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Böhmermann mischt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Österreich auf

Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Österreichs, ORF, macht sich Angst breit. Grund dafür ist die konservativ-rechtspopulistische Regierung, die nach dem Wahlkampf für die Europa-Wahlen am 26. Mai mit ihren Umbauplänen für Österreichs größtes Medienunternehmen ernst macht.

Die frühere Haider-Partei FPÖ will die in Österreich geltende Gerätegebühr schleunigst abschaffen und durch eine Finanzierung aus dem Staatshaushalt ersetzen. So will die FPÖ die Rundfunkanstalt strenger kontrollieren. Die ÖVP bevorzugt hingegen angeblich eine Schwächung des ORF durch die Einengung der finanziellen Möglichkeiten. Die Regierung in Wien will das neue ORF-Gesetz in diesem Jahr auf den Weg bringen.

Dieser Schritt könnte den ORF stärker verändern als jemals zuvor in seiner Geschichte. ORF-Chef Alexander Wrabetz fürchtet angesichts der Pläne der Regierung einen radikalen Systemwechsel beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Notfalls will er eine Volksabstimmung gegen eine Finanzierung des ORF aus dem Staatshaushalt initiieren.

„Das wäre eine De-Facto-Verstaatlichung des öffentlichen Rundfunks. Unser Geldgeber wäre dann genau jene Regierung, über die wir jeden Abend kritisch berichten sollen“, sagte der langjährige ORF-Chef der Auslandspresse zuletzt.

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Wie sehr die Angst in der Rundfunkanstalt umgeht, hat der ZDF-Satiriker Jan Böhmermann mit seinem Interview in der ORF-Sendung „Kulturmontag“ offengelegt. Böhmermann gab anlässlich der Ausstellung „Deutschland#ASNCHLUSS#Östereich“ in Graz dem ORF ein Interview.

Darin bezeichnete Böhmermann es als „nicht normal“, dass ein Land mit einer wichtigen Vermittlerrolle zwischen Ost und West „geführt wird von einem 32-jährigen Versicherungsvertreter“. Den konservativen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kritisierte Böhmermann als einen „Versicherungsvertreter mit Haargel, haben Sie niemand bessern?“. Auch sein rechtspopulistischer Stellvertreter und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache (FPÖ) kam bei dem Interview nicht gut weg.

Es sei „kein Zustand, dass der Vizekanzler eines Landes wie Österreich sagt, ich hau bei Facebook volksverhetzende Scheiße raus oder geh Journalisten an und hinterher ist alles Satire“. Noch während der Sendung distanzierte sich ORF-Kulturmoderatorin Clarissa Stadler von Böhmermanns Meinung.

Am Wochenende legte der ORF-Kulturchef Martin Traxl nach: „Niemand sieht, dass es gelebte Pressefreiheit ist, ein solches Interview überhaupt auszustrahlen“, sagte er der Wiener Zeitung „Die Presse“. „Wir im ORF sind objektiv, und wir haben keine Meinung zu haben.“ Daraus leitet der Kulturchef die Verpflichtung ab, sich von unsachlichen Äußerungen Dritter in ORF-Sendungen zu distanzieren.

Der Umgang im ORF mit Böhmernanns provokanten Äußerungen zeigt unfreiwillig, wie die Grenzen der Medienfreiheit in Österreich enger und enger werden. Die Eile, mit der sich die ORF-Kulturjournalisten von der Satire des 38-jährigen Grimme-Preisträgers distanzier, führt die eigene Mutlosigkeit und Schwäche des Senders vor Augen.

Die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek sprach daher von „Selbstzensur“. „Wir distanzieren uns von der Distanzierung des ORF von den Äußerungen Jan Böhmermanns in seinem Interview mit dem ORF in der Sendung ‚Kulturmontag‘“, heißt es in der Erklärung, die neben Jelinek auch andere prominente österreichische Autoren wie Eva Menasse oder Doron Rabinovici unterzeichnet haben. „Wir bestehen auf Mündigkeit des Publikums. Wir bestehen auf dem Recht eigenständigen Denkens und Handelns.“ Eigentlich eine Selbstverständlichkeit in einer mündigen Demokratie.

Für den Polizistensohn Böhmermann selbst kann der Auftritt im ORF übrigens noch ein rechtliches Nachspiel haben. Böhmermann hatte in dem ORF-Interview in Anspielung auf ein Zitat aus dem Theaterstück „Heldenplatz“ des modernen Klassikers Thomas Bernhard gesagt, Österreich bestehe jetzt aus „acht Millionen Debilen“. Der Ruf nach autoritärer Führung sei immer noch sehr laut.

Der österreichische Anwalt Wolfgang List hat mittlerweile den Satiriker wegen der Herabwürdigung des Staates angezeigt. List wurde im vergangenen Jahr wegen einer Anzeige gegen die Grünen-Politikerin Negar Roubani und deren angeblicher Beleidigung von FPÖ-Chef Strache auf Facebook bekannt.

Nutznießer der Mediendebatte sind in Österreich indes die Rechtspopulisten. Der kaum noch zu kontrollierende Koalitionspartner von Kanzler Kurz erreicht mit dem Streit zweierlei: Er kann die eigenen rechten Wutbürger noch stärker gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im eigenen Land mobilisieren. Die Hasswelle in den sozialen Medien in Österreich zeigt, wie gut diese Rechnung bereits aufgeht.

Außerdem sorgt die ehemalige Haider-Partei konsequent dafür, dass die innere Pressefreiheit immer kleiner wird. Die Angst vor Angriffen – offen oder verdeckt – führt schon heute zu einer augenfälligen Zensur. Die FPÖ-Politiker werden im ORF kaum noch als Rechtspopulisten bezeichnet, sondern lieber als Freiheitliche oder Blaue. Das ist ein medialer Euphemismus mit gefährlichen Nebenwirkungen für die Pressefreiheit in Österreich.

Jede Woche schreibt Handelsblatt-Korrespondent und Buchautor Hans-Peter Siebenhaar seine Sicht auf die Kommunikationswelt auf.