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Aufstand gegen Facebook: Politiker fordern Konsequenzen auch in Europa

Die Sperrung von Medien durch den US-Konzern in Australien verschärft die Debatte über strengere Regeln für Internetplattformen. Kanada plant ein ähnliches Gesetz wie Australien.

Der Streit über die Vergütung von Medieninhalten ist nicht neu. Foto: dpa
Der Streit über die Vergütung von Medieninhalten ist nicht neu. Foto: dpa

Als die Australier am Donnerstagmorgen zu ihrem Smartphone griffen, war das Internet nicht mehr so, wie sie es kannten: Facebook, das meistgenutzte soziale Netzwerk des Landes, hatte über Nacht sämtliche journalistischen Inhalte von seiner Plattform für australische Nutzer verbannt.

Betroffen sind sowohl inländische Medien wie die Zeitung „The Australian“, die zu Rupert Murdochs Medienkonzern News Corp. gehört, als auch internationale Publikationen wie die „New York Times“. „No posts yet“, war auf ihren Facebook-Seiten zu lesen.

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Mit der überraschenden Blockade journalistischer Inhalte reagierte Facebook auf ein Gesetzesvorhaben in Australien, das den Konzern dort zwingen soll, mehr von seinen Werbeeinnahmen mit Medienhäusern zu teilen, von deren journalistischen Inhalten Facebook profitiert. Mit „schwerem Herzen“ habe man sich deshalb entschieden, journalistische Inhalte in dem Land von Facebook zu entfernen, teilte das Unternehmen mit.

Die australische Regierung reagierte empört auf die Maßnahme des US-Konzerns. Facebook habe Australien die Freundschaft gekündigt, teilte Premierminister Scott Morrison mit – über einen Post auf seiner eigenen Facebook-Seite.

Er kritisierte, dass das Unternehmen bei seiner Aktion nicht nur Medieninhalte, sondern auch Einträge von Gesundheits- und Notfalldiensten gesperrt habe. Facebook benehme sich ebenso arrogant wie enttäuschend, beklagte der Regierungschef. „Diese Aktionen bestätigen nur die Sorge in einer zunehmenden Zahl an Ländern über das Verhalten von Big-Tech-Unternehmen, die glauben, dass für sie keine Regeln gelten sollen.“

Es gebe ein großes Interesse in der Welt an dem, was Australien macht, sagte Morrison. Er rief Facebook zum Entgegenkommen auf. "Denn sie wissen, was Australien hier unternimmt, wird wahrscheinlich auch in der Gesetzgebung vieler anderer westlicher Staaten folgen." Unterstützung für die australische Regierung kommt under anderem aus Europa und Kanada. Der kanadische Kulturminister Steven Guilbeault kritisierte Facebook scharf und betonte, dass sein Land sich nicht in die Knie zwingen lassen werde. Kanada bereitet ein ähnliches Gesetz wie Australien vor.

Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley, forderte auch hierzulande Konsequenzen. „Der Fall Australien zeigt, dass die Plattformen eine ungeheure Macht haben“, sagte die SPD-Politikerin dem Handelsblatt. Ein Großteil der Plattformeinnahmen komme durch trackingbasierte Werbung zustande. „Solche Werbealgorithmen offenzulegen und zu regulieren muss der kürzlich vorgelegte europäische Digital Services Act leisten.“

Hamburger Datenschützer: „Globales Alarmsignal“

Das Gesetz für digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) ist Teil eines umfassenden Digital-Pakets der EU-Kommission, mit dem die Marktmacht von Internetkonzernen wie Facebook, Google oder Amazon in der EU begrenzt werden soll. Barley betonte vor dem Hintergrund des Streits in Australien: „Der Zugang zu vertrauenswürdigen Informationen ist für eine Demokratie systemrelevant.“ Informationen zu recherchieren und zu verifizieren koste allerdings Geld. „An einem angemessenen Vergütungsausgleich zwischen Medien und Plattformen arbeiten wir in Europa seit Langem und müssen dies auch weiter tun.“


Außenminister Heiko Maas plädierte dafür, sich bei der Erarbeitung von Vorgaben für große Technologie-Unternehmen international abzustimmen, weil manche Konzerne so viel Macht hätten, dass sie Länder gegeneinander ausspielen und Druck ausüben könnten. „So weit darf es nicht kommen“, sagte der SPD-Politiker

Besorgt über die von Facebook verhängte Sperrung von Medien äußerte sich auch der Hamburger Datenschützer Johannes Caspar: „Die Haltung von Facebook zeigt eine erschreckende Bereitschaft, die Informations- und Marktmacht ohne Zögern zu firmeneigenen Zwecken zu instrumentalisieren“, sagte Caspar dem Handelsblatt. „Wenn ein Unternehmen, das bereits in der Vergangenheit für die Manipulation demokratischer Wahlen mitverantwortlich war, in einer derartigen Weise auf eine Gesetzesinitiative eines demokratischen Staats reagiert, muss dies global als Alarmsignal verstanden werden.“

Urheberrecht im Internet: Ein alter Streit entflammt neu

Der Streit über die Vergütung von Medieninhalten ist nicht neu. Die Geschäftsmodelle von Plattformunternehmen wie Google und Facebook bestehen darin, Inhalte aus dem Netz zu aggregieren. Sie argumentieren, dass die Medien davon stark profitieren, weil viele Nutzer etwa Nachrichten von Lokalzeitungen in einer anderen Region ohne Googles Suchmaschine und Facebooks soziales Netzwerk nie gefunden hätten.

Doch aus Sicht der Medienkonzerne stimmt das nur zum Teil: Einerseits reicht vielen Internetnutzern die Vorschau auf einen Artikel schon aus, und Google und Facebook haben einen starken Anreiz, ihre Nutzer gar nicht auf fremde Seiten weiterzuleiten. Sie sind schließlich werbefinanziert und profitieren nur von Internetnutzern, die sich weiter auf ihren Seiten aufhalten und dort Anzeigen sehen. Deshalb gibt es etwa in Deutschland eine anhaltende Diskussion darüber, ob und wie umfangreich die Plattformen Textauszüge zeigen dürfen und welche Vergütungsansprüche daraus entstehen.

Andererseits verlieren die Medien zunehmend die enge Beziehung zu Lesergruppen, wenn diese sich daran gewöhnen, ihren Nachrichtenbedarf über Google und Facebook zu stillen und nicht direkt zum Beispiel die Internetseite einer Zeitung anzusteuern. Dadurch werden die Medienhäuser immer abhängiger von den Plattformunternehmen.

„Die australische Initiative stärkt die Verhandlungsposition vor allem der großen Verlagshäuser gegenüber den Plattformen“, sagte Aline Blankertz, Projektleiterin Datenökonomie bei der Stiftung Neue Verantwortung, „Google und Facebook sehen darin einen Präzedenzfall auch für die Verhandlungen mit europäischen Verlagen.“

Deutsche Medienhäuser begrüßen denn auch das Vorgehen der australischen Regierung. „Australien hat eine Regierung, die sich klar und mutig zum Thema Urheberrecht verhält. Diese klare Haltung vermissen wir zurzeit noch in Europa und Deutschland“, sagte ein Sprecher des Münchener Medienhauses Burda. „Nach der Marktmacht spielen die Megaplattformen jetzt auch ihre politische Macht aus“, kommentierte Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), die Vorgänge. In Australien zeige Facebook sein wahres Gesicht.

Friedensangebot von Google an die Verlage

Als Reaktion auf die Debatte hat Google im vergangenen Jahr seinen Dienst Showcase gestartet. In den ersten drei Jahren will der US-Konzern nach eigenen Angaben rund 855 Millionen Euro als Lizenzgebühren an Verlage zahlen, die Inhalte für eine spezielle Nachrichtenseite von Google bereitstellen.

Zum Start im Oktober arbeitete Google bereits mit 20 deutschen Medien zusammen, darunter „Spiegel“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und auch das Handelsblatt. Der Start der Initiative erfolgte in Deutschland und Brasilien, auch weil in diesen Ländern der Protest der Medienhäuser und der Druck der politischen Debatte besonders groß war.

Ein ähnliches Projekt verfolgt Facebook mit dem News Tab, das in Kürze in Deutschland startet. In der Rubrik in dem Netzwerk sollen ausgewählte und kuratierte Nachrichten gezeigt werden, für die Facebook bezahlt. In einem Blogpost am Mittwochabend schrieb Facebook, der Gewinn durch Nachrichten sei für den Konzern minimal. „Nachrichten machen weniger als vier Prozent der Inhalte aus, die Menschen in ihrem News Feed sehen“, heißt es dort. Die News-Tab-Initiative zeigt aber, dass mediale Inhalte auf der Plattform strategisch wichtig sind, um Nutzer anzuziehen und zu halten.

Facebook und Co. haben Angst um ihr Geschäftsmodell

Eine Problematik bei den neuen Medienkooperationen: Die US-Konzerne wollen mit ihren Angeboten Nutzern kostenfreie Artikel zur Verfügung stellen und die Medien dazu bewegen, ihre Bezahlschranken auf den Plattformen zu entfernen. Das wiederum steht aber in Konflikt zu den Geschäftsmodellen der Verlage. Stellen die Leser fest, dass sie über Facebook kostenlos auf Inhalte zugreifen können, sind sie nicht mehr bereit, für die für die Verlage lebensnotwendigen Abogebühren zu zahlen.

In Brüssel wächst insbesondere im EU-Parlament der Unmut über das Verhalten von Big Tech: „Google und Facebook haben in Australien eine Grenze überschritten. Wir müssen im digitalen Bereich in Europa künftig sehr viel unabhängiger werden“, sagte der Europaabgeordnete und Digitalexperte Axel Voss (CDU) dem Handelsblatt. „Ich empfehle Australien, Facebook rauszuwerfen und zu überlegen, was man mit Europa in Zukunft machen kann.“

Ähnlich beurteilt auch Alexandra Geese, Europaabgeordnete und Digitalexpertin der Grünen, das Vorgehen von Facebook. „Der Fall in Australien zeigt, wie abhängig wir von diesen Unternehmen sind, wenn sie einen ganzen Kontinent erpressen können. Das darf nicht sein.“ Die EU könne sich von dem Mut der Australier eine Scheibe abschneiden.

Geese schlägt vor, den Hebel direkt an das Geschäftsmodell der Techkonzerne anzusetzen. „Denn all unsere persönlichen Daten werden von Google, Facebook und Co. abgesaugt, um Menschen mit passgenauen und polarisierenden Inhalten auf ihren Seiten zu halten. Die Einzigen, die davon profitieren, sind die Techkonzerne, weil sie für lange Verweilzeiten viel Werbegeld kassieren“, rügte die EU-Parlamentarierin.

Australien scheint jedenfalls fest entschlossen, den Internetgiganten weiterhin die Stirn zu bieten. Sein Land werde sich nicht von den Techkonzernen einschüchtern lassen, schrieb Premier Morrison. Sein Finanzminister Josh Frydenberg hatte zuvor persönlich mit Facebook-Chef Mark Zuckerberg über die Angelegenheit gesprochen – offensichtlich aber ohne Annäherung. Man habe vereinbart, die Gespräche fortzusetzen, hieß es lediglich.

Australien will Big Tech weiter die Stirn bieten

Das australische Gesetz, das speziell auf Google und Facebook abzielt, soll die Konzerne dazu zwingen, sich mit Medienhäusern über eine Vergütung für die Nutzung von deren Inhalten zu einigen. Das Unterhaus im Parlament stimmte dem Gesetz am Mittwochabend zu, eine Abstimmung im Senat wird in der kommenden Woche erwartet.


Im Gegensatz zu Facebook hatte Google in den vergangenen Tagen Nutzungsvereinbarungen mit Medienkonzernen abgeschlossen – unter anderem mit News Corp. für dessen globale Inhalte und mit dem australischen Medienhaus Nine Entertainment, zu dem unter anderem die Wirtschaftszeitung „Australian Financial Review“ gehört. Zuvor hatte Google noch gedroht, man werde seinen Suchdienst in Australien einstellen, sollte das neue Bezahlmodell Gesetz werden.

Mit Blick auf die Maßnahmen von Facebook kritisierte ein Sprecher von Nine Entertainment, der Konzern belege damit einmal mehr sein unverschämtes Verhalten in einer Monopolposition. Regierungsvertreter warnten zudem davor, dass mit dem Aussperren von Qualitätsmedien auf Facebook künftig Fake News dominieren könnten.

Für zusätzliche Kritik sorgte, dass Facebook neben den Medieninhalten vorübergehend auch Behördenankündigungen sowie Veröffentlichungen von Aktivisten und Kleinunternehmen vom Netz nahm. Teilweise handele es sich dabei um Versehen, die korrigiert würden, teilte Facebooks Asien-Pazifik-Lobbyist Simon Milner mit. In einigen Fällen liege die Sperre aber auch an der „breiten und vagen Definition“ von Medien durch Australiens Gesetzgeber – einer Definition, die Facebook seit Längerem kritisiert habe.