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30 Jahre deutsche Einheit: Ostdeutsche Wirtschaft holt nur langsam auf

Am 30. Jahrestag der Wiedervereinigung sollen die Deutschen in Ost und West stolz sein auf das Erreichte. Doch wie sieht die Realität wirklich aus? Ökonomen ziehen ein gemischtes Fazit.

Der E-Autobauer sorgt durch sein neues Werke für tausende neue Arbeitsplätze in Ostdeutschland. Foto: dpa
Der E-Autobauer sorgt durch sein neues Werke für tausende neue Arbeitsplätze in Ostdeutschland. Foto: dpa

Marco Wanderwitz sieht die Lage im wiedervereinigten Deutschland vor allem positiv. Das ist natürlich ein wenig der Jobbeschreibung des sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten geschuldet: Als Ostbeauftragter der Bundesregierung muss und will er mit den Stärken des Wirtschaftsstandorts werben. Aber nicht nur, denn aktuell häufen sich die guten Wirtschaftsnachrichten für den Osten.

Pünktlich zum 30-jährigen Einheitsjubiläum am 3. Oktober tun sich – anders als im vergangenen Jahrzehnt – neue Chancen für die neuen Bundesländer auf: Tesla baut am strukturschwachen Ostrand Berlins eine riesige Fabrik für Elektroautos. Der Chemiekonzern BASF errichtet eine Produktionsstätte für Batterieteile in Brandenburg, und der Batteriehersteller CATL siedelt sich in Thüringen an.

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„Die Ansiedlungen neuer Fabriken bestätigen, dass wir in den neuen Ländern auf dem richtigen Weg sind“, sagt Wanderwitz dem Handelsblatt. „Die neuen Bundesländer haben inzwischen ein hohes Niveau bei der nationalen und internationalen Wettbewerbsfähigkeit erreicht.“

Der Strukturwandel hin zu Elektromobilität und erneuerbaren Energien kann dem Osten tatsächlich wirtschaftlich nutzen, beobachtet auch der Ökonom Joachim Ragnitz, der beim Ifo-Institut in Dresden den ostdeutschen Aufholprozess analysiert. „In der Autoindustrie beobachte ich, dass sich die Autobauer und ihre Zulieferer schneller auf Elektromobilität einstellen als im Westen“, sagt er dem Handelsblatt. „Und natürlich gibt Tesla neuen Schwung für die Region östlich von Berlin.“

Zu den guten Nachrichten aus dem vergangenen Jahr zählt auch, dass die Solarindustrie bei Bitterfeld einen neuen Anlauf starten will und dass das Braunkohlerevier Lausitz für den Kohleausstieg sehr viel Geld für den Strukturwandel bekommt. Allerdings bemängelt Ragnitz, dass in der Lausitz für dieses Geld bislang noch die Ideen fehlten.

Wanderwitz wiederum sieht zudem bei Windkraft und Wasserstoff Chancen für den Osten. Für eine Beschleunigung des Aufholprozesses in den neuen Ländern müsse die Wirtschaft dort aber „noch innovativer, nachhaltiger und damit noch robuster werden“, sagte er.

Aufholen bleibt äußerst schwierig

Denn auch wenn sich die Aussichten für die Wirtschaft im Osten aufgehellt haben: Die Lage im Ost-West-Vergleich hat sich kaum geändert. Der alljährliche Bericht des Ostbeauftragten zur Deutschen Einheit, den das Kabinett an diesem Mittwoch verabschiedet, zeigte zuletzt wenig Aufholtendenzen – 30 Jahre Wiedervereinigung hin oder her. Die Abstände bei wichtigen Kennziffern haben sich im vergangenen Jahrzehnt kaum noch verändert.

Der Osten hat zwar seit 2009 eine gute Wirtschaftsentwicklung genommen – der Westen aber auch. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf Ost verharrt daher ausweislich des Einheitsberichts bei 73 Prozent West.

Vor 30 Jahren allerdings hatte es nur 37 Prozent betragen. Die Zeitreihen zeigen: Bis Mitte der Nuller-Jahre legte die Ost-Wirtschaft kräftig zu, seither wuchs sie fast parallel zum Westen. Das, so Ragnitz, ist auch in Corona-Zeiten so.

Um weiter beim Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner aufzuschließen, müsste die Ost-Wirtschaft mehrere Jahre deutlich höhere Wachstumsraten aufweisen als der Westen. Das sei ziemlich unrealistisch, sagt Oliver Holtemöller, Vizepräsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).

Denn dass Regionen relativ zum Bundesdurchschnitt deutlich aufholten, sei im Osten wie im Westen die Ausnahme, sagt Holtemöller dem Handelsblatt. Beobachten lässt sich das auch im Ruhrgebiet. Die meisten Regionen hielten in etwa ihre relative Position über Jahrzehnte, so der Wissenschaftler. In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel sei die Wirtschaftskraft 30 Jahre nach der Einheit weiterhin unterdurchschnittlich. Das aber sei seit mehr als 100 Jahren so, und nicht erst seit der deutschen Teilung.

Es gibt wichtigere Indikatoren als das BIP

Holtemöller findet allerdings, dass das BIP pro Kopf ein eher schlechter Indikator sei, um den Aufholprozess zu beschreiben. „Für die Menschen sind andere Indikatoren wie die verfügbaren Einkommen oder die Lebenserwartung wichtiger“, sagt er. Und diese Indikatoren liegen fast gleichauf mit dem Westen.

Auch Ragnitz vom Ifo betont: „Das Niveau der Einkommen ist gar nicht mehr so unterschiedlich, wenn man das jeweilige Preisniveau mit einbezieht.“ Denn die Preise sind im Osten deutlich niedriger als im Westen.

Wichtig für die meisten Bürger ist auch die Entwicklung am Arbeitsmarkt: Die hat sich in den vergangenen zehn Jahren erheblich verbessert. Lag die Arbeitslosenquote Ost 2009 noch bei 13 Prozent, so hat sie sich bis 2019 auf 6,5 Prozent halbiert. Im Westen allerdings ist Arbeitslosigkeit schon länger kein großes Problem mehr: Die Arbeitslosenquote von 6,9 Prozent im Jahr 2009 sank auf 4,7 Prozent.

Der Einheitsbericht: ein jährliches Zwar-aber

Zum alljährlichen Zwar-aber des Einheitsberichts gehört auch, dass die Wirtschaftskraft im Osten zwar nahe am EU-Durchschnitt liegt, dass die Lage auch besser ist als in vielen Regionen Frankreichs und Großbritanniens und auch deutlich besser als in Polen – aber eben auch: Kein Bundesland des Ostens ist so wirtschaftsstark ist wie die schwächsten West-Bundesländer.

Dieses Muster gilt allerdings nicht für die Städte. Ifo-Präsident Clemens Fuest hält denn auch wenig davon, alle Jahre wieder Ost- und Westdeutschland pauschal gegenüberzustellen. „Vor allem die ländlichen Räume in Ostdeutschland leiden nach wie vor unter schwacher Wirtschaftsentwicklung und der Abwanderung junger Menschen“, sagt er.

Auch Ragnitz hält die Stadt-Land-Unterschiede für wesentlicher als das West-Ost-Gefälle. „Die großen Städte im Osten haben das Potenzial, zum Westen aufzuschließen“, betont er und nennt Berlin und sein Umland, Jena, Dresden und Leipzig/Halle.

Damit der Aufschwung sich dort weiter festigt, rät der Ökonom dem Bund und den Ländern, Forschungseinrichtungen gezielt in diesen Städten anzusiedeln. „Dem Land Sachsen würde ich empfehlen, die Idee aufzugeben, Forschungseinrichtungen partout in Görlitz oder Hoyerswerda ansiedeln zu wollen. Die meisten Forscher wollen da nicht hin“, sagt er. Kompetenzpartner für Forscher gebe es aber in Leipzig und Halle, in Jena und Dresden.

Feiertag der gemischten Gefühle

Der Tag der Deutschen Einheit dürfte also nicht nur wegen Corona verhalten gefeiert werden. Im Grunde war dies auch vor 30 Jahren schon so: Nachdem sich im Juli 1990 die Noch-DDR-Bürger über die Einführung der D-Mark gefreut hatten, zeichnete sich bereits im Oktober ab, dass die Ost-Wirtschaft auf dem Weltmarkt zunächst nicht konkurrenzfähig sein würde – auch weil die angestammten Kunden im Osten sich Ostprodukte zu Westpreisen nicht leisten konnten und wollten.

Hinzu kamen Fehler der damaligen Bundesregierung: Anfangs sollten Betriebe an Alteigentümer zurückgegeben werden, die mit ihnen oft nichts anfangen konnten. Zudem wurden Firmen Betriebsmittelkredite aus DDR-Zeiten als Altschulden aufgebürdet. Auch wenn manche der Anfangsfehler bald korrigiert wurden: Der Schaden war da bereits eingetreten.

Die Deindustrialisierung bis 1993 in der ehemaligen DDR war daher auch im Vergleich zu Ländern wie Polen, Tschechien oder Ungarn beispiellos. Zwei von drei Industriearbeitsplätzen gingen verloren. Gemessen daran ist der Aufholprozess seit Mitte der 1990er-Jahre eine ebenso beispiellose Erfolgsgeschichte.

Eine Erfolgsgeschichte mit einem sehr großen Aber: Für viele der Älteren im Osten überwiegt bis heute die verletzende Abstiegserfahrung aus den 1990er-Jahren. Die Zustimmung zur Marktwirtschaft, zur Demokratie und zu den Institutionen ist daher bis heute geringer als im Westen, mit Folgen: „Sehr wahrscheinlich hat geringerer Zuspruch zur Demokratie einen negativen Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung“, befürchtet der Ostbeauftragte Wanderwitz.

Die Einheitsberichte der nächsten Jahr dürften deshalb wohl auch weiter vom ewigen Zwar-aber geprägt sein: Zwar gibt es im Osten inzwischen sehr erfolgreiche kleine und mittelgroße Unternehmen, die in engen Märkten im Geschäft mit anderen Unternehmen sehr erfolgreich sind, so Ragnitz. Aber: Es fehlen nach wie vor die Zentralen von Großkonzernen, um die herum sich im Westen Cluster aus Zulieferern und Forschungseinrichtungen angesiedelt haben.

Zwar ist die Abwanderung aus dem Osten seit einigen Jahren gestoppt. Aber weil die Bevölkerung im Osten wegen der Abwanderung junger Leute in den 1990er-Jahren schneller gealtert ist als im Westen, bräuchten die neuen Länder mehr Zuwanderung als der Westen.

„Das größte Zukunftsproblem im Osten ist der Arbeitskräftemangel. Bis zu 30 Prozent der Beschäftigten werden in den nächsten Jahren fehlen, weil viele in Rente gehen und wenige nachkommen“, sagt Ragnitz und betont: „Der Osten braucht daher das am dringendsten, was die Leute hier am wenigsten wollen: massive Zuwanderung.“