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„1931 waren die Menschen völlig hoffnungslos“

Foto: dpa

Vor 90 Jahren endete der Börsenboom in einem großen Knall. Der Historiker Werner Plumpe erklärt, wie es zur Weltwirtschaftskrise kommen konnte und warum wir daraus für gegenwärtige Probleme kaum Lehren ziehen können.

Werner Plumpe ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Goethe-Universität in Frankfurt und Buchautor.

WirtschaftsWoche: Am 24. Oktober 1929 endete in New York ein bis dahin ungekannter Börsenboom in einem großen Knall. Was zunächst wie eine normale Rezession wirkte, entpuppte sich als Katastrophe. Wie konnte es so weit kommen?
Werner Plumpe: Es gibt nicht die eine Ursache, die die Tiefe und den sich hinziehenden Verlauf der Krise hinreichend erklären könnte. Der Wirtschaftswissenschaftler Paul Samuelson sprach von einer Vermischung von ungünstigen Umständen. Die USA erlebten eine konjunkturelle Delle, die das Land während einer spekulativen Börsenhausse traf. Hinzu kam, dass die Weltwirtschaft aufgrund der Folgen des Ersten Weltkriegs insgesamt sehr angeschlagen war, darüber konnten auch die Goldenen Zwanziger nicht hinwegtäuschen. Das war eher eine Scheinblüte.

Die Weimarer Republik und die USA traf die Krise besonders hart. Was hat das mit den Menschen gemacht?
In den USA war vor allem die Landbevölkerung, in der Weimarer Republik zusätzlich zu dieser die Arbeiterbevölkerung in den Industriezentren stark betroffen. Deutschland erlebte schon während den Zwanzigerjahren eine hohe strukturelle Arbeitslosigkeit. Das kannten die Menschen nicht, aus dem Kaiserreich waren sie Vollbeschäftigung gewöhnt. Im Laufe der Krise nahm die Arbeitslosigkeit massiv zu. Im Winter 1932/33 war in Deutschland im Grunde genommen die Hälfte der beschäftigten Bevölkerung mehr oder minder hart von der Arbeitslosigkeit betroffen.

Wie das? In Deutschland waren offiziell rund sechs Millionen Menschen arbeitslos.
Diese Zahl spiegelt nur die direkte Arbeitslosigkeit wider. Kurzarbeit und Lohnkürzungen standen ebenfalls an der Tagesordnung. Zu Beginn der Krise war da noch so etwas wie Optimismus. 1931 waren die Menschen bereits völlig hoffnungslos und verzweifelt. Ein Wirtschaftswissenschaftler der damaligen Zeit sprach von einer regelrechten Krisenneurose, die die ganze Gesellschaft im Griff hatte und zu unberechenbarem politischen Verhalten führte, das schließlich in der Wahlentscheidung für die NSDAP oder Kommunistischen Partei mündete. Die Regierungen der späten Weimarer Republik erschienen den Bürgern entsprechend weitgehend handlungsunfähig.

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Welche Rolle spielte es, dass die Menschen aus der Euphorie der Goldenen Zwanziger in eine tiefe, langanhaltende Krise schlitterten?
Die Zwanziger waren eine hektische und durchaus moderne Zeit, aber vor allem in den USA und weniger in Deutschland. Deutschland war durch die Folgen des Ersten Weltkriegs weitgehend verarmt, das galt auch für das Bürgertum. Die Menschen der Weimarer Jahre erlebten die Goldenen Zwanziger daher vor allem als Zuschauer aus der Ferne. Die neue Welt des Konsums genossen andere. In den USA war der Bruch der Krise daher deutlich härter.

Beinahe ikonischen Status erlangten in den USA die Bilder der aus den Fenstern stürzenden Börsenhändler. Gab es Vergleichbares in Deutschland?
Die Weimarer Republik war arm und es fehlte an Kapital, deswegen gab es hier nicht solche spekulativen Übertreibungen wie in den USA. Die Volatilität der Kurse und die Kursverluste waren auch in Deutschland bedeutend, aber all das war nicht mit den USA zu vergleichen. Insofern waren auch Suizide unter Börsenhändlern, die sich Geld geliehen hatten und bei fallenden Kursen ihre Kredite nicht bedienen konnten, eher die Ausnahme und kein verbreitetes Phänomen in Deutschland.

Wie schwer trafen die Reparationszahlungen die Weimarer Republik?
Weniger hart als gemeinhin angenommen wird. Die Reparationszahlungen wurden 1932 beendet. Schaut man rückblickend, welche Summen bis dahin flossen, wird klar: Die Reparationszahlungen waren keine existentielle Gefahr für die deutsche Wirtschaft der Zwanzigerjahre.

Die Menschen jener Zeit hatten einen anderen Eindruck.
Die Reparationsforderungen erschienen den Zeitgenossen exorbitant hoch. Hinzu kam ein weiteres Problem: Wollte die Weimarer Republik die Reparationskosten mit Devisen begleichen, mussten diese vorher erwirtschaftet werden, es bedurfte also des Exports deutscher Güter. Gerade dieser Export – in die USA, nach Großbritannien oder Frankreich – war politisch von ebenjenen Ländern aber weitgehend ausgeschlossen. Deutschland konnte seinen Verpflichtungen nur dadurch nachkommen, dass es sich an den internationalen Geld- und Kapitalmärkten erheblich verschuldete. Damit wurde ein Schuldenkarussell in Gang gesetzt, das verheerende Auswirkungen auf den Krisenverlauf hatte.

Inwiefern?
In den USA herrschte in den Zwanzigern eine große Bereitschaft, europäischen Staaten mit hohen Zinsen Geld zu leihen, namentlich Großbritannien und Deutschland. Die deutschen Reparationszahlungen flossen dann zumindest zum Teil als Rückzahlung der interalliierten Kriegsschulden zurück in die USA, um von dort aus wieder nach Europa zurückzukehren. Als die USA 1928/29 aufhörten, Geld zu verleihen, gerieten insbesondere Deutschland und Großbritannien in Schwierigkeiten. Als dann 1930/31 zu der Wirtschafts- eine Finanzkrise hinzukam und die Amerikaner ihre Gelder fluchtartig erst aus Deutschland und dann auch aus Großbritannien abzogen, verschärfte das die Krise abermals. Hinzu kam, dass die Staaten im Goldstandard gefangen waren, also keine Möglichkeit hatten, ihre Währungen abzuwerten.


Hätte keynesianische, antizyklische Wirtschaftspolitik geholfen?

Dem Zentrumspolitiker Heinrich Brüning, der bis 1932 Reichskanzler war, wird oft eine Schuld an der langen Fortdauer der Krise in Deutschland zugesprochen. Ist das berechtigt?
Vor Brüning regierte bis zum März 1930 eine große Koalition aus SPD, Zentrumspartei und liberalen Parteien. Brüning kam also erst ins Amt, als die Krise bereits ausgebrochen war. Er fand eine negative Handelsbilanz vor, eine starke Verschuldung, die deutsche Position im Goldstandard – er hatte also keine Möglichkeit, über Wechselkurse zu reagieren. Ihm blieb nichts anderes übrig, als auf eine konsequente Politik der inneren Abwertung zu setzen.

Wirtschaftshistoriker bemängelten, dass Brüning stattdessen eine keynesianische, antizyklische Wirtschaftspolitik hätte betreiben sollen.
Das geht an den Realitäten der damaligen Zeit vorbei. Der deutsche Staat war kaum noch in der Lage, sich Kredite zu verschaffen. Auch eine Verschuldung bei der Reichsbank war durch die internationale Kontrolle der Reichsbank ausgeschlossen. Brüning hätte vielleicht eine kreativere Finanzpolitik betreiben können, aber auch das wäre keine wirkliche Alternative gewesen zur Politik der inneren Abwertung mit ihren sozialen Folgen – den sinkenden Löhnen und der Verarmung weiter Teile der Bevölkerung. Was im Nachhinein oft vergessen wird: Brünings Kurs war durchaus erfolgreich.

Erfolgreich?
Seine Strategie ist erst gescheitert, als 1931 infolge der Finanzkrise der internationale Handel völlig zusammenbrach und die Staaten sich hinter protektionistischen Maßnahmen verbarrikadierten. Erst ab da führte die innere Abwertung nicht mehr dazu, die internationale Konkurrenzfähigkeit Deutschlands zu verbessern. Aber selbst zu jener Zeit konnte Brüning noch einen Erfolg verzeichnen: Er hatte erreicht, dass 1932 die Reparationszahlungen eingestellt werden konnten. Diesen Erfolg konnte er allerdings nicht mehr genießen, weil der Reichspräsident von Hindenburg ihn vorher entlassen hatte.

Was brachte die Staaten damals zu den protektionistischen Maßnahmen, die die Krise noch weiter verschärften?
Die demokratischen Staaten mussten sich auf die eigene Handlungsfähigkeit besinnen. Das war in den USA unter Theodore Roosevelt so, aber auch in Großbritannien, als es 1931 den Goldstandard aufgab und Zollmauern hochzog. Das ist eines der großen Dilemmata von Demokratien: Die Bürger erwarten von ihren Regierungen, dass sie ihre wirtschaftliche und soziale Situation ernst nehmen und im Zweifelsfall intervenieren. Wenn die Regierung sich aber an Regeln gebunden hat, die nicht direkt im nationalen Interesse sind, sondern die Funktionsfähigkeit institutioneller Bestimmungen absichern – etwa durch den Goldstandard oder einer gemeinsamen Währung – schränkt das die nationalen Regierungen ein. Das toleriert die Bevölkerung bei Wahlen nicht immer. Der zunehmende Protektionismus war eine Folge davon, dass die jeweiligen Regierungen nur auf diese Weise Handlungsfähigkeit beweisen konnten. Das stellt auch für unsere Gegenwart eine wichtige Lehre dar.

Inwiefern? Lassen sich die protektionistischen Maßnahmen der USA, Chinas, aber auch Europas in der Gegenwart mit der Lage damals vergleichen?
Die Situation heute ist eine andere. Die internationalen Wirtschaftsverflechtungen sind viel tiefer und das Volumen des internationalen Handels viel größer als damals. Damit sind wir von der so genannten Beggar-thy-Neighbor-Politik der Weltwirtschaftskrise ein Stück weit entfernt. Aber die Tendenz, die wir heute erleben, ist die gleiche. In den USA glaubt ein relevanter Teil der Wählerbevölkerung, dass die nationalen Interessen uneingeschränkten Vorrang haben sollten vor einer imaginierten oder wirklichen Weltwirtschaft oder globalen Gemeinschaft. Auch wenn es beim Brexit weniger um Handelspolitik geht, ist das Anliegen auch hier die Behauptung der vermeintlichen nationalen Souveränität. Auch heute gilt: Gerade in schwierigen Zeiten drängt die Bevölkerung ihre Regierung dazu, Handlungsfähigkeit zu beweisen – auch auf Kosten von internationalen Bindungen.

Seit der Krise 2007/2008 haben Politiker allerorts ihre wirtschaftlichen Maßnahmen damit gerechtfertigt, dass sie die richtigen Lehren aus der Weltwirtschaftskrise ab 1929 gezogen hätten. Hatten die Krisen überhaupt eine Ähnlichkeit?
Ich glaube, da ist sehr viel, was die Krisen voneinander unterscheidet. Der wichtigste Unterschied sind automatische Stabilisatoren. In weiten Teilen der Welt haben wir heute ausgebaute sozial- und wohlfahrtsstaatliche Strukturen, die eine Verelendung der Bevölkerung, wie wir sie ab 1929 erlebten, verhindern. Die Bedeutung der Arbeitslosenversicherungen kann man gar nicht überschätzen, wenn man die Krisenverläufe miteinander vergleicht. Was die getroffenen Maßnahmen anbetrifft, bin ich nicht so optimistisch.

Warum?
Wir haben uns in einem Status quo eingerichtet, in dem alle Elemente einer künftigen Krise enthalten sind. Die staatlichen Maßnahmen haben die strukturellen Probleme nicht gelöst, sondern nur verschoben. Die Verschuldung des privaten und des öffentlichen Sektors ist weiterhin hoch. Die europäischen Staaten und Banken haben weiter Finanzprobleme. Für ein abschließendes Urteil ist es noch zu früh. Vielleicht kann man Donald Trumps Politik als den Versuch deuten, den Wirtschaftsstandort USA zu stärken und dort eine neue Ära einzuleiten. Ob das gelingen wird, ist schwer vorherzusagen. Die Globalisierungseuphorie vor der großen Finanzkrise ist jedenfalls vorüber.