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Amazon rechnet falsche Steuersätze ab und schadet damit den Händlern

Wollte man noch vor einigen Jahren als Händler in anderen Märkten innerhalb der EU verkaufen, musste man hinfahren und eventuell auch jemanden einstellen, der sich um den Vertrieb der Waren vor Ort kümmert. Heute ist das alles nur mit einigen Mausklicks machbar. Tomasz Krzywicki, General Counsel bei dem Berliner Unternehmen SellerX, sagt, dass die Schnelligkeit im Online-Handel dazu führt, dass Händler manchmal auch unbewusst per Mausklick auf dem ganzen EU-Markt präsent sind. SellerX kauft Amazon-Geschäfte auf, um sie zum Erfolg zu bringen und begleitet Online-Händler durch jede Phase des Geschäfts.

„Heute macht Amazon alles einfach und schnell, sodass man als Händler teilweise auch unbewusst akzeptiert, dass die eigenen Waren im EU-Ausland verkauft und geliefert werden können“, sagt Krzywicki. „Die fehlende Kontrolle über die eigenen Verkäufe sowie die Schnelligkeit, die Amazon anbietet, führt dazu, dass man als Händler die Übersicht verliert.“

Auch Amazon verliert offenbar die Übersicht, wenn es um die europäischen Steuersätze geht. Immer wieder beschweren sich Händler und Steuerberatungsunternehmen, dass das interne Berechnungsservice von Amazon die falschen Umsatzsteuersätze ausweist. Das hat gravierende Folgen für Händler, aber auch für Steuerbehörden. Ein Amazon-Sprecher sagt, dass das Unternehmen die gesetzlichen Vorgaben erkennt und dass sie die Einhaltung der Umsatzsteuer sehr ernst nehmen.

Am Ende haftet immer der Händler

Immer wenn SellerX ein Amazon-Geschäft kaufen will, prüft Krzywicki sorgfältig die Verkäufe und die Buchführung. Dabei hat er gemerkt, dass deutsche Amazon-Händler sich auf die „falsche Sicherheit“ des internen Umsatzsteuer-Berechnungsservices stützen. Wie die Erschließung der neuen Märkte funktioniert auch die Berechnung der Umsatzsteuer bei Amazon automatisiert. Eigentlich eine tolle Sache. Doch am Ende haftet immer der Händler für die Richtigkeit der Daten in der Steuererklärung.

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„Der Händler hat aber eine falsche Sicherheit, wenn er sich komplett auf das Umsatzsteuer-Berechnungsservice von Amazon verlässt“, sagt Krzywicki. Denn wie auch andere Händler feststellen mussten, berechnet das Amazon-Service nicht immer die richtigen Steuersätze. „Bei kleineren Händlern könnten die falschen Steuersätze das ganze Geschäftsmodell infrage stellen“, sagt der Jurist.

Es sind gerade die kleineren Händler, die sich auf das interne Umsatzsteuer-Berechnungsservice verlassen. Giancarlo Bruni ist Finanzchef des Start-up Heroes, das auch Amazon-Geschäfte kauft und skaliert. „Eine der größten Hürden für die meisten Online-Händler, wenn sie EU-weit verkaufen wollen, sind die unterschiedlichen Umsatzsteuer-Gesetze und Steuersätze zu navigieren“, sagt Bruni. „Das Umsatzsteuer-Berechnungsservice von Amazon scheint da vor allem für kleinere Händler eine gute Lösung zu sein.“

Händler beschweren sich über Rechnungen mit falschem Steuersatz

Das Service berechnet die fällige Umsatzsteuer für die auf dem Marktplatz verkauften Produkte und erstellt die Rechnung. Die Steuersätze für dasselbe Produkt variieren, je nachdem in welches Land der Händler die Ware liefert. Auf einen Kindersitz, der in Deutschland verkauft wird, zahlt der Kunde 19 Prozent Mehrwertsteuer. Wird der Kindersitz nach Polen geliefert, zahlt der Kunde lediglich 8 Prozent Mehrwertsteuer, der Käufer in Großbritannien nur 5 Prozent. Hinzu kommen noch temporäre Sonderregelungen, wie etwa die vorübergehende Mehrwertsteuersenkung, die die Bundesregierung als Corona-Hilfsmaßnahme zwischen dem 1. Juli 2020 und dem 1. Januar 2021 eingeführt hat.

Das Geflecht des EU-Mehrwertsteuersystems zu durchschauen ist auch nicht die Sache jedes Steuerberaters – denn bei hunderten Steuersätzen und den diversesten Sonderregulierungen verliert man schnell den Überblick. Für den Amazon-Händler ist es also eine wichtige Entlastung, dass das Amazon-System die Rechnung mit dem entsprechenden Steuersatz erstellt.

Doch Händler sprechen immer wieder davon, dass Rechnungen falsch ausgestellt werden. Business Insider hat mit mehreren Amazon-Händlern gesprochen, online Forenbeiträge der Seller ausgewertet und Kontakt zu Umsatzsteuer-Compliance-Spezialisten aufgenommen. Sie alle erzählen von regelmäßig falsch ausgestellten Rechnungen und Verwendung von falschen Steuersätzen. Das bestätigen Händler und Steuerberatungsunternehmen zugleich. „Dass Amazon nicht immer die richtigen Steuersätze berechnet, stellt Händler vor großen operativen Schwierigkeiten, wenn sie dann die Rechnungen korrigieren müssen,“ sagt Krzywicki.

Amazon arbeitet mit einer Software eines Drittanbieters, die die sich stets ändernden und mit Ausnahmen versehenen Steuersätze den Händlern liefert. Ein Amazon-Sprecher betont auf unsere Anfrage, dass der Konzern jedes Jahr Milliarden US-Dollar für die Infrastruktur ausgibt, um die Reichweite der Händler zu erhöhen. „Unsere Investitionen ermöglichen es Verkaufspartner:innen, sich auf ihre Produkte zu konzentrieren und gleichzeitig Kund:innen auf der ganzen Welt zu erreichen, die Wettbewerbsbedingungen zu verbessern und den Zugang zum E-Commerce zu erleichtern“, sagt der Sprecher. Doch das System kann offenbar doch nicht mit der Komplexität der EU-Steuern mithalten.

Wenn Amazon den falschen Steuersatz berechnet, schadet das vor allem den Händlern

Krzywicki hat Abweichungen bei den Steuersätzen von Produktgruppen, wie etwa Babyprodukten, Spielzeug, bei bestimmten Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln festgestellt. „Frankreich, Spanien und Polen wenden ermäßigte Steuersätze für viele solcher Produkte an, was sich aber im Amazon Umsatzsteuer-Berechnungsservice nicht immer widerspiegelt“, sagt der Jurist von SellerX. „Oft ist es dann einfacher für das System, den Regelsteuersatz zu nehmen.“

Wenn wir das Kindersitz-Beispiel nehmen, kann der Unterschied zwischen dem Regelsatz und dem ermäßigten Steuersatz zu einer Preisdifferenz von bis zu 15 Prozent führen. Rechnet das Amazon-Service den Regelsatz, obwohl das Produkt einen ermäßigten Steuersatz hat, verkauft der Händler 15 Prozent teurer, als die Wettbewerber und zahlt mehr Steuern, als er eigentlich müsste.

Riskanter wird es für den Händler, wenn das Umsatzsteuer-Berechnungsservice fälschlicherweise den ermäßigten Steuersatz berechnet, erklärt Krzywicki. „Das fällt später in der Steuerprüfung auf und der Händler muss die Differenz selber an das Finanzamt zurückzahlen“, sagt er. Die Differenz von den Kunden im Nachhinein zurückzuholen wäre schwierig, denn dazu müsste ein Händler seine Kunden einzeln anschreiben und sich die Differenz auszahlen lassen.

„Wenn Rechnungen nicht richtig ausgestellt sind, könnte der Händler Ärger von Finanzamt bekommen“, sagt der CFO von Heroes. Die Folgen sind in Großbritannien, wo das Unternehmen auch einen Standort hat, sichtbarer. Verkauft ein deutscher Händler Waren an Privatkunden in Großbritannien, zieht Amazon direkt die Umsatzsteuer ein und gibt die Steuererklärung ab. „Wenn aber die Steuererklärung nicht richtig oder zu spät eingereicht wird, gibt es kaum jemanden, mit dem der Händler direkt sprechen kann, um Probleme schnell zu lösen“, sagt Giancarlo Bruni.

Amazon sagt, dass sie die Verkaufspartner ermutigen, jederzeit den Seller Support zu kontaktieren. Außerdem sei die Methodik des Umsatzsteuer-Berechnungsservice für Händler einsehbar, teilt ein Sprecher mit.„Rechnungen, die der Amazon Umsatzsteuer-Berechnungsservice erstellt, basieren auf den Einstellungen, die Verkaufspartnerinnen vorgenommen haben“, sagt der Amazon-Sprecher. „Unsere zuständigen Teams wurden für die Produkte des Amazon Umsatzsteuer-Berechnungsservice geschult.“

Die Erfahrung der Händler, die auf Amazon verkaufen, zeigt ein anderes Bild. „Der Händler muss aber die Umsatzsteuer-Kategorisierungen von Amazon akzeptieren“, sagt Krzywicki. Ein Händler, der wegen der großen Abhängigkeit von dem größten Online-Marktplatz nicht namentlich genannt werden will, erzählt, dass Steuercodes theoretisch zwar auch von Händlern geändert werden können, aber selbst Steuerfachleute haben große Schwierigkeiten, die Einstellungen im Amazon-System zu ändern.

Vor der Pandemie zählte Amazon in Deutschland über 244.000 aktive Händler. Diese Zahl soll aber nicht nur durch die Pandemie, sondern auch durch die Wachstumstendenzen im Online-Handel gestiegen sein. Damit ist Deutschland der zweitgrößte europäische Markt für den Onlinehandelsgiganten. Für tausende kleine und mittelständische Händler, mit denen Amazon in Deutschland arbeitet, ist das Thema Umsatzsteuer eine der größten Herausforderungen, die sie im Alltag bewältigen müssen.

Auch die Europäische Kommission weist in manchen Fällen falsche Steuersätze aus

Woran orientiert sich der Händler, der die Steuersätze auf Amazon überprüfen will? Sucht man die Steuersätze auf der Seite der Europäischen Kommission, findet man zuerst veraltete PDF-Dateien. Die Europäische Kommission sieht sich nicht zuständig für die Richtigkeit der Steuersätze, die sie veröffentlicht. „Die Kommission kann nicht garantieren, dass die Informationen, die hier zur Verfügung gestellt werden, aktuell, fehlerfrei und vollständig sind“, steht auf der Seite der Steuerdatenbank.

Roman Koidl, der Gründer von eClear, einem Umstatzsteuer-Compliance Unternehmen, stellte fest, dass die Steuersätze der Kommission in manchen Fällen falsch sind. „Wir haben die Kommission in einer größeren Runde darauf aufmerksam gemacht“, sagt Koidl. Zahlreiche hochrangige Beamten wurden Ende Dezember im Video-Call über die fehlerhafte Liste informiert. Doch die Fehler blieben: Die Europäische Kommission versäumte es, die gesenkten Mehrwertsteuersätze in Deutschland aufzunehmen und wies statt 16 Prozent den üblichen Regelsatz von 19 Prozent aus. Koidl kann noch zahlreiche andere Beispiele aufzählen. Für bestimmte Lebensmittelprodukte gilt in Deutschland der reduzierte Steuersatz von 7 Prozent, die Liste der Kommission wies stattdessen 19 Prozent aus. Für den Händler, der glaubt, dass die Europäische Kommission hier eine amtliche Liste führt, bedeutet die falsche Information einen Wettbewerbsnachteil und Mehrzahlung an das Finanzamt von 12 Prozent.

„Verlässliche und belastbare Auskünfte sind über diese Datenbank nicht möglich“, sagt Koidl. Er hat fünf Jahre damit verbracht ein System aufzubauen, in dem 800.000 Steuercodes gespeichert und durchgehend manuell aktualisiert werden. Auf seinen Hinweis an die Kommission, dass die Listen mit den Steuersätzen nicht hundertprozentig richtig sein, erhielt er nur die Antwort, dass die Kommission keine Haftung für die Daten übernimmt.