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Atomkonzerne können auf Milliarden hoffen

Die von 2011 bis 2016 kassierte Brennelementesteuer ist laut Verfassungsgericht unvereinbar mit dem Grundgesetz. Die Atomkonzerne Eon, RWE und EnBW hoffen jetzt auf Rückerstattungen in Milliardenhöhe – plus Zinsen.

Die finanziell angeschlagenen Energiekonzerne Eon, RWE und EnBW können mit einer Entlastung im Milliardenhöhe rechnen. Nach jahrelangem Kampf gegen die Atomsteuer errangen sie am Mittwoch vor dem Bundesverfassungsgericht einen Sieg. Die Verfassungsrichter bezeichneten das Kernbrennstoffsteuergesetz als „mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig“.

Die Brennelementesteuer wurde sechs Jahre lang erhoben – von 2011 bis 2016 – und brachte dem Bundeshaushalt 6,3 Milliarden Euro ein. Auf die Rückzahlung dieser Summe können die Konzerne jetzt hoffen – zuzüglich Zinsen.

Nach der Verkündung des Urteils schossen Aktien von RWE um 6,3 Prozent auf 19,70 Euro in die Höhe. Damit notierten sie so hoch wie seit knapp zwei Jahren nicht mehr. Eon-Papiere legten 5,6 Prozent auf ein Zehn-Monatshoch von 8,50 Euro zu. Beide Titel kletterten bei hohen Handelsumsätzen an die Dax-Spitze, nachdem sie zuvor noch zu den größten Verlierern gezählt hatten.

Das Kernbrennstoffsteuergesetz war 2010 beschlossen worden, um zum einen den Haushalt zu konsolidieren und zum anderen die Sanierung des maroden Atomlagers Asse zu finanzieren. Die Steuer wurde bei jedem Brennelementewechsel fällig. Jedes Mal, wenn ein neues Brennelement in einem Kernkraftwerk eingesetzt wurde, waren je Gramm 145 Euro fällig. In der Folge konnte sich Finanzminister Wolfgang Schäuble über eine „schwarze Null“, also den ersten ausgeglichenen Haushalt ohne neue Schulden seit 1969 freuen.

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Die Energiekonzerne waren durch alle Instanzen gegen die Steuer vorgegangen. Sie sahen zum einen Verstöße gegen das Grundgesetz als auch gegen das Europarecht. Letzteres wies der Europäische Gerichtshof im Jahr 2015 zurück. Damals gerieten die Aktien der Versorger gehörig unter Druck.

In Deutschland hatten die Konzerne vor Finanzgerichten dagegen zunächst teilweise Erfolg. Anfang 2013 hatte das Finanzgericht Hamburg die Frage, ob das Kernbrennstoffsteuergesetz mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Die Energiekonzerne waren aber selbst nach der Niederlage vor dem EuGH zuversichtlich.

Zu Recht: Der Bund habe nicht die Gesetzgebungskompetenz für die Brennelementsteuer gehabt, urteilten die Verfassungsrichter. Die Atomsteuer entspreche entgegen der Klassifizierung des Bundes nicht einer Verbrauchssteuer, zu deren Beschluss der Bund befugt gewesen wäre. Die Entscheidung fiel dabei im Ergebnis zwar einstimmig. Bei der Begründung waren sich die Richter aber uneins.

In der Entscheidung hieß es, Verbrauchsteuern seien im Regelfall indirekte Steuern. Sie würden zwar auf der Ebene des Verteilers oder Herstellers des verbrauchsteuerbaren Gutes erhoben. Aber die Steuer sei auf eine „Abwälzung auf den Endverbraucher angelegt“, mit der Folge, dass die Unternehmer als Steuerschuldner von der Steuerlast wirtschaftlich ent- und die privaten Verbraucher als Steuerträger wirtschaftlich belastet würden. „Verbrauchsteuern sollen die in der Einkommens- und Vermögensverwendung zu Tage tretende steuerliche Leistungsfähigkeit des Endverbrauchers abschöpfen“, hieß es.


Eon kann mit der größten Rückzahlung rechnen

Die Steuer war 2010 beschlossen worden, als im Gegenzug die Laufzeiten der Reaktoren verlängert worden waren. Als es weniger später im März 2011 im japanischen Fukushima zum Gau kam, wurde zwar die Laufzeitverlängerung wieder rückgängig gemacht, der Bund hielt aber an der Steuer fest.

Insgesamt fiel aber weniger Brennelementesteuer als erwartet an. Der Bund hatte mit rund 2,3 Milliarden Euro pro Jahr gerechnet. Tatsächlich nahm er zwischen 422 Millionen Euro im vergangenen Jahr und knapp 1,6 Milliarden Euro im Jahr 2012 ein. Das lag zum einen daran, dass nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 acht der damals 17 Reaktoren unmittelbar vom Netz mussten. Zum anderen zögerten die Betreiber zuletzt mit dem Wechsel der Brennelemente bis zum Auslaufen der Steuer.

Eon hatte am meisten zurückgefordert und kann jetzt mit der größten Rückzahlung rechnen. Der Energiekonzern zahlte nach eigenen Angaben rund 2,85 Milliarden Euro. Zusätzlich erwarte man, dass Zinsen in Höhe von rund 450 Millionen Euro erstattet würden. Das Unternehmen werde das Geld zur Schuldentilgung und Stärkung der Bilanz einsetzen.

RWE geht von der kompletten Rückerstattung seiner seit 2011 gezahlten Kernbrennstoffsteuer von 1,7 Milliarden Euro aus, wie das Unternehmen erklärte. Zur Verwendung des Geldes gebe es noch keinen Beschluss. EnBW hatte nach Unternehmensangaben 1,44 Milliarden Euro an Steuer bezahlt. Die Kraftwerke mit Beteiligungen des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall, Brunsbüttel und Krümmel, sind seit 2011 vom Netz und deshalb nicht betroffen.

Die Konzerne waren so zuversichtlich, dass sie Ende vergangenen Jahres bei den Verhandlungen über den neuen Atomfonds zwar mehrere Klagen fallen ließen, aber ausdrücklich die Klagen gegen die Brennelementesteuer aufrechterhielten.

Mit dem Urteil ist jetzt aber einer der letzten Streitpunkte im Jahrzehnte langen Kampf um die Kernenergie geklärt. Im vergangenen Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerden der Konzerne gegen den beschleunigten Atomausstieg an sich zurückgewiesen. Dann einigten sich die Konzerne mit der Bundesregierung auf die Neuregelung der Finanzierung des Atomausstiegs. Dabei übertragen die Konzerne die Verantwortung für Zwischen- und Endlagerung des Atommülls auf einen öffentlich-rechtlichen Fonds.

Endgültig beendet ist der Streit aber noch nicht. In den USA ist vor einem Schiedsgericht noch eine Klage von Vattenfall anhängig.

KONTEXT

Die deutschen Atomkraftwerke und ihre Restlaufzeiten

Schrittweiser Automausstieg

Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 nahm die Bundesregierung ihre erst ein Jahr zuvor vereinbarte Laufzeitverlängerung für die Kernkraftwerke zurück und beschloss einen schrittweisen Atomausstieg. Statt frühestens 2036 soll nun der letzte Meiler bis 2022 vom Netz gehen. Acht AKW wurden 2011 sofort stillgelegt.

Rückbau

Der Rückbau wird Jahre dauern und Milliarden kosten - hinzu kommen die ungewissen Kosten bei der Endlagerung des Atommülls. Die Restlaufzeiten der noch in Betrieb befindlichen Reaktoren:

Neckarwestheim II (Baden-Württemberg)

Haupteigentümer: EnBW

Nennleistung in Megawatt: 1395

Restlaufzeit: fünf Jahre (1989 - 2022)

Philippsburg II (Baden-Württemberg)

Haupteigentümer: EnBW

Nennleistung in Megawatt: 1458

Restlaufzeit: zwei Jahre (1984 - 2019)

Isar II (Bayern)

Haupteigentümer: Eon

Nennleistung in Megawatt: 1475

Restlaufzeit: fünf Jahre (1988 - 2022)

Gundremmingen B (Bayern)

Haupteigentümer: RWE/Eon

Nennleistung in Megawatt: 1344

Restlaufzeit: bis Ende des Jahres (1984 - 2017)

Gundremmingen C (Bayern)

Haupteigentümer: RWE/Eon

Nennleistung in Megawatt: 1344

Restlaufzeit: vier Jahre (1984 - 2021)

Grohnde (Niedersachsen)

Haupteigentümer: Eon

Nennleistung in Megawatt: 1360

Restlaufzeit: vier Jahre (1984 - 2021)

Emsland (Niedersachsen)

Haupteigentümer: RWE/Eon

Nennleistung in Megawatt: 1400

Restlaufzeit: fünf Jahre (1988 - 2022)

Brokdorf (Schleswig-Holstein)

Haupteigentümer: Eon/Vattenfall

Nennleistung in Megawatt: 1440

Restlaufzeit: vier Jahre (1986 - 2021)

KONTEXT

Deutschlands größte Energieversorger

Vattenfall

Umsatz 2016: 9,3 Milliarden Euro

Die hundertprozentige Tochter des staatlichen schwedischen Energiekonzerns Vattenfall AB ging 2002 aus der Fusion der HEW und der Vereinigte Energiewerke AG sowie dem Bergbauunternehmen Lausitzer Braunkohle AG hervor, zu der Anfang 2003 die Berliner Bewag hinzu kam. Vattenfall betreibt in Deutschland die Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel. Wie auch die übrigen Top-Vier-versorger in Deutschland musste der Konzern 2016 einen Umsatzrückgang hinnehmen.

EnBW

Umsatz 2016: 19,4 Milliarden Euro

Die Energie Baden-Württemberg AG erwirtschaftete noch 2010 mehr als die Hälfte ihres Gewinns aus dem Betrieb der vier konzerneigenen Kernkraftwerke Neckarwestheim eins und zwei, sowie Philippsburg eins und zwei. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima wurden die Werke Neckarwestheim eins und Philippsburg eins im Rahmen des Atom-Moratoriums 2011 stillgelegt. Der Anteil erneuerbarer Energieträger am EnBW-Energiemix soll bis 2020 von 12 auf 40 Prozent erhöht werden

Eon

Umsatz 2016: 21,8 Milliarden Euro

Der Energiekonzern Eon vollzog 2016 eine radikale Aufspaltung: Das traditionelle Energiegeschäft bestehend aus konventioneller Erzeugung (einschließlich Wasserkraft, ohne Kernenergie), globalem Energiehandel und dem Russland-Geschäft wurde in die eigenständige Gesellschaft Uniper ausgelagert. Eon will sich mit den verbliebenen Sparten erneuerbare Energien, Vertrieb und Netze komplett auf den Energiemarkt der Zukunft ausrichten.

RWE

Umsatz 2016: 25 Milliarden Euro

Den umgekehrten Weg zu Eon ging ebenfalls 2016 RWE. Der Energiekonzern überführte nicht das traditionelle, sondern das Zukunftsgeschäft in eine neu gegründete Tochtergesellschaft mit Namen Innogy und brachte diese an die Börse. Im Zuge des Atom-Moratoriums wurden 2011 die RWE-Reaktoren Biblis A und B durch die Bundesnetzagentur stillgelegt.