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Bafin zeigt Wirecard-Chefs wegen Verdachts der Marktmanipulation an – Razzia in Konzernzentrale

Die Finanzaufsicht sieht Anzeichen dafür, dass der Vorstand des Dax-Konzerns seine Anleger hinters Licht geführt hat. Die Staatsanwaltschaft hat den Firmensitz durchsucht.

Die deutsche Finanzaufsicht Bafin hat die Wirecard-Führung wegen des Verdachts der Marktmanipulation angezeigt. Das bestätigte die zuständige Staatsanwaltschaft München I am späten Freitagnachmittag auf Handelsblatt-Anfrage.

„Wir können Ihnen bestätigen, dass vor wenigen Tagen eine Strafanzeige der Bafin gegen Verantwortliche der Wirecard wegen des Verdachtes der Marktmanipulation bei der Staatsanwaltschaft München I einging. Der Verdacht beruht darauf, dass die Verantwortlichen der Wirecard durch die Ad-hoc-Mitteilungen vom 12.03.20 und vom 22.04.20 irreführende Signale für den Börsenpreis der Aktien der Wirecard AG gegeben haben könnten“, erklärte eine Sprecherin der Strafverfolgungsbehörde in einer schriftlichen Stellungnahme.

Und weiter: „Die Staatsanwaltschaft München I hat daraufhin ein Verfahren gegen den gesamten Vorstand, vier Beschuldigte, eingeleitet und seit heute früh am Firmensitz in Aschheim durchsucht. Zu dem Ergebnis dieser Durchsuchung und weiteren Schritten können wir derzeit, auch um keinesfalls Einfluss auf den Aktienkurs des Unternehmens zu nehmen, keine weiteren Angaben machen“, heißt es in der Mitteilung weiter.

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Wirecard bestätigte die Durchsuchungen in einer Ad-hoc-Mitteilung. Eine Wirecard-Sprecherin erklärte gegenüber dem Handelsblatt: „Der Vorstand ist zuversichtlich, dass der Sachverhalt sich aufklären wird und die Vorwürfe sich als unbegründet erweisen werden.“

Die Aktie verlor nach Bekanntwerden der Nachricht im Frankfurter Späthandel mehr als zehn Prozent. Den regulären Handel hatten die Papiere 0,2 Prozent im Plus bei 95,88 Euro beendet. Die Wirecard-Mitteilung erfolgte kurz nach dem Ende des elektronischen Xetra-Handels.

Bafin wartet bei weiteren Untersuchungen auf Jahresbilanz

In der Ad-hoc-Meldung erklärte der Konzern weiter, dass sich die Ermittlungen nicht gegen die Gesellschaft richteten, sondern gegen ihre Vorstandsmitglieder. Das Unternehmen kooperiere „vollumfänglich“ mit den Ermittlungsbehörden.

Aus Konzernkreisen verlautbart, dass es bei den Ermittlungen wahrscheinlich nicht um die gesamte Ad-hoc-Kommunikation Wirecards in den vergangenen Monaten gehe, sondern nur um einige wenige ausgewählte Äußerungen.

Eine Bafin-Sprecherin erklärte auf Anfrage, man äußere sich grundsätzlich nicht zu Einzelfirmen. „Wir untersuchen regelmäßig, ob börsennotierte Unternehmen den Kapitalmarkt rechtzeitig, vollständig und nicht irreführend über Insiderinformationen informieren. Finden wir Anhaltspunkte dafür, dass das nicht der Fall war, erstatten wir Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Denn unrichtige, nicht vollständige oder in anderer Weise irreführende Angaben – etwa in Ad-hoc-Mitteilungen – können eine verbotene Marktmanipulation sein“, erläuterte die Sprecherin.

Gleichzeitig stellt die Bafin klar, dass sie bei ihren weiteren Untersuchungen auf die Vorlage der Jahresbilanz am 18. Juni wartet: „Die Untersuchung, ob Wirecard darüber hinaus möglicherweise irreführend kommuniziert und damit Marktmanipulation begangen hat, ist noch nicht abgeschlossen. Hier waren und sind wir auf die Feststellungen anderer Stellen angewiesen – vor allem der Wirtschaftsprüfer (KPMG, EY). Deren Feststellungen zu etwaigen Bilanzierungsverstößen brauchen wir zwingend.“

Investoren sehen weitere Verschlechterung

Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei der Deka, der Fondsgesellschaft der Sparkassen, mahnt auf Handelsblatt-Anfrage: „Bevor das Gegenteil bewiesen ist, bedeutet auch eine Strafanzeige keine Vorverurteilung.“ Zunächst müssten die weiteren Ermittlungen und ein möglicher Prozess abgewartet werden.

Speich befürchtet jedoch mit Blick auf CEO Markus Braun: „Durch die stark polarisierende Wirkung von Herrn Braun dürfte nun der Druck des Kapitalmarkts auf den Konzern sehr groß werden. Es wäre sehr kritisch, wenn Wirecard trotz des medialen Dauerbeschusses und des verbreiteten Investorenunmuts weitermacht wie bisher.“

Die Forderung der Deka nach einem Rücktritt von Markus Braun bleibe weiterhin bestehen. „Die Situation von Wirecard hat sich in den vergangenen Wochen eher verschlechtert als verbessert. Die negativen Nachrichten überwiegen“, sagte Speich. „Die Governance-Probleme lasten inzwischen so schwer auf dem Aktienkurs – selbst operativ gute Ergebnisse haben es schwer, Wirkung zu entfalten.“

Für Volker Brühl, Geschäftsführer des Center for Financial Studies der Frankfurter Goethe-Universität, kommt die Strafanzeige „nicht überraschend, wenn man den Inhalt der Ad-hoc-Meldungen mit dem KPMG-Sondergutachten vergleicht.“ Es gelte weiterhin die Unschuldsvermutung. „Problematisch ist jedoch der mit einem solchen Verfahren einhergehende Vertrauensverlust bei den Anlegern.“

„Umso wichtiger wird es sein, wie das Testat des Wirtschaftsprüfers ausfällt“, sagt der Ökonom. Auch die Bewertung der vor Pfingsten getätigten Aktienkäufe von Vorstandschef Braun, die die Bafin derzeit auf einen möglichen Insiderhandels-Verdacht untersucht, spielten eine Rolle. „Aus diesem sich dann ergebenden Gesamtbild muss der Aufsichtsrat seine Schlüsse ziehen“, sagt Brühl.

Wiederholt verschobener Prüfbericht

Den Hintergrund der Ermittlungen bildet die im Oktober nach zahlreichen gravierenden Vorwürfen rund um angebliche Bilanzfälschung und andere Unregelmäßigkeiten gestartete Sonderprüfung durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Die Vorlage des KPMG-Prüfberichts wurde mehrfach verschoben – damit einher gingen mehrere Ad-hoc-Mitteilungen des Konzerns, die nun in den Fokus der Aufsicht geraten sind.

Dabei geht es insbesondere um jene Mitteilungen vom 12. März und 22. April 2020. Der Bafin dürfte möglicherweise missfallen haben, dass die beiden Ad-hoc-Mitteilungen suggerierten, KPMG habe ein entlastendes Ergebnis erzielt, welches bis heute aber nicht vorliegt. Anleger konnten damit den Eindruck haben, dass mit dem anstehenden Bericht sämtliche Vorwürfe gegen Wirecard ad acta gelegt werden könnten.

Bereits am 12. März hatte der Konzern einen Teilbericht der Untersuchungsergebnisse präsentiert und die Vorlage des kompletten Berichts auf den 22. April verschoben. Auch dann konnte Wirecard kein finales Ergebnis präsentieren, sondern verschob die Veröffentlichung ein weiteres Mal auf den 27. April. Auch dieser Tag brachte für die Anleger keine Aufklärung, sondern erst der darauffolgende 28. April.

Das Dokument, das Wirecard dann präsentierte, sorgte unter Anlegern und Beobachtern für Entsetzen. Zwar fand KPMG keine Belege für den gravierenden Vorwurf der Bilanzfälschung. Dafür wimmelte der 74-seitige Bericht von Kritik an Unzulänglichkeiten in den Strukturen und Schwächen in der Dokumentation.

Besonders brisant: Die Zusammenarbeit von Wirecard mit seinen Drittpartnern konnte nicht vollständig geklärt werden. Über sie wickelt der Konzern den Zahlungsverkehr in Ländern ab, in denen er über keine eigene Lizenz verfügt. Für den Konzerngewinn sind die Partner essenziell.

Doch statt die KPMG-Prüfer umfassend zu beliefern, enthielten Wirecard und seine Drittpartner ihnen laut dem Bericht über Monate Kontobelege, Verträge und andere Urkunden vor. Manche Dokumente wurden nur in Kopie oder gar nicht eingereicht. Zudem monierten die Prüfer, dass Interviews mit wichtigen Managern mehrfach verschoben wurden.

In der Summe konnte KPMG viele der erhobenen Vorwürfen nicht restlos entkräften. Das Magazin „Spiegel“ nannte den Bericht schlicht ein „Dokument des Grauens“.

Umstrittene Kommunikation

Am Kapitalmarkt wurde der Prüfreport so negativ aufgefasst, dass die Aktie binnen zweier Tage um ein Drittel abstürzte – ein für einen Dax-Konzern fast beispielloser Vorgang. Ein Grund für die extreme Aufnahme ist aus Sicht von Beobachtern, dass Wirecard vorab den Kapitalmarkt nicht auf das negative Ergebnis vorbereitet hatte. So wies der Konzern erst im Nachhinein prominent darauf hin, dass es sich um eine forensische Prüfung gehandelt habe, die sich in Art und Umfang sowie in der Detailtiefe wesentlich von einer gewöhnlichen Abschlussprüfung unterscheidet.

In den Wochen und Monaten zuvor hatte Wirecard die Anleger wiederholt mit vergleichsweise positiven Mitteilungen beruhigt – insbesondere rund um die vielen Terminverschiebungen. Zunächst erklärte der Konzern die Verlängerung des Prüfzeitraums und die Neuterminierung des Jahresabschlusses vor allem mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie.

„Auch durch aktuelle, Corona-Virus bedingte Reiserestriktionen besonders in asiatischen Ländern muss der Zeitrahmen der Sonderuntersuchung verlängert werden“, hieß es etwa im März. Zugleich betonte der Konzern damals, dass sich aus den abgeschlossenen Teilen der Prüfung „aus heutiger Sicht keine substanziellen Feststellungen ergeben, die für die Jahresabschlüsse im Untersuchungszeitraum 2016, 2017 und 2018 zu Korrekturbedarf führen würden.“

Bei dieser Darstellung blieb der Konzern auch Ende April, als er erklärte: „Belege für die öffentlich erhobenen Vorwürfe der Bilanzmanipulation wurden nicht gefunden.“ Und weiter: „In den verbleibenden Tagen sollen noch eingegangene Datenbestände verarbeitet und berücksichtigt werden.“ Auf größere Probleme ließ das aus Sicht vieler Marktteilnehmer nicht schließen.

Auch die Spitzenmanager des Zahlungsdienstleisters übten sich in demonstrativem Optimismus. So erklärte Vorstandschef Markus Braun gegenüber Großinvestoren bereits im Frühjahr: „Machen Sie sich keine Sorgen, alles wird in Ordnung sein.“ Selbst nach Erscheinen des KPMG-Berichts sagte er in einem Analysten-Call, der Jahresabschlussprüfer Ernst & Young (EY) habe „überhaupt keine Probleme“, die Jahresbilanz 2019 freizugeben.

Finanzaufseher machen nun Ernst

Anfang des Jahres hatte viele Investoren ein Interview des neugewählten Aufsichtsratsvorsitzenden Thomas Eichelmann beruhigt. Im „Manager-Magazin“ hatte dieser auf die Frage nach ersten Erkenntnissen aus der Sonderprüfung erklärt: „Aus der Tatsache, dass wir noch keine Ad-hoc-Meldung abgegeben haben, können Sie Ihre Schlüsse ziehen.“

War in Aschheim der Wunsch der Vater des Gedankens? Spätestens Anfang Mai ist der Bafin angesichts der vielen beschwichtigenden Äußerungen aus der Konzernzentrale offenbar der Geduldsfaden gerissen.

Die Behörde erklärte damals, der KPMG-Sonderprüfbericht fließe in die „ohnehin noch laufende Marktmanipulationsuntersuchung“ ein. „Selbstverständlich schauen wir uns in diesem Zusammenhang auch die Kommunikation von Wirecard unmittelbar vor dem Erscheinen des KPMG-Berichts an“, lautete die Warnung.

Mit der Strafanzeige und der darauf folgenden Durchsuchung vom Freitag haben die Aufseher nun Ernst gemacht. Den Konzern und seine Anleger trifft das zur Unzeit, steht doch die mit Spannung erwartete Vorlage der Jahresbilanz 2019 an.

Diese sollte ursprünglich bereits am 8. April veröffentlicht werden. Im März wurde der Termin auf den 30. April verschoben, später dann auf den 4. Juni. Auch dieser Termin ließ sich nicht halten: Nun peilt Wirecard die Vorlage der Jahresbilanz für den 18. Juni an. Klar ist: EY muss sie testieren.