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Ausgesperrte Billigarbeiter in Asien: Corona legt ausgelagerte Dienstleister lahm

Viele Konzerne haben Callcenter und Verwaltungsarbeit nach Indien und auf die Philippinen ausgelagert. Das wird in Corona-Zeiten zum Problem.

Viele Dienstleister in Asien müssen ihre Mitarbeiter derzeit ins Homeoffice schicken. Foto: dpa
Viele Dienstleister in Asien müssen ihre Mitarbeiter derzeit ins Homeoffice schicken. Foto: dpa

Normalerweise hilft Ana Valenzuela anderen: Sie arbeitet auf den Philippinen für einen Dienstleister, der im Auftrag internationaler Konzerne Kundenanfragen bearbeitet. Nun könnte Valenzuela aber bald selbst auf Unterstützung angewiesen sein: Sie erreicht ihre Arbeitsstelle nicht mehr und muss deshalb um ihre Existenz fürchten.

Denn ihre Heimat ist rund um die Hauptstadtregion Manila komplett abgeriegelt. Öffentliche Verkehrsmittel haben den Betrieb eingestellt. Und Valenzuela hat kein eigenes Auto, um die knapp einstündige Fahrt zu ihrem Büro allein zurückzulegen. „Ich habe eine Familie zu versorgen“, sagt sie. „Ich mache mir Sorgen, wie es jetzt weitergeht.“

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Die Probleme, mit denen Valenzuela und ihre Kollegen nun zu kämpfen haben, bekommen auch viele deutsche Großkonzerne von Henkel bis zur Deutschen Bank zu spüren. Sie haben in den vergangenen Jahren in großem Umfang Aufgaben an Outsourcing-Dienstleister vorwiegend auf den Philippinen und in Indien ausgelagert – oder dort eigene Tochterfirmen gegründet, die sich konzernweit um Tätigkeiten wie die Buchhaltung oder die Personalverwaltung kümmern.

Doch nun sind beide Länder wegen des Versuchs die Coronavirus-Pandemie einzudämmen, weitgehend lahmgelegt. „Für die Notfallpläne ist die aktuelle Situation ein Härtetest, weil erstmals alle globalen Shared-Service-Standorte eines Konzerns zeitgleich betroffen sein könnten“, sagt EY-Experte Niklas Oldiges – von Asien über Osteuropa bis Südamerika.

Bayer beispielsweise hat sämtliche Centren in Barcelona, Danzig, Manila, Bangalore (Indien), Heredia (Costa Rica), Leverkusen und Dalian (China) auf Homeoffice umstellen müssen – ein beispielloses Unterfangen. Anders als bei dem Chemieriesen gelingt das nicht überall reibungslos.

Outsourcing in Notbesetzung

Zum Beispiel in den Philippinen: Präsident Rodrigo Duterte hat Mitte März in seinem Land den Notstand erklärt und die Hauptinsel Luzon, auf der auch Manila liegt, für einen Monat abgeriegelt. Outsourcing-Unternehmen, die in dem Land für elf Prozent der Wirtschaftsleistung stehen und mehr als eine Million Menschen beschäftigen, dürfen noch mit einer Notbesetzung weiterarbeiten. Reisebeschränkungen machen den Mitarbeitern die Anreise aber teils unmöglich. In den Großraumbüros müssen zudem Mindestabstände aus Gesundheitsschutzgründen umgesetzt werden.

Der Dienstleister Majorel, ein Gemeinschaftsunternehmen von des Gütersloher Medienhauses Bertelsmann und der marokkanischen Saham Group, betreibt mehrere Standorte in dem Land, in denen Mitarbeiter im Auftrag von Firmenkunden Callcenter betreuen oder sich um die Moderation von Social-Media-Kanälen kümmern.

Das Unternehmen bemüht sich, weiterarbeiten zu können: „Der derzeitige Lockdown und die sich ständig ändernde Situation bedeutet, dass wir flexibel sein müssen“, sagt eine Sprecherin auf Anfrage. Ziel sei es, die Sicherheit und das Wohlergehen der Mitarbeiter zu gewährleisten und gleichzeitig die Kunden weiter zu bedienen. Das Unternehmen mietete unter anderem Unterkünfte für Mitarbeiter in Büronähe an, um weiterhin einsatzfähig zu bleiben.

Die Umstellung auf Homeoffice ist in dem Schwellenland nur teilweise eine Option: „Aufgrund der nicht immer stabilen lokalen Internet-Infrastruktur und der persönlichen Lebensumstände ist dies nicht in allen Fällen möglich“, heißt es bei Majorel.

Kundendienst mit Schwierigkeiten

Von ähnlichen Problemen berichtet der US-Outsourcing-Anbieter Concentrix, der mit 90.000 Mitarbeitern der größte private Arbeitgeber auf den Philippinen ist. Homeoffice-Angebote seien für die Branche etwas sehr Ungewöhnliches, teilte das Unternehmen lokalen Medien mit. Grund dafür seien unter anderem extrem hohe Anforderungen beim Schutz der Kundendaten, hieß es. Man arbeite nun zusammen mit den Klienten daran, die Umstellung zu ermöglichen.

Einzelne Unternehmen haben bereits Störungen ihres Kunden-Supports aufgrund der Situation auf den Philippinen bekanntgegeben: Der Computerhersteller Acer teilte mit, dass es wegen der Sperren auf den Philippinen zu Problemen bei seinem Callcenter dort komme. Auch australische Telekomunternehmen meldeten Einschränkungen bei ihren auf den Philippinen angesiedelten Kundenhotlines.

Besser scheint die Situation bei firmeneigenen Outsourcinggesellschaften deutscher Konzerne zu sein, die ihre Dienste als sogenannte Shared Service Center firmenintern anbieten. Die Mitarbeiter von Mercedes-Benz Group Services, das auf den Philippinen Verwaltungs- und Beratungstätigkeiten übernimmt, arbeiten inzwischen alle von Zuhause. „Sie erbringen im gewohnten Umfang und reibungslos ihre konzerninternen Dienstleistungen“, sagte ein Unternehmenssprecher.

Auch das rheinland-pfälzische Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim betreibt auf den Philippinen einen Shared-Service-Center mit mehr als 230 Mitarbeitern, die die Finanzabteilung des Konzerns unterstützen und seit Mitte März im Home-Office arbeiten. „Es gab dabei keine Störungen des Betriebsablaufs“, teilte das Unternehmen mit. „Derzeit läuft der Internetzugang glatt und unsere Systeme sind stabil.“ Auch Henkel beteuert, die komplette Arbeitsfähigkeit etwa in Manila sei auch aus dem Homeoffice sichergestellt.

Krisenpläne schon vor der Krise

EY-Partner Oldiges hat mehrere deutsche Konzerne, darunter Bayer, bei der Einrichtung der Shared Service Centren beraten. Die Beratungsfirma hat sogar Teile ihrer eigenen Verwaltung an 2.000 Mitarbeitern nach Manila ausgelagert. Die Coronakrise ist für Oldiges kein Grund, an seinem Modell zu zweifeln.

Im Gegenteil: Er sieht sogar gerade Centren an potenziell gefährdeten Standorten besonders gut auf Krisen vorbereitet. Weil etwa Manila von Taifunen bedroht ist, entwickele EY dort bei der Verlagerung von Arbeitsplätzen die Krisenpläne gleich mit. So finanzierten etwa die jeweiligen Arbeitgeber den Mitarbeitern Highspeed-Internetanschlüsse zu Hause, damit sie jederzeit mit dem Laptop ins Homeoffice ausweichen können.

Im vermeintlich sicheren Osteuropa könnten hingegen die Notfallpläne teils weniger ausgefeilt und erprobt sein, vermutet EY-Experte Oldiges, der derzeit selbst in Deutschland im Homeoffice arbeitet. Der Handelskonzern Metro allerdings berichtet von funktionierenden Ausweichmöglichkeiten sowohl in Asien als in auch in Osteuropa. Die insgesamt 1200 Metro-Mitarbeiter im indischen Pune und im polnischen Stettin arbeiteten seit zwei Wochen von Zuhause – dank mobiler Geräte.

Ein Vorteil von Konzernen, die Aufgaben etwa in der Personalverwaltung von den Landesbüros abgezogen und zentralisiert haben: Sie können den Ausfall einzelner Mitarbeiter leichter abfedern als konservative Konkurrenten, die viele, dafür auf ein nur ein Land spezialisierte kleine klassische Teams vor Ort arbeiten lassen.

Zudem ist es an Standorten etwa in Südostasien einfacher als in vielen europäischen Ländern, Arbeitszeiten nach Bedarf flexibel über Arbeitszeitkonten zu verlängern. Das gilt allerdings nur so lange, wie kein komplettes Büro in Quarantäne muss. Berater Oldiges warnt: In den in Shared-Service-Centren üblichen besonders weitläufigen Großraumbüros könnten sich Viren schneller verbreiten als im klassischen deutschen Team-Büro.

Modernisierungsschub in der Krise

Daher sind Konzerne wie Bayer mit gleich mehreren Standorten sind im Vorteil: Sie können im Notfall Aufgaben weltweit verschieben. Bislang meldet der Chemieriese allerdings keine besonderen Vorkommnisse.

Selbstverständlich ist das nicht: Seit dieser Woche ist in großen Teilen Indiens das öffentliche Leben weitgehend lahmgelegt. Am Dienstag verordnete die Regierung sogar eine dreiwöchige Ausgangssperre. „Millionen Arbeitsplätze zu den Mitarbeitern nach Hause zu verfrachten, ist eine unfassbare Herausforderung“, sagte der Leiter der IT-Branchenvereinigung Nasscom, Keshav Murugesh, der Nachrichtenagentur Bloomberg.

In Indien, dessen Outsourcing-Industrie auf ein Geschäftsvolumen von mehr als 180 Milliarden Dollar geschätzt wird, lassen auch Finanzkonzerne wie JP Morgan oder die UBS interne Verwaltungstätigkeiten erledigen. Die Schweizer Großbank gibt an, dass 90 Prozent der 6000 Mitarbeiter in Indien inzwischen von zu Hause arbeiten. Auch der indische IT-Outsourcing-Anbieter Tata Consultancy Services (TCS) hat 85 Prozent seiner Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt.

Auch die Deutsche Bank hat ihre Teams aufgeteilt – eine Gruppe arbeitet zu Hause, eine andere im Büro – um den Betrieb aufrechterhalten zu können. Die Bank betreibt auf den Philippinen das Shared-Service-Center Deutsche Knowledge Services mit rund 2000 Mitarbeitern. In Indien arbeiten für den Finanzkonzern rund 10.000 Menschen an Back-Office-Tätigkeiten.

Die Krisen-Erfahrung könne in den Standorten zu einem Modernisierungsschub führen, hofft Berater Oldiges. Neue Technologien wie Künstliche Intelligenz zur Erfassung von Kreditoren, die ohne Mitarbeiter auskommt, könnten öfter zum Einsatz kommen. „Ich erwarte, dass wir nach der Krise viele Anfragen nach Automatisierungstechnik bekommen“, sagt der Ökonom.

Auf den Philippinen dagegen wartet Outsourcing-Mitarbeiterin Valenzuela noch auf die nötige Schulung und Ausrüstung, um von Zuhause weiterarbeiten zu können. Eine gute Nachricht hat sie von ihrem Arbeitgeber aber immerhin bekommen: Sie wird zumindest in den kommenden Wochen noch weiter bezahlt, obwohl sie es erstmal nicht ins Büro schafft. Valenzuela zeigt sich erleichtert: „Als ich das hörte, fiel mir ein Stein vom Herzen.“

Mitarbeit: Bert Fröndhoff