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Die Angst der Banken vor dem No-Deal-Brexit

Die europäische Finanzbranche fürchtet einen harten Bruch zwischen Großbritannien und der EU. Für die Banken sind viele Fragen weiter ungeklärt. Die Übersicht.

Wieder einmal erweist sich ein Ultimatum von Boris Johnson als Bluff. Wenn man sich bis zum 15. Oktober nicht auf ein Freihandelsabkommen mit der EU einigen könne, solle man die Gespräche abbrechen, hatte der britische Premierminister noch im September erklärt.

Nun will er doch noch weiter verhandeln. Allerdings naht auch die von der EU gesetzte Frist: Spätestens Ende Oktober soll ein unterschriftsreifes Abkommen vorliegen, damit es noch rechtzeitig ratifiziert werden kann. Denn am 31. Dezember verlässt Großbritannien den Europäischen Binnenmarkt und die Zollunion – mit oder ohne Deal.

Eine Branche bereitet sich bereits seit Jahren auf den Tag X vor: die Finanzwelt. Sie hat früh mit dem Schlimmsten gerechnet und durch den Aufbau von EU-Einheiten, die Verlagerung von Jobs und Assets vorgesorgt.

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Doch die Flucht aus der City of London könnte sich je nach Ausgestaltung der künftigen Beziehung weiter beschleunigen. Ein Überblick über den Status quo und die wichtigsten offenen Fragen:

1. Mit welchem Brexit-Szenario rechnen die Banken?

In Frankfurt rechnet die Mehrheit der Entscheider mit einem Scheitern der Freihandelsgespräche. In dem Fall gelten ab Januar die höheren Zölle der Welthandelsorganisation WTO und weitere Hürden im Handel über den Ärmelkanal.

Heinz Hilger, Deutschlandchef der britischen Großbank Standard Startered, hält diesen harten Bruch für das wahrscheinlichste Szenario: „Die einzig verbleibende Resthoffnung nährt sich aus dem Blick in die Vergangenheit, weil wir ja schon mehrmals vor der Situation eines harten Brexits standen, der dann jeweils kurzfristig abgewendet wurde. Allerdings fehlen hierfür in dieser Situation die gesetzlichen Grundlagen.“

Auch der Verband der Auslandsbanken in Frankfurt hält den ungeordneten Brexit für „leider sehr wahrscheinlich“: „Unsere Mitglieder bereiten sich dementsprechend darauf vor.“

2. Was würde ein No-Deal für die Banken bedeuten?

Die britische Regierung hat sich frühzeitig entschieden, den Finanzsektor in den Handelsgesprächen weitgehend auszuklammern, weil sie in Zukunft von den EU-Regeln abweichen will. Das Abkommen dreht sich vor allem um den Güterhandel. Deshalb macht es für die Banken keinen großen Unterschied, ob es nun einen Deal gibt oder nicht.

„Die Finanzbranche wird so oder so stark betroffen sein vom Brexit“, sagt Tobias Vogel, Chef des europäischen Investmentbankings der Schweizer Großbank UBS. „Selbst wenn es beim Freihandel noch eine Einigung gibt, wäre es sehr ungewöhnlich im Vergleich mit anderen Freihandelsabkommen, wenn diese auch Finanzdienstleistungen mit einbezieht.“

Es bleibt jedoch eine Restunsicherheit, welche Folgen ein No-Deal hätte. Die Commerzbank etwa befürchtet „Verwerfungen“ an den Kapitalmärkten. Diese würden vor allem EU-Banken treffen: „Wir hoffen auf eine politische Einigung, die Finanzinstituten aus der EU auch weiterhin Geschäfte an den britischen Märkten erlaubt.“

3. Was ändert sich zum Jahreswechsel?

Egal ob Deal oder kein Deal: Im Januar verlieren alle in London ansässigen Finanzdienstleister ihre „Passporting-Rechte“, die ihnen Geschäfte in der ganzen EU erlauben. Künftig gilt für sie das Äquivalenzregime der EU für Drittstaaten. Das bedeutet, dass Brüssel das britische Regelwerk in bis zu 40 verschiedenen Finanzbereichen erst als gleichwertig anerkennen muss, bevor britische Firmen ihre EU-Kunden aus London heraus bedienen können.

Die Londoner City hofft, dass die Äquivalenz-Entscheidungen möglichst schnell getroffen werden, sobald das Freihandelsabkommen vereinbart ist. Sollte es scheitern, wird befürchtet, dass sich der Genehmigungsprozess der EU in die Länge ziehen wird. Die EU-Kommission hat bereits signalisiert, dass beispielsweise Investmentfirmen erst Mitte 2021 mit einer Äquivalenzentscheidung rechnen können.

4. Wo gibt es bereits Erleichterungen?

Gute Nachrichten gab es zuletzt für die Londoner Clearing-Häuser: Die EU-Kommission genehmigte ihnen den Binnenmarktzugang für weitere 18 Monate ab Januar. In dieser Übergangszeit sollen europäische Marktteilnehmer ihre Abhängigkeit von den britischen Häusern verringern und Clearing-Häuser in der EU eigene Kapazitäten aufbauen.

Clearinghäuser kümmern sich um die Abrechnung und Abwicklung von Wertpapiergeschäften und stehen zwischen Verkäufer und Käufer. Sie sind einem hohen Risiko ausgesetzt, falls eine Partei im Handel ausfällt und gelten deshalb als riskant für das Finanzsystem. Aufsichtsbehörden überwachen solche Clearing-Häuser deshalb genau und drängen darauf, dass die Wertpapierabwicklung mit EU-Kunden auch innerhalb der EU erfolgen muss.

Die LCH, eine Tochter der Londoner Börse LSE, dominiert die Abwicklung von auf Euro lautenden Finanzderivaten. Die Deutsche Börse hofft darauf, dass sie der Rivalin einen Großteil des Geschäfts abjagen kann. Aktuell kommt die Deutsche-Börse-Tochter Eurex nach eigenen Angaben im Euro-Clearing auf einen Marktanteil von 19 Prozent.

5. Wie geht es beim Thema Clearing weiter?

Brüssel arbeitet bereits an einem „Plan B“ für Wertpapierabwickler nach dem Brexit: Sollte es während der 18-monatigen Übergangsfrist Probleme geben, müsse eine Übertragung der Clearing-Aufgaben an Institute innerhalb der EU möglich sein, erklärte die Europäische Aufsichtsbehörde ESMA am Mittwoch.

„Mit unserem Plan A wollen wir die globalen Kapitalmärkte unterstützen, aber wir brauchen einen Plan B und müssen uns auf diesen berufen können, wenn eine Clearingstelle systemrelevant ist oder wenn die Zusammenarbeit nicht wie erwartet funktioniert“, sagte ESMA-Chef Steven Maijoor zu Reuters.

6. Müssen sich europäische Kunden auf Probleme einstellen?

Die großen Banken und Fondsgesellschaften beruhigen: Unterbrechungen bei Geschäften und Zahlungsströmen seien nicht zu erwarten. Alle haben EU-Töchter gegründet, um ihre EU-Kunden weiter bedienen zu können.

„Wir glauben, wir sind für einen ‚harten‘ Brexit gut positioniert und können unsere Kunden im ganzen Brexit-Prozess unterstützen“, heißt es etwa von der größten britischen Bank HSBC. „Die Banken mussten sich längst auf den Worst Case einstellen, einen No-Deal-Brexit“, sagt auch UBS-Vorstand Vogel. „Sollte dieser am Ende tatsächlich kommen, trifft er die Branche nicht unvorbereitet.“

„Allerdings gibt es bei der Umsetzung noch eine ganze Reihe von praktischen Fragen zu klären, nicht alle aufsichtsrechtlichen Anforderungen scheinen bislang im Detail klar zu sein“, mahnt der Verband der Auslandsbanken in Frankfurt.

7. Wie laufen die Jobverlagerungen?

Die meisten Banken haben Frankfurt als neue Europazentrale gewählt. Auch Paris und Amsterdam erlebten deutliche Zuwächse, die Fondsbranche konzentriert sich in Dublin und Luxemburg.

Laut dem Beratungshaus EY wurden bisher 7500 Arbeitsplätze und Kundengelder in Höhe von 1,2 Billionen Pfund aus Großbritannien in die EU verlagert. EY rechnet damit, dass sich der Prozess zum Jahresende hin noch beschleunigt, wenn Finanzfirmen ihre Brexit-Pläne umsetzen.

Viele Banken lassen sich nicht in die Karten schauen, wie viele Mitarbeiter genau verlagert werden. Die Schweizer UBS hat mit der Stärkung der Europa-Einheit in Frankfurt bereits eine niedrige dreistellige Zahl an Mitarbeitern verlagert. Zuletzt hatte die US-Bank JP Morgan 200 Milliarden Euro an Vermögenswerten von London nach Frankfurt transferiert.

8. Was ändert sich für die City of London?

Die britischen Banken richten sich darauf ein, einen Teil ihres EU-Geschäfts zu verlieren. So haben die Großbanken Lloyds und Barclays bereits Zehntausende Kunden in der EU darüber benachrichtigt, dass ihre Konten und Kreditkarten bis zum Jahresende geschlossen werden. Um sie fortzuführen, müssten die Banken bis zu 27 nationale Lizenzen in den einzelnen EU-Ländern beantragen. Das ist ihnen zu teuer.

Auch manche Londoner Fondsmanager bangen um ihr Geschäftsmodell: Sollte die EU-Kommission es künftig nicht mehr zulassen, dass sie ihre EU-Fonds aus London heraus verwalten, müssten sie nach Luxemburg oder Dublin ziehen – oder auf das Geschäft verzichten.

Große Sorgen haben auch die Anwälte, Unternehmensberater und Wirtschaftsprüfer, die eng mit der Finanzbranche verwoben sind. Sie hoffen noch darauf, dass sie im Freihandelsabkommen berücksichtigt werden und auch künftig einigermaßen reibungslosen Zugang zum Binnenmarkt haben. Sonst drohe eine Verlagerung wirtschaftlicher Aktivität aus dem Königreich, warnte das britische Oberhaus in dieser Woche.

Die Uhr tickt. „Wir haben sehr klare Vorstellungen darüber, was zwischen heute und dem Jahresende noch getan werden muss“, sagt Standard-Chartered-Deutschlandchef Hilger. „Vieles hängt allerdings noch an der Mitwirkung eines Teils unserer Kunden, ohne die wir die letzten Schritte nicht gehen können.“