliner Senatsverwaltung. 1995 wird Lütke Daldrup Beigeordneter für Stadtentwicklung und Bau in Leipzig, mit 39 Jahren der damals jüngste einer deutschen Großstadt.

Hier erlernt der SPD-Mann die Kunst, zu drängeln und zu bitten, im Notfall durchzudrücken. Er managt Leipzigs Olympiabewerbung und die Ansiedlung eines BMW-Werkes. Seither hat er einen Spitznamen: „Drängelbert“.

Einen Drängler könnte der BER wahrlich gebrauchen. Auch im Jahr sechs nach der geplatzten Eröffnung des Berliner Großflughafens Willy Brandt ist die Baustelle weit entfernt von ihrer Fertigstellung. Zwar sind von 3000 potenziellen Risiken, die noch 2014 in den Büchern standen, 2970 abgearbeitet. Die restlichen 30 aber sind so gravierend, dass der BER-Chef sich nicht in der Lage sieht, vor Ende des Jahres einen verbindlichen Eröffnungstermin zu nennen. Kaum einer glaubt, dass der BER noch 2019 öffnet. Erst kürzlich tauchten wieder interne Unterlagen auf, die diese Lesart bestätigen. Als realistisch gilt nun 2020.

Seit über zwei Monaten verhandelt der neue Chef mit den fünf großen Baufirmen Siemens, Bosch, T-Systems, Caverion und ROM über verbindliche Terminzusagen. Das allein zeigt, wie verfahren die Lage ist. Derzeit passiert auf der Baustelle kaum etwas, außer sommerlichen Schuldzuweisungen: Solange die Türen nicht eingebaut sind, will Siemens keine verbindliche Verantwortung für die Steuerung der Entrauchungsanlage übernehmen. Solange die hydraulischen Berechnungen für die Wasseranlage mit 78.000 Sprinklerköpfen fehlen, will keiner die Garantie für den Einbau der Wasserrohre abgeben.

„Die Verhandlungen dazu sind teilweise schwierig und sehr komplex. Aber wir kommen dem Ziel schon näher“, sagt der Chef – das Maximum an Optimismus, zu dem sich Lütke Daldrup hinreißen lässt.

Ähnliches hatten allerdings auch schon seine Vorgänger gesagt. Und damals hätte er sie für solche Aussagen an den Pranger gestellt. Bevor er im März Chef des BER wurde, war Lütke Daldrup Flughafenkoordinator für Berlin. Das Land ist, ebenso wie Brandenburg, mit 37 Prozent an den Berliner Flughäfen beteiligt. Der Rest gehört dem Bund.

Lütke Daldrup saß im Aufsichtsrat und galt als verlängerter Arm von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD). Während der schwieg, sprach Lütke Daldrup. Er habe „erbarmungslos auf Mühlenfeld rumgehackt mit dem Ziel, dass Müller nicht verantwortlich ist“, sagt ein Aufsichtsrat. Immer wieder, wenn die Presse Böses über Müller schrieb, schickte sein Aufseher wütende Briefe an Mühlenfeld, drängte ihn dazu, bis zum Mai 2017 einen Eröffnungstermin zu nennen.

Heute fallen ihm solche Wünsche auf die Füße. Den Mai-Termin hat ja auch er längst gerissen. Er sei nicht nur „objektiv unter Druck“, er setze sich „auch selbst unter Druck“, berichtet ein langjähriger Wegbegleiter. Lütke Daldrup sei aber auch „ein schlauer Mann, ein Intellektueller“, sagt ein Aufsichtsrat. „Ich schätze seine analytischen und strategischen Fähigkeiten.“ Ein Chef müsse ja „nicht jeden Nagel selbst einschlagen“. Dennoch habe er das Gefühl, dass Lütke Daldrup „Angst hat zu scheitern“. Für ein Gehalt von rund einer halben Million Euro erwarten die Aufseher offenbar mehr Coolness – und Ergebnisse.

Um die zu bekommen, hat der Exbeamte gleich die Axt angelegt. Die Unternehmensberatung Roland Berger warf er hochkant raus. Außerdem hat er die Gesellschaft neu strukturiert. „Das alte Organigramm zeigte einige Strukturprobleme“, sagt Lütke Daldrup – dessen Sinn hatte sich ihm nicht erschlossen. Auch die alle drei Monate erscheinenden Fortschrittsberichte hat er eingestellt. Lütke Daldrup lässt stattdessen noch mal alle Risiken auf ihre Eintrittswahrscheinlichkeit durchrechnen. Etwas, dass man normalerweise am Beginn eines Bauprojekts macht.


Und jetzt auch noch Tegel

Doch was ist schon normal auf Deutschlands peinlichster Baustelle? Das dort versammelte Versagen böte mehr als genug Stoff für eine Komödie. Wenn es nicht um Milliarden öffentliche Gelder ginge.

Zu Anfang wollte ein Konsortium den BER für zwei Milliarden Euro bauen. Berlin war das zu teuer und baute lieber in Eigenregie. Die Kosten explodierten aufs Dreifache. Eigentlich sollten fünf Baulose vergeben werden, es wurden dann 50. Keiner behielt den Überblick. Die Baupläne waren wertlos. Ursprünglich sollte außerdem Rauch im Brandfall unterirdisch ins Freie geleitet werden. Doch Rauch drängt nach oben. Geplant hatte das ein dubioser Bauzeichner. Die obere Etage wird nun separat entlüftet.

Und dann wäre da noch die Kapazitätsfrage. Anfangs sollte der BER 17 Millionen Passagiere abfertigen. 2017 kamen aber bereits 33 Millionen nach Berlin. Der Airport erhielt deshalb Anbauten und eine Zwischenebene. Leider ist nun kaum Platz für Kabel, Wasserleitungen und Entlüftungsrohre.

Und jetzt auch noch Tegel

All das wäre genug Arbeit für einen Krisenmanager. Doch nun nimmt die Diskussion um Kapazitäten neue Fahrt auf, befeuert von den Airlines, den Passagieren – und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Ist der neue Flughafen nicht schließlich schon bei Eröffnung zu klein? Sollte man nicht besser Tegel offen halten?

Für Lütke Daldrup wäre Letzteres ein Horrorszenario: Wieder einmal würde bei laufender Fahrt der Kurs geändert, wieder einmal müsste er Planungen anpassen, wieder einmal hätte er das Risiko. Bis zu 200 Millionen Euro mehr pro Jahr würde der Betrieb von zwei Standorten kosten, ließ er ausrechnen. „Wirtschaftlich ergibt das keinen Sinn.“ Die Berliner dürfen trotzdem Ende September per Volksentscheid ihr Votum abgeben, wenn auch rechtlich unverbindlich.

Allerdings: Eine Vorwärtsverteidigung, ein flammendes Plädoyer für seinen Gegenvorschlag, den Masterplan BER 2040, bringt Lütke Daldrup auch nicht über die Lippen. Debatte, Risikofreude, alles seine Sache nicht. Er sagt nur: „Ich habe als Flughafenchef nicht die Aufgabe, mich in die Verantwortung der Gesellschafter einzumischen.“ Einen Plan B, so viel verrät er, habe er nicht. Ob er beim Volksentscheid denn persönlich gegen den Weiterbetrieb von Tegel stimme? Dazu schweigt er. Immerhin drängen nun seine Gesellschafter, Berlin und Brandenburg, auf eine Krisensitzung, um mit dem Bund das endgültige Aus für Tegel abzumachen.

Lütke Daldrup dürfte die ganze Debatte pro Tegel als eine Beleidigung seiner planerischen Intelligenz werten. Werbung für seinen Standpunkt aber macht er kaum.

Wie schwer ihm das Soziale fällt, kann er kaum verbergen. Nach dem Gespräch in seinem Zimmer geht er in die Lobby für ein paar ungefährliche Fotos. Dann will er eine rauchen. Den Raum verlässt er grußlos.