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Fehlende Perspektive, schleppende Auszahlung der Hilfen: Wirtschaft lädt ihren Frust bei Altmaier ab

Wirtschaftsminister Altmaier will gemeinsam mit den Unternehmen eine Öffnungsstrategie aus dem Lockdown erarbeiten. Die aber bleiben skeptisch.

Unternehmen fordern eine klare Öffnungsperspektive vom Minister. Foto: dpa
Unternehmen fordern eine klare Öffnungsperspektive vom Minister. Foto: dpa

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier will in den kommenden Tagen gemeinsam mit der Wirtschaft eine Öffnungsstrategie erarbeiten. Ziel sei es, kurzfristig ein umfassendes Konzept für den Weg aus dem Lockdown zu erstellen, sagte der CDU-Politiker nach einem virtuellen Wirtschaftsgipfel mit Vertretern von mehr als 40 Verbänden.

Die Vorschläge wolle er dann in die nächsten Corona-Beratungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten der Länder am 3. März einbringen.

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Der Minister versucht damit, etwas Druck aus dem Kessel zu lassen. Wie groß der Frust in der Unternehmerschaft ist, hatte der Minister an diesem Dienstag zu hören bekommen: Die Verbandsvertreter nutzten die rund zweieinhalbstündige Sitzung, um ihre Kritik an der noch immer fehlenden Öffnungsperspektive und der schleppenden Auszahlung der Hilfen für notleidende Betriebe zu artikulieren. Sie forderten eine umfassende Öffnungsstrategie auf Basis objektiver Kriterien.

Mehrere Teilnehmer zeigten sich anschließend unzufrieden: Altmaier habe „die Zeit nicht genutzt, um seine Hausaufgaben zu machen und eine eigene Öffnungsstrategie zu entwickeln“, kritisierte Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbands Die Familienunternehmer.

Auch die vom Minister angekündigte Ausweitung der Unternehmenshilfen etwa um einen neuen Härtefallfonds besänftigte die Gemüter nicht. „Jeder weitere Tag, an dem nichts geschieht, kostet Existenzen“, sagte Klaus Josef Lutz, Vorstandschef des börsennotierten Agrarhändlers Baywa, dem Handelsblatt.

Peter Altmaier gab sich alle Mühe, den positiven Charakter der Gespräche zu betonen. Nach der rund zweieinhalbstündigen Videokonferenz dankte er den gut 40 Wirtschaftsvertretern für einen „intensiven, sehr konstruktiven und ausgesprochen sachlichen Austausch“, der zugleich ein „ungeschminktes Bild der Lage“ gezeichnet habe.

Der Minister hatte den sogenannten Wirtschaftsgipfel anberaumt, um endlich wieder aus der Defensive zu kommen. Die Ungeduld in den vom monatelangen Lockdown betroffenen Branchen ist groß, und sie wächst mit jedem Tag, an dem keine Besserung in Sicht steht. Die Politik müsse „dringend die Frage beantworten, unter welchen Bedingungen unsere Betriebe öffnen können“, forderte etwa der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Tourismuswirtschaft, Michael Frenzel, nach dem virtuellen Treffen.

Harsche Kritik vonseiten der Wirtschaft

Der Präsident des Handelsverbands HDE, Josef Sanktjohanser, kritisierte, der trotz sinkender Inzidenzzahlen unvermindert harte Lockdown sei weder angemessen noch verhältnismäßig.

Die Enttäuschung der Unternehmen ist enorm gewachsen, seit die Ministerpräsidentenkonferenz vergangene Woche kaum Aussicht auf ein Ende des Lockdowns gebracht hat. Auch die dort vereinbarte Absenkung des Inzidenzwerts von 50 auf 35 als Schwelle für weitere Lockerungen wurde in der Runde kritisiert. Immer wieder wurde von Wirtschaftsvertretern darauf verwiesen, dass man nicht wisse, welche überraschenden Entscheidungen es seitens der Politik gebe.

Altmaier sprach den gebeutelten Branchen zwar Mut zu: Es gebe eine „begründete Hoffnung“, dass es für viele Bereiche demnächst eine Öffnungsperspektive geben werde, sagte er. Die jüngste Ministerpräsidentenkonferenz habe bereits „Elemente einer Öffnungsstrategie vorgezeichnet“, diese hätten aber offenkundig nicht alle Wirtschaftsvertreter überzeugt.

Der Minister forderte daher alle Teilnehmer in der Sitzung auf, in den kommenden zwei Tagen ihre Vorstellungen in Papierform bei ihm einzureichen. Auf dieser Grundlage solle dann eine gemeinsame Position formuliert werden und in die kommenden Beratungen von Kanzlerin und Ministerpräsidenten eingespeist werden.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hatte da bereits ein eigenes 20-Punkte-Papier vorgelegt, um die Weichen für eine dauerhafte Eindämmung der Pandemie zu stellen. Der BDI fordert darin unter anderem eine leistungsfähige digitale Infrastruktur, um Homeoffice zu ermöglichen, und die Verbesserung der steuerlichen Verlustverrechnung.

„Einfache steuerliche Maßnahmen wie die Erhöhung der Verlustrückträge schaffen rasch Liquidität für Unternehmen und vergrößern die Investitionsbereitschaft für den Wiederaufschwung“, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Die Industrie benötige einen evidenzbasierten Stufenplan mit einheitlich anwendbaren Kriterien.

Andere geben sich mit Altmaiers Einbindungsansatz nicht zufrieden. Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbands Die Familienunternehmer, sieht den Wirtschaftsminister in der Pflicht, eine eigene Öffnungsstrategie zu entwickeln. Stattdessen delegiere er die Aufgabe an die Verbände: „Viele der Unternehmer, die um ihre Existenz kämpfen, haben allerdings kein Verständnis für solcherlei Hinhaltetaktiken“, so Eben-Worlée.

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger zeigte sich ebenfalls unzufrieden mit Altmaiers Ansatz: Er fordert eine konzertierte Aktion von Gewerkschaften und Arbeitgebern – nach dem Vorbild des Bündnisses für Arbeit, das Kanzler Gerhard Schröder 1998 zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit initiiert hatte. „Regelmäßige Gespräche mit der Regierung sind richtig, ersetzen aber kein mit den Sozialpartnern abgestimmtes Handeln“, sagte Dulger.

Auch Frenzel forderte ein stärkeres Engagement Merkels in den Gesprächen mit der Wirtschaft: „Ich würde mir wünschen, dass der Dialog mit der Kanzlerin wieder aufgenommen wird, damit wir unsere Sorgen und Empfehlungen vorbringen können“, sagte er.
Für den Wirtschaftsminister sind solche Rufe nicht unbedingt ein Vertrauensvotum.

Auch wenn Altmaier laut Teilnehmern Lob erhielt in der Sitzung – er sei der einzige Minister, der der Wirtschaft überhaupt Gehör schenke. Einige Teilnehmer kritisierten aber, dass das Treffen nur auf zwei Stunden angesetzt war. Am Ende kamen nicht alle der 40 Verbände zu Wort.

Altmaier erläuterte zunächst ausführlich, warum es zu den Verzögerungen bei den Wirtschaftshilfen gekommen sei, bevor er umfänglich, aber wenig konkret über eine Öffnungsperspektive für die Betriebe referierte, wie Teilnehmer des Treffens berichten. Danach gab es zwei Fragerunden der Verbandsvertreter, die Altmaier jeweils zusammenfasste und beantwortete.

Unternehmer fordern Öffnungsstrategie

Die Wirtschaftsvertreter forderten eine Öffnungsstrategie, die auch flächendeckende Corona-Tests und Impfungen miteinschließe. Die Lockerungsschritte sollen überdies an konkrete Kriterien geknüpft werden. Dazu sollten nicht „eindimensional“ die Inzidenzwerte betrachtet werden, sondern etwa auch die aktuelle Reproduktionszahl und die Auslastung der Betten auf den Intensivstationen, forderte Frenzel.

Die Verbandsvertreter machten zugleich deutlich, dass sie eine zeitliche Abfolge der zu öffnenden Branchen ablehnen. Vielmehr sollten Kriterien formuliert werden, die dann für alle gelten. Altmaier habe sich diesbezüglich in der Sitzung aber skeptisch gezeigt, berichten Teilnehmer. Der Minister weiß, dass Merkel und die Ministerpräsidenten eine breit angelegte Öffnung kaum mittragen werden – zu groß ist die Furcht vor einer dritten Infektionswelle durch die besonders ansteckenden Virusmutationen.

Kanzleramt gegen Stufenplan

Die Kanzlerin hatte nach den jüngsten Corona-Beratungen erklärt, man wolle „Schritt für Schritt“ weitere Öffnungen für weitere Bereiche wie Gastronomie oder Kultur vereinbaren. Merkel sträubt sich wie Gesundheitsminister Jens Spahn bislang dagegen, den eigenen Handlungsspielraum in der Pandemiebekämpfung über einen konkreten Stufenplan einzuschränken. Es lasse sich nicht bis ins Letzte voraussagen, wie sich die Dinge entwickelten, so die Kanzlerin zuletzt.

Ein verlässliches Öffnungsdatum gibt es daher bislang nur für Friseure, die ab Anfang März wieder Kunden empfangen dürfen. Der erste größere Lockerungsschritt wird an die Grenze von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen geknüpft: Liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in einem Bundesland mehrere Tage stabil unter dieser Schwelle, sollen die Geschäfte im Einzelhandel unter Auflagen wieder aufmachen.

Die Unzufriedenheit in der Wirtschaft über die fehlende Planungssicherheit wird noch verstärkt durch den Frust über verspätete und wenig passgenaue Wirtschaftshilfen. Die Bundesregierung habe eine „Bazooka“ versprochen, kritisierten Teilnehmer der Sitzung, davon sei aber nicht so viel übrig geblieben. Altmaier habe bei den Verzögerungen auch auf das Bundesfinanzministerium verwiesen, gleichzeitig aber betont, dass gegenseitige Schuldzuweisungen auch nicht weiterhülfen.

Erst Mitte Januar lief das System, über das vom Lockdown im November betroffene Betreiber von Restaurants, Hotels und Veranstalter die Erstattung von Umsatzausfällen beantragen konnten. Von den knapp zehn Milliarden Euro, die an November- und Dezemberhilfen beantragt wurden, sind inzwischen laut Bundeswirtschaftsministerium 6,1 Milliarden ausgezahlt.

Auch die Hilfen für Einzelhändler oder Friseure lassen auf sich warten, die wegen der Verschärfung des Lockdowns vor Weihnachten schließen mussten. Immerhin können seit vergangener Woche Anträge auf diese Überbrückungshilfe III gestellt werden, 34,6 Millionen Euro wurden bislang über Abschlagszahlungen ausgezahlt.

Für die Verzögerungen wird vor allem Altmaier verantwortlich gemacht, dessen Ministerium für die Antragstellung und die Abschlagszahlungen zuständig ist. Nach dem Wirtschaftsgipfel kündigte der Minister weitere Nachbesserungen an. So solle ein Härtefallfonds eingerichtet werden, um auch einzelnen Betrieben helfen zu können, die bislang durch das Förderraster fielen.

Die Einzelheiten wolle er kurzfristig mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz klären, sagte Altmaier. In Regierungskreisen hieß es, der Härtefallfonds solle vom Bund mit rund 1,5 Milliarden Euro bestückt werden. Beiträge der Länder könnten dann hinzukommen.

Hilfen nochmals ausgeweitet

Zudem solle die bislang geltende Beschränkung abgeschafft werden, wonach nur Unternehmen mit bis zu 750 Millionen Euro Jahresumsatz Anspruch auf die Überbrückungshilfe III haben. Vor allem der Einzelhandel hatte darauf gedrungen. Sanktjohanser beklagte, dass die Hilfen derzeit „noch immer an vielen Unternehmen vorbeigehen“.

Die neuen Ankündigungen Altmaiers besänftigen auch in der seit bald vier Monaten stillgelegten Gastronomie längst nicht alle: „Das ist die nächste Absichtserklärung, die getätigt wurde“, sagt Stephan von Bülow, Chef der Eugen-Block-Gruppe, die in Deutschland mehr als 60 Restaurants betreibt. „Es wäre schön, wenn es so kommt, aber unser Vertrauen in die Politik schwindet.“

Noch immer könnten viele größere Misch- und Verbundbetriebe wegen der daran geknüpften Voraussetzungen die Hilfen nicht beantragen, kritisiert von Bülow. Die Block-Gruppe verliere jeden Monat mehrere Millionen Euro, der Umsatz sei 2020 von 410 auf 305 Millionen Euro gesunken: „Die Betriebe und Mitarbeiter benötigen endlich eine Öffnungsperspektive.“

Auch Tom Koperek von der Initiative Alarmstufe Rot der Veranstaltungswirtschaft beruhigen die geplanten Nachbesserungen kaum: „Bevor man weitere Zusagen macht, ist es notwendig, den kleinen und mittelständischen Unternehmen endlich so unter die Arme zu greifen, dass deren Substanzverlust und somit auch eine drohende Insolvenz abgewendet werden können“, sagte er. Seine LK AG aus Essen ist Dienstleister mit eigener Event-Location, Event-Agentur und Firma für Veranstaltungstechnik.

Die Umsätze sind 2020 um 90 Prozent eingebrochen: „Wir haben mehr als die Hälfte unseres Eigenkapitals verloren, über 1,5 Millionen Euro. Hierbei sind die Überbrückungshilfen I und II bereits angerechnet. Daran kann man erkennen, dass die Hilfen völlig unzureichend ausgestaltet sind.“