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„Abstieg in die absolute Diktatur“

In Kambodscha werden Medien zwangsgeschlossen und Kritiker ausgeschaltet. Jetzt hat das oberste Gericht die wichtigste Oppositionspartei aufgelöst. Es ist das jüngste Kapitel in einem über Monate andauernden Machtkampf.

Kambodscha hat am Freitag einen großen Schritt in Richtung Diktatur gemacht. Das Oberste Gericht des südostasiatischen Staates hatte einer Klage der Regierung statt gegeben und die Auflösung der führenden oppositionellen Nationalen Rettungspartei (NRP) angeordnet. Über 100 leitende Parteimitglieder dürften ihre Koffer packen und ins Ausland fliehen, weil sie die Festnahme fürchten. Bereits im Oktober war NR-Vizepräsidentin Mu Sochua nach einem anonymen Anruf ins Exil nach Thailand gereist. „Ich dachte, wenn meine Tage zu Ende gehen, dann will ich frei sein“, meinte sie damals gegenüber einer Tageszeitung.

Ein paar Wochen vorher war Parteichef Kem Sokha verhaftet worden. Der Politiker sitzt seither unter dem Vorwurf des Hochverrats im Gefängnis. Später beantragte die kambodschanische Regierung beim Obersten Gericht die Auflösung der Oppositionspartei, nachdem das Parlament einen ansprechenden Vorstoß der Regierung abgesegnet hatte. Es gäbe „21 Beweise“ dafür, dass die Opposition „mit fremden Mächten konspiriert habe“, so das Argument.

In den Straßen von Phnom Penh dürfte damit die Angst weiter zunehmen. Die dominante Kambodschanische Volkspartei (CPP) unter Premierminister Hun Sen (65), der seit 32 Jahren die Geschicke des Landes diktiert, führt einen Feldzug gegen jegliche Form von Dissens. „Es ist besser, wenn man schweigt“, sagt die Besitzerin eines Brillenladens in einer Seitenstraße der Hauptstadt, „denn man weiß nie, wer zuhört“. Nicht nur die Behandlung der politischen Opposition verunsichere viele, sagt die Geschäftsfrau, sondern der Kampf gegen Information: „Man weiß nicht, was man glauben kann“.

„Abstieg in die absolute Diktatur“ hatte die Tageszeitung „The Cambodia Daily“ (CD) im September getitelt. Dann war Schluss. Fast ein Vierteljahrhundert nach der Gründung musste das englischsprachige Blatt seine Türen schließen. Die „Daily“ hatte sich einen Namen gemacht für hart recherchierte Geschichten - über Korruption und Menschenrechtsverletzungen am Mekong, über Umweltskandale. Ex-Chefredakteurin Jodie de Jonge ist überzeugt: „Es geht darum, alle kritischen Stimmen im Land zum Schweigen zu bringen“.

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Das Regime legte fast ein Dutzend unabhängige Radiostationen still - Stimmen gelegentlicher Kritik im sonst meist regierungshörigen Medienwald Kambodschas. Nichtstaatlichen Organisationen geht es nicht besser. Die von Washington unterstützte Denkfabrik National Democratic Institute (NDI) wurde unter dem Vorwand geschlossen, „nicht korrekt registriert“ gewesen zu sein.

Vor allem Organisationen mit Beziehungen zu den Vereinigten Staaten finden sich im Fadenkreuz des Regimes. Immer häufiger und immer schriller kritisiert der ehemalige Rote-Khmer-Kommandant Hun Sen die USA. Die kritisierte ihrerseits das Verbot der Oppositionspartei scharf. „Die Vereinigten Staaten werden konkrete Schritte ergreifen, um auf diese sehr bedauerliche Handlung der kambodschanischen Regierung zu antworten“, so die US-Regierung. Der kambodschianische Premier bindet sich gleichzeitig stärker an China. Peking lässt sich die Loyalität etwas kosten – Brücken, Straßen, Schulen. Die Skyline von Phnom Penh ist dominiert von Neubauten – zu einem wesentlichen Teil finanziert mit chinesischem Geld. „Fast jeden Tag sehe ich einen neuen Wolkenkratzer“, sagte ein europäischer Geschäftsmann.

Während einer Zeremonie beim Königspalast, nehmen buddhistische Mönche Opfergaben entgegen - Geld wechselt bündelweise die Hand. Einige der Gläubigen fahren im schwarzen Lexus-Allradfahrzeug vor – Frauen in Designer-Kleidern, mit toupiertem Haar und dickem Makeup. Die Diskrepanz zu den Bettlern vor dem Eingang könnte größer nicht sein. „Es ist entscheidend, dass die Reichen Geld spenden können“, flüstert die 21-Jährige Englisch-Studentin S., als sie die Szene beobachtet. „Es reinigt ihr Gewissen“. Religion ist ein wichtiger Bestandteil des Alltags der Kambodschaner. Der Glaube tröstet über die Tatsache hinweg, dass das Wort Demokratie wenig Gewicht hat.


Die Freiheit trägt ein enges Kleid

Seit 1993 ist Kambodscha offiziell eine Mehrparteien-Demokratie. Doch in der Realität des politischen Alltags hat die CPP eine fast uneingeschränkte Kontrolle über das Land. Die Wahlen 2013 zeigten Hun Sen, dass in der kambodschanischen Bevölkerung eine weitaus größere Frustration über seine Regierung herrscht, als er erwartet hatte. Die CPP verlor ein Viertel der Sitze im Parlament und gewann mit einer Marge von weniger als fünf Prozent. Und das trotz Wahlbetrugs. Wäre der Gang an die Urne korrekt durchgeführt worden, hätte wohl die NRP gewonnen.

Im Juni hatte Hun Sen gewarnt, er sei bereit „100 oder 200 Menschenleben zu opfern“, sollte die CCP die nächsten Wahlen 2019 nicht gewinnen. Schon 1997 hatten seine Truppen Phnom Penh in ein Schlachtfeld verwandelt. Opponenten starben im Kugelhagel. In den letzten rund 20 Jahren sind mehr als ein Dutzend Journalisten und Menschenrechtler ermordet worden. Jüngstes prominentes Opfer ist Kem Ley. Der Kommentator wurde im vergangenen Jahr erschossen. Bei vielen Kambodschanern wecken solche Attacken schmerzhafte Erinnerungen. Als die von Pol Pot geführte Roten Khmer über das Land herfielen, eliminierten sie als erstes Intellektuelle. Fast zwei Millionen Menschen starben zwischen 1975 und 1978 unter dem pseudo-kommunistischen Terrorregime.

Die Verschärfung des politischen Klimas droht das in den letzten Jahren aufgebaute Vertrauen der internationalen Gemeinschaft in Kambodscha zu untergraben. Reformen hatten das Land zu einem attraktiven Wirtschaftsstandort gemacht. Die Weltbank rechnet für 2017 mit einem Wachstum des Bruttoinlandproduktes von 6,9 Prozent. Der Wert der Ausfuhren von Kleidern und Schuhen – den beiden wichtigsten Exportprodukten – steigt kontinuierlich. Tourismus – mit der Tempelstadt Angkor Wat als Hauptattraktion – wird eine immer bedeutendere Quelle von Devisen. Korruption und die in vielen Regionen endemische Armut aber haben einen lähmenden Effekt auf die wirtschaftliche Entwicklung. Die meisten Bewohner auf dem Land sind Kleinbauern und Selbstversorger mit minimalem Einkommen. Zwar hat sich die Armutsrate zwischen 2004 und 2011 mehr als halbiert, von 53 Prozent der Bevölkerung auf 20,5 Prozent. Trotzdem muss ein großer Teil der Bevölkerung mit weniger als drei Dollar pro Tag auskommen.

Nicht, dass man am Sisowath-Quay in Phnom Penh viel davon merken würde. Die Uferpromenade des Tonle-Sap-Flusses ist von den Flaggen der Welt gesäumt. Im Hintergrund die goldenen Dächer des Königspalastes, in der Ferne Baustellen von Hochhäusern. Spielende Kinder, flanierende Verliebte. Doch in Kambodscha trägt die Freiheit ein enges Kleid. Mehr als die Hälfte aller NRP-Abgeordneten leben inzwischen im Exil. Und unter Journalisten wächst der Zwang zur Selbstzensur. „Ich weiß nicht, ob man es so nennen kann“, meint ein Verleger auf die Frage, ob seine Reporter seit der Schließung des „Cambodia Daily“ vorsichtiger schreiben. „Aber es macht ja wenig Sinn, wenn meine Journalisten im Flugzeug sitzen und deportiert werden, und ich im Knast hocke“.