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24 Stunden Haft: Wie ein deutscher Student in Hongkong zwischen die Fronten geriet

Zwei Deutsche werden in Hongkong während der Proteste festgenommen. Dabei bekommen sie einen bleibenden Eindruck von den Gefahren des Konflikts.

An sein Auslandssemester in Hongkong wird Marius noch lange zurückdenken, an diese Tage im November 2019. Noch am Donnerstag in der vergangenen Woche telefonierte er mit seinen besorgten Eltern. „Ich bin alt genug. Ich kann die Situation gut einschätzen, ich bin nicht in Gefahr“, versichert er. Stunden später wird er verhaftet.

Die Hände von Marius, der nicht mit vollem Namen genannt werden will, zittern, als er darüber spricht. Erst am späten Freitagabend wurde er in Hongkong aus dem Gefängnis freigelassen. Am Samstag brach er sein Auslandssemester ab und flog zurück nach Deutschland.

Dort hatten die Medien groß über die Festnahme berichtet. Bei Facebook und Instagram wurde Marius als „linksradikaler Idiot“ beschimpft. „Wer mit Molotow-Cocktails schmeißt, ist für mich nicht tragbar“, schrieb einer. „Die dachten wohl, in einem anderen Land darf man tun und lassen, was man will.“ Ein Freund erzählte ihm, er habe gehört, Marius hätte in Hongkong einen Polizisten erschossen.

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Marius will diese Geschichten nicht so stehen lassen. Außerdem fühlt er eine Verantwortung, von den Zuständen in Hongkong zu berichten. Darum wandte er sich an das Handelsblatt. Der 22-Jährige wohnt in einer Kleinstadt in der Nähe von Düsseldorf und studiert International Business an einer niederländischen Universität.

Eigentlich wollte er ein Auslandssemester in Südamerika machen. „Meine Mutter sagte mir, dass sie nicht gut schlafen könnte, wenn ich dort hinginge. Sie wünschte sich, dass ich in ein Land gehe, wo die politische Stimmung entspannt ist“, erinnert sich Marius. Er entschied sich schließlich für Hongkong.

Im August ging er für ein Auslandssemester an die Lingnan-Universität in Tuen Mun, einer Stadt an der Westküste von Hongkong. Als Marius dort ankommt, ist es noch ruhig. Erst nach ein paar Wochen kommt es zu gewalttätigen Ausschreitungen. Die Bilder der Straßenschlachten sind auch in deutschen Medien zunehmend ein Thema.

Marius diskutiert in seinem Wohnheim in Tuen Mun mit anderen Studenten über die Proteste, auch mit Einheimischen, die an den Demonstrationen teilnehmen. Er findet es spannend zu hören, was die jungen Hongkonger antreibt. Bei einem Bier sitzen sie zusammen und schauen im Internet Aufnahmen von den Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Polizei. Die Proteste schaukeln sich hoch.

Die Polizisten gehen immer härter gegen die jungen Menschen vor, die greifen zu immer brutaleren Protestformen. Marius ist beeindruckt davon, wie entschlossen eine ganze Generation von jungen Menschen für ihre Freiheit kämpft. Dennoch sind ihm die Methoden teilweise zu militant. „Es wird Jahre dauern, bis die Stadt wieder so aussieht wie vorher“, sagt er.

Marius verfolgt die Proteste, zunächst aus der Nähe, später aus einiger Entfernung. Als sich die Lage Anfang November zuspitzt, wird er vorsichtiger, fährt nur noch seltener in die Stadt. Die Universität stoppt die Vorlesungen, die Kantine wird bei den Protesten zerstört. Einige Austauschstudenten fliegen vorzeitig nach Hause. Marius fühlt sich jedoch halbwegs sicher. Am Donnerstag in der vergangenen Woche gibt es in der Innenstadt von Tuen Mun erneut Proteste.

Mit seinem deutschen Zimmernachbarn David will Marius in einem Einkaufszentrum abends etwas essen gehen, aber alle Restaurants haben geschlossen. Als die beiden das Gebäude verlassen, laufen sie in eine Tränengas-Wolke. Die Polizei setzt das Tränengas gegen die Demonstranten ein. Die beiden Deutschen ziehen einen Mundschutz an. Einen Mundschutz dabei zu haben, ist in ostasiatischen Metropolen Asiens wegen der schlechten Luft nichts Ungewöhnliches. „Studenten tragen so etwas an der Uni im Hörsaal“, sagt er.

Plötzlich werden die beiden Studenten von etwa zehn schwer bewaffneten Polizisten eingekesselt. „Wir wurden angeschrien und mit Schlagstöcken bedroht“, sagt Marius. Passanten filmen die Szene. Marius findet die Aufnahme nach seiner Rückkehr im Internet und zeigt sie im Gespräch mit dem Handelsblatt.

„Wir haben euch gesehen, wie ihr Molotow-Cocktails geworfen habt“, hört man einen der Polizisten schreien. Die Deutschen weisen die Vorwürfe zurück, zeigen ihre Pässe. „Wir sind Austauschstudenten, wir haben mit den Protesten nichts zu tun“, rufen sie. Aber es ist zwecklos.

Die Polizisten bemerken, dass die Festnahme im Internet gestreamt wird. Marius will sich nicht vorstellen, was sonst geschehen wäre. Was passiert wäre, wenn sie keine Europäer gewesen wären. „Ich habe viele Videos gesehen, wie Einheimische zusammengeschlagen wurden, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren“, sagt er. Deutsche Medien berichten später über die Verhaftung, das Auswärtige Amt und die Polizei in Hongkong bestätigen die Festnahme.

Die Polizisten fesseln die Hände der beiden Studenten und bringen sie in das örtliche Polizeipräsidium. Als sie in das Gebäude kommen, werden sie an 50 bis 60 Polizisten vorbeigeführt. „Die haben gegrölt und unsere Festnahme gefeiert. Das war gruselig“, erinnert sich Marius.

Er hofft noch darauf, dass die Situation als Missverständnis erkannt wird. Man bringt sie in eine kleine Zelle mit Steinbänken, wo sie mit vier anderen Personen sitzen. Sie kommen ins Gespräch mit einem Kantonesen mit blutverschmiertem Gesicht. Der Junge sagt, er sei zwölf Jahre alt. Und erzählt, wie er seine Mutter überredete, zum ersten Mal an den Protesten teilnehmen zu dürfen. Wie er verhaftet und anschließend von der Polizei verprügelt wurde.

„Sind es Mörder?“

Marius klopft an die Zellentür, er will das deutsche Konsulat kontaktieren. Erst Stunden später darf er dort anrufen. Seine Eltern werden daraufhin informiert. Zu essen gibt es kochendes Chlorwasser und schleimigen Reis, Marius kriegt nichts herunter. Als Toilette dient ein Loch mitten im Raum. Nach einigen Stunden kommen die beiden Deutschen in unterschiedliche Zellen. Marius schläft kaum in dieser Nacht.

Es ist unbequem, ständig wird die Zellentür geöffnet, immer wieder wechseln seine Zellennachbarn. „Ich wusste ja nicht, mit wem ich da sitze. Sind es Mörder?“ Marius hat Angst. Er hat von Demonstranten gehört, die verschwunden und nicht wieder aufgetaucht sind. „Das Schlimmste war, nicht zu wissen, wann ich wieder rauskomme, und der Willkür ausgesetzt zu sein.“

Am nächsten Tag wird er mehrere Stunden lang verhört. Erneut muss er mithilfe eines Dolmetschers schildern, was passiert ist. Immer wieder sagt Marius, dass er mit den Protesten nichts zu tun hat. Ein Rechtsberater, der gestellt wird, sagt ihm schließlich, dass er das Gefängnis gegen eine Kaution verlassen darf.

Ein Kommilitone bringt die geforderten 1000 Hongkong-Dollar, umgerechnet 115 Euro. Am späten Freitagabend darf er raus, sein deutscher Mitstudent 20 Minuten später. Die Deutschen fahren zurück ins Wohnheim. An Schlaf ist auch in dieser Nacht nicht zu denken. Alle wollen ihre Geschichte hören.

Marius will zurück nach Hause, sofort. Am nächsten Morgen bucht er seinen Flug für denselben Tag, am Sonntag ist er wieder bei seinen Eltern. Zimmernachbar David bestätigt die Darstellung im Gespräch. Marius betont: „Wir haben Glück gehabt, weil wir Europäer sind. Aber wir haben eine Verantwortung für die Menschen dort. Handelsbeziehungen zu einem Land dürfen nicht über den Menschenrechten stehen.“

Es könnte sein, dass Marius im Februar von einem Gericht in Hongkong vorgeladen wird. Er rechnet aber nicht damit. Er will die Ereignisse erst einmal sacken lassen. Ablenkung hat er sich nicht verordnet. In den sozialen Medien beobachtet er genau, wie sich die Proteste in Fernost entwickeln. Im Februar beginnt für ihn das nächste Semester. Er geht davon aus, dass es etwas ruhiger wird als das vergangene.