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Ausländische Unternehmen fahren Investitionen in Deutschland zurück

Europas größte Volkswirtschaft verliert an Attraktivität. Hohe Steuern und teure Arbeitskräfte schrecken die ausländischen Investoren ab.

Auf Amazon ist Verlass: Nahe Magdeburg errichtet der Online-Händler ein neues Logistikzentrum für 2000 Mitarbeiter. In Rheindahlen bei Mönchengladbach entsteht gleichzeitig ein 55.000 Quadratmeter großes, mit Roboter-Technik ausgestattetes Gebäude. Es soll spätestens zum nächsten Weihnachtsgeschäft unter Volllast in Betrieb gehen.

Dann können hier 3000 Menschen an sechs Tagen die Woche in vier Schichten arbeiten. Das nach Börsenwert zweitgrößte Unternehmen der Welt schafft hierzulande damit mehr als 5000 zusätzliche Arbeitsplätze.

Amazon ist nicht allein. Der Schweizer Pharmariese Roche baut am Standort Mannheim einen Kaltwasserspeicher und ein neues Pharma-Produktionsgebäude. Die wohl größte Einzelinvestition seit Jahren stemmt CATL: Der chinesische Batteriezellhersteller errichtet für 240 Millionen Euro am Erfurter Kreuz eine Fabrikanlage, um Europas Autos künftig mit Stromspeichern zu versorgen.

Doch Amazon, Roche und CATL können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich ausländische Unternehmen mit neuen Engagements in Europas größter Volkswirtschaft mehr und mehr zurückhalten. Sie investierten im vergangenen Jahr in 973 Projekte in Deutschland. Das ist gegenüber dem Vorjahr ein Minus von 13 Prozent – und der erste Rückgang seit 2005.

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Seitdem erhebt der Wirtschaftsprüfer EY entsprechende Daten über ausländische Investitionen. Gezählt werden keine Absichtserklärungen, sondern nur tatsächlich realisierte Projekte, bei denen Arbeitsplätze entstehen und Geld fließt. Übernahmen und Fusionen bleiben außen vor.

Der drastische Rückgang überrascht. Deutschland fällt in der Gunst in Europa auf den dritten Rang hinter Großbritannien und Frankreich zurück. Auffällig ist zwar, dass amerikanische Unternehmen dem Standort treu blieben. Daran ändert auch US-Präsident Donald Trump, sein Handelskonflikt und seine mehrfach offen zur Schau gestellte Abneigung gegen den deutschen Sozialstaat nichts.

Die Investitionen US-amerikanischer Unternehmen wie Amazon, Pfizer, McDonalds & Co. stiegen sogar um drei Prozent auf 220 Projekte, nachdem sie bereits 2017 um zehn Prozent zugenommen hatten. Doch andere wichtige Investoren wie Schweizer, britische und chinesische Unternehmen reduzierten ihre Engagements kräftig.

„Das ist ein Warnsignal“, urteilt EY-Deutschlandchef Hubert Barth, „Deutschland ist nicht mehr der Wachstumsmotor der europäischen Wirtschaft.“ Mit einem Wirtschaftswachstum von nur noch 1,4 Prozent belegte Deutschland im vergangenen Jahr Rang 24 unter den 28 EU-Mitgliedstaaten. Und die Aussichten verdüstern sich angesichts immer neuer Zölle und Gegenzölle, worunter die exportstarken Großkonzerne genauso leiden wie die vielen hochspezialisierten Mittelständler. Das hält Ausländer von neuen Investitionen ab.

Nach der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise vor einem Jahrzehnt, in der Deutschlands Bruttoinlandsprodukt um fünf Prozent und damit so stark wie noch nie in der Nachkriegsgeschichte eingebrochen war, hatte die Konjunktur nicht nur wieder rasch Anschluss gefunden, sondern sie führte als Wachstumslokomotive Europa aus seiner großen Krise.

Das Erfolgsmodell lautete: Die vielen globalisierten Unternehmen verkaufen nicht nur erfolgreich Waren im Ausland, sondern sie kaufen auch viele Vorprodukte aus anderen Zuliefererländern ein. Davon profitieren beide Seiten. Doch diese goldenen Zeiten gehen zu Ende. Für das laufende Jahr erwartet das Wirtschaftsministerium in Berlin nur noch ein Mini-Wachstum von einem halben Prozent. Grund dafür ist die schwächere Nachfrage im In- und Ausland, vor allem aus China.

Ein weiteres Hindernis kommt hinzu. Geopolitische Spannungen, Sanktionen, Zollschranken und Handelskriege verunsichern die Finanzmärkte und Chefetagen der Unternehmen. Davon könnte eigentlich der Standort Deutschland als Hort der Stabilität profitieren. Allerdings sinkt ausgerechnet in diesen schwieriger werdenden Zeiten die Standortzufriedenheit. Der Anteil der negativen Bewertungen unter über 700 befragten Managern ist binnen eines Jahres von 22 auf 37 Prozent gestiegen. Ohne Einschränkung positiv äußern sich nur noch elf Prozent – im Vorjahr waren es noch 25 Prozent.

Standortnachteil Steuern

Zwar überzeugen nach wie vor Deutschlands Transportinfrastruktur, das Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte und die Stabilität des rechtlichen Umfelds mit positiven Bewertungen von mehr als 80 Prozent. Diese Merkmale gelten seit Jahrzehnten als großer Pluspunkt. Aber Kritik gibt es an der Flexibilität des Arbeitsrechts und zunehmend an den Arbeitskosten – und vor allem an der Unternehmensbesteuerung.

Seitdem US-Präsident Trump sein Wahlversprechen verwirklichte und die Körperschaftsteuer von 35 auf 21 Prozent senkte, liegt die nominale Steuerbelastung in Deutschland um gut 20 Prozentpunkte höher als in den USA. Hinzu kommen die Vorteile aus einer niedrigeren Besteuerung ausländischer Gewinne auf immaterielle Wirtschaftsgüter in den USA und die Sofortabschreibungen.

Kaum besser sieht es bei den Arbeitskosten im internationalen Vergleich aus. Laut Eurostat, dem statistischen Amt in Europa, lagen sie in Deutschland im vergangenen Jahr bei 34,60 Euro pro Stunde. Der EU-Durchschnitt betrug 27,40 Euro. Noch aufschlussreicher ist der Vergleich zwischen Deutschland und dem wichtigen Investitionsstandort Großbritannien, wo 2018 umgerechnet nur 27,40 Euro an Arbeitskosten anfielen.

Ebenso wie in Deutschland engagierten sich internationale Unternehmen zwar auch in Großbritannien weniger: Die Zahl der Projekte sank ebenfalls um 13 Prozent auf 1 054 Projekte. Damit rangiert die Insel aber trotz des bevorstehenden Brexits weiter auf Platz eins in Europa. Der befürchtete große Einbruch blieb also bislang aus.

Kein anderes europäisches Land zieht so viele Investitionen an wie Großbritannien. Auffällig ist das Interesse von US-Unternehmen. Sie steigerten ihr Engagement in Großbritannien sogar noch um drei Prozent. Unverändert bleibt die Insel der transatlantische Brückenkopf zum Kontinent.

Expansionsstark präsentieren sich unverändert die deutschen Unternehmen in aller Welt. Allein im europäischen Ausland schufen sie im vergangenen Jahr gut 57.000 Arbeitsplätze mit 695 neuen Investitionsprojekten. Das waren so viele wie noch nie und fünf Prozent mehr als im Rekordjahr 2017. Hauptziel sind die europäischen Nachbarn.

So baut der Halbleiterhersteller Infineon für 1,6 Milliarden Euro seine Chipfabrik im österreichischen Villach aus. Die Nähe zum Kunden, aber auch niedrigere Steuern und Subventionen samt Forschungsprämien begünstigten die Standortentscheidung. Das gilt auch für den Pharmaspezialisten Boehringer Ingelheim, der 700 Millionen Euro in Österreich investiert. Der Autobauer Daimler steckt eine halbe Milliarde Euro in sein französisches Werk Hambach, wo Mercedes künftig Elektrofahrzeuge baut. Der Zulieferer Continental erweitert seine Kapazitäten für Automobilelektronik und hat sich dabei für ein neues Großwerk an seinem ungarischen Standort Debrecen entschieden.

Doch angesichts des begrenzten Potenzials des gesättigten Binnenmarkts samt alternder Bevölkerung und eines chronisch schwachen Wachstums in Europa reicht der Fokus auf den Heimatkontinent nicht aus. Genauso wie amerikanische Unternehmen unverändert stark auf Deutschland setzen, favorisieren deutsche Firmen den Standort USA, ungeachtet aller Schwierigkeiten mit Zöllen und Gegenzöllen. „Kurz- und mittelfristig können andere Absatzmärkte die Beschränkungen des US-Handels nicht kompensieren“, urteilt Peter Bartels, Geschäftsführer für die Bereiche Familienunternehmen, Industrien und Digitalisierung beim Beratungshaus PwC.

So investiert die Deutsche Post in South Carolina in einen neuen, 158.000 Quadratmeter großen Logistikpark, den die Bonner im nächsten Jahr eröffnen wollen. Beim Spezialchemiekonzern Covestro haben Vorstand und Aufsichtsrat den Bau einer neuen, 1,5 Milliarden Euro teuren Produktionsanlage am texanischen Produktionsstandort Baytown beschlossen.

Es ist die größte Einzelinvestition in der Geschichte des vor vier Jahren von Bayer abgespaltenen Unternehmens. Die Anlage zur Herstellung eines Vorprodukts für Hartschäume, wie sie als energieeffiziente Dämmstoffe in Gebäuden und Kühlgeräten gebraucht werden, soll 2024 in Betrieb gehen. Lanxess will in den nächsten vier Jahren 500 Millionen Euro ausgeben, um seine amerikanischen Werke zu modernisieren und auszubauen. Der Spezialchemieproduzent liefert synthetischen Kautschuk, aus dem Reifen und andere Gummiprodukte gefertigt werden.

„Wir sehen die USA als einen attraktiven Wachstumsmarkt“, stellte Henkels Konzernchef Hans Van Bylen kürzlich fest, „daher wollen wir gerade hier gezielt investieren.“ Der Düsseldorfer Traditionskonzern investiert in diesem Jahr zusätzliche 300 Millionen Euro in seine Marken, Technologien und in die Vermarktung seiner Waschmittel- und Körperpflegeprodukte. Schwerpunkt ist der US-Markt.

2018 hatten Währungsschwankungen die Erträge mehr als aufgefressen. Hinzu kamen logistische Probleme in den USA, wo Henkel jeden vierten Euro umsetzt. „Das ist jetzt vorüber“, versprach Van Bylen auf der diesjährigen Hauptversammlung.

Wichtiger als Europa: USA und China

Ob Chemie, Pharma oder Automobil – niemand möchte die weltweit lukrativsten Absatzmärkte vernachlässigen. Dazu zählt neben den USA ganz besonders China – trotz großer Wachstumsschwächen seit 2018. So will BASF im ostchinesischen Werksverbund Nanjing gemeinsam mit seinem Joint-Venture-Partner Sinopec die Kapazitäten ausweiten und dazu einen zweiten Steamcracker bauen.

In solch einer Anlage wird Rohbenzin aufgespalten und daraus unter anderem Ethylen gewonnen, ein wichtiger Ausgangsstoff für Chemieprodukte. Der Pharma- und Spezialchemiekonzern Merck plant ein Innovationszentrum in der chinesischen Sonderwirtschaftszone Guangzhou im Süden des Landes. Die Eröffnung ist im September geplant. Merck beschäftigt in China über 3 500 Mitarbeiter.

„Wir setzen unsere Wachstumsstrategie für China konsequent um“, stellte BMW-Konzernchef Harald Krüger klar. „Mit kontinuierlichen Investitionen sowie der Entwicklung und Produktion elektrischer Fahrzeuge unterstreichen wir Chinas Bedeutung als dynamischer Wachstumsmarkt für uns.“

BMW lässt sich sein China-Engagement einiges kosten. Für die Anteilsaufstockung bei BMW Brilliance Automotive um 25 auf 75 Prozent zahlen die Münchener 3,6 Milliarden Euro. Für die Erweiterung der Produktion sind weitere drei Milliarden Euro vorgesehen.

Konkurrent Volkswagen verkauft vier von zehn Autos in China. Konzernchef Diess prophezeite jüngst: „Die Zukunft von Volkswagen entscheidet sich auf dem chinesischen Markt.“ Also nicht in Deutschland und auch nicht in Europa. Der Heimatkontinent ist wichtig, aber noch wichtiger sind die zwei großen Wachstumsregionen China und die USA.

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