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Eine Automesse als Hochsicherheitszone

Vor der Fondation Louis Vuitton in Paris steht eine Menschenschlange. Es geht nur langsam voran, mehrere Hundert Menschen begehren Einlass. Vor dem Gebäude steht ein kleines Zelt, dort hat sich der Stau gebildet, das Zelt ist der Grund für die Verzögerung.

Irgendetwas ist in diesem Jahr anders auf dem Pariser Automobilsalon. Die Sicherheit ist nach den schweren Terroranschlägen aus dem vergangenen Jahr zum neuen Thema geworden. Im Zelt vor der Fondation Vuitton, dort, wo der Volkswagen-Konzern seinen Markenabend veranstaltet, sind Scanner und Durchleuchtungsmonitore aufgebaut worden. Alles erinnert an einen Flughafen. So, als ob es nicht zum -Markenabend, sondern zum Flugzeug geht.

Nach den schweren Anschlägen haben die französischen Behörden Sorge dafür getragen, dass Personenkontrollen praktisch vor jedem großen Museum zum Standard geworden sind. Die Fondation Louis Vuitton ist ein Kunstmuseum und gehört in Paris zu den bekannteren Destinationen für Kunstliebhaber mit entsprechend hohen Besucherzahlen – und dann eben auch mit Personenkontrollen.

Volkswagen hätte am Markenabend auf die Personenkontrollen verzichten können. Denn es ist letztlich eine private Veranstaltung und hat eigentlich nichts mit dem regulären Besucherverkehr eines Kunstmuseums zu tun. „Die Polizei wollte aber an den Kontrollen festhalten“, sagt einer der Organisatoren. Also wird auch an diesem Abend vor dem Eingang kontrolliert.

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Der Haupteingang des Messegeländes an der Porte de Versailles im Süden von Paris am nächsten Morgen: Dort bietet sich ein ähnliches Bild wie am Abend zuvor vor der Fondation Vuitton. Am Eingang steht eine Schlange. Wieder wird kontrolliert, wieder werden die Taschen durchsucht.

Wer diese Hürde genommen hat, bekommt einen kleinen grünen Aufkleber für seine Tasche: „Mondial de l’Automobile, Paris, Jour 1“. Grünes Licht also für die Tasche an diesem ersten Messetag, der Besucher darf sie mit auf das Gelände nehmen. Kamerateams und Fernsehleute haben es da etwas schwerer. Es dauert einfach viel länger, bis die gesamte Ausrüstung komplett kontrolliert worden ist.


Besucher reagieren geduldig

Alles geht an diesem Morgen etwas langsamer und schwerfälliger voran. Unmittelbar auf dem Pariser Automobilsalon bekommen die Besucher die Auswirkungen dessen zu spüren, was sich im vergangenen Jahr in der französischen Hauptstadt ereignet hat. Auch der Platz vor dem Haupteingang der Messe ist mit Absperrgittern abgeriegelt. Niemand kann mehr mit seinem Wagen direkt vor dem Haupteingang vorfahren. Das Parken auf dem Platz davor ist genauso unmöglich geworden.

Die Besucher tragen es mit Fassung. Niemand zweifelt an der Notwendigkeit, dass diese Kontrollen heute in Paris zum Alltag gehören. „Die Polizei macht das schon richtig“, ruft jemand aus der Schlange. Eine gewisse Ratlosigkeit ist den meisten trotzdem ins Gesicht geschrieben. Denn jeder würde sich wünschen, dass diese Kontrollen nicht notwendig wären.

Wer die Hürden am Eingang genommen hat, dem steht dann doch ein ziemlich ungehinderter Messetag bevor. Das Ausstellungsgelände im Pariser Süden ist nicht im kompletten Belagerungszustand, nur an den Eingängen wird kontrolliert. In den Messehallen und auf dem Freigelände kann sich jeder Besucher frei bewegen. Allenfalls dezent und im Hintergrund gibt es noch die eine oder andere Sicherheitsvorkehrung. Die Autos können so schnell wieder in den Vordergrund rücken. Sie sind doch der Grund, für den die Besucher die Reise nach Paris auf sich genommen haben.

Wer jedoch am Abend die Messe wieder verlässt und sich auf den Heimweg macht, wird spätestens am Bahnhof wieder an das neue Paris erinnert. Soldaten patrouillieren in Vierergruppen mit der Waffe im Anschlag durch das Bahnhofsgebäude. Immer wieder passieren uniformierte Beamte: Bahnpolizei, Gendarmerie und auch die nationale Polizei CRS.

Auch der Gare du Nord ähnelt einem Flughafen. Auf den Bahnsteigen, wo die Hochgeschwindigkeitszüge nach Deutschland und nach Belgien abfahren, sind Scanner und Durchleuchtungsstationen aufgebaut worden. Wer in den Zug einsteigen will, muss auch hier diese Prozedur über sich ergehen lassen – und wieder etwas mehr an Zeit einplanen. Paris ist in diesem Jahr einfach anders geworden.

KONTEXT

Dieselgate wird für VW immer teurer

Teure Folgen

Für Volkswagen sind die finanziellen Risiken durch die Abgasaffäre immer noch schwer zu kalkulieren. Zwar hat der Konzern nach dem 15-Milliarden-Dollar-Vergleich in den USA mehr Klarheit darüber, was ihn der Skandal um manipulierte Dieselautos dort kosten wird. Zugleich nimmt der Druck auf die Wolfsburger in Europa zu, die Kunden auch hier zu entschädigen. Europas größtem Autokonzern drohen weitere Kosten für Rückrufe, Aktionärsklagen und Strafen, die sich auf weit mehr als zehn Milliarden Euro auftürmen könnten. Analysten schätzen, dass die Aufarbeitung des Skandals den Konzern am Ende insgesamt zwischen 20 und 35 Milliarden Euro kosten wird, sogar von bis zu 50 Milliarden ist vereinzelt die Rede. Es folgt eine Übersicht der absehbaren Kosten.

Der US-Vergleich

Die Einigung mit Hunderten Sammelklägern, Behörden und US-Bundesstaaten kostet Volkswagen bis zu 15,3 Milliarden Dollar (umgerechnet rund 13,6 Milliarden Euro). Der größte Teil entfällt auf den Rückkauf von 475.000 manipulierten Dieselwagen mit 2,0-Liter-Motoren, für den gut zehn Milliarden Dollar reserviert sind. Die tatsächlichen Kosten hängen davon ab, wie viele Dieselbesitzer ihre Wagen zurückgeben und ob die US-Behörden eine Umrüstung genehmigen.

Entschädigung für US-Händler

Seinen rund 650 US-Händlern will VW Insidern zufolge mindestens 1,2 Milliarden Dollar Entschädigung zahlen, weil sie seit fast einem Jahr keine Dieselautos mehr verkaufen durften. Eine Grundsatzvereinbarung ist getroffen, für eine endgültige Einigung gab ein Gericht den Parteien bis Ende September Zeit.

Weitere Strafen und Klagen in den USA

Mit dem US-Justizministerium laufen derzeit Verhandlungen über eine Strafzahlung wegen der Abgasmanipulation. Das "Wall Street Journal" berichtete unlängst, dem deutschen Autobauer könne eine Strafe von mehr als 1,2 Milliarden Dollar aufgebrummt werden. Analysten rechnen mit einer Summe zwischen einer und drei Milliarden Euro. Einige US-Bundesstaaten wollen zudem zivilrechtlich versuchen, einen höheren Schadensersatz durchzusetzen, weil sie mit dem Vergleich nicht zufrieden sind. Dabei geht es um Hunderte Millionen Dollar.

Lösung für Drei-Liter-Autos lässt auf sich warten

Keine Einigung gibt es weiterhin für die rund 85.000 größeren Fahrzeuge mit Drei-Liter-Dieselmotor. VW zeigt sich zuversichtlich, dass eine Reparatur gelingen kann. Bis Ende Oktober hat das Gericht in San Francisco Volkswagen Zeit gegeben, um Lösungsvorschläge einzureichen. Für den 3. November setzte Richter Charles Breyer eine weitere Anhörung an. Sollte Volkswagen gezwungen werden, auch diese teureren Wagen zurückzukaufen, würde das weitere Milliarden verschlingen. Analysten schätzten die Kosten auf bis zu 2,5 Milliarden Euro.

Rückrufe in Europa

Ein großer Brocken ist auch die Umrüstung der rund 8,5 Millionen Dieselautos in Europa. Schätzungen reichen von gut einer bis drei Milliarden Euro, die das kosten dürfte. Der Autoanalyst Arndt Ellinghorst von Evercore ISI rechnet zudem damit, dass sich schrumpfende Marktanteile von Volkswagen und geringere Preise im Ergebnis bemerkbar machen werden.

Entschädigung auch in Europa?

Bundesweit klagen Autobesitzer vor mehreren Gerichten wegen überhöhter Stickoxidwerte auf Rückabwicklung des Kaufs oder Schadensersatz. Allein vor dem Landgericht Braunschweig sind rund 70 solcher Klagen anhängig. Eine Entschädigung der Kunden in Europa lehnt VW nach wie vor ab, obwohl sich Forderungen nach einem ähnlichen Vergleich wie in den USA mehren. Sollten diese dennoch fällig werden, könnte das Volkswagen finanziell das Genick brechen, fürchten Experten. Der Autoanalyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler geht von einem Wertverlust in einer Größenordnung von 500 Euro je Fahrzeug aus. "Es ist schwierig zu sagen, ob VW am Ende doch einen symbolischen Betrag zahlen wird." Branchenexperte Ellinghorst hält es für wahrscheinlich, dass die Kunden in Europa kein Geld sehen werden.

Ärger rund um den Globus

Weltweit droht Volkswagen in mehreren Ländern Ungemach. "Wir haben die ganze Welt am Hals", sagte Konzernchef Matthias Müller unlängst. Südkorea, zweitgrößter Markt für Dieselfahrzeuge in Asien, zog die Zulassungen für VW- und Audi-Modelle zurück und verhängte eine Strafe von 14,3 Millionen Euro. In Australien fordern Besitzer von VW-Dieseln Entschädigung von umgerechnet 6700 Euro pro Fahrzeug, die Verbraucherschutzbehörde klagt ebenfalls gegen VW. In Italien brummte die Wettbewerbsbehörde VW eine Strafe von bis zu fünf Millionen Euro auf, in Großbritannien forderte der Umweltausschuss vom Parlament eine härtere Gangart gegen VW. Auch in Kanada ringt der Konzern noch um die Beilegung des Abgasskandals. Würde das US-Entschädigungsmodell auf den nördlichen Nachbarn übertragen, müsste der Konzern womöglich mit einer weiteren Belastung in Milliardenhöhe rechnen.

Aktionärsklagen

Weltweit sieht sich Volkswagen zudem mit milliardenschweren Schadensersatzklagen von Investoren und Kleinaktionären konfrontiert. Die Inhaber von Aktien und Anleihen werfen Volkswagen vor, zu spät über das Ausmaß des Abgasskandals informiert zu haben und wollen einen Ausgleich für Kursverluste durchsetzen. Zu den Klägern gehören große US-Pensionsfonds, der Norwegische Staatsfonds, aber auch der Versicherungskonzern Allianz und die Dekabank. Das Land Bayern hat ebenfalls angekündigt, wegen Kursverlusten seines Pensionsfonds für die Landesbeschäftigten vor Gericht zu ziehen. Hessen und Baden-Württemberg prüfen einen solchen Schritt. Beim Landgericht Braunschweig liegen 290 Schadensersatzklagen mit Forderungen von zusammen rund vier Milliarden Euro.

Die Krise als Einnahmequelle für Anwälte

Die Scharen an Anwälten, die Volkswagen weltweit wegen des Dieselskandals beschäftigt, verschlingen ebenfalls Geld. Der Autoexperte Pieper geht von bis zu einer Milliarde Euro aus, sein Kollege Ellinghorst schätzt die Anwaltskosten auf mehrere hundert Millionen.

Quelle: Reuters