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Altmaiers Schutzwall für die Wirtschaft

Als Wirtschaftsminister fühlt sich Peter Altmaier für den Standort Deutschland verantwortlich – für die Wirtschaft und für die Millionen Arbeitsplätze. Doch mit Blick auf die wachsende Konkurrenz vor allem in China und den USA sorgt sich Altmaier, Deutschland könne „die verlängerte Werkbank der anderen“ werden. Seine Antwort auf die immer aggressivere Industriepolitik der Volksrepublik hat der Wirtschaftsminister in der „Nationalen Industriestrategie 2030“ zusammengefasst.

Altmaier betont in dem Papier, dass er nicht nur Handlungsbedarf bei den Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft sieht. Er fordert zudem eine Reform des europäischen Wettbewerbsrechts, um Fusionen von Unternehmen zu „europäischen Champions“ zu erleichtern, damit die mit der Konkurrenz aus den USA und China mithalten können. Feindliche Übernahmen aus dem Ausland sollen über staatliche Beteiligungen verhindert werden können. In sehr wichtigen Fällen könne der Staat „für einen befristeten Zeitraum als Erwerber von Unternehmensanteilen auftreten“, betonte Altmaier.

Wettbewerbsökonomen warnen eindringlich vor solchen Markteingriffen. „Ich teile die Problemanalyse, von der das Papier ausgeht“, sagte Achim Wambach, Chef der Monopolkommission, dem Handelsblatt. Zwar habe insbesondere der Wettbewerb mit den chinesischen Unternehmen auch unfaire Elemente. „Die Antwort kann aber nicht sein, dass wir selbst wettbewerbswidrig unsere Unternehmen stützen.“ Eine Einschätzung, die auch RWI-Chef Christoph Schmidt, Vorsitzender des Sachverständigenrats, teilt: „Solche Instrumente sollten extremen Notfallsituationen, also schweren konjunkturellen Einbrüchen, vorbehalten bleiben“, warnte er.

Zu Beginn seiner Präsentation wird Altmaier für einen Moment ganz grundsätzlich. „Es geht um die Frage, ob wir den Wohlstand, den wir uns in den vergangenen 70 Jahren erarbeitet haben, erhalten und ausbauen können“, sagt der Bundeswirtschaftsminister. Dann holt er aus. Er braucht eine halbe Stunde, um seine Strategie zu erläutern.

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Die zentrale Botschaft: Die deutsche Wirtschaft soll im Wettlauf um Innovation und Technologieführerschaft, um Marktanteile und Gewinne auch in Zukunft eine führende Rolle spielen. Der Minister sieht im Moment die Gefahr, dass Amerika und Asien gerade in Schlüsseltechnologien an Deutschland und dem Rest Europas vorbeiziehen. Deutschland müsse „vom Erdulder, vom passiven Beobachter wieder zum Gestalter werden“, mahnt der Minister.

Der Staat müsse dafür sorgen, dass die Unternehmen dazu in die Lage versetzt werden, ihren Rückstand auf bestimmten Innovationsfeldern, etwa beim Thema Künstliche Intelligenz (KI), aufzuholen. Altmaier will Hürden aus dem Weg räumen und Hilfe gewähren.

Der Minister plädiert in dem Papier dafür, das europäische und deutsche Wettbewerbsrecht zu ändern. Gegenüber dem Handelsblatt hatte Altmaier bereits Anfang Januar dafür geworben, dass es mehr Weltmarktführer in Europa geben müsse. „Wir brauchen mehr europäische Champions, um uns im Wettbewerb mit China und den USA zu behaupten“, sagte er. „Dazu wollen wir die Zusammenarbeit von europäischen Unternehmen unterstützen.“

Staatsbeteiligung möglich

Außerdem soll sich der Staat in wichtigen Fällen ausnahmsweise und nur für einen begrenzten Zeitraum an Unternehmen beteiligen können. Dazu soll ein spezieller Fonds aufgelegt werden. Er soll dann eingesetzt werden können, wenn beispielsweise Unternehmen aus Schlüsselindustrien und aus Hochtechnologie-Bereichen bedroht seien. Er sei bei den Überlegungen sehr geprägt von der Entwicklung bei dem Augsburger Robotikkonzern Kuka, bei dem heute ein chinesisches Unternehmen das Sagen hat.

Der Minister will durch verlässliche Rahmenbedingungen wie vertretbare Energiepreise, niedrige Steuern und eine Abgabenlast unter 40 Prozent Unternehmen stärken und angesichts der Konkurrenz gerade mit China die Weichen für einen Erhalt von Wohlstand und Arbeitsplätzen stellen.

Es sei Anlass zur Sorge, dass in Deutschland kaum noch neue Großkonzerne entstehen. Altmaier will die Strategie mit Politik, Unternehmen, Verbänden und Gewerkschaften beraten. Am Ende soll eine neue Industriestrategie der Bundesregierung stehen.

Die Industriestrategie hatte schon im Vorfeld für einigen Wirbel gesorgt, nachdem Passagen eines Entwurfs bekannt geworden waren. Wie hoch sollen die Schutzwälle für deutsche Unternehmen denn werden? Und will der Minister tatsächlich alle strauchelnden Kandidaten retten? Altmaier versuchte, Vorwürfe zu widerlegen, er wolle die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft quasi im Handstreich über Bord werfen.

Nein, so wird er nicht müde zu beteuern, grundsätzlich habe sich der Staat herauszuhalten. Da es aber keine globale Soziale Marktwirtschaft gebe, müsse der Staat deutschen Unternehmen in bestimmten Situationen helfen. Eben immer dann, wenn sie im Wettbewerb zurückzufallen drohten, weil andere nicht mit fairen Mitteln spielten, müsse das geschehen.

In den Augen des Wirtschaftsministers ist die Bedeutung seiner Industriestrategie gar nicht hoch genug einzuschätzen, ja, sie markiert sogar einen Wendepunkt in der Arbeit der Großen Koalition. „In den vergangenen ein bis zwei Jahren haben wir zu viel über die kleinen und zu wenig über die großen Dinge geredet“, sagt der CDU-Politiker und erwähnt kurz die Querelen, die über Monate keine vernünftige Regierungsarbeit erkennen ließen. Jetzt also, so Altmaiers Botschaft, setze man Akzente und mache sich an die Arbeit.

Doch ist Altmaiers Konzept wirklich der große Wurf? Die im Papier explizit genannten Unternehmen Siemens, Thyssen-Krupp, Deutsche Bank sowie die Autohersteller hielten sich am Dienstag mit einer öffentlichen Bewertung zurück. „Grundsätzlich befürworten wir jede Initiative, die eine Stärkung des Industriestandorts Deutschland zum Ziel hat“, heißt es in Kreisen eines der Unternehmen. Der Staat müsse die Rahmenbedingungen schaffen, mit denen deutsche Unternehmen im härter werdenden globalen Wettbewerb erfolgreich sein können. Allerdings dürfe Deutschland nicht dazu übergehen, unfaire Praktiken zu übernehmen, wie sie in anderen Ländern der Fall sind.

Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing wertet es „als sehr positives Zeichen“, dass sich die Bundesregierung Gedanken über den Finanzstandort Deutschland mache. „Es geht darum, wie die Wirtschaft in Deutschland langfristig funktionieren kann“, sagte er. Bankkredite seien für die deutsche Wirtschaft nach wie vor sehr wichtig. Und für die mittelständische Industrie seien „funktionsfähige, international aufgestellte Banken für Deutschland wichtig“. Eine Hilfestellung der Regierung für die Bank will Sewing in dem Konzept nicht erkennen.

Unter Fachleuten und in der Politik gibt es erhebliche Skepsis. Er betrachte das Papier „nicht als ein schlüssiges industriepolitisches Konzept, eher als Diskussionsgrundlage“, sagte der Düsseldorfer Wettbewerbsökonom Justus Haucap dem Handelsblatt.

Altmaier vermenge darin Themen der Ordnungspolitik mit industriepolitischen Fragen. Scharf kritisierte er Altmaiers Vorschläge, die Fusionskontrolle zu lockern. So auch Kartellrechtler Daniel Zimmer: Wenn Altmaier das Wettbewerbs- und Kartellrecht schwächen wolle, sei das der falsche Weg. „Dass Unternehmen stärker werden, wenn man den Wettbewerb zwischen ihnen aufhebt, ist ein Irrglaube“, sagte Zimmer.

Kritik kam auch aus der Opposition. „Peter Altmaier hat seine Amtszeit als Wirtschaftsminister in die Tradition Ludwig Erhards gestellt. Angesichts dieser Vorschläge würde sich Erhard, der Vater des deutschen Kartellrechts, allerdings im Grabe umdrehen“, sagte Katharina Dröge, wettbewerbspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, dem Handelsblatt. Altmaiers Vorschläge zur Lockerung des Kartellrechts seien „ein Freifahrtschein für Megafusionen und Konzerngiganten“, warnte sie.

Hürden für Europas Champions

Die Diskussion über nationale und europäische Champions hatte vor allem durch die geplante Bahnfusion von Siemens und Alstom an Schärfe gewonnen. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager wird am Mittwoch das Veto der Brüsseler Behörde gegen den deutsch-französischen Deal verkünden – sehr zum Ärger der Regierungen in Berlin und Paris.

Wie Altmaier fordert auch sein französischer Kollege Bruno Le Maire, das europäische Wettbewerbsrecht zu reformieren. Auch Manfred Weber, Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei bei den Europawahlen und damit Anwärter auf den Posten des Kommissionspräsidenten, sprach sich dafür aus, die geltenden Regeln zu lockern.

Der scheidende Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hält dagegen: „Wir wollen europäische Firmen, die auf dem Weltmarkt bestehen können“, sagte Juncker bei den EU-Industrietagen in Brüssel. Aber die Kommission werde niemals aus politischen Gründen Vorzüge gewähren, betonte er. In rund 30 Jahren hätten die europäischen Wettbewerbshüter mehr als 6.000 genehmigt und weniger als 30 Fusionen blockiert. „Das ist eine Botschaft an diejenigen, die sagen, die Kommission bestehe aus blinden, blöden und sturen Technokraten.“

Die Brüsseler Behörde wehrt sich dagegen, dass ihre weitreichenden Kompetenzen als Hüterin des Wettbewerbs im EU-Binnenmarkt beschnitten werden. Gleichzeitig sehen aber auch die Kommissare Bedarf für eine aktivere Industriepolitik in Europa, um auf die neuen Herausforderungen zu reagieren. So könnte in strategisch wichtigen Sektoren auch der Spielraum für Staatshilfen für Unternehmen erweitert werden, sagt Industriekommissarin Elżbieta Bieńkowska: „Wir sollten weniger Beihilfenkontrolle machen und dafür mehr Beihilfepolitik.“

Als strategisch bedeutend hat die Kommission bislang die Batteriefertigung, die Mikroelektronik und Hochleistungscomputer identifiziert. Dort können Investitionsvorhaben als Projekt von europäischem Interesse eingestuft werden. Das ermöglicht eine üppigere Förderung durch den Staat, als es die strikten Beihilferegeln der EU sonst erlauben.

Der Binnenmarkt-Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament, Andreas Schwab, fordert weitere Schritte. Langfristig müsse sichergestellt werden, dass auch nichteuropäische Unternehmen sich in der EU an den marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen halten müssten, sagte der CDU-Politiker dem Handelsblatt.


Die globale Renaissance der Wirtschaftsstrategien

Industriepolitische Strategien erleben in vielen Teilen der Welt eine Renaissance, es gibt kaum ein erfolgreiches Land, das zur Bewältigung der Aufgaben ausschließlich und ausnahmslos auf die Kräfte des Marktes setzt“, heißt es in der industriepolitischen Strategie von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Tatsächlich intervenieren Regierungen weltweit zunehmend am Markt – auch jenseits von planwirtschaftlich geprägten Ländern wie China. Die Ansätze sind allerdings durchaus unterschiedlich.

Peking

Die industriepolitische Strategie der chinesischen Regierung rüttelte erst mit Zeitverzögerung die westlichen Nationen wach. Mit ihrer „Made in China 2025“- Strategie hat sich die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zum Ziel gesetzt, in zahlreichen Technologiefeldern zum Weltmarktführer zu werden.

Der Plan sieht vor, durch gezielte Investitionen in heimische Industrien, aber auch durch Übernahme ausländischer Firmen den Anteil chinesischer Hersteller von „Kernkomponenten und wichtigen Werkstoffen“ auf dem einheimischen Markt auf bis zu 70 Prozent zu steigern.

Obwohl der Plan bereits 2015 vorgestellt wurde, wurden erst in jüngster Zeit andere Regierungen verstärkt darauf aufmerksam. Weil die internationalen Befürchtungen so groß wurden, wies die chinesische Regierung ihre Beamten und staatlichen Medien sogar an, nicht weiter über die Strategie zu reden.

London

Der britische Wirtschaftsminister Greg Clark kündigte 2017 eine Industriestrategie an – auch als Reaktion auf das Brexit-Votum. Die Regierung will die Wirtschaft weniger London-zentriert machen und andere Regionen stärken. Die Forschungsausgaben sollen bis 2027 auf 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. So soll die im G7-Vergleich niedrige britische Produktivität verbessert werden. Bislang wurden sieben Milliarden Pfund an Fördergeld für 600 Projekte vergeben.

Ein Schwerpunkt sind Zukunftssektoren wie das autonome Fahren und die Künstliche Intelligenz. Diese Subventionen fließen jedoch vor allem nach Oxford und Cambridge nördlich von London und verstärken damit die Dominanz der Hauptstadtregion. Auch die Brexit-Unsicherheit droht die Strategie zu unterminieren. Die Autobranche etwa hat bereits mit Stellenabbau und Verlagerungen begonnen. Auch in anderen Branchen halten Unternehmen sich zurück: Insgesamt stagnierten die Investitionen im vergangenen Jahr.

Washington

Amerikas Industriepolitik hat sich vor allem der Restauration verschrieben. Seit der Jahrtausendwende haben die USA fünf Millionen Industriearbeitsplätze verloren. Donald Trump ist mit dem Versprechen Präsident geworden, diesen Trend zu brechen. Für ihn sind Zölle der Schlüssel für eine erfolgreiche Industriepolitik.

Vor allem die Stahlbranche, die er als Rückgrat der US-Wirtschaft betrachtet, versucht er, hinter Handelsbarrieren zu alter Stärke zurückführen. Doch das will bisher nicht gelingen. Zwar erwarten Analysten für 2018 einen Anstieg der Stahlproduktion um vier Prozent, das Beschäftigungsplus aber soll nur ein Prozent betragen.

Mitarbeit: Bert Fröndhoff, Yasmin Osman, Kevin Knitterscheidt, Moritz Koch, Carsten Volkery