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Angriff auf die Sparer – Euro-Gruppen-Chef treibt EU-Einlagensicherung voran

Mehr Tempo bei der europäischen Einlagensicherung, Negativzinsen und Finanztransaktionssteuer: Der Stress für die deutschen Sparer nimmt zu.

Sieben Jahre lang blieb die europäische Bankenunion unvollendet. So lange schon blockiert Deutschland die europäische Einlagensicherung. Die dritte Säule der Bankenunion wurde damit zum Tabuthema. Der Vorsitzende der Euro-Gruppe, Mario Centeno, will das jetzt ändern.

Die politischen Verhandlungen über das sogenannte European Deposit Insurance Scheme (Edis) sollten kommendes Jahr beginnen, kündigte Centeno im Gespräch mit dem Handelsblatt an. „Genau das ist unser Ziel.“

Die Euro-Gruppe wolle im Dezember einen konkreten Fahrplan für die Verhandlungen beschließen. Danach solle die EU-Kommission neue Gesetzesvorschläge vorlegen, und zwar sowohl zu Edis als auch zum Abbau von Risiken in den Bankenbilanzen.

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Mit seiner Initiative reagiert Centeno auf einen Vorstoß des Bundesfinanzministers Olaf Scholz (SPD), der seinen Widerstand gegen die europäische Einlagensicherung überraschend aufgegeben hat – allerdings ohne Zustimmung des Koalitionspartners in Berlin. Die CDU/CSU lehnt den EU-Sparerfonds nach wie vor strikt ab. „Wir arbeiten mit Olaf Scholz und nicht mit anderen Mitgliedern der deutschen Regierung“, sagte Centeno dazu.

Verständnis äußerte der Euro-Gruppen-Chef für die deutsche Finanzpolitik. Ein schneller Anstieg der Staatsausgaben könne bei der in Deutschland herrschenden Vollbeschäftigung kontraproduktiv wirken. Der scharfen internationalen Kritik an der Politik der schwarzen Null in Berlin wollte er sich deshalb nicht anschließen.

CSU-Chef Markus Söder bekräftigte indes seinen Unmut über die Negativzinsen. „Es braucht jetzt endlich einen großen Masterplan, wie man die Sparer schützt und von Negativzinsen befreit“, sagte er und schlug eine „steuerliche Geltendmachung“ vor.

Lesen Sie hier das ganze Interview mit Mario Centeno:

Herr Centeno, die Große Koalition weiß nicht, was sie will: Der sozialdemokratische Finanzminister ist neuerdings für einen EU-Sparerfonds, doch die CDU/CSU ist weiterhin dagegen. Wie gehen Sie mit der widersprüchlichen deutschen Haltung um?
Dazu fallen mir zwei Punkte ein. Zum einen ist Olaf Scholz der Vertreter Deutschlands in der Euro-Gruppe. Wir arbeiten mit ihm und nicht mit anderen Mitgliedern der deutschen Regierung. Zweitens können wir jetzt optimistisch sein, dass wir bei der nächsten Euro-Gruppen-Sitzung im Dezember einen Fahrplan mit nächsten Schritten zur Vollendung der Bankenunion beschließen – und das europäische Einlagensicherungssystem ist ein Teil davon.

Was meinen Sie mit Fahrplan?
Es handelt sich um eine umfassende Übersicht aller Zwischenschritte und Ziele bei der Vollendung der Bankenunion, eine Art Puzzle. Neben der EU-Einlagensicherung gehören weitere Elemente dazu. Wir brauchen noch bessere Instrumente für den Umgang mit zahlungsunfähigen Banken sowie mehr Anreize, um Staatsanleihen-Portfolios zu diversifizieren und um die Fragmentierung der Finanzmärkte zu reduzieren. Auf diese Weise können wir notwendiges Vertrauen aufbauen.

Werden die Verhandlungen über das European Deposit Insurance Scheme (Edis) nächstes Jahr beginnen?
Ja, das hoffe ich. Genau das ist unser Ziel. Edis ist dabei aber nur ein Element. Wir müssen auch entscheiden, in welche institutionelle Landschaft Edis eingebettet wird.

Muss die EU-Kommission einen neuen Richtlinienentwurf zur Einlagensicherung vorlegen?
Ich gehe davon aus, dass die Kommission an der Diskussion in der Euro-Gruppe aktiv teilnehmen wird. Die Kommission sollte die Ergebnisse unserer Dezembersitzung berücksichtigen und in neue Legislativvorschläge einarbeiten.

Olaf Scholz findet, dass es in den Bankenbilanzen noch zu viele Risiken gibt, die ausgemerzt werden müssen. Teilen Sie seine Ansicht?
Erst einmal möchte ich betonen, dass alle Euro-Staaten große Anstrengungen unternommen haben, um ihren Bankensektor zu kapitalisieren. Die nicht bedienten Kredite wurden substanziell abgebaut ...

... in Italien, Griechenland und Zypern ist das Niveau der Non Performing Loans (NPL) immer noch zu hoch ...
... aber es geht kontinuierlich nach unten. Portugal und Italien sind keine Ausreißer mehr bei diesem Indikator. In Portugal liegt das NPL-Niveau netto klar unter fünf Prozent aller Kredite.

Muss die Euro-Zone gegen die riskante Häufung heimischer Staatsanleihen im Portfolio vieler Banken vorgehen?
Das Engagement der Banken in Staatsanleihen müssen wir sicherlich angehen, insbesondere wenn es um große Risiken geht. Aber das ist nur einer von mehreren Punkten. Olaf Scholz nennt in seinem Papier noch andere: Wir brauchen eine volle Harmonisierung der Bankenaufsicht und -abwicklung. Die Unterschiede bei der Insolvenzgesetzgebung für Banken und die Barrieren im grenzüberschreitenden Verkehr von Kapital und Liquidität müssen abgebaut werden. Erst wenn wir hier weitergekommen sind, können wir einen voll ausgebildeten EU-Sparerfonds aufbauen.

Sollten die Banken gezwungen werden, Staatsanleihen mit Kapital zu unterlegen? Muss die EU-Kommission eine entsprechende Änderung der EU-Kapitaladäquanzrichtline (CRD) in Angriff nehmen?
Bereits 2016 hatten wir angeregt, die Staatsanleihen in die globalen Basel-Standards einzubeziehen. Darüber konnte man sich auf internationaler Ebene aber nicht einigen. Mit europäischen Alleingängen müssen wir vorsichtig sein. Wir dürfen unsere Banken im internationalen Wettbewerb nicht benachteiligen. Wir müssen auch vermeiden, falsche Signale an die Finanzmärkte zu senden und so ungewollt die innere Zerrissenheit der Euro-Zone zu befördern.

Die EU-Kommission befürchtet Turbulenzen an den Finanzmärkten und weigert sich deshalb, eine gesetzliche Regelung des Staatsanleihen-Engagements der Banken in Angriff zu nehmen.
Wenn die Euro-Gruppe zu dem Schluss kommt, dass wir in diesem Bereich handeln müssen, dann brauchen wir dazu auch einen Gesetzentwurf. In dem Fall sollten wir Anreize setzen für eine Diversifizierung der Staatsanleihen-Portfolios, vor allem indem man die Konzentration auf bestimmte Bonds mit Kosten belastet. So würde man den Weg ebnen für einen voll harmonisierten europäischen Einlagensicherungsfonds. Beides muss Hand in Hand gehen: die EU-Einlagensicherung und Regeln für Staatsanleihen im Banken-Portfolio.

Würde die Staatsfinanzierung hochverschuldeter Länder wie Italien damit nicht erschwert?
Um derartige Verwerfungen an den Finanzmärkten zu vermeiden, benötigen wir weitere Zutaten. Olaf Scholz hat in diesem Zusammenhang auf ein mögliches „Safe Portfolio“ hingewiesen. Damit wird eine breite Debatte über „Safe Assets“ möglich.

Dabei handelt es sich um eine Art Eurobond – allerdings ohne gemeinschaftliche Haftung für die Schulden der beteiligten Staaten. Ein Vorschlag der EU-Kommission dazu ist bereits gescheitert. Starten Sie nun einen neuen Anlauf?
Wir müssen alles versuchen, um Störungen an den Finanzmärkten zu vermeiden. Dafür brauchen wir Kreativität. Wir müssen unsere Tabus beiseiteschieben und neue Alternativen finden, um der Gefahr einer weiteren Zersplitterung des europäischen Bond-Marktes entgegenzuwirken.

In Deutschland kursiert die Idee, die EU-Einlagensicherung auf rückzahlbare Liquiditätshilfen zwischen den nationalen Sparerfonds zu beschränken. Ein gangbarer Weg?
Wir haben uns das Ziel gesetzt, die Bankenunion zu vollenden, und dazu gehört ein gemeinsamer Einlagensicherungsfonds. Der Weg bis dahin ist aber noch weit. Wir reden jetzt über die Bedingungen, die für das Endstadium erfüllt sein müssen. Ich will das Ergebnis dieser Debatte nicht vorwegnehmen. Auf jeden Fall müssen wir die nationalen Insolvenzvorschriften und den Umgang mit Staatsanleihen harmonisieren, um zu einer vollständig ausgebildeten EU-Einlagensicherung zu kommen.

Könnten einige Euro-Staaten auf diesem Weg schneller vorangehen als andere?
Ich sage Ihnen mit Sicherheit: Wir können bei diesem Thema nicht in unterschiedlichen Geschwindigkeiten vorgehen. Die Banken der Euro-Zone operieren im selben Markt und unterstehen denselben Regeln, und deshalb müssen sie alle zum selben Zeitpunkt die verschiedenen Stadien auf dem Weg zu einer vollendeten Bankenunion durchlaufen – egal in welchem Land sie beheimatet sind.

Lassen Sie uns einen Blick auf die Wirtschaftslage in Deutschland werfen: Die Industrie befindet sich in der Rezession. Was bedeutet das für die Euro-Zone?
Die Konjunktur hat sich bereits Ende 2018 verschlechtert. Damals glaubten wir, dass es sich um einen kurzen Abschwung handelt. Inzwischen zeigt sich, dass er länger dauert – vor allem in Deutschland. Es ist also klar, dass die deutsche Regierung etwas unternehmen muss, und das tut sie ja auch. Für 2020 hat Olaf Scholz noch einen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt, doch 2021 plant er bereits mit einem kleinen Defizit beim Bund.

Reicht das?
Der Abschwung hat globale Ursachen, und Deutschland ist nicht das einzige betroffene Land. Man sollte die Sicht auf die deutsche Lage nicht zu sehr vereinfachen. Das Land hat eine Arbeitslosenquote von nur drei Prozent, was sehr niedrig ist. Bei Vollbeschäftigung kann ein klassisches antizyklisches Konjunkturprogramm den Nachfragedruck erhöhen, mit negativen Konsequenzen.

Der IWF und die EZB kritisieren die Politik der schwarzen Null immer wieder scharf und verlangen deutlich höhere staatliche Investitionen.
Meine Sichtweise ist nuancierter. Höhere Staatsausgaben allein sind keine Lösung. Die Investitionen der öffentlichen Hand müssen gezielt in langfristige Aufgaben gesteckt werden ...

... was die Bundesregierung jetzt tut mit dem Klimapaket und dem Ausbau der digitalen Infrastruktur ...
Außerdem sind Strukturreformen nötig. Die EU-Kommission hat dazu Empfehlungen abgegeben. Zum Beispiel zum Dienstleistungssektor, der in Deutschland noch weiter liberalisiert werden sollte.

Wie sollte die Euro-Zone mit dem Problemfall Italien umgehen?
Italien wird an denselben Maßstäben gemessen wie jeder andere Mitgliedstaat. Das Land hat ein doppeltes Problem: hohe Schulden und wenig Wachstum. Mein italienischer Kollege Gualtieri weiß, dass daraus Einschränkungen resultieren. Er muss haushaltspolitisch sehr vorsichtig sein und sowohl Defizite als auch Gesamtverschuldung senken.

Der italienische Haushaltsentwurf sieht nichts dergleichen vor.
Wir werden die italienische Lage im Dezember analysieren. Italien muss die Schulden senken und zugleich das Wachstum ankurbeln. Ohne Letzteres ist Ersteres nicht zu erreichen. Deshalb ist es nicht so sehr die Haushaltspolitik, auf die wir uns konzentrieren müssen, sondern eher die Förderung des Wachstums.
Herr Centeno, vielen Dank für das Interview.