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Nahles muss die SPD aus ihrer tiefsten Krise führen

Andrea Nahles möchte sich am Sonntag zur SPD-Chefin wählen lassen. Auf die neue Vorsitzende warten große Aufgaben.

Die SPD ist von je her eine debattierfreudige Partei, insbesondere auch in Personalangelegenheiten. Andrea Nahles kann von Glück reden, dass die Genossen diesmal bereit sind, sich etwas zurückzuhalten. Im Vorfeld des Sonderparteitages am Sonntag in Wiesbaden, auf dem die Chefin der SPD-Bundestagsfraktion zur Parteivorsitzenden gewählt werden soll, blieb es bislang erstaunlich ruhig. Kritik aus den eigenen Reihen blieb der Kandidatin Nahles bis zum heutigen Samstag überwiegend erspart. Wird das so bleiben?

Die Anforderungen an Nahles sind immens. Sie muss die Partei aus einer ihrer tiefsten Krisen führen. Nach dem Schulz-Hype zu Beginn des vergangenen Jahres war die SPD nach dem desaströsen Abschneiden bei der Bundestagswahl im September in ein Loch gefallen. Nach massiven Fehlern der Parteispitze, insbesondere des damaligen Vorsitzenden Schulz, stolperte die SPD mit dem Jahreswechsel lustlos in Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU, die insbesondere Schulz zunächst vehement abgelehnt hatte.

Nahles‘ Problem dabei: Sie ist Teil des Parteiestablishments, das für das Chaos der vergangenen Monate die Hauptverantwortung trägt. Aus dieser Position heraus übergangslos in die Rolle der Hoffnungsträgerin zu wechseln, wird nicht leicht.

Von Nahles wird erwartet, dass sie die Partei inhaltlich und organisatorisch grundlegend reformiert. Die Parteispitze hat bereits einen Plan erarbeitet, den Nahles abarbeiten wird. In ihrem Antrag für den Parteitag schlägt die SPD-Spitze den Delegierten einen Weg zur Erneuerung vor, der bis zum Parteitag Ende 2019 abgeschlossen sein soll. Vier grundsätzliche Themen sollen bis dahin behandelt werden, in Impulspapieren, Debattencamps und Thesenpapieren, die auf allen Ebenen diskutiert werden sollen. Die Mitglieder sollen auch über Online-Umfragen stärker beteiligt werden. „Das ist eine Form der Befriedung der Mitglieder“, sagt ein Vertreter der Parteispitze.

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Erst nach dem Parteitag wird festgelegt, wie prominent die Nachwuchsorganisation Jusos in die Erneuerung eingebunden wird. Deren Chef Kevin Kühnert erlangte als Wortführer der Gegner einer neuen großen Koalition Prominenz. Er beanspruchte nun für die Jusos den Vorsitz einer der Lenkungsgruppen der vier Themenfelder. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass das sehr positiv aufgenommen wird“, stellte Nahles in Aussicht.

Noch am Sonntagabend will Nahles personelle Entscheidungen treffen, für die die Weichen längst gestellt sind. Ihr enger Vertrauter Thorben Albrecht, zuletzt Staatssekretär im Arbeitsministerium und zuvor langjähriger Mitarbeiter im Willy-Brandt-Haus, soll vom SPD-Vorstand als neuer Bundesgeschäftsführer in der Parteizentrale bestellt werden. Insgesamt steht der Parteizentrale wohl eine Verringerung des Personals bevor: Die Partei muss nach dem schlechten Bundestagswahlergebnis wie auch den drei verlorenen Landtagswahlen davor Geld sparen, da weniger Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung in ihre Kassen fließen.

Nächste Prüfsteine für die SPD sind die Landtagswahlen in Bayern und Hessen, die beide im Oktober stattfinden. Die Wahlkämpfer erhoffen sich von den Ergebnissen Rückenwind für den Bund. Nahles wird ihn gebrauchen können. In Umfragen lag die SPD zuletzt bei 18 bis 19 Prozent.

Schafft es Nahles, in der Partei Aufbruchstimmung zu erzeugen? Es gibt dazu auch skeptische Einschätzungen, die im Moment allerdings nur hinter vorgehaltener Hand zu hören sind. Die Pfälzerin ist keine geborene Diplomatin. Als Juso-Chefin neigte sie zur Rebellion, noch immer ist sie für ihre bisweilen drastische Sprache bekannt. Dass sie keinen Konflikt scheut, könnte allerdings auch dabei helfen, der Partei wieder eine schärfere Kontur zu geben.

Defizite in dieser Hinsicht sind in der SPD nicht zu verleugnen. Genossen wie der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der dem Berliner Politikbetrieb traditionell eher skeptisch gegenübersteht, sehen eine Hauptaufgabe für die künftige Parteichefin darin, konkreter zu werden und sich stärker der Lebenswirklichkeit der Menschen zu widmen. „Ich sehe in der Gesamtpartei in Sachen Bürgernähe durchaus Luft nach oben“, kritisierte Weil im Interview mit dem Handelsblatt. „Gelegentlich gehen wir die Dinge zu abstrakt an.“ So habe die Partei beispielsweise „leidenschaftlich über Themen wie die Vorratsdatenspeicherung und Ceta, das geplante Handelsabkommen mit Kanada, debattiert. In der Bevölkerung waren das für viele nicht die wichtigsten Themen“. Die SPD müsse „eine Zukunftsdebatte führen, die sich am Alltag der Bürgerinnen und Bürger orientiert“, sagte der niedersächsische Regierungschef.

Solche Hinweise dürften bei Nahles auf offene Ohren stoßen. Gerne betont sie ihre Bodenständigkeit, sucht das Gespräch mit den Leuten in ihrer rheinland-pfälzischen Heimat. Und sie verfügt über ein exzellentes Netzwerk in alle Flügel der Partei hinein. Auch das könnte ihr helfen, die SPD auf eine klarere Linie zu bringen.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil rührt kurz vor dem Parteitag die Werbetrommel für Nahles. Nahles sei die richtige Vorsitzende, um die Sozialdemokraten wieder voranzubringen, sagte er. Der Parteitag werde nach den unruhigen Zeiten im vergangenen halben Jahr ein Startschuss sein, um Vertrauen zurückzugewinnen. Sie sei durchsetzungsstark und werde als Fraktionsvorsitzende im Bundestag die Eigenständigkeit der SPD trotz Regierungsverantwortung sichtbar machen und Gesetze aus sozialdemokratischer Sicht im Parlament verbessern. Er sei sich sicher, dass es bei dem Parteitag am Ende ein klares Votum für Nahles als erste Frau an der Spitze des SPD geben werde.

Einer neuen Umfrage zufolge ist mit 47 Prozent fast jeder zweite Deutsche skeptisch, dass Nahles die SPD wieder stärken kann. Nur knapp jeder Dritte (31 Prozent) traut ihr dies zu, wie aus dem Deutschlandtrend hervorgeht, den Infratest dimap im Auftrag des ARD-Morgenmagazins erstellt. Optimistischer sind die SPD-Anhänger, von denen jeder zweite denkt, dass Nahles in der Lage ist, die Partei nach der Wahlniederlage im Herbst aus ihrer schwierigen Situation zu führen.

Ob die Parteitagsdelegierten Nahles am Sonntag mit überwältigenden Werten ins Amt heben, muss sich erst noch erweisen. Die Last einer 100-Prozent-Zustimmung, die die Erwartungen an Martin Schulz im vergangenen Jahr ins Unendliche steigen ließen, wird Nahles jedenfalls nicht schultern müssen. Schon 75 Prozent der Stimmen würde man als Erfolg werten, heißt es im Umfeld von Nahles.

Für Nahles wäre das übrigens ein persönlicher Rekordwert auf einem Bundesparteitag. Ihr bestes Ergebnis bei der Wahl zur Vizevorsitzenden erzielte sie 2007 mit 74,8 Prozent. Als Generalsekretärin (2009 bis 2013) bekam sie einmal sogar nur 67,2 Prozent.