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Börse paradox: Anleger sind pessimistisch, lösen aber ihre Absicherungen auf

Die Anleger verhalten sich derzeit auf den ersten Blick irrational. Sentiment-Experte Stephan Heibel rät für den Sommer deshalb zu Stop-Loss-Marken.

Selbst negative Meldungen wie der Anstieg der Neuinfektionen in vielen Ländern wurde zuletzt mit steigenden Kursen beantwortet. (Archivbild) Foto: dpa
Selbst negative Meldungen wie der Anstieg der Neuinfektionen in vielen Ländern wurde zuletzt mit steigenden Kursen beantwortet. (Archivbild) Foto: dpa

Das Coronavirus macht die Börse unberechenbar. Selbst negative Meldungen wie der Anstieg der Neuinfektionen in vielen Ländern werden mit steigenden Kursen beantwortet. Bei den Anlegern sorgt das für Verunsicherung, wie die Auswertung der aktuellen Handelsblatt-Umfrage Dax-Sentiment unter mehr als 3500 Anlegern zeigt.

Der Dax hat zwar am vergangenen Dienstag auf dem höchsten Schlusskurs seit zwei Wochen geschlossen, verlor auf Wochensicht aber gut zwei Prozent. Diese Schwankungen haben bei den Anlegern ihre Spuren hinterlassen: Das Sentiment notiert mit plus 0,1 zwar im neutralen Bereich, doch die Verunsicherung ist leicht gestiegen von minus 2,3 auf 3,1.

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„Am Finanzmarkt wird weiterhin eine V-Erholung der Wirtschaft eingepreist. Niemand weiß, ob das gelingen wird“, erklärt Sentiment-Experte Stephan Heibel, der die wöchentliche Umfrage für das Handelsblatt auswertet.

Er meint deshalb, dass die Erwartung steigender Kurse in den kommenden Wochen zumindest infrage gestellt wird. „Dann dürften die Corona-Verlierer, deren Zahl in den vergangenen Wochen parallel zur Zahl der Corona-Gewinner angestiegen ist, Federn lassen“, warnt der Geschäftsführer des Analysehauses Animusx.

Der grundsätzliche Pessimismus spiegelt sich auch in der Bewertung der aktuellen und zukünftigen Marktlage wider: 55 Prozent der Umfrageteilnehmer sehen den Dax aktuell in einer Seitwärtsbewegung, insgesamt 28 Prozent beobachten einen Aufwärtsimpuls oder eine Top-Bildung, 17 Prozent einen Abwärtsimpuls oder eine Bodenbildung.

In drei Monaten erwarten dagegen insgesamt 40 Prozent tendenziell sinkende Kurse. Nur 23 Prozent rechnen mit steigenden Kursen, 37 Prozent mit einer Seitwärtsbewegung.

Vor diesem Hintergrund bezweifelt Heibel, dass derzeit langfristig orientierte Investoren im großen Stil einsteigen: „Es hat den Anschein, dass die Käufe in der Verschnaufpause der vergangenen Woche eher spekulativ sind, also im Falle von sich verschlechternden Schlagzeilen schnell wieder abgestoßen werden.“ Dafür spricht etwa die Entwicklung der Vorwoche: Auf ein Plus von 2,1 Prozent am Dienstag folgte am Mittwoch ein Minus von 3,4 Prozent.

Allerdings ist die Investitionsbereitschaft unter den Anlegern leicht gestiegen, von minus 0,2 auf plus 0,5. 18 Prozent von ihnen wollen in dieser oder der nächsten Woche kaufen.

Die Erklärung: Für viele Anleger ging der erste Rücksetzer in der Erholungsrally zu schnell, viele von ihnen haben es verpasst, ihre Favoriten zu sich ins Depot zu holen. Jetzt bekommen sie eine zweite Chance.

Das nun niedrigere Kursniveau zieht auch eine zweite Art von Käufer an. „Werte um 12.100 im Dax werden als Kaufgelegenheiten betrachtet – wenngleich auch nur für Spekulationen und noch nicht für langfristige Überzeugungskäufe“, erklärt Heibel.

Was zudem auffällt: Das zuvor stark negative Euwax-Sentiment der Börse Stuttgart, an der Privatanleger handeln, hat sich ein wenig normalisiert. „Mit einem Wert von minus 7,5 wurden die Extremwerte der Vorwochen (minus 13) verlassen, doch noch immer sind Privatanleger stark interessiert an Absicherungspositionen“, erklärt Heibel. „Die Angst vor einem Rückschlag, einer zweiten Ausverkaufswelle parallel zu einer zweiten Infektionswelle, ist noch immer groß.“

Profianleger haben gesunkenes Absicherungsbedürfnis

Auch die Profianleger haben ein gesunkenes Absicherungsbedürfnis. Sie sichern sich über die Frankfurter Terminbörse Eurex ab: Hier ist das Put/Call-Verhältnis, welches das Verhältnis von gehandelten Verkaufsoptionen zu Kaufoptionen anzeigt, ebenfalls ein wenig gesunken.

Unterm Strich werden aber weiterhin mehr Absicherungspositionen eingegangen, als dass auf steigende Kurse spekuliert wird. Ähnlich sieht es in den USA aus, wo die US-Fondsmanager ihre Investitionsquote leicht zurückgeschraubt haben, um zwölf Prozentpunkte auf 77 Prozent.

Zusammen ergibt das ein widersprüchliches Bild: Auf der einen Seite sind Anleger pessimistisch, lösen aber auf der anderen Seite ihre Absicherungen gegen fallende Kurse auf.

„Es ist genauso unlogisch, wie konjunktursensitive Aktien parallel zu Corona-Gewinnern ansteigen und wie Goldaktien als sicherer Hafen parallel zu sich aufhellenden Konjunkturprognosen gekauft werden“, sagt Heibel. „Die einzige plausible Erklärung, die mir dafür einfällt, ist, dass hier mit unterschiedlichem Zeithorizont agiert wird.“

Der Glaube an die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und die Fiskalpolitik der Regierungen sei offensichtlich so groß, dass kurzfristig ausgelegte Anleger alle Aktien kauften. Dagegen sicherten sich langfristig ausgerichtete Investoren gegen die Systemrisiken durch die lasche Geldpolitik mit Gold ab.

Abbau der Absicherungspositionen schwächt Unterstützung

Was sich Anleger jetzt bewusst machen sollten: Dadurch, dass alle Marktteilnehmer ihre Absicherungspositionen abbauen, wird auch die Unterstützung schwächer. Diese hatte zuletzt noch verhindert, dass der Dax bei einer Korrektur deutlich unter das Niveau von 12.000 Punkten gefallen war. „Das ist ein Warnsignal, das wir nicht übersehen dürfen“, sagt Heibel.

Sinkende Kurse lassen sich daraus aber nicht ableiten. Schließlich besserten sich die Konjunkturdaten zuletzt, und EZB-Chefin Christine Lagarde erklärte, dass Europa nun auch wirtschaftlich das Schlimmste der Krise überstanden habe. Hinzu kommen die eingangs erwähnen Privatanleger, die unterinvestiert an der Seitenlinie warten, um bei günstigeren Kursen in die Rally einzusteigen.

„Wir sollten jedoch im Hinterkopf behalten, dass im Falle von weiteren schlechten Meldungen eine Unterstützung der Kurse nicht mehr so stark sein wird wie in den vergangenen Wochen“, warnt Heibel. „Stop-Loss-Marken sind für einen heißen Sommer sinnvoll.“