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Amerika im Faktencheck: Wie stark ist die Supermacht wirklich?

Donald Trump prahlt in Davos über seine Verdienste als US-Präsident. Aber wie erfolgreich ist seine erste Amtszeit tatsächlich?

Deutlich weniger Exporte in die USA. Foto: dpa
Deutlich weniger Exporte in die USA. Foto: dpa
  • Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos hat sich Donald Trump als größter US-Präsident aller Zeiten inszeniert. Den USA gehe es so gut wie nie zuvor, tönte der 73-Jährige.

  • Was ist dran an diesen Heldensagen über die eigene Politik? Donald Trumps bisherige Wirtschafts-, Handels-, Außen- und Innenpolitik im ausführlichen Faktencheck.

  • „Die Welt ist durch Trump gefährlicher geworden“, sagt John Kornblum im Interview mit dem Handelsblatt. Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland sieht Amerika und den Westen tief gespalten.

„Die Zukunft Amerikas war niemals so glänzend wie heute“: Mit diesen Worten verabschiedete sich Donald Trump nach seinem ersten Auftritt beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos im Januar 2018. Zwei Jahre später war der US-Präsident am Dienstag dieser Woche wieder beim jährlichen Stelldichein der globalen Wirtschaftselite zu Gast.

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„Amerika geht es so gut wie nie zuvor“, prahlte der 73-Jährige und listete seine wirtschaftliche Erfolgsbilanz auf: der größte Wirtschaftsboom, den die Welt je gesehen hat. Die niedrigste Arbeitslosenquote seit 50 Jahren. Sieben Millionen neue Jobs. Zehn Millionen Menschen aus der Armut geholt. Trumps Kopf wanderte wie beim Tennismatch von links nach rechts, wobei seine viel zu lange rote Krawatte die Mittellinie markierte.

Diszipliniert las er all die märchenhaften Statistiken, die ihm seine Wahlkampfstrategen aufgeschrieben hatten, von den zwei seitlich am Rednerpult platzierten Telepromptern ab. Und nicht wenige der knapp 1000 in der Davoser Kongresshalle versammelten Manager und Politiker nickten stumm und ergriffen. Die Klimaaktivistin Greta Thunberg lauschte dem Loblieb Trumps über Trump hingegen mit versteinerter Miene. Das Wort Klimaschutz nahm der mächtigste Mann der Welt erst gar nicht in den Mund.

Neun Monate vor den Präsidentschaftswahlen in den USA präsentierte sich Trump in Davos wie der sichere Sieger. Wirtschaftlich stark, außenpolitisch siegreich, innenpolitisch unangreifbar. So sieht Trump sich selbst – und so sollen auch die Amerikaner und der Rest der Welt ihn sehen.

Was ist dran an diesem Mythos? Alles nur Lug und Trug und falsches Pathos? Oder müssen womöglich die vielen Trump-Kritiker ihr Weltbild korrigieren? All jene Publizisten, die den US-Präsidenten bevorzugt als überforderten Choleriker am Rande des Altersschwachsinns karikieren.

Im letzten Jahr von Trumps erster Amtszeit ist es höchste Zeit für eine ungeschminkte Bilanz seines Wirkens, ohne ideologische Scheuklappen – ein Präsident im Faktencheck.

Viele gewagte Strategien gingen auf

Dabei zeigt sich rasch: Märchenhaft war Trumps wirtschaftliche Erfolgsbilanz in Davos auch deshalb, weil – wie so oft bei ihm – nicht alle Prahlereien einer Überprüfung standhalten. Der größte Boom, den die Welt je gesehen hat? Nun ja. Das jährliche Wirtschaftswachstum liegt in Trumps bisheriger Amtszeit zwischen zwei und drei Prozent pro Jahr.

Unter Bill Clinton, demokratischer Präsident von 1993 bis 2001, lag es bei vier Prozent. Trumps ebenfalls demokratischer Vorgänger Barack Obama schaffte in den letzten drei Amtsjahren ähnlich viele Jobs wie Trump in seinen ersten drei.

Niall Ferguson, Wirtschaftshistoriker an der konservativen Hoover Institution in Stanford, findet Trump dennoch „ziemlich effektiv“: Der US-Präsident habe allen Grund, den guten Zustand der US-Wirtschaft zu preisen. „Ein Teil des wirtschaftlichen Erfolgs geht auf sein Konto“, sagt der gebürtige Schotte Ferguson.

Er habe mit seinen massiven Steuersenkungen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöht und damit etwas erreicht, was die Europäer bis heute nicht geschafft hätten. Zudem habe er es geschafft, die unfairen Handelspraktiken Chinas anzuprangern und weltweit in den Fokus zu rücken.

Auch Ian Bremmer, Chef der internationalen Politikberatung Eurasia Group, räumt ein, „dass der wirtschaftliche Aufschwung in den USA seit dem Amtsantritt von Trump länger und robuster ist, als alle Ökonomen erwartet haben“. Das sei auch das Verdienst seiner Regierung.

Nicht nur mit seiner wirtschaftlichen Erfolgsbilanz schneidet Trump auf den ersten Blick besser ab, als viele das nach seiner Wahl 2016 prophezeit hatten. Auch außenpolitisch sammelt der oft als unberechenbarer Poltergeist auftretende US-Präsident durchaus Punkte: Den Provokationen des Mullahregimes im Iran ist er durch den tödlichen Drohnenangriff auf den iranischen General Soleimani entgegengetreten.

Die Welt hielt nach dieser Provokation für einige Tage den Atem an, doch der iranische Vergeltungsschlag auf Militärbasen mit US-Präsenz im Irak fiel vergleichsweise harmlos aus. Trump konnte daraufhin mit einer gelassenen Reaktion, die ihm zuvor kaum jemand zugetraut hätte, die Eskalationsspirale durchbrechen. „Die Iraner haben sechs Monate lang die Spannungen erhöht“, so Bremmer. Trump habe darauf hart antworten müssen. „Zumindest kurzfristig ist das für ihn ein Erfolg“, sagt der Politikberater.

Und auch was den Stil angeht, so scheinen sich viele an das Raubein aus dem Weißen Haus zu gewöhnen. Für Richard Grenell, Trumps Botschafter in Berlin, sind solche Haltungsnoten ohnehin nebensächlich: „Der Job des US-Präsidenten ist es, das Leben der Menschen zu verbessern und Ergebnisse zu liefern“, sagt Grenell.

Präsident Obama sei in Deutschland sehr populär gewesen, aber seine Politik sei oft ignoriert worden. Gemeint ist damit auch der langjährige Wunsch der USA nach einer stärkeren Lastenteilung in der Nato. „In diesem Jahr geben alle Nato-Mitglieder 140 Milliarden Dollar mehr für ihre Verteidigung aus. Das schafft mehr Sicherheit für alle“, so der US-Botschafter.

Auch innenpolitisch hat Trump einiges erreicht. 190 Bundesrichter- und zwei Richterstellen am Supreme Court hat er meist mit konservativen Juristen besetzt und so das konservative Gewicht in der Judikative weit über seine Amtszeit hinaus erhöht. Laut dem Thinktank Brookings hat die US-Regierung zudem unter Trump 50 Deregulierungen durchgesetzt.

Sieben davon seien besonders wichtig und betreffen vor allem Umwelt, Gesundheit und Bildung. Was die Unternehmen begrüßen, kritisieren Umweltschützer und Sozialorganisationen. Denn die Deregulierung geht auf Kosten des Umweltschutzes und von Krankenversicherten oder Schülern.

Trotz all dieser Erfolge, die Trump zumindest in den Augen seiner Anhänger feiern kann, kommt der Präsident nur auf eine US-weite Zustimmungsrate von rund 44 Prozent. „Insbesondere angesichts der guten Wirtschaftsdaten sollte Trump viel beliebter bei den Amerikanern sein, als er es im Moment ist“, konstatiert Wirtschaftshistoriker Ferguson. „Die Umfragen in den entscheidenden Swing States sehen im Moment nicht so gut für ihn aus.“ Entscheidend wird sein, wen die Demokraten als Gegenkandidaten aufstellen.

Was sich in der zweiten Amtszeit ändern würde

Sollte Trump am 3. November die Wahl gewinnen, sagt Politikberater Bremmer dem Rest der Welt unruhige Zeiten voraus. „In einer zweiten Amtszeit wird Trump sich nicht mehr auf eine boomende Wirtschaft stützen können. Er wird dann nach Sündenböcken suchen und vielleicht die Chinesen oder Europäer wegen angeblich unfairer Handelspraktiken anklagen.“

Gerade die Exportnation Deutschland muss dann im eigenen Interesse für den Erhalt einer multilateralen Handelsordnung kämpfen. Jagdish Natwarlal Bhagwati, Handelstheoretiker an der Columbia University, mahnt die Europäer, sich mit allen Mitteln zur Wehr zu setzen. Er hält die Handelspolitik von Trump für „irrsinnig“: „Das Einzige, was langfristig gegen unfaire Handelspraktiken hilft, sind multilaterale Streitschlichtungsvereinbarungen und möglicherweise Sanktionen, sollten diese nicht eingehalten werden.“

Donald Trump ist ein Disruptor – im wahrsten Sinne des Wortes. Drei Jahre seiner Präsidentschaft haben ausgereicht, um die Welthandelsordnung ins Wanken zu bringen und das Vertrauen in die Welthandelsorganisation WTO, die Nato oder den Klimakompromiss von Paris zu erschüttern.

Aber Disruption kann auch bedeuten, dass neue Chancen entstehen – vor allem dort, wo das alte System ohnehin an seine Grenzen geraten war. Etwa bei der Lösung der Jahrzehnte andauernden Krise in Nahost. Oder bei dem Versuch, die aufstrebende Weltmacht China von ihrem merkantilistischen Wirtschaftsmodell (viel exportieren, wenig importieren) abzubringen.

Und die von Trump an den Rand gedrängte WTO hatte es auch unter den vergangenen US-Präsidenten noch nie geschafft, eine Welthandelsrunde abzuschließen. Ein weiterer Nebeneffekt der Trump’schen Revolution: Europa hat inzwischen begriffen, dass es mehr geopolitische Verantwortung übernehmen und künftig in der Lage sein muss, für seine eigene Sicherheit zu sorgen.

All diese Faktoren machen Donald Trump noch lange nicht zu einem guten Präsidenten. Aber zu einem, den zu unterschätzen sich niemand leisten kann.

1. Wirtschaftspolitik – Boom auf Pump

Kein Zweifel: Vielen Amerikanern geht es wirtschaftlich gut unter Trump. Nicht nur die Unternehmen zahlen weniger Steuern als früher. Auch die Privatpersonen haben am Ende des Monats mehr Geld auf dem Konto. Die Börsen eilen von einem Rekord zum nächsten. Das hebt die Stimmung in einem Land, in dem die private Rente anders als in Deutschland fast immer an den Aktienmarkt gebunden ist.

Dabei ist der Boom erstaunlich stabil. „Wir sehen die Wirtschaft heute als weniger anfällig für eine Rezession“, schreiben auch die Goldman-Sachs-Ökonomen Jan Hatzius und David Mericle mit Blick auf vergangene Aufschwungphasen in den USA. „Zwar könnte es neue Risiken geben. Doch keiner der Hauptgründe vergangener Rezessionen – Ölschocks, zu hohe Inflation und finanzielle Ungleichgewichte – scheint im Moment besonders besorgniserregend.

Hatzius gehört immerhin zu den wenigen Ökonomen, die vor der Weltfinanzkrise von 2008 vor einem Platzen der Immobilienblase und einer „harten Landung“ der US-Konjunktur warnten. Diesmal hingegen stehen nach Ansicht der Goldman-Experten die Chancen, dass die Wirtschaft weich lande, „besser als zunächst gedacht“.

Entsprechend stolz war Trump in Davos auf die wirtschaftliche Performance der USA. Minutenlang ratterte er die Erfolgsdaten herunter, etwa am Aktienmarkt: „Die Aktienbörsen knacken ein Rekordhoch nach dem anderen und haben seit meiner Wahl mehr als sieben Billionen Dollar an zusätzlichem Wert geschaffen.“

Trump hat zwar recht: Die Aktienmärkte haben absolut während seiner Amtszeit immer neue Höchststände erreicht. Das ist beachtlich, weil viele Experten davon ausgegangen waren, dass die Aktienmärkte einbrechen würden, falls er ins Weiße Haus einziehen sollte.

Doch die Märkte sind prozentual gesehen unter Trump weniger stark gestiegen als unter Barack Obama und Bill Clinton. Von der Inauguration bis Ende Dezember legte der Leitindex Dow Jones unter Trump 45 Prozent zu. Unter Obama stieg der Index für den gleichen Zeitraum seiner ersten Amtszeit um 53 Prozent und unter Clinton um 57 Prozent.

Ähnliches gilt für den Arbeitsmarkt: Tatsächlich sind unter Trumps Regierung deutlich mehr Menschen beschäftigt als zuvor. Aber der Trend war auch unter Obama positiv. Die Stimmung unter den Kleinunternehmern ist heute deutlich besser als 2016. Allerdings ist der NFIB Small Business Optimism Index zuletzt wieder ein wenig gesunken.

Die Unternehmen suchen händeringend nach Mitarbeitern. Die Arbeitslosigkeit liegt mit 3,5 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit 60 Jahren. Trump hat recht, wenn er in Davos postuliert, dass die Arbeitslosigkeit speziell unter Schwarzen (fünf Prozent) und Latinos (derzeit 4,2 Prozent nach einem Rekordtief von 3,9 Prozent im September) auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Messungen gesunken ist.

Längst nicht alle dieser zusätzlichen Stellen sind schlecht bezahlte McJobs im Dienstleistungsbereich. Unter Trump sind durchaus auch ordentlich entlohnte Fabrikjobs entstanden, was man vorher für unmöglich gehalten hätte.

Und ganz wie Trump in Davos postuliert hat: Dank seiner Steuerreform können „arbeitende Familien mehr von ihrem hart verdienten Geld behalten“. Für Privatpersonen sanken die Sätze für die meisten der sieben Steuerklassen. Die Steuerersparnis für eine Durchschnittsfamilie beläuft sich laut Schätzungen auf etwa 2000 Dollar. Eine ordentliche Summe, aber weit weniger als die 4000 Dollar, von denen Trump in Davos gesprochen hat. Den Höchstsatz der Unternehmensteuer hat Trump von 35 auf 21 Prozent des Gewinns gesenkt.

Der Preis für die Steuersenkungen: ein Defizit des Bundeshaushalts, das im US-Haushaltsjahr 2019 auf 4,6 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts anstieg – 0,8 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Trumps Schuldenpolitik ruht auf der richtigen Erkenntnis, dass sich die USA an den Kapitalmärkten nahezu unbegrenzt zu niedrigen Zinsen Geld leihen können, solange der Dollar die wichtigste Reservewährung der Welt bleibt.

Im Zuge der Steuerreform hat die Regierung auch die Rückkehr von im Ausland geparkten Gewinnen gegen eine geringe Strafzahlung ermöglicht. Waren früher 35 Prozent auf diese Gewinne fällig, konnten Unternehmen diese Gelder nun mit einer einmaligen Zahlung von 15,5 Prozent zurückholen. Zum Zeitpunkt der Steuerreform lagen diese im Ausland gehorteten Gewinne schätzungsweise zwischen 1,5 und drei Billionen Dollar.

Laut dem Handelsministerium haben amerikanische Unternehmen seit Ende 2017 insgesamt eine Billion an im Ausland gehortetem Vermögen zurück in die USA gebracht. Dazu gehört auch Apple mit seiner Ankündigung, 245 Milliarden Dollar zu repatriieren. Trump hatte diese Zahl in Davos stolz herausgestellt. Ursprünglich hatte er allerdings mal davon gesprochen, vier Billionen Dollar zurückzuholen.

Der größte Haken an dem Geldsegen für die Unternehmen: Er hat insgesamt nicht in der Höhe zu Investitionen in neue Fabriken und Unternehmen geführt, wie es die Regierung gehofft hatte. Stattdessen ist das Geld vielerorts in den Rückkauf eigener Aktien geflossen, mit denen die Unternehmen künstlich ihren Aktienkurs beflügeln. Das zeigt: Die Unternehmen wissen nicht, wohin mit ihrem Geld.

Und trotz aller positiven Daten kommt der Wohlstand nicht bei allen Amerikanern an. Vor allem beim Thema Gesundheit sieht die Lage oft schlecht aus: Jeder vierte Amerikaner gab in einer Gallup-Umfrage an, medizinische Behandlungen für schwere Krankheiten für sich oder ein Familienmitglied aufzuschieben, weil die Kosten so hoch sind. Das ist der höchste Stand aller Zeiten.

Die Krankenversicherungskosten steigen schneller als Inflation und Löhne, wie eine Studie der Non-Profit-Organisation Kaiser Family Foundation zeigt. Wer mit seiner Familie über seinen Arbeitgeber krankenversichert ist, der zahlte im vergangenen Jahr im Schnitt fünf Prozent mehr für seine Police, nämlich gut 20.500 Dollar im Jahr.

Hinzu kommt je nach Versicherungstyp eine Selbstbeteiligung von oft mehreren Tausend Dollar. 43 Prozent der Amerikaner über 50, die eine Krebsdiagnose bekommen, brauchen innerhalb von zwei Jahren ihre gesamten Ersparnisse für die Behandlung auf, wie eine Studie des „Journal of Medicine“ zeigt.

Das Beispiel macht deutlich: Trump hat mit seinen Steuersenkungen einen starken, wenn auch nicht ganz so beispiellosen Aufschwung angefacht, wie er in Davos glauben machen wollte. Doch dieser Aufschwung ist längst nicht gleichbedeutend mit einem besseren Leben für alle Amerikaner.
Autorinnen: Astrid Dörner, Katharina Kort

2. Handelspolitik – Wo Drohungen wirken

Wenn es eine Konstante in der bisherigen Präsidentschaft Donald Trumps gibt, dann ist das sein aggressiver Kurs in der Handelspolitik. Das gilt gegenüber den europäischen Partnern. Das gilt im Verhältnis zu seinen Nachbarstaaten Kanada und Mexiko. Und das gilt vor allem gegenüber dem größten Rivalen der USA: China. Der Präsident sei geradezu besessen von dem Thema China, heißt es in diplomatischen Kreisen in Washington.

Zwei Trump loyal ergebene Mitarbeiter sorgen dafür, dass die Besessenheit des Präsidenten in reale Politik umgesetzt wird. Der eine heißt Peter Navarro, Direktor für Handel und Industriepolitik im Weißen Haus und Leiter des neu geschaffenen Nationalen Handelsrats. Er hat bereits 2011 ein Buch mit dem martialischen Titel „Death by China“ geschrieben. Heute liest es sich wie ein handelspolitischer Leitfaden für Trumps Präsidentschaft.

Der andere heißt Robert Lighthizer und ist Trumps offizieller Handelsbeauftragter. Der 72-jährige Jurist hat schon für den ehemaligen Präsidenten Ronald Reagan harte außenwirtschaftliche Konflikte ausgefochten. Legendär ist die Geschichte, als Lighthizer einmal aus einem schriftlichen Kompromissvorschlag einer japanischen Delegation einen Papierflieger faltete und ihn durch den Verhandlungssaal fliegen ließ.

Für Navarro wie Lighthizer gilt ebenso wir für ihren Präsidenten: Sie halten nichts von multilateralen Verträgen und Regelwerken wie dem der Welthandelsorganisation WTO. Viel dagegen von bilateralen Abkommen, in denen die USA als größte Volkswirtschaft den Handelspartnern ihren Willen aufzwingen können. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit kündigte Trump das nordamerikanische Handelsabkommen Nafta. Der Präsident führte außerdem Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte ein.

Seit Beginn des Handelskonflikts mit China vor knapp zwei Jahren hat die US-Regierung zudem chinesische Exportgüter im Wert von über 360 Milliarden Dollar mit Strafzöllen belegt. Die Chinesen haben sich indes zur Wehr gesetzt: Auf US-Waren im Wert von 110 Milliarden Dollar Exportvolumen pro Jahr lasten heute chinesische Strafzölle.

Die Politik des maximalen Drucks hat aus Sicht der Amerikaner durchaus eine positive Wirkung entfaltet. Kanada und Mexiko haben einem Nafta-Nachfolgepakt zugestimmt, in dem sich beide Länder auf komplexe Importquoten und die Einhaltung von Mindestlohnniveaus vor allem für die Autoindustrie einlassen.

China hat in der vergangenen Woche ein erstes Abkommen mit der US-Regierung unterzeichnet, Phase-eins-Deal genannt. Darin verpflichtet sich Peking, 2020 und 2021 zusätzlich zu seinem bisherigen Importvolumen von 180 Milliarden Dollar jährlich weitere US-Waren und -Dienstleistungen im Wert von 200 Milliarden Dollar zu kaufen.

Die Summen und Produkte – darunter Schweinehälften, Gas und auch Dienstleistungen – stehen auf einer detaillierten Einkaufsliste, die China nun abzuarbeiten hat. Ein Zwangseinkauf, der in dieser Form nur in einem autokratischen Staatskapitalismus möglich ist und vor allem zulasten anderer Exportnationen gehen wird, die Waren nach China liefern wollen.

Die Gegenleistung: Die USA verzichten auf die angedrohten Strafzölle auf Konsumgüter im Wert von 150 Milliarden Dollar. Weitere Zölle in Höhe von 15 Prozent auf chinesische Waren im Wert von 120 Milliarden US-Dollar werden halbiert.

Aus Trumps Sicht ist das der „größte Deal“ aller Zeiten. Andere wie Jeff Schott, Handelsexperte vom Peterson Institute of International Economy, sehen in der Strafzollorgie des Präsidenten eine „neue Realität“ in der Handelswelt. Die Experten des Instituts haben errechnet, dass der durchschnittliche Zollsatz für Importe aus China von drei Prozent vor Trumps ersten Sanktionen auf 19,3 Prozent gestiegen ist.

Tatsächlich hinterlässt Trumps aggressiver Kurs Spuren in der amerikanischen Handelsbilanz – auf den ersten Blick durchaus im Sinne des Präsidenten. Laut Schätzung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) sank das US-Handelsbilanzdefizit mit China 2019 um 50 Milliarden Dollar, nachdem es 2018 mit 421 Milliarden Dollar einen neuen Rekord erreicht hatte.

„Das heißt, Navarro und sein Präsident sind bei ihrem Ziel, die amerikanische und chinesische Wirtschaft langfristig zu entkoppeln, ein gutes Stück vorangekommen“, sagt IfW-Chef Gabriel Felbermayr. Aber: „Der Rückgang des Handelsdefizits mit China ist teuer erkauft, weil Drittstaaten wie die Europäische Union die Lücke füllen.“

So seien allein die US-Importe aus der Euro-Zone 2019 um 25 Milliarden Dollar gestiegen. Das gesamte US-Handelsbilanzdefizit mit dem Rest der Welt bleibe unverändert hoch – 2019 dürfte es mit 911 Milliarden Dollar einen neuen Rekordwert erreicht haben.

Abgemildert wird der volkswirtschaftliche Schaden der USA allenfalls durch Zolleinnahmen von voraussichtlich 35 Milliarden Dollar für den amerikanischen Staat. Aber auch diese Summe tragen am Ende womöglich die US-Verbraucher, sofern es den Exporteuren gelingt, die Preise in den USA nach oben anzupassen. Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman rechnet den möglichen Kaufkraftentzug bei einem Durchschnittszoll von 20 Prozent auf rund 100 Milliarden Dollar pro Jahr hoch.

Sicher ist: Trump wird aus den jüngsten Deals den Schluss ziehen, dass das Prinzip Erpressung funktioniert. Die eigene Marktmacht einsetzen, hohe Strafzölle androhen, Partner wie Gegner gefügig machen – das ist der neue Dreiklang der US-Handelspolitik. Das ist auch der Grund, warum der transatlantische Handelsstreit jederzeit wieder ausbrechen kann.

Nicht nur der Konflikt um die französische Digitalsteuer schwelt noch. Vor allem Trumps Drohung, Autozölle auf europäische Autoimporte in Höhe von 25 Prozent einzuführen, steht noch im Raum. Noch am Mittwoch sagte Trump: „Die EU ist ein schwierigerer Geschäftspartner als China.“ Er habe auch „ein Datum für die Autozölle im Kopf“, hoffe aber, die Verhandlungen mit Brüssel noch vor der Wahl im November zu beenden.
Autor: Jens Münchrath

3. Außenpolitik – Verstrichene Chancen

Schattierungen und Grautöne kommen in Trumps Weltbild nicht vor, in den Prophezeiungen seiner Kritiker allerdings auch nicht. Donald Trump provoziert angeblich einen Krieg mit Nordkorea oder dem Iran: Wie oft hat man das schon gehört? Der US-Präsident zerstört die Nato, zerreißt das westliche Bündnis. Das war insbesondere bei deutschen Medien und Politikern der vorherrschende Sound der vergangenen Jahre.

Im Vergleich dazu fällt die außenpolitische Bilanz von drei Jahren Trump geradezu harmlos aus. Die außenpolitischen Katastrophen sind ausgeblieben. Die Welt ist gewiss nicht friedlicher, aber eben auch nicht gewalttätiger geworden, seit Donald Trump im Weißen Haus sitzt und wirre Tweets versendet.

„Die Zahl der Konflikte befindet sich auf einem Allzeithoch, aber die Zahl der in Konflikten getöteten Menschen nähert sich dem vor zehn Jahren erreichten Rekordtief an“, schreiben Wissenschaftler des Friedensforschungsinstituts in Oslo.

Alles in Ordnung also? Gewiss nicht. Die Diagnose, die der frühere US-Botschafter John Kornblum im Interview mit dem Handelsblatt stellt, trifft zweifellos zu: „Trump hat mit seiner nationalistischen Außenpolitik dazu beigetragen, dass die Welt gefährlicher geworden ist.“ Und zwar vor allem, weil Trumps Amerika sich nicht mehr als Führungsnation des Westens begreift und sich aus der Rolle der Ordnungsmacht verabschiedet hat, die das regelbasierte internationale System stützt.

Zu Beginn seiner Amtszeit hatte sich Trump auf den Rat erfahrener Strategen verlassen. Außenminister Rex Tillerson, Sicherheitsberater HR McMaster, Pentagon-Chef James Mattis – die „Erwachsenen“ im Kabinett hielten den Sicherheitsapparat anfangs auf Kurs.

Doch Trump hat einen nach dem anderen entlassen, heute folgt er seinen Instinkten – oder den außenpolitischen Eingebungen seiner Lieblingsmoderatoren beim konservativen Fernsehsender Fox News. So kommt es, dass die USA den nordkoreanischen Despoten Kim Jong Un beim Aufbau eines Kernwaffenarsenals gewähren lassen, den Iran aber mit Sanktionen und Drohnenschlägen unter Druck setzen.

In Washingtons Denkfabriken sitzen viele kluge Leute, die viel Geld damit verdienen, Doktrinen zu erfinden, die außenpolitischen Entscheidungen in einen Deutungszusammenhang zu stellen. Doch bei Trump stoßen auch die einfallsreichsten Schreibtischstrategen an die Grenzen ihrer Kunst.

Trump flirtet mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin – und verhängt Handelsstrafen gegen eine russische Gaspipeline. Er zofft sich mit dem türkischen Staatschef Erdogan auf Twitter, droht damit, die Türkei „wirtschaftlich zu verwüsten“, und umgarnt ihn dann im Weißen Haus: „Ich bin ein großer Fan.“

Amerikas Außenpolitik hat jede Konsistenz verloren. Trump hält das für seine große Stärke. „Wir müssen unberechenbar sein“, schon als Kandidat fasste er seinen außenpolitischen Ansatz so zusammen. Nicht nur die Gegner müssen seither mit der Chaos-Variablen kalkulieren, die Trump in die internationale Politik eingebracht hat, auch die Verbündeten.

Für Trump ist die Unterscheidung zwischen Freund und Feind ohnehin hinfällig. Alle haben es in seinen Augen darauf abgesehen, Amerika über den Tisch zu ziehen. Allein gegen den Rest der Welt – dieses Denken bestimmt sein Handeln.

Die Verunsicherung über den US-Präsidenten ist wohl nirgendwo so groß wie in Europa, wo man es sich bisher unter dem Schutzschirm der US-Streitkräfte bequem machen konnte. Für Trump ist die EU „schlimmer als China“. Etwas besser ist es um die Zusammenarbeit in der Nato gestellt.

Trump trägt seine Abneigung gegen das Verteidigungsbündnis seltener zur Schau als vor seinem Amtsantritt. „Die Nato ist obsolet“, behauptete er damals. „Die Nato ist nicht länger obsolet“, verkündet er jetzt. Und natürlich ist das seiner Ansicht nach sein Verdienst: Er habe das Verteidigungsbündnis gestärkt, behauptet Trump. Ihm sei es zu verdanken, dass die Militärausgaben der Mitgliedsländer steigen. Dass diese Aufrüstung ohnehin geplant war – geschenkt. Die Nato ist damit zumindest kurzfristig aus Trumps Schussfeld gerückt.

Die Kosten von Trumps Politik bleiben bisher oft verborgen, doch sie sind real. Das Vertrauen, das wichtigste Kapital einer Weltmacht, die sich bisher als wohlwollender Hegemon verstand, ist nachhaltig erschüttert. Nach dem einseitigen Ausstieg aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran und der Aufkündigung des Pariser Klimapakts stellt sich die Frage: Was ist das Wort Amerikas noch wert?

Das fragen sich auch die syrischen Kurden, die Trump nach einem Telefonat mit Erdogan im Norden des Landes ihrem Schicksal überließ. Die Abschiedsgrüße des Präsidenten erreichten die Syrier in Form eines Tweets: „Hoffe, es geht Ihnen allen gut. Wir sind 7000 Meilen entfernt.“

Mit seinem Slogan „America first“ hat Trump eine falsche Fährte gelegt. Nationale Interessen stehen bei ihm nicht an erster Stelle – sondern persönliche, vor allem die Wiederwahl. Ihnen ordnet er die Außenpolitik unter, und zwar in einem Maße, wie es seine Vorgänger nicht wagten.

Trump hat nicht nur die Macht zu verlieren. Ihm drohen mehrere Gerichtsverfahren, sollte er die weitreichende Immunität des Präsidenten verlieren, etwa wegen der Schweigegeldzahlung an eine Pornodarstellerin. Er kämpft daher mit allen Mitteln – bis hin zum Amtsmissbrauch.

Der Apparat widersetzt sich, wie das Impeachment-Verfahren zeigt: In Gang gesetzt wurde es durch einen CIA-Mitarbeiter, der nicht akzeptieren wollte, dass die Außenpolitik der USA in den Dienst der Wahlkampagne des Präsidenten gestellt wird. Aber die Abwehrkräfte schwinden. Nach und nach höhlt Trump die außenpolitischen Institutionen aus.

Letztlich wird die Trump-Ära als verstrichene Chance in Erinnerung bleiben. Mit China ist dem Westen ein neuer Systemrivale entstanden: Die digitale Diktatur fordert die westlichen Demokratien heraus. Doch statt gemeinsam mit Europa eine Chinastrategie zu entwickeln, zerstört Trump das Vertrauen der Europäer in die USA.

Ja, die Nato lebt, die EU hält zusammen, der Dritte Weltkrieg ist nicht ausgebrochen. Die schlimmsten Befürchtungen sind nicht eingetreten. Aber das ist schon das Beste, was sich über Trumps Außenpolitik sagen lässt.
Autor: Moritz Koch

4. Innenpolitik – Auf Jahrzehnte geprägt

Nancy Pelosi, die Grand Dame der amerikanischen Demokraten, ist stets um Contenance bemüht. Blitzweißes Jackett, schwarze Perlenkette – hinter ihr die US-Flagge. Die Mehrheitsführerin des Repräsentantenhauses hatte soeben angekündigt, dass ihre Partei die Impeachment-Klage gegen den Präsidenten vorbereiten lasse. Jenes Verfahren, gegen das sich Pelosi so lange gewehrt hatte, weil sie damals schon ahnte, dass es aussichtslos sein würde.

Pelosi wollte gerade den Pressesaal verlassen, als ein Reporter der 79-Jährigen hinterherruft, ob sie Donald Trump hasse. Pelosi kehrt zurück: „Ich hasse niemanden, ich bin Katholikin“, sagte sie sichtlich empört. „Ich bete für den Präsidenten, ich bete jeden Tag für den Präsidenten.“

Mehr als einen Monat ist das her – und doch verrät diese Episode vielleicht mehr über den Zustand des Landes als die zahlreichen surrealen Auftritte des Präsidenten, die seitdem noch gefolgt sind. Hass – das ist der Begriff, der noch am ehesten zu erklären vermag, wie es zu der unglaublichen Polarisierung Amerikas kommen konnte.

In diesen Tagen läuft der Impeachment-Prozess im Senat, in dem die Republikaner über eine Mehrheit verfügen. Um Trump schuldig sprechen zu lassen, ist eine Zweidrittelmehrheit im Senat erforderlich. Deshalb ist schon jetzt klar, wie das Verfahren enden wird: Freispruch.

Für einen Präsidenten, der versucht hat, mit ausländischer Hilfe den demokratischen Herausforderer Joe Biden zu diskreditieren. Um Druck auf die Ukraine auszuüben, damit die gegen Bidens Sohn ermittelt, soll Trump Militärhilfe für das Land in Höhe von 400 Millionen Dollar zurückgehalten haben. Die Demokraten hoffen, dass sich nach den vielen belastenden Zeugenaussagen die Stimmung in der Bevölkerung gegen ihren Präsidenten richtet. Bislang vergebens.

Nach Umfragen der Website „RealClearPolitics“, die einen Durchschnitt aller Erhebungen ermittelt, befürworten 46,9 Prozent der befragten US-Bürger ein Impeachment, Tendenz leicht rückläufig. 47,3 Prozent sind dagegen – wobei die Spaltung klar entlang der Parteigrenzen verläuft.

Trump lebt von der Polarisierung. Das hat er schon im Wahlkampf 2016 gezeigt. Er will gar nicht Präsident des ganzen Landes sein. Er braucht nur eine knappe Mehrheit. Dass er sie bekommt, ist gar nicht unwahrscheinlich. Denn Trump betreibt konsequent die Politik, die seine Anhänger von ihm erwarten.

Das gilt nicht nur für die massiven Steuersenkungen und die Deregulierung der Wirtschaft, sondern auch für seine harte Linie gegenüber Einwanderern, die vor allem in Europa für Entsetzen sorgt. So versucht der Präsident mit allen erdenklichen Tricks, die versprochene Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen. Seine Kritiker halten das für ein irrsinniges Projekt, seine Unterstützer lieben es.

Zuletzt konnte er sogar Erfolge vorweisen. Ein Berufungsgericht in New Orleans hat entschieden, dass die US-Regierung den Mauer-Bau mit Mitteln aus dem Verteidigungsetat finanzieren darf. Es überstimmte damit ein Bundesgericht in Texas, das Trump im Dezember vorerst verboten hatte, das Geld aus dem Pentagon-Haushalt zu verwenden. Es geht um eine Summe von 3,6 Milliarden Dollar, die der Präsident abzweigen wollte.

Der Kongress hatte ihm die Mittel aus dem regulären Haushalt verweigert, weshalb der Präsident den Notstand ausrufen ließ, um auf Geld aus bestehenden Etatposten zurückgreifen zu können. Den Notstand begründete er mit einer angeblichen „Invasion“ von Migranten, kriminellen Banden sowie mit Drogenschmuggel.

Das Weiße Haus nannte die Entscheidung des Berufungsgerichts einen „Sieg für die Rechtsstaatlichkeit“. Mit der Freigabe des Geldes könne jetzt „einer der größten Abschnitte der dringend benötigten Mauer“ gebaut werden, schrieb Trump auf Twitter. Noch allerdings ist der Rechtsstreit nicht beendet. Verschiedene Verfahren an unterschiedlichen Gerichten laufen noch.

Aber Trump kämpft für seine Mauer an der 3200 Kilometer langen Südgrenze der USA. Denn seinem Ziel, die illegale Einwanderung aus dem Süden einzudämmen, ist er nicht näher gekommen. Die Zahlen liegen mit geschätzten 851.000 für 2019 so hoch wie seit 2007 nicht mehr.

Langfristig wichtiger und politisch weitaus brisanter als die Mauer allerdings ist ein anderes innenpolitisches Wahlversprechen: die konservative Wende in der amerikanischen Justiz. Das gilt vor allem für die Zusammensetzung des Supreme Courts, des obersten Gerichts des Landes.

Seit Jahren kämpfen Republikaner und Demokraten um die Vorherrschaft in dem Gericht, dessen Mitglieder auf Lebenszeit ernannt werden. Für die Demokraten ist der Supreme Court letztes Bollwerk zur Abwehr von Trumps reaktionärer Politik, die die Rechte von Minderheiten wie Homosexuellen und Einwanderern und die Abtreibungsrechte der Frauen einschränkt.

Nun befindet sich Trump in der komfortablen Lage, dass er gleich zwei der neun Stellen am Supreme Court mit neuen Richtern besetzen konnte, nämlich mit Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh. Beide sind noch jung, 52 beziehungsweise 54 Jahre alt, was bedeutet: Sie können ihre Ämter voraussichtlich mehrere Jahrzehnte lang ausüben. Und beide gelten als erzkonservativ.

Vor allem um Kavanaugh, den Trump im Oktober 2018 gegen den Widerstand der Demokraten durchsetzte, gab es eine große Kontroverse. Kurz vor der Abstimmung über seine Berufung tauchte eine Frau auf, die behauptete: Kavanaugh habe Anfang der Achtzigerjahre versucht, sie zu vergewaltigen.

Die US-Regierung ließ aber nur eine äußerst eingeschränkte Untersuchung der Bundespolizei FBI zu, die erwartungsgemäß wenig Belastbares zutage brachte. Kavanaugh wurde mit einem denkbar knappen Abstimmungsergebnis an das oberste Gericht berufen.

Mit Kavanaugh kann sich das konservative Amerika seiner Mehrheit in diesem Gericht über Jahrzehnte sicher sein. Hinzu kommt die voraussichtliche Rekordzahl an Bundesrichtern – bisher waren es 190 – die der Präsident ernennen kann. Das heißt: Selbst wenn Trump im November abgewählt wird, seine Richter bleiben – und werden seine konservative Revolution vorantreiben.
Autor: Jens Münchrath

Fazit – Der nächste Deal zählt

Der Schlüssel zum Verständnis der Politik von Donald Trump liegt womöglich in einem Satz des ehemaligen US-Botschafters in Deutschland, John Kornblum: „Er ist ein Immobilienunternehmer und betreibt Außenpolitik, als ob es sich um Immobiliendeals handeln würde“.

Nicht nur in der Außenpolitik, könnte man ergänzen. In seinem gesamten politischen Handeln hat Trump die Methoden des ausgebufften New Yorker Immobilienspekulanten nie hinter sich gelassen. Die typischen Elemente seines Handelns: gezielter Einsatz von Drohungen oder Schmeicheleien, um Gegner abzuschrecken oder für sich einzunehmen. Der flexible Umgang mit der Wahrheit und mit Rechtsnormen.

Legal hat man sich gemäß dem Weltbild des US-Präsidenten so lange verhalten, bis man rechtskräftig verurteilt wurde. Und das zu verhindern ist der Job der Anwälte – so beschreibt es der Enthüllungsjournalist Michael Wolff in seinem jüngsten Buch „Under Siege“ über das Weiße Haus im Vorfeld des Impeachment-Verfahrens.

Entscheidend ist in diesem Weltbild immer der nächste Deal. Das einzige Ziel ist die eigene Größe, die sich darin ausdrückt, den Gegner dominiert zu haben. Dieses atavistische Weltbild – Freund oder Feind, er oder ich – führt leicht dazu, dass Trump unterschätzt wird.

Anders als sein polteriges Auftreten es vermuten lässt, ist er durchaus in der Lage zu erkennen, wann er leisere Töne anzuschlagen hat. In der Handelspolitik hat er es auf die laute Tour versucht – und Zugeständnisse von China, Mexiko und Kanada erhalten, die vor Trump nicht als möglich galten.

In der Außenpolitik hat er hingegen erkannt, dass er nach dem Vergeltungsschlag des Iran auf Militärbasen im Irak die Eskalationsspirale mit moderaten Tönen durchbrechen muss. Sonst wären die USA in einen Krieg mit dem Iran hineingezogen worden. Das hätte Trumps Wählern missfallen und den Aufschwung in den USA gefährdet.

Aus einem ähnlichen Grund fehlen die leisen Töne in der Innenpolitik. Auf diesem Gebiet weiß Trump genau, was er seiner Kernklientel, den weißen Wählern aus der Arbeiter- und Mittelschicht, bieten muss: brachiale Rhetorik gegen Einwanderer, viel Verständnis für Rassisten und die Waffenlobby. Gezielt schafft Trump eine Kultur, in der es kein Grau mehr gibt, sondern nur noch „Schwarz oder Weiß“.

Man kann es sich als republikanischer Politiker kaum noch leisten, im Parlament mit demokratischen Abgeordneten oder Senatoren zu kooperieren. Entsprechend aussichtslos ist das Impeachment-Verfahren gegen Trump. Egal, wie erdrückend die Beweislast gegen den Präsidenten sein mag: Die republikanische Mehrheit im Senat wird ihn rauspauken.

Umgekehrt zwingt Trump die Demokraten auf einen linken Gegenkurs. Er ahnt: Der einzige Kandidat, der ihn die zweite Amtszeit kosten könnte, ist der moderate Joe Biden, ehemals Vize unter Barack Obama. Entsprechend hart attackiert Trump seinen Widersacher. Wenn die Demokraten ihren linken Instinkten folgen und Elizabeth Warren oder Bernie Sanders nominieren, hat Trump die Wiederwahl fast schon in der Tasche. Sie ist für ihn das nächste Ziel, der nächste große Deal, den es zu gewinnen gilt.

Dass er überhaupt Chancen auf den Sieg hat, liegt vielleicht an der größten Überraschung unter Trump: dem Wirtschaftsboom in den USA. Dieser Aufschwung hat sich bereits unter Obama angebahnt, doch Trump hat ihn mit seinen Steuersenkungen und seiner Schuldenpolitik hemmungslos angeheizt. Die Früchte dieses Aufschwungs fallen dabei nicht nur bei den Reichen an. Die Kaufkraft steigt auch bei Trumps Kernklientel, der unteren Mittelschicht.

Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass diese Zuwächse auch aus den höheren Mindestlöhnen herrühren, die vor allem demokratisch regierte US-Bundesstaaten erlassen haben. Ungewollt helfen die Demokraten Trump damit im Wahlkampf.

Autor: Christian Rickens