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AfD-Politiker zum Vorsitzenden des Wirecard-Ausschusses gewählt – mutmaßlich mit Stimmen der SPD

Der Untersuchungsausschuss zum Bilanzskandal hat sich konstituiert. Kay Gottschalk steht an der Spitze. Wer ist der Abgeordnete, den Grüne und Linke verhindern wollten?

Die Opposition im Bundestag war sich schnell einig: Ein Untersuchungsausschuss sollte die Aufarbeitung des Wirecard-Skandals übernehmen. Weniger Einigkeit herrschte bei der Frage, welche Fraktion den Ausschussvorsitzenden stellen soll. Dabei war allen klar, dass nach dem üblichen Prozedere im Bundestag beim nächsten Untersuchungsausschuss die AfD an der Reihe wäre.

Die AfD ließ sich denn auch nicht beirren und nominierte ihren Finanzpolitiker Kay Gottschalk für den Posten, obwohl Grüne und Linke deutlich Front gegen die Personalie machten. Bis zuletzt war denn auch offen, ob die anderen Ausschussmitglieder Gottschalk auch wählen.

Doch am Donnerstag wurde der gebürtige Hamburger in geheimer Abstimmung gewählt. Gottschalk bedankte sich und nahm die Wahl an. „Es geht mir um die Sache“, sagte er.

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Interessant sind die Umstände seiner Wahl. Fünf Ausschussmitglieder stimmten für, vier gegen Gottschalk. Die Wahl war geheim. Im Ausschuss hieß es danach, die Mehrheit könne jedoch nur mit den Stimmen der beiden SPD-Mitglieder zustande gekommen sein. Womit die SPD von ihrer Praxis abgewichen wäre, die AfD im Parlament konsequent zu isolieren.

Es fiel etwa auf, dass sich die ausgewiesene SPD-Parteilinke Cansel Kiziltepe bei der Wahl durch einen anderen Abgeordneten vertreten ließ und erst nach der Stimmabgabe in die Sitzung kam.

„Ich bin baff“, sagte ein Ausschussmitglied nach der Wahl. Über die Gründe für die Wahl Gottschalks durch SPD-Abgeordnete könne man nur spekulieren. So sei es den Sozialdemokraten möglicherweise darum gegangen, den Ausschuss zu lähmen, um SPD-Finanzminister Olaf Scholz zu schützen. Auch habe die SPD eine Wahl des CSU-Abgeordneten Hans Michelbach zum Ausschussvorsitzenden verhindern wollen, damit der Ausschuss nicht im Wahlkampf zu einer Unions-Show würde. In der SPD hieß es nur, die Wahl sei geheim gewesen.

Der Untersuchungsausschuss soll klären, inwiefern die Bundesregierung und Behörden über die Vorkommnisse bei Wirecard informiert waren und ob sie ihren Aufsichtspflichten nachgekommen sind. Er hat neun Mitglieder, halb so viele, wie zunächst angedacht war. Der Ausschuss kann Zeugen und Sachverständige vernehmen und Akteneinsicht verlangen.

Der Grünen-Finanzexperte Danyal Bayaz hatte schon vor der konstituierenden Sitzung angekündigt, Gottschalk nicht zu wählen. Diese Linie behielt er bei. „Der Vorsitz des Untersuchungsausschusses ist ein politisches Amt, womit ich persönlich politische, fachliche und charakterliche Voraussetzungen verbinde“, erklärte Bayaz nach der Ausschusssitzung. „Der Kandidat der AfD, der in der Vergangenheit zum Boykott von Türken geführter Läden in Deutschland aufgerufen hat, erfüllt diese Voraussetzungen aus meiner Sicht nicht.“

Gottschalk ist Mitbegründer der AfD und arbeitete früher für den Versicherungskonzern HDI. Der 54-Jährige ist im Bundestag Mitglied des Finanzausschusses, in dem der milliardenschwere Bilanzskandal um den Zahlungsabwickler Wirecard bereits mehrfach Thema war. Gottschalk hat dabei immer wieder eine Aufarbeitung des Falls eingefordert.

„Bedenkliche Nähe“ zur FPÖ

Auch der Linksfraktionsvize Fabio De Masi machte aus seinen Vorbehalten gegen den AfD-Mann keinen Hehl. Er hielt ihm eine „bedenkliche Nähe“ zur FPÖ und damit zum politischen Umfeld des flüchtigen Wirecard-Managers Jan Marsalek vor. Gottschalk hatte im Mai 2019 nach der Ibiza-Korruptionsaffäre um Österreichs Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache dem „Spiegel“ gesagt: „Ich halte weiterhin zur FPÖ. Sie hat für uns den Weg bereitet und in Österreich viel Gutes bewirkt.“

Gottschalk zog 2017 über die Landesliste der nordrhein-westfälischen AfD in den Bundestag ein. Er wolle mit dem Programm der AfD überzeugen. „Wir möchten Dinge anders machen als andere“, erklärte er seinerzeit. Doch seine politischen Ziele unterscheiden sich kaum von den Mainstreamforderungen anderer Parteien. Er wolle den Menschen „etwas von ihrem Geld zurückzugeben“, sagte er einmal. Sozialabgaben und Steuern seien zu hoch.

Dass sich das stark nach SPD anhört, passt zu Gottschalks politischer Biografie. Von 1982 bis 1991 war er dort Mitglied. Aber dann sei er als Nazi beschimpft worden, weil er sich für ein Einwanderungsmodell nach kanadischem Vorbild eingesetzt habe.

Auf Distanz zu Höcke & Co.

Nun gehört der studierte Betriebswirt einer Partei an, die der Verfassungsschutz schon einige Zeit als „Prüffall“ im Bereich Rechtsextremismus behandelt und die immer wieder durch rechtsradikale Fehltritte auffällt. Für Aufsehen sorgte zuletzt der frühere Pressesprecher Christian Lüth mit Sätzen über Migranten, in denen es heißt, man könne die Menschen ja „später erschießen“ oder „vergasen“.


Gottschalk zeigt sich bemüht, zu den Radikalen in der Partei Distanz zu halten. Der Bundestagsabgeordnete war Mitinitiator eines „Appells“, in dem mehr als 100 AfD-Funktionäre einen „Personenkult“ um den Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke kritisierten. Gottschalk gab dem einstigen Wortführer des rechtsnationalen „Flügel“, den der Verfassungsschutz als Verdachtsfall für rechtsextremistische Bestrebungen einstuft, auch eine Mitschuld an den Konflikten in vielen westdeutschen Landesverbänden.

Gottschalk ist auch nicht immer einverstanden mit dem, was der frühere Parteivorsitzende und heutige Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland sagt. Als dieser einmal die frühere Staatsministerin Aydan Özoguz nach Anatolien „entsorgen“ wollte, sagte Gottschalk: „Generell hätte ich zum Fall Özoguz andere Worte gewählt.“

Mit dem Vorsitz des Wirecard-Ausschusses wird Gottschalk nun selbst im politischen Rampenlicht stehen. Laut dem zwischen allen Fraktionen im Bundestag abgestimmten Auftrag soll der Untersuchungsausschuss Dutzende Fragen zum Ablauf des Bilanzskandals seit Anfang 2014 klären. Das dürfte sich bis weit in das Wahljahr 2021 hineinziehen.