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Aufstand gegen die Handelskammer

Das klassizistische Gebäude der Hamburger Handelskammer steht seit mehr als einem Jahrhundert fest an das Rathaus der Stadt gebaut. Doch in einer der einflussreichsten Kammern Deutschlands bleibt künftig womöglich kaum ein Stein auf dem anderen. Was jahrzehntelang öde Routine war, ist für die Hamburger Wirtschafts-Lobbyisten ein Schlag ins Gesicht: die Kammerwahl.

Das Ergebnis, das die Kammer am Freitagabend verkündete, ist ein klares Misstrauensvotum für das Hamburger Establishment. Nach einem heftigen Wahlkampf mit persönlichen Anfeindungen auf beiden Seiten haben sich die sogenannten „Kammerrebellen“ um ihren Sprecher Tobias Bergmann auf ganzer Linie durchgesetzt. Von 58 zu vergebenen Sitzen eroberte die Liste „Die Kammer sind WIR“ satte 55.

Für Aufruhe sorgt die Kernforderung der meist mittelständischen Vertreter der Gruppe: Sie will die Kammergebühren auf null setzen – und die Kammer mit freiwilligen Beiträgen finanzieren. Gelingt das Vorhaben in Hamburg, könnte das bundesweit Industrie- und Handelskammern (IHKs) unter Druck setzen. Denn die „Zwangsgebühren“ sind vielen Pflichtmitglieder der Kammern schon lange ein Dorn im Auge. Fast 40 Millionen Euro kommen so allein in Hamburg im Jahr zusammen. Dem gegenüber stehen die Leistungen der Kammer etwa bei der Ausbildung.

Zuletzt war die Kammer den bislang machtlosen Kritikern, die in Hamburg seit Jahren Schlagzeilen machen, in mehreren Punkten entgegengekommen. Im Dezember 2016 reformierte sie ihre betriebliche Altersversorgung. Zuvor konnten Kammermitarbeiter in Einzelfällen im Alter höhere Bezüge erhalten als während ihrer aktiven Berufstätigkeit. Schon zuvor hatte die Kammer auf Druck der Rebellen das Gehalt ihres Hauptgeschäftsführers veröffentlicht. Doch Zahlen von bis zu 475.000 Euro im Jahr hatten die Kritik eher angestachelt als besänftigt.

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Den Mitgliedsunternehmern, die ihre Stimme abgegeben haben, reichten die Reformen offenbar nicht aus. Denn es gibt noch mehr Streitpunkte: In Hamburg macht die Kammer immer wieder durch politische Äußerungen von sich reden. Vor Gericht setzten sich die Rebellen bereits mit der Auffassung durch, dass die Kammer bei einem Volksentscheid über den Rückkauf von Stromnetzen keine Position hätte beziehen dürfen.


Schlag ins Gesicht des Hamburger Establishments

Kammer-Präses Fritz Horst Melsheimer war es auch, der in einer Rede den Anstoß für die am Volkswillen gescheiterte Olympia-Bewerbung der Stadt für 2024 gegeben hatte. Dennoch machte die Kammer auch in den vergangenen Monaten mit mehreren Vorstößen Schlagzeilen: Sie forderte im Monatsrhythmus erst den Bau den Bau einer Markthalle auf einer Grünfläche im Zentrum, dann einen Autotunnels quer durch die Innenstadt und schließlich die Planung eines großen neuen Bahnhofsviertels im Stadtteil Altona.
Melsheimer zeigte sich am Freitag in einer Erklärung zerknirscht: „Das Wahlergebnis ist eine große Enttäuschung für mich.“ Bei einer Abschaffung der Gebühren werde die Kammer zum Spielball ihrer Spender, warnte er. „Wichtige Kammerleistungen“ etwa bei der Integration von Flüchtlingen und bei der Ausbildungsförderung könnten wegfallen

Den neuen Präses dürften nun die Kammer-Rebellen stellen. Geschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz dürfte ebenfalls sein Amt verlieren. Sein Nachfolger dürfte deutlich weniger verdienen und muss wohl auf etliche der 280 Mitarbeiter verzichten – sowie auf prestigeträchtige Veranstaltungen im historischen Börsensaal und politische Vorstöße.
Der CDU Wirtschaftsrat forderte, das neue Kammer-Plenum müsse Reformen einleiten – beim Wahlsystem. Politiker von SPD und Grünen gratulierten den Siegern offen – schließlich hat die Kammer oft genug mit politischen Forderungen die Rathaus-Politik gestört. Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) sagte: „Das ist ein Ergebnis, mit dem ich nie gerechnet habe.“ Zuvor hatten sich auch prominente Hamburger Unternehmer wie der Versandhaus-Eigner Michael Otto auf die Seite der Kammer-Funktionäre geschlagen, mit denen sie seit Jahren zusammenarbeiten.

Das Misstrauensvotum gegen die Kammer wiegt umso schwerer, als die Wahlbeteiligung deutlich gestiegen ist. Ein Viertel aller 74 000 im Handelsregister eingetragenen Unternehmen beteiligten sich. Dabei war der Wahlkampf durchaus schmutzig. Unternehmer wie Otto hatten sich etwa diffamiert gefühlt, weil ein älteres Foto von ihnen bei einer umstrittenen teuren Handelskammer-Veranstaltung in historischen Kostümen in einem Flyer der Rebellen vorkam.

Die Warnungen der etablierten Hamburger Wirtschaftsvertreter, die Rebellen betrieben Populismus, verhallten ungehört. Das Votum bei einer der größten deutschen Kammern könnte nun Signalwirkung weit über Hamburg hinaus haben – schließlich sind die Kammergebühren in vielen Städten ein Thema. Direkte Auswirkungen dürften jedoch die Kammer-Mitarbeiter in Hamburg spüren: Ihre Jobs sind trotz Rentenkürzung nicht sicherer geworden. Im Gegenteil.