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Einblicke in einen Gerichtsthriller: Bayer und die Milliardenfalle Glyphosat

Bayer hat sich bei den Gerichtsprozessen in den USA deutlich verschätzt. Doch statt um Sympathie zu werben, tritt der Leverkusener Konzern überheblich auf.

 

  • Fünf Aspekte, die den Bayer-Prozess erklären

  • Bayer-Aufsichtsratschef Werner Wenning steht fest zum Monsanto-Kauf: „Wir tun das Richtige bei Bayer“

  • Geschworener im Glyphosat-Prozess im Interview: „Wir haben unser Urteil nicht auf Emotionen basiert“

Der holzvertäfelte Gerichtssaal im vierten Stock des Superior Court of California ist bis auf den letzten Platz besetzt. Kein Wunder, beim Verfahren mit dem Aktenzeichen RG17862702 geht es um einen herzzerreißenden Fall – und viel Geld.

Dreißig Jahre lang sprühte das Ehepaar Alva und Alberta Pilliod das Glyphosat-Produkt Roundup von Monsanto im Garten. Die Frau wurde 2011, ihr Mann 2015 mit Non-Hodgkin-Lymphome diagnostiziert, einem Krebs des Immunsystems.

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Um die Leiden des Pärchens zu demonstrieren, lässt deren Anwalt Brent Wisner am Donnerstagmorgen vergangener Woche ein lebensgroßes Skelett in den Saal fahren. Aus rotem Knetgummi formt der Amerikaner Bällchen und klebt sie an die Knochen. Jede Kugel symbolisiert ein Krebsgeschwür der beiden ungefähr Mitte-Siebzigjährigen.

Bayer: „Wir haben unser Urteil nicht auf Emotionen basiert“

Ausführlich beschreibt der Anwalt, wie sehr ihr Leben zur Hölle geworden sei. Alva hätte Schwierigkeiten zu sprechen, beide bräuchten einen Stock beim Gehen. Und das nur, weil sie kein Unkraut im Garten haben wollten. Denn wie sonst können zwei genetisch von einander unabhängige Menschen fast gleichzeitig die gleiche Art Krebs bekommen?

Wie anders geht da Tarek Ismail vor, der Anwalt der Verteidigung. Keine Show, nur Fakten. Kein Arzt sage seinen Patienten, dass das Monsanto-Unkrautvernichtungsmittel Roundup Krebs verursache, sagt er. Keine Zulassungsbehörde in der Welt stufe Roundup und sein Wirkmittel Glyphosat als krebserregend ein.

Die Kläger könnten auch aus ganz anderen Gründen an Non-Hodgkin-Lymphome erkrankt sein. Beide hätten bereits andere Krebserkrankungen, Alva hätte lange geraucht. Der Partner der Kanzlei Goldman Ismail Tomaselli Brennan & Baum feuert eine Litanei von Fakten auf die Geschworenen ab.

Einmal Gefühl, einmal Gehirn – unterschiedlicher könnte das Vorgehen kaum sein. Bislang gewinnt das Herz: Schon zweimal verurteilten US-Gerichte Bayer wegen Glyphosat auf hohen Schadensersatz. Der Aktienkurs stürzte ab, der Gesamtwert des Leverkusener Konzerns schrumpfte um 30 Milliarden Euro. Die Angst der Aktionäre ist verständlich: Es stehen 11.200 Glyphosat-Klagen aus – und täglich werden es mehr.

Bayer setzt auf wissenschaftliche Argumente

Aber Bayer bleibt bei seiner Linie, der Verteidigung auf wissenschaftlicher Basis. In seinem ersten Interview seit dem Ausbruch der juristischen Krise sagt Bayer-Aufsichtsratschef Werner Wenning im Handelsblatt: „Unsere Aufgabe ist es, mit wissenschaftlichen Argumenten bei den Gerichten durchzudringen.“ Er gesteht aber ein, dass dies in den beiden ersten Prozessen in den USA nicht gelungen ist. „Daraus werden wir unsere Schlüsse ziehen für kommende Verfahren.“

Der 72-Jährige, der zwischen 2002 und 2010 selbst die Geschicke von Bayer leitete, macht deutlich: Zwischen ihm und Bayer-Vorstandschef Werner Baumann passt in der gegenwärtigen Situation kein Unkrautblättchen. „Wir haben der Strategie noch einmal ausdrücklich zugestimmt und einstimmig festgehalten, dass der Aufsichtsrat hinter dem gesamten Vorstand steht“, sagt er. Baumann wird nicht infrage gestellt? „Nicht im Geringsten. Diese Diskussion führen wir nicht.“

Bayer: Probleme über Probleme – jetzt meldet sich der Aufsichtsrat zu Wort

Was ist da los? Unterschätzt Bayer die gewaltigen Risiken der US-Klageindustrie? Viele in Leverkusen sehen die Prozesse in den USA als Zirkus an, mit wild gewordenen Geschworenen, irrationalen Klägern und gierigen Anwälten. Aber im Interview malt einer der Geschworenen aus dem ersten Fall, Bob Howard, ein anderes Bild. Die Geschworenen waren gebildet und „hochintelligent“, eine emotionale Entscheidung seien die 289 Millionen Dollar Schadensersatz sicher nicht gewesen.

Manche lassen sich gar zu Verschwörungstheorien hinreißen. Der US-Regierung seien die vielen Übernahmen der Deutschen in den USA ein Dorn im Auge, sagt Kai Lucks, Vorsitzender des M & A-Bundesverbands. „Deshalb ist von einer gezielten Schädigung Deutschlands auszugehen.“

Dagegen spricht aber die Unabhängigkeit der US-Gerichte, deren Urteile US-Unternehmen genauso hart treffen, nur erzeugen die Fälle nicht so viel Aufmerksamkeit hierzulande.

Bayer-Manager wiegeln ab, man gehe in Berufung, schließlich habe man Erfahrung in den USA – schon oft wurde das Unternehmen wie beim Blutgerinnungshemmer Xarelto verklagt. Die Wissenschaft ist auf unserer Seite, heißt es. Glyphosat bleibt derweil ein Kassenschlager.

Vor allem Landwirte in Nord- und Südamerika nutzen das Mittel im großen Umfang, Asien ist ein Wachstumsmarkt. Auch in Deutschland wurden 2017 rund 4700 Tonnen verbraucht. Union und SPD hatten im Koalitionsvertrag vereinbart, den Einsatz glyphosathaltiger Mittel „so schnell wie möglich grundsätzlich zu beenden“.

Weltweit drohen Klagen gegen Bayer

Überall in der Welt drohen Klagen, sind aber im Vergleich zu der unterschiedlichen Rechtskultur der USA kaum ein Problem für Bayer. Wer hingegen mit amerikanischen Geschworenen, Klägern oder Experten spricht und einen tiefen Blick in die Akte Bayer/Glyphosat wirft, den lässt ein Verdacht nicht los: Bayer ist zu siegesgewiss, fast überheblich.

Der Konzern verlässt sich auf eine Heerschar von Eliteanwälten und PR-Agenturen. Was fehlt, ist Emotion. Kein Angestellter von Monsanto sagt persönlich vor Gericht aus, sie werden nur per Video zugeschaltet.

Bayer: Plötzliche Wende in Glyphosat-Krise?

Ganz anders die Anklage. Für die sitzt zum Beispiel Robert Kennedy jr. fast jeden Tag im Gerichtssaal. Der Anwalt und Neffe vom Ex-Präsidenten und Sohn von Senator Robert F. Kennedy sieht die Prozesse als Teil seines Lebenswerks: „Ich habe Monsanto 30 Jahre lang bekämpft.“ Die Beteiligung Kennedys zeigt, wie einflussreich, mächtig und leidenschaftlich die Anklage ist.

Bislang hat Bayer nur die absehbaren Verteidigungskosten für die Glyphosat-Prozesse zurückgestellt. Allein im vierten Quartal 2018 verbuchte die betroffene Divison Crop Science Sonderaufwendungen für Rechtsfälle in Höhe von 243 Millionen Euro. Damit werden Anwälte wie Ismail bezahlt.

Viel Geld, aber für amerikanische Verhältnisse eher Portokasse. Die geringe Summe setzt voraus, dass Bayer gewinnt. Je mehr Klagen verloren gehen, desto mehr wächst der Druck, sich mit den Klägern zu einigen – und desto höher steigt der Preis für diese Einigung.

Die Schätzungen der Analysten schwanken, aber in der Spitze könnte Bayer für eine Beilegung der Rechtsstreitigkeiten fast so viel wie Volkswagen im Dieselskandal aufwenden müssen. Die Monsanto-Akquisition wäre dann ein betriebswirtschaftliches Desaster, Vorstandsvorsitzender Baumann und Aufsichtsratschef Wenning müssten um ihre Posten fürchten. Die Unabhängigkeit des Konzerns wäre gefährdet.

Aktenzeichen I: Die Prozess-Maschine kommt in Gang

Brent Wisner beugt hastig den Kopf vor, doch es ist schon zu spät. Kaffee schwappt über den Plastikbecher, tropft in den Mülleimer an der Tür zum Gerichtssaal. Wisner pustet, trinkt, pustet. Das Getränk ist offensichtlich zu heiß. „Keine gute Idee am frühen Morgen.“ Er grinst in die Runde. Den Mann mag man sofort, wenn er mit seinem jungenhaften Gesicht vor den Geschworenen des Superior Court of California in Oakland steht.

Auch da schaut Wisner in die Runde, stellt seine Eltern vor, die im Publikum sitzen, und Robert Kennedy jr., seinen „Mentor“. Das muss Eindruck bei den Geschworenen machen. Der Kennedy-Clan wird in Amerika ähnlich hochgehalten wie die Königsfamilie in England. Kennedy arbeitet wie Wisner für die Kanzlei Baum, Hedlund, Aristei & Goldman und vertritt als „Co-Counsel“ krebserkrankte Amerikaner.

Wer wissen will, wieso ein Kennedy kaum einen Sitzungstag in den Prozessen auslässt, der sollte sich Robert Kennedys Rede vor dem EU-Parlament vor wenigen Monaten anhören, die Grünen hatten ihn eingeladen. Da erzählte er von einem Schlüsselerlebnis als „kleiner Junge“. 1962 organisierte sein Onkel und US-Präsident John F. Kennedy ein Abendessen mit Rachel Carson.

Es war eindrucksvoll für den damals Achtjährigen, als die berühmte Biologin, bereits von Krebs gezeichnet, von ihrem Kampf gegen Pestizide erzählte. Ihr Buch „Stummer Frühling“ war gerade erschienen, das Buch löste in den USA die Umweltbewegung aus. „Monsanto heuerte Mannschaften von Anwälten an, um sie zu attackieren“, erinnerte sich Kennedy, die hätten sie als „Lesbe“ beschimpft. Monsanto war damals noch ein Chemiekonzern, der mit Insektenschutzmitteln wie dem heute verbotenen Mittel DDT sein Geld verdiente.

Kennedy schrieb sich den Kampf gegen Monsanto lebenslang auf die Fahnen. Aber er organisierte nicht nur Demonstrationen oder verteilte Flugblätter. Der Jurist kämpfte mit einer der schärfsten Waffen der USA: Klagen. „Ich schätze mich glücklich, an diesem historischen Prozess teilnehmen zu können, der Monsanto endlich zur Rechenschaft bringt“, sagt er über die laufenden Prozesse.

Insgesamt sind es mehr als 11.000 krebskranke Amerikaner, die Klage gegen Monsanto eingereicht haben – den US-Agrochemiekonzern, für dessen Rechtsrisiken nun der neue Besitzer Bayer einstehen muss. Mittlerweile wird die Zahl aber noch einmal kräftig gestiegen sein, erwarten Analysten wie Richard Vosser von der Investmentbank JP Morgan. Die beiden ersten Urteile gegen Bayer dürften weitere Kläger angelockt haben.

Bayer steckt mittendrin in der komplizierten Welt der Produkthaftungsprozesse, die nicht selten ein Spektakel sind. Dort entscheidet in erster Instanz eine Laien-Jury über Freispruch oder Schadensersatzzahlungen in Millionenhöhe, Kritiker sprechen von „Jackpot Justice“, von einer Glückslotterie-Justiz. Eingesperrt in einem Raum müssen die Geschworenen abwägen, was sie im Gerichtssaal gehört haben, und dann das Urteil verhängen. Je nach Gerichtsstand einstimmig oder mit einer Dreiviertelmehrheit.

Schadensersatzklagen sind ein lukratives Feld in der Klageindustrie. „Achtung, dies ist eine juristische Warnung! Wenn Sie den Unkrautvernichter Roundup benutzt haben und mit Non-Hodgkin-Lymphona diagnostiziert wurden, könnten Sie Anspruch auf erheblichen Schadensersatz haben. Erst vor Kurzem hat eine Jury einem Mann Millionen Dollar zugesprochen. Rufen Sie jetzt an: 1–800…“.

So wirbt etwa die Kanzlei Onder aus Missouri in einem Video mit großen roten Lettern über den Bildern von Glyphosat sprühenden Menschen und Gerichtssälen um potenzielle Roundup-Opfer. Im Fernsehen, auf Youtube oder Werbetafeln an der Autobahn gehen Kanzleien auf Kundenfang.

Eine Klage einzureichen kostet in den USA nur wenige Hundert Dollar und muss nur einen halbwegs triftigen Grund haben. Dann kann die Klägerseite alle möglichen Dokumente von den Unternehmen einfordern, um ihre These zu stützen. Die Kläger gehen kein finanzielles Risiko ein. Ihre Anwälte arbeiten auf Erfolgsbasis. Wenn sie den Fall gewinnen, streichen sie 20 bis 30 Prozent der gezahlten Summe ein, plus Spesen. Je nach Prozessverlauf sind es bis zu 40 Prozent.

Verlieren sie den Fall, bleiben sie selbst auf den Kosten sitzen. Für die Unternehmen dagegen sind solche Klagen immer ein Verlust. Sie müssen die geforderten Dokumente zusammensuchen und rausrücken – beispielsweise den kompletten archivierten E-Mail-Verkehr des Unternehmens. Selbst wenn die Unternehmen gewinnen, bleiben sie – anders als in Deutschland – auf den Kosten sitzen.

„Die Verteidigungskosten werden in unserem System nicht von dem Kläger übernommen, wenn er verliert“, erklärt Rechtsanwalt Thomas Rohback, Partner in der Kanzlei Axinn in New York. Auch wenn ein Unternehmen sich erfolgreich verteidigt, muss es seine Anwälte bezahlen.

„Die Kosten für einen einzigen Fall können sich über die Jahre auf bis zu zehn Millionen summieren“, weiß Rohback aus eigener Erfahrung. Steven Tapia, Jura-Professor an der Universität Seattle und ehemaliger Unternehmensanwalt von Microsoft schätzt allein die Kosten, um auf eine Klage zu reagieren, auf 50.000 bis 100.000 Dollar – noch bevor der erste Prozesstag beginnt. Bayer kennt diese Zahlen und das Spiel um die Produkthaftung genau.

Der deutsche Konzern schlägt sich in den USA oft mit derartigen Klagen herum. Als Pharmakonzern und Agrochemiehersteller unterliegt Bayer strikten regulatorischen Anforderungen – etwa bei der Formulierung der Beipackzettel. Jeder kleinste fehlende Hinweis auf mögliche Nebenwirkungen ist ein Einfallstor für die Klageindustrie.

Aktenzeichen II: Warum die Prozesse in Kalifornien stattfinden

Über dem Stuhl von Winifred Smith hängen die Fahnen Kaliforniens und der Vereinigten Staaten. Zwar entscheiden auch beim dritten Glyphosat-Prozess die Geschworenen, aber die Richterin in der schwarzen Robe spielt eine wichtige Rolle. Beispielsweise, welche Studien und Aussagen zugelassen werden. Auch beim Ablauf oder bei der Auswahl der Geschworenen hat sie ein Wort mitzureden.

Dass der Prozess in Kalifornien stattfindet, ist kein Zufall. Kalifornische Jurys gelten als kritisch gegenüber Unternehmen. Die Kanzleien reichen dort die ersten Klagen ein, wo die Chancen gut stehen – um eine Dynamik in Gang und Bayer unter Druck zu setzen. Teil dieser Strategie ist es auch, zunächst die aussichtsreichsten Fälle vor Gericht zu bringen – im Fall Glyphosat sind das vom Krebs gezeichnete Menschen wie die Pilliods.

Da werden herzergreifende Plädoyers gehalten, Zeugen vorgeladen, Videos vorgespielt, während die Richterin das Spiel kontrolliert. „Einspruch Euer Ehren!“, rufen die Verteidiger, wenn es aus ihrer Sicht zu emotional wird. Und Smith muss dann entscheiden, was erlaubt ist und was nicht. Es ist eine Welt, die ein Deutscher höchstens aus den TV-Serien wie „Suits“ kennt.

Auch die Bayer-Anwälte spielen ihre Rolle wie im Fernsehen, mit ihrer kühlen Art und ihren teuren Anzügen personifizieren sie das Big Money. Zum Beispiel Tarek Ismail, der Bayer in dem Verfahren vertritt. Der Mann ist ein Ass, die Kanzlei in Chicago, Goldman Ismail Tomaselli Brennan & Baum, trägt seinen Namen. Der Branchendienst „The Legal 500“ kürte ihn vier Jahre in Folge zum „führenden Anwalt Produkthaftung und Sammelklagen in Pharma und Medizintechnik“.

Aber ein Bier mit ihm will man nicht sofort trinken. Beim ersten Auftritt stellt Ismail sich den Geschworenen nicht vor, sucht keine emotionale Bindung. Er ist offensichtlich „blitzgescheit“, wie Bob Howard ihn beschreibt, der als Zuschauer im Prozesssaal sitzt. Gleichzeitig so „glitschig wie ein nasser Nerz“. Howard war Geschworener im ersten Prozess und schaut nun aus Interesse beim dritten Verfahren zu.

Die Anwälte beider Seiten liefern sich im Verfahren eine Datenschlacht, in der sie komplexe Studien, Epidemiologen und Krebsärzte als Beweismittel und Zeugen aufbieten. Am Dienstag dieser Woche, am zweiten Prozesstag in Oakland, ruft Klageanwalt Wisner Christopher Portier auf. Der Glyphosat-Kritiker ist einer der entscheidenden Zeugen der Anklage in allen Prozessen.

Der Sachverständige für Karzinogenität, also Substanzen, Organismen oder Strahlung, die Krebs erzeugen oder die Krebserzeugung fördern, ist ein gefragter Experte. Die internationale Krebsforschungsagentur IARC zog ihn für die Untersuchung verschiedener Chemikalien hinzu, darunter Glyphosat.

Erst lässt der Anwalt den Zeugen Portier eine Stunde lang von seiner Forschertätigkeit erzählen, um dessen Glaubhaftigkeit zu unterstreichen. Dann stellt der Prozessvertreter die entscheidende Frage, die Hände in die Hüften gestemmt: „Verursacht Roundup Ihrer Meinung nach Krebs?“ Ein paar Sekunden herrscht anspannte Stille im Saal. Portier antwortet: „Wahrscheinlich ja.“

Auf dieses „wahrscheinlich“ stürzen sich die Anwälte von Bayer. Der deutsche Konzern ist davon überzeugt, dass Glyphosat bei sachgerechter Anwendung nicht gesundheitsgefährdend ist. Um die im Jahr 2015 getroffene Entscheidung des IARC, Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ einzustufen, wird heftig gestritten. Denn in der gleichen Gefahrenklasse hat die Behörde die Krebsgefahr durch rotes Fleisch, Mate-Tee und durch die Arbeit als Friseur eingestuft.

Die erste Niederlage vor Gericht wurde bei Bayer noch als Betriebsunfall abgetan: geschuldet einer unbedarften Jury und einer ungeschickten Verteidigungsstrategie von Monsanto. Jetzt setzt Bayer in den Prozessen voll auf die Ergebnisse aus mehr als 100 wissenschaftlichen Untersuchungen zur Krebsgefahr durch Glyphosat und auf die Prüfungsergebnisse von Zulassungsbehörden wie die US-Umweltschutzbehörde EPA und die europäische Lebensmittelbehörde.

„Wir müssen uns darauf verlassen, was die Zulassungsbehörden sagen. Und diese beurteilen Glyphosat nicht als krebserregend für den Menschen“, sagt Aufsichtsratschef Wenning.

Tatsächlich hat im Februar die kanadische Umweltbehörde die Studien zu Glyphosat noch einmal überprüft. Sie sah anschließend keinen Grund, die Unbedenklichkeit des Pflanzenschutzmittels infrage zu stellen. Doch auch dieser Beweis zog beim zweiten Prozess nicht, in dem Bayer erstmals Verantwortung für die Verteidigungslinie hatte.

Aktenzeichen III: Das Problem an Bayers Verteidigung

Aimee Wagstuff kommt erfrischend unperfekt daher. Die dunklen glatten Haare und das Jackett sitzen nicht ganz so korrekt wie bei den Kollegen von der anderen Seite, ihre Ausbildungsstätte ist nicht ganz so berühmt. Mit gerade mal 40 Jahren gehört sie zu den Gründern der Kanzlei Andrus Wagstaff. Mit 25 Anwälten ist diese ein Zwerg im Vergleich zu den Kanzleien, gegen die sie antritt.

Aber Wagstuff gewann den zweiten Prozess zusammen mit einer Kollegin von Moore Law Group, in dem sie Kläger Ed Hardeman vertraten. Es dürfte ihr bislang größter Erfolg sein – auf jeden Fall der aufsehenerregendste.

Dabei hatte sich Bayer im Vorteil gewähnt, da das Verfahren auf Wunsch der Leverkusener in zwei Phasen aufgeteilt worden war. In der ersten sollte es nur um die Wissenschaft gehen und darum, ob Roundup Krebs verursacht. Erst in der zweiten Phase ging es um die Frage, ob Monsanto dies wusste und sich falsch verhalten hat.

Doch auf die wichtigen Einstufungen der Zulassungsbehörden durfte Bayer in der ersten Phase als Beweismittel nicht zurückgreifen. Der Richter legte fest, dass nur primäre Studien zugelassen sind – und nicht deren Interpretation durch Behörden, egal ob US-Umweltbehörde EPA oder IARC. Kläger wie Verteidiger durften in dieser Phase vor der Jury nur mit datengetriebenen Studien aus den vergangenen Jahrzehnten argumentieren – und die sind hochkomplex.

Wagstuff und ihre Kollegin führten mehrere Untersuchungen an, nach denen Glyphosat bei Mäusen Krebs erzeugen kann. Oft sind dies statistische Betrachtungen, deren Ergebnisse in der Wissenschaft nicht ganz unumstritten sind.

„Bayer wiederholt immer wieder, dass die Gegenseite keine wissenschaftlichen Argumente hat. Aber die Geschworenen haben Studien gesehen, die die Aufsichtsbehörden nicht vorgelegt bekommen haben“, sagt die Anwältin. Sie sieht etwa in der Mixtur von Roundup eine Gefahr, denn in dem Mittel ist Glyphosat mit anderen Wirkstoffen verbunden.

Bayer hat mehrere der renommiertesten Kanzleien für Produkthaftungsrecht in den USA engagiert. Darunter neben Ismails Kanzlei aus Chicago auch Arnold & Porter aus New York sowie Evans Fears & Schuttert aus Las Vegas und Hollingsworth aus Washington. Es sind Kanzleien mit insgesamt mehr als 1000 Anwälten über das Land und die Welt verteilt. Dort arbeiten brillante Köpfe, die ihr Handwerk meist an den besten Law Schools des Landes gelernt haben.

Doch vor einer Jury, die über die Verantwortung für ein schreckliches Leid entscheiden muss, können diese Erfolgstypen sehr kalt daherkommen. Der menschliche Faktor spielt bei Geschworenenprozessen eine nicht zu unterschätzende Rolle – und Monsanto machte es seinen Kritikern sehr einfach mit seinem schlechten Image. Das speiste sich aus einer Mischung aus grenzenlosem Selbstbewusstsein und langjähriger Verschlossenheit.

Die Klägeranwälte legen in den Prozessen interne E-Mails von Monsanto vor, die bewiesen sollen, dass Mitarbeiter von der Krebsgefahr durch Glyphosat gewusst hätten, dies aber beiseitegeschoben hätten. Die Verteidigung bestreitet dies und sieht die Passagen in den Mails aus dem Zusammenhang gerissen.

Sogar Richter Vince Chhabria, der Bayer oft entgegenkam und Klageanwältin Wagstaff mehrfach scharf rügte, äußerte sich kritisch: „Auch wenn die Beweise, dass Roundup Krebs verursacht, zweifelhaft sind, so gibt es doch bedeutende Anhaltspunkte, auf deren Grundlage eine Jury schlussfolgern könnte, dass Monsanto sich nicht sonderlich darüber geschert hat, ob sein Produkt tatsächlich Krebs verursacht.“

Monsanto habe sich darauf fokussiert, „die öffentliche Meinung zu manipulieren und all jene zu verunglimpfen, die aufrichtige und berechtigte Sorgen dazu äußern“.

In einem Prozess gleicht solch eine Festlegung des Richters einem Erdbeben. Bayer muss erkennen: Die rein auf Wissenschaft basierende Verteidigung reicht nicht aus. Im Mai starten die nächsten zwei Verfahren in San Francisco, später im Jahr folgen weitere Prozesse an Gerichten in St. Louis/US-Bundesstaat Missouri. Dort ist der frühere Konzernsitz von Monsanto. Für Bayer wird es im mittleren Westen der USA nicht unbedingt einfacher. Auch Missouri gilt als „Hölle“ für beklagte Firmen, weil Jurys dort oft sehr klägerfreundlich urteilen.

Erst zwei Prozesse wurden in erster Instanz entschieden, in diesem Jahr folgen voraussichtlich noch fünf und 2020 zehn Verfahren. Doch für Bayer stellt sich schon jetzt die Frage: Hart bleiben und die Prozesse durchziehen – oder außergerichtliche Vergleiche mit den Klägern eingehen?

Aktenzeichen IV: Wann ist es an der Zeit zu zahlen?

John Coffee verfolgt das Geschehen bei amerikanischen Produktprozessen seit vielen Jahren. Der renommierte Jura-Professor der Columbia Law School in New York ist fasziniert von dem Spiel der Kräfte, das einer Partie Schach oder einem komplizierten Tanz gleicht.

Die anfänglichen Züge oder Schritte entscheiden viel über den späteren Ausgang in solchen Massen-Schadensersatzfällen. „Die ersten Fälle dienen vor allem dazu, das Terrain zu testen und eine Hausnummer für spätere Einigungen zu finden“, sagt der 74-Jährige. Wer die Eröffnung verpatzt, kann häufig nur noch auf ein Remis hoffen.

An jahrelangen, zermürbenden und teuren Prozessen haben weder die Kanzleien noch die Firmen Interesse. Die Erfahrung im Pharmasektor, in dem Schadensersatzklagen an der Tagesordnung sind, zeigt das professionell geführte Spiel der Kontrahenten hinter den Kulissen.

So geht Bayer in den USA regelmäßig außergerichtliche Vergleiche mit Klägern ein. Meist finden die Verfahren aber kaum Aufmerksamkeit. Bis 2016 etwa hat der Konzern mehr als zwei Milliarden Dollar außergerichtlich an rund 10.000 Amerikanerinnen gezahlt, die die Verhütungspille Yasmin für Gesundheitsschäden verantwortlich machten.

Mit derartigen Vergleichen erkennen die Unternehmen nicht ihre Schuld an. Sie wollen sich aber der Last und der Kosten dauernder Prozesse entledigen, selbst wenn sie vor Gericht gute Chancen haben. Diese Logik steckte auch hinter einer Ankündigung vor wenigen Tagen über einen von Bayers größten Vergleichen der vergangenen Jahre.

Es geht um das Topmedikament des Konzerns, den Blutgerinnungshemmer Xarelto. Kanzleien hatten mehr als 25.000 Klagen eingesammelt, weil das Mittel angeblich schwere Nebenwirkungen hat.

Drei Jahre lang bekämpften sich die Kontrahenten, sechs Prozesse wurden vor Gericht durchgezogen – mit einer guten Bilanz für Bayer: Nur in einem Xarelto-Verfahren wurde der Konzern von der Jury zu einem Schadensersatz von 28 Millionen Dollar verurteilt. Das Urteil wurde aber in der nächsten Instanz aufgehoben.

Für das Bayer-Management stellte sich dennoch eine betriebswirtschaftliche Frage: Weiter prozessieren, mit allen damit verbundenen Kosten und Imagebelastungen? Oder die Sache mit einem Vergleich aus der Welt schaffen, der letztlich günstiger ist? Man entschied sich für Letzteres: 775 Millionen Dollar zahlen Bayer und sein Vertriebspartner Johnson & Johnson je zur Hälfte an die 25.000 Kläger. Ein Drittel davon heimsen die Anwaltskanzleien ein.

Beide Seiten sind in der Regel an einer Einigung interessiert – die Frage ist nur, zu welchem Preis? Unternehmensanwalt Rohback von der Kanzlei Axinn ist überzeugt, dass der Preis in Sachen Glyphosat für Bayer gerade durch das zweite Urteil beträchtlich nach oben gegangen ist. „Auch die nächsten Fälle könnten nicht gut ausgehen.“ Bayer könne es sich nicht erlauben, immer weiter zu prozessieren und dabei fortwährend zu verlieren.

„Lasst uns sehen, wer als Erster müde wird. Wir sicher nicht“, sagt Aimee Wagstuff. „Es wird nicht besser für Bayer“, pflichtet ihr Michael Baum von Baum Hedlund Aristei Goldman bei. Seine Kanzlei hatte Monsanto angeblich vor dem ersten Prozess voriges Jahr einen Vergleich über sechs Millionen Dollar angeboten. Der Konzern lehnte ab.

Bayer hatte damals noch keinen Einfluss auf die Prozess-Strategie und Entscheidungen von Monsanto. Aber auch unter der Regie der Leverkusener fährt die Verteidigung eine harte Linie – und dürfte dies auch beibehalten. Die Überzeugung der Deutschen, dass sich am Ende in höheren Instanzen ihre wissenschaftliche Argumentation durchsetzt, ist ungebrochen. Denn dann sitzen keine Jury und kein kranker Kläger mehr im Raum, sondern nur Anwälte und professionelle Richter.

In den nächsten Wochen startet der erste Berufungsprozess in Kalifornien. Ein Ergebnis wird nicht vor Herbst oder erst Ende des Jahres erwartet. Experten warnen vor zu viel Optimismus, denn im US-Rechtssystem hat ein Jury-Urteil hohen Stellenwert. „Das Berufungsgericht entscheidet nicht über die Fakten, sondern über das Recht. Es kann nicht einfach sagen, Roundup sei doch nicht krebserregend“, erklärt Jura-Professor Tapia.

Das heißt: Bayers Anwälte können höchstens versuchen, Fehler im Verfahren zu finden, etwa, wenn Jury-Mitglieder beeinflusst wurden oder Beweise nicht zulässig waren. Dann könne der Richter den Fall wieder zurück zur Jury schicken oder komplett für nichtig erklären, erklärt Tapia. Möglich ist aber, dass die Schadensersatzsumme in den nächsten Instanzen weiter gesenkt wird.

Bayer-Aktionäre sehen den Konzern schon auf dem Weg zu außergerichtlichen Einigungen. „Als Investor würde ich es begrüßen, wenn Bayer einen Vergleich anstreben und das Thema so zu einem Abschluss bringen würde, was dann zu einer Erholung des Börsenkurses führen wird“, sagt einer der größeren Anteilseigner von Bayer. Der Verlust an Börsenwert von über 30 Milliarden Euro bisher sei bereits größer als die Summe angenommener Strafzahlungen.

Doch wie hoch die wirklich ausfallen könnten, ist selbst für erfahrene Fondsmanager und Analysten kaum seriös zu beziffern. Der eine sieht 15 Milliarden Euro eingepreist, der andere 30 Milliarden, ein dritter fünf bis zehn Milliarden. Das Rechenspiel an der Börse nimmt jeden Tag neue Dimension an.

Für eine realistische Bewertung lohnt der Blick auf vergangene Fälle. Der teuerste Vergleich in der vergleichbaren Pharmaindustrie hat das betroffene Unternehmen 22 Milliarden Dollar gekostet – so viel musste der frühere Arzneihersteller Wyeth zwischen 1999 und 2007 an Patienten zahlen, die dem Schlankheitsmittel Fen-Phen vertrauten.

Die Arznei wurde wegen nachgewiesener Gesundheitsschädigung vom Markt genommen. Mehr als 100.000 Patienten wurden außergerichtlich entschädigt. Das sind ganz andere Dimensionen als im Fall Glyphosat.

In einem anderen früheren Fall musste der US-Konzern Merck & Co. das Schmerzmittel Vioxx wegen Herzinfarktrisiken aus dem Angebot nehmen. 60.000 Kläger machten Ansprüche geltend. Die Klagewelle konnte Merck & Co. mit einem Vergleich über 4,85 Milliarden Dollar weitgehend bereinigen.

Analyst Richard Vosser von JP Morgan hat bereits die zweite Niederlage von Bayer korrekt vorausgesagt – er glaubt, dass es der Konzern auch im dritten Verfahren schwer haben wird. Vosser geht davon aus, dass erst Mitte 2020 mehr Klarheit über die Belastungen herrscht.

An der Börse kursierende Volumen von 15 bis 30 Milliarden Euro hält er für zu hoch. Er rechnet aktuell mit fünf Milliarden Euro Belastung. Diese Zahl nennt auch der in US-Prozessen erfahrene Recherchedienst Bloomberg Intelligence.

Die Klagewelle bei Glyphosat würde durch einen groß angelegten Vergleich allerdings nicht komplett aufgehoben. Zwar verpflichten sich die größten Kanzleien bei einer solchen Einigung, anschließend keine weiteren Prozesse anzustreben. Doch vereinzelt könne es immer noch neue Klagen geben, mahnt Jura-Professor Coffee. Schließlich gebe es Roundup in den USA in jedem Heimwerkermarkt zu kaufen.

Von einer Vergleichsbereitschaft ist bei Bayer derzeit zumindest offiziell nichts zu spüren. Man müsse erst mal fünf bis sieben Fälle in den USA durchprozessieren, um zu wissen „in welche Richtung es geht“, sagt CEO Baumann.

Aktenzeichen V: Eine unangenehme Hauptversammlung

Wenn der Bayer-Chef die Lage des Leverkusener Konzerns analysiert, eröffnen sich ihm derzeit zwei Welten: hier das operative Geschäft, das im vierten Quartal wieder an Schwung gewonnen hat und dem Konzern Mut macht, dass er einige seiner Probleme so langsam in den Griff bekommt.

Ausgerechnet der gescholtene Monsanto-Konzern war am Jahresende Treiber bei Bayer. Das Geschäft mit Saatgut läuft, selbst das umstrittene Glyphosat verkauft sich bei den Bauern ungebremst gut, derzeit vor allem in China. Auf der operativen Seite zeichnet sich ab, dass sich der Kauf auszahlen wird.

Auf der anderen Seite sind die Glyphosat-Klagen zu einer bedenklichen Last geworden – für die verunsicherte Belegschaft wie für die Investoren. Der singapurische Staatsfonds Temasek etwa ist im Frühjahr 2018 mit 3,6 Prozent bei Bayer eingestiegen und dürfte pro Aktie annähernd 90 Euro bezahlt haben.

Heute ist die Bayer-Aktie ein Drittel weniger wert. Im Bayer-Aktionärskreis lauert der US-Hedgefonds Elliott mit weniger als drei Prozent Anteilsbesitz – der aktivistische Investor hat sich bis heute nie dazu geäußert, ob und was er bei Bayer vorhat.

Die Bayer-Hauptversammlung Ende April im World Conference Center in Bonn dürfte für Baumann ein heißer Tanz werden. Es liegt ein Antrag auf Nichtentlastung des Vorstands vor, Investoren werfen dem Vorstand und dem Aufsichtsrat vor, die Risiken der Monsanto-Übernahme fehlerhaft geprüft zu haben. Aufsichtsratschef Wenning weist dies ebenso strikt zurück wie Baumann.

Die Geldgeber an der Börse blicken mit gemischten Gefühlen auf Bayer. „Ein Unternehmen mit der Finanzkraft Bayers könnte sicher auch zweistellige Strafzahlungen verkraften“, sagt Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment.

„Doch die Frage ist, ob das Management dann noch da wäre.“ Das gute Image des Vorstandsvorsitzenden habe durch die Monsanto-Übernahme gelitten, meint ein anderer größerer Bayer-Investor. Doch es sei noch zu früh, den Glyphosat-Fall und das Projekt Monsanto endgültig zu beurteilen: „Baumann verdient noch eine Chance.“

Diese Chance ist bereits klar formuliert. Baumann hat sich einen tief greifenden Konzernumbau vorgenommen, mit dem er bis zum Jahr 2022 freie Mittel in Summe von 23 Milliarden Euro generieren will. Die Hälfte dieses freien Cashflows wird der Konzern für die Dividende verwenden.

Es bliebe aber rein bilanziell noch genug Luft, um Belastungen durch Glyphosat-Vergleiche wegzustecken – selbst wenn diese bei brutto zehn Milliarden Euro liegen würden. Voraussetzung aber ist, dass der CEO die verkündeten Ziele liefert und Bayer krisenfest macht.

Ab Mitte 2020 dürfte absehbar sein, ob aus Bayer mit Monsanto ein florierendes Unternehmen oder ein geknickter Konzern wird. Dann entscheidet sich auch die Zukunft von Baumann und seines Förderers Wenning, dessen Amtszeit 2022 endet.

Noch ist kein großes Unternehmen allein an Rechtslasten umgekommen. Selbst der Pharmakonzern Wyeth hat die notwendigen 22 Milliarden Dollar Rückstellungen wegstecken können. Für die Bayer-Leute ist das aber nur ein schwacher Trost: Wenig später wurde Wyeth zum Übernahmeziel und 2009 aufgekauft.