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„Alarmstimmung“ bis hin zu „blankem Zorn“: Transporteure kritisieren Chaos an den Grenzen

Mit den Grenzkontrollen wachsen die Staus. Lieferketten für Industrie und Handel drohen zu reißen. Spediteure beklagen sich über Einreiseregeln.

Montagmorgen am Brenner: Rund 100 Fahrer stehen an der italienischen Grenze zu Tirol und diskutieren. Manche tragen Maske, andere nicht, wie ein Foto zeigt. Die Aufnahme hat Spediteur Georg Dettendorfer von einem seiner Fahrer aus dessen Führerhaus erhalten. Seiner Meinung nach dokumentiert es „genau das Chaos, was die Politik in den letzten zwei Tagen angerichtet hat“.

Bei den Transporteuren herrsche „Alarmstimmung“ bis hin zu „blankem Zorn“, hieß es am Montag beim Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV). Der Grund: Niemand weiß so recht, welche Regeln seit Sonntag an den Grenzen gelten.

Klar ist nur: Deutschland kontrolliert entgegen der europäischen Absprachen seit Sonntag die Grenzen nach Tschechien und Tirol. Fahrer dürfen nur noch einreisen, wen sie sich vorher elektronisch anmelden und einen negativen Coronatest vorlegen. Gegebenenfalls müssen sie in Quarantäne. Kilometerlange Staus sind die Folge, Lieferketten drohen beschädigt zu werden.

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Beim Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) ist bereits von Versorgungsengpässen die Rede, beim deutschen Verkehrsforum von „faktischen Grenzschließungen“, da alle Warnungen im politischen Berlin kein Gehör fanden und es daher nicht mehr wie vor etwa einem Jahr Ausnahmen für den Güterverkehr gibt.

Aus Sorge vor neuen Virus-Varianten hat der Bund im Januar eine neue Einreiseverordnung erlassen und für die Länder eine neue Musterquarantäneverordnung. Sie sehen vor, dass sich Transporteure aus Risikogebieten elektronisch anmelden und binnen 48 Stunden einen Test vorlegen müssen.

Bei Einreisen aus Mutationsgebieten muss vorab ein Test vorliegen, der nicht älter als zwei Tage ist. Die Quarantäneregeln legen die Bundesländer individuell fest, einen Überblick gibt es nicht. „Ausländische Fuhrunternehmer sind heillos überfordert“, sagte BGL-Präsident Dirk Engelhardt.

In den vergangenen Wochen, so hieß es in der Branche, hätten die Lieferketten nur gehalten, „weil sich niemand an die Regeln gehalten hat“. So sei etwa das digitale Einreise-Anmeldesystem (Dea) unzureichend programmiert, mit der Folge, dass die Gesundheitsämter legitime Einreisen nicht genehmigten, sondern Quarantäne bei Strafen von bis zu 25.000 Euro anordneten.

Subunternehmen müssen einspringen

Nun aber wird kontrolliert. „Jetzt kommt es zu nachgelagerten Störungen, weil jeder Einreisende aus einem Mutationsgebiet in Quarantäne muss“, erklärte DSLV-Hauptgeschäftsführer Frank Huster. „Das führt dazu, dass Unternehmen auf Geschäft verzichten oder die Mitarbeiter nicht mehr fahren wollen.“ Viele Logistiker würden auf den Spotmarkt ausweichen und statt eigener Flotten kurzfristig Subunternehmen anheuern. Inzwischen fragen sich die Logistiker: Wie wichtig ist der Kunde und wie wichtig ist dessen Lieferkette?

„Die Logistik ist ein Hochpräzisionsuhrwerk, dass gerade von der Politik zerlegt wird“, klagte Huster. Touren, Fahrzeuge und Fahrer würden unter normalen Umständen nach Algorithmen eingesetzt. Kunden erhalten Lieferungen nicht nur genau in der Zeit, in der sie in der Produktion benötigt werden (just in time), sondern auch in der entsprechenden Reihenfolge (just in sequence). Das alles sei angesichts der unsicheren Lage an den Grenzen nicht mehr möglich.

Beim BGL hieß es, Großverlader würden ihre Spediteure bereits unter Druck setzen, vertragliche Verpflichtungen einzuhalten. Sie sollen im Zweifel Hochrisikogebiete umfahren.

Es gibt etliche praktische Probleme. Wer etwa aus Italien nach Deutschland fährt, muss trotz der eineinhalb-stündigen Durchfahrt durch Tirol einen Test vorlegen und sich elektronisch anmelden. Wer aus Portugal kommt und dazu fünf Tage benötigt, muss in Frankreich einen Test machen, damit er bei der Einreise noch anerkannt wird, hieß es beim BGL.

Auf Nachfrage, wo denn ein Test durchgeführt werden könne, habe das Bundesgesundheitsministerium auf französische Apotheken verwiesen. Doch: Wo sollen die Fahrer den Lkw parken? „Die Unternehmer sind verzweifelt, weil sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen“; erklärte Präsident Engelhardt. Die Transportkapazitäten würden bereits abnehmen.

Die Branche sieht ein Problem darin verortet, dass das Bundesinnenministerium sowie das Gesundheitsressort die Einreiseregeln festlegen. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hingegen verstehe die Sorgen der Transporteure. Er hatte all die Monate für Ausnahmeregeln geworben und sich für die sogenannte „Green Lanes“-Regelung, also für die freie Fahrt für Transporteure, eingesetzt. Auf den freien Warenverkehr pocht auch die EU-Kommission.

Unternehmen fordern Ausnahmen

Nun hoffen die Unternehmer auf Scheuer: „Vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung neu ausgewiesenen Virusvariantengebiete verbunden mit Grenzkontrollen bitten wir Sie um Unterstützung“, schrieb der Präsident des Deutschen Verkehrsforums, Raimund Klinker, am Montag an den Minister. „Wir warnen aufgrund der Rückmeldungen unserer Mitglieder davor, dass die Rahmenbedingungen – Testpflicht, stationäre Grenzkontrollen, fehlende Testmöglichkeiten und fehlende Ausnahmeregelungen – zu einer De-facto-Grenzschließung und damit einer angespannten Versorgungslage führen.“

Entsprechend solle es Ausnahmen geben, eine funktionierende Anmeldeplattform zur Einreise sowie Testkapazitäten. Die Branche müsse dringend stärker bei der Erstellung der Gesetze und Verordnungen in Zusammenhang mit Covid-19 berücksichtigt werden.

BGL-Präsident Engelhardt trifft an diesem Dienstag Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Er will dann für Alternativen zu Grenzkontrollen werben, etwa eine FFP2-Maskenpflicht für Fahrer außerhalb der Fahrzeuge oder selbst durchgeführte Schnelltests.

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