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Argentinien droht die ewige Schuldenkrise

Das südamerikanische Land ist hochverschuldet und schlittert auf eine Staatspleite zu. Argentinien kann seine Kredite nicht zurückzahlen – und pokert mit Banken, Fonds und Investoren.

Argentinien muss mit seinen Gläubigern einen Kompromiss über den Schuldendienst aushandeln. Foto: dpa
Argentinien muss mit seinen Gläubigern einen Kompromiss über den Schuldendienst aushandeln. Foto: dpa

„Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“ – gerade erlebt Argentinien die bittere Wahrheit dieses irrtümlich Mark Twain zugeschriebenen Zitats. Wie vor fünf Jahren geht es um Kredite, die Argentinien nicht zurückzahlen kann – oder will.

Erneut steht der Ökonom Axel Kicillof im Zentrum des Geschehens. Der linke Starökonom Argentiniens treibt die Gläubiger mit seinem selbstbewussten Auftreten vor sich her – jetzt als Gouverneur, vor fünf Jahren als Wirtschaftsminister der Regierung von Cristina Kirchner. Kein Zweifel: Der inzwischen 48-Jährige mit den blauen Augen und den kräftigen Koteletten genießt es sichtlich, erneut mit den Banken, Fonds und Investoren zu pokern.

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Seit sechs Wochen ist Kicillof Gouverneur der Provinz Buenos Aires und bekleidet damit eines der wichtigsten Regierungsämter in der argentinischen Politik. In der Provinz um die Hauptstadt lebt ein Drittel der Argentinier, dort sitzen rund 60 Prozent der Industrie des Landes. Hier hat Kicillof einen deutlichen Wahlsieg eingefahren. Aus dieser Position der Stärke meldete er sich letzte Woche erstmals zum Thema Schulden zu Wort.

Seit vergangenem Sonntag sind die Zinszahlungen auf Dollar-Anleihen der Provinz in Höhe von 250 Millionen Dollar fällig. Er würde den Termin gerne auf den 1. Mai verschieben, erklärte Kiciloff den Gläubigern vergangene Woche.

Dann wären die Schuldenverhandlungen Argentiniens vermutlich bereits unter Dach und Fach und die Schuldenfrage der Provinz einfacher zu lösen. Doch er konnte nicht die notwendigen 75 Prozent der Gläubiger von seinem Vorschlag überzeugen.

Kritische Gläubiger

Auch wenn es Kicillof nun die Frist bis Ende Januar verlängerte, ist es unwahrscheinlich, dass sich die Gläubiger auf den Deal einlassen. Warum sollten sie? Nach einer Analyse des argentinischen Finanzdienstleisters Invecq war der Haushalt der Provinz nach einem strengen Sparprogramm von Kicillofs Vorgängerin Ende 2019 ausgeglichen.

„Es ist schwer, von den Gläubigern guten Willen einzufordern, wenn man das als Schuldner selbst nicht macht“, sagt der Ökonom Fausto Spotorno. Er zeige doch seinen guten Willen mit der Fristverlängerung, rechtfertigt sich Kicillof. Was er nach dem 1. Mai zahlen will oder kann – dazu sagt er nichts.

Doch nun tickt die Uhr: Bis zum 5. Februar kann der Gouverneur noch die Zahlung anweisen, ohne einen Default auszulösen, also einen neuerlichen Zahlungsausfall für die Staatsschulden. Weil die Provinz bereits die Tilgung auf einige Bonds in Peso versäumt hat, haben die Ratingagenturen Fitch und Standard & Poor’s das Gütesiegel für die Provinz Buenos Aires bereits auf „selective default“, also teilweisen Zahlungsausfall herabgestuft.

Die argentinische Regierung von Alberto Fernández bringt Kicillofs Alleingang gehörig unter Druck. Als der Präsident am 10. Dezember nach einem klaren Sieg gegen den wirtschaftsliberalen Vorgänger Mauricio Macri sein Amt antrat, war klar, dass die Schuldenfrage seine Politik die nächsten Monate, möglicherweise gar Jahre seiner Amtszeit bestimmen würde. Rund 100 Milliarden Dollar Schulden hat Vorgänger Macri in seiner Amtszeit gemacht. Mit 44 Milliarden Dollar steht Argentinien allein beim Internationalen Währungsfonds (IWF) in der Kreide.

Der Fonds hatte Argentinien Mitte 2018 mit dem größten Kredit seiner Geschichte aus einer drohenden Zahlungskrise gerettet. Die Investoren hatten Argentinien wegen seines hohen Haushaltsdefizits plötzlich als Wackelkandidaten eingestuft und ihre Gelder abgezogen. Vor allem auch die Argentinier selbst tauschten ihre Peso in Dollar. Argentinien, das unter Macri zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg war, wieder zu wachsen, stürzte ab und konnte nur mit dem Kredit aus Washington gerettet werden.

Doch wie Alberto Fernández das Schuldenproblem lösen will, das ist noch völlig offen. Im Wahlkampf erklärte er, dass die Wirtschaft erst einmal wachsen müsse, bevor Argentinien seine Schulden begleichen könne. „Wir wollen zahlen“, betont Fernández, „aber später.“

Doch selbst das ist nicht einfach: Seit nun neun Jahren stagniert oder schrumpft die Wirtschaft des Pampalandes. Die Inflation beträgt 55 Prozent. Der Peso hat seit einem Jahr rund zwei Drittel seines Werts gegenüber dem Dollar eingebüßt. Das ist schmerzhaft, denn der größte Teil der Auslandsschulden lautet auf die US-Währung.

Weil die Wirtschaft schrumpft und die Dollar-Verbindlichkeiten in Peso steigen, ist die Verschuldung Argentiniens auf 93 Prozent seiner Wirtschaftsleistung (BIP) gestiegen. Betrachte man nur die Dollar-Schuld im Ausland, dann betrage die Verschuldung nur rund 50 Prozent des BIP, schätzt der einflussreiche Kommentator Joaquín Solá – sie sei also nicht alarmierend hoch.

Trotz dieser Beschwichtigung sind Investoren von Argentiniens Zahlungsfähigkeit oder -bereitschaft nicht besonders überzeugt: Die meisten Anleihen Argentiniens sind auf den Zweitmärkten weniger als die Hälfte ihres Nominalbetrags wert. Die Risikoaufschläge auf argentinische Kredite liegen 20 Prozentpunkte über den Zinsen, die Investoren für US-Anliehen verlangen.

Eingefrorene Preise

Dennoch ist die Lage nicht hoffnungslos: Alberto Fernández hat den fiskalischen Konsolidierungskurs Macris fortgesetzt, den dieser noch mit dem IWF vereinbart hatte. Wo Macri vor allem Ausgaben strich, hat Fernández nun die Einnahmen erhöht: Die Agrarexporte Argentiniens – vor allem Soja, Mais und Weizen – werden mit bis zu 30 Prozent besteuert.

Die Preise für Strom, Gas, Transport sowie die Renten sind eingefroren. Um rund ein Prozent könnte die Regierung damit das Haushaltsdefizit verringern. Die Investmentbank JP Morgan erwartet deshalb, dass Argentinien in Kürze einen ausgeglichenen Primärhaushalt vorweisen kann.

Die Staatseinnahmen ohne neue Kredite wären dann höher als die Ausgaben abzüglich der Kreditzinsen. Ein positiver Primärhaushalt ist der entscheidende Indikator für die Gläubiger, ob Argentinien zahlungsfähig bleiben wird. „Es ist überraschend und positiv, dass Alberto Fernández den Konsolidierungskurs im Haushalt fortgesetzt hat“, lobt Daniel Artana, Chefökonom des Wirtschaftsforschungsinstituts Fiel. „Entscheidend ist nun, dass er einen glaubwürdigen Plan vorlegt, mit dem der Primärüberschuss beibehalten wird.“

Doch genau das ist das Problem. Der neue Wirtschaftsminister Martín Guzmán ist ein Experte für Schuldenverhandlungen, der lange in den USA studiert hat – unter anderem beim renommierten Volkswirt Joseph Stiglitz. Der unterstützte seinen Schüler nun, indem er in Davos für die Umschuldung Argentiniens einen deutlichen Abschlag („haircut“) bei Zins und Tilgung forderte: „Alles andere wäre Fantasie.“

Doch bislang hat Guzmán nicht angedeutet, wie er die Schulden umstrukturieren will. Dabei wird die Zeit knapp. Im März stehen erste größere Zinszahlungen der Republik an, im Mai kommen weitere hohe Rückzahlungen dazu. Bis zum 31. März will die Regierung eine Umschuldung mit den Gläubigern ausgehandelt haben, um zu vermeiden, wieder zahlungsunfähig zu werden.

Zahlungsstopp für ein Jahr

In Buenos Aires gelten Schätzungen als plausibel, wonach Argentinien ein Jahr Zahlungsstopp aushandeln will, dazu einen Abschlag auf die Schuld von 20 Prozent und eine Reduzierung der Zinsen um die Hälfte. In der Niedrigzinswelt auf den Weltfinanzmärkten scheinen die rund zehn Prozent Zins, welche die Gläubiger auf die Bonds der Provinz Buenos Aires im Jahr bekommen, sehr hoch. Die Regierung hoffe deswegen, dass sie eine Zinsreduzierung um 50 Prozent durchsetzen könne, schätzt Solá.

Doch jetzt durchkreuzt Kicillof mit seinen Forderungen aus der Provinz die Verhandlungen, die Gúzman mit privaten und öffentlichen Gläubigern wie dem IWF führt. Stoppt die Provinz die Zahlungen, dann wird es auch für Argentinien insgesamt komplizierter, einen Default zu vermeiden, heißt es bei Invecq.

Hinter Kicillofs Vorstoß steckt möglicherweise auch ein politischer Konflikt: Der Gouverneur gilt als engster Vertrauter von Cristina Kirchner, die jetzt zur Vizepräsidentin gewählt wurde. Sie stützt ihre Macht vor allem auf „La Campora“, die linke Jugendorganisation der Peronisten, die ihr Sohn anführt, in der aber auch Kicillof politisch seine Heimat hat. Ein aggressiver Kurs gegenüber den Gläubigern ist nicht nur bei den linken Jungperonisten, sondern bei vielen Argentiniern populär. So wie es Kicillof bereits einmal vor fünf Jahren vorexerziert hat.

Da raubte er den nordamerikanischen Hedgefonds den letzten Nerv mit seinem Katz-und-Maus-Spiel. Dabei waren seine Hauptgegner hartgesottene Investoren wie Paul Singer und sein Hedgefonds Elliott. Gegen Argentinien hatte sich Singer in die höchste Instanz der US-Justiz hochgeklagt.

Der Investor hatte in den Jahren zuvor argentinische Schuldtitel billig am Kapitalmarkt aufgekauft, für die er zu 100 Prozent entschädigt werden wollte – anders als die meisten Gläubiger, die vor 15 Jahren der ersten Umschuldung Argentiniens zustimmten und am Ende Abschläge von bis zu 70 Prozent akzeptierten. Singer und Co. wurden in Argentinien als Geierfonds beschimpft.

Während 2014 in Brasilien die Fußballweltmeisterschaft stattfand, jettete Kicillof und sein junges Team ständig zwischen New York und Buenos Aires hin und her. Bis zum letzten Augenblick ließ der damalige Minister offen, ob er die Schulden begleichen würde. Als Argentinien schließlich nicht zahlte und isoliert von den Finanzmärkten schließlich in eine schwere Wirtschaftskrise abrutschte – da dauerte es nicht lange, bis Kicillof und seine damalige Chefin, Präsidentin Kirchner abgewählt wurden.

Singer und andere Fonds wurden vom wirtschaftsliberalen Nachfolger Mauricio Macri nur wenige Monate nach dessen Amtsantritt vollständig entschädigt – sogar die hohen Anwaltskosten musste Argentinien übernehmen. Doch Kicillof hat das genauso wenig geschadet wie Christina Kirchner. Beide wurden wiedergewählt und sind bereit für eine neue Runde im Kräftemessen mit den Gläubigern.