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132.000 Selbstständige sind in der Corona-Krise in Hartz IV gerutscht — Hilfe vom Staat gibt es kaum

Die Zahl der Kurzarbeitenden sinkt, die Zahl der Arbeitslosen schrumpft. Für viele verbessern sich die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Aber nicht für alle. Ein großer Teil der vier Millionen Selbstständigen in Deutschland zählt weiter zu den größten Verlierern der Corona-Krise; unter ihnen Gastronomen, Künstlerinnen oder Einzelhändler. Sie haben nicht nur viel Einkommen verloren, spät oder kaum Corona-Hilfen bekommen, sondern vielerorts ihre Selbstständigkeit gleich ganz aufgeben müssen.

Allein zwischen April 2020 bis Juni 2021 haben laut der Bundesagentur für Arbeit (BA) 132.000 Selbstständige Hartz IV beantragt. Das seien 112.000 mehr als erwartet wurde, schreibt die BA auf Anfrage von Business Insider. Die Dunkelziffer derer, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind, könnte noch deutlich höher sein. Laut des Deutschen Gewerkschaftsbunds erfüllen nicht alle Selbstständigen die erleichterten Zugangsvoraussetzungen für Hartz IV, die im Zuge der Pandemie eingeführt wurden.

Tina Hofmann, Referentin für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik beim Paritätischen Gesamtverband, sieht in der hohen Zahl der Hartz-IV-Anträge unter Selbstständigen ein Alarmsignal. „Nach den Statistiken zu urteilen befinden sich aufgrund der Pandemie nicht nur sehr viel mehr Selbständige und Solo-Selbstständige im Hartz IV-System, sondern viele auch in einer beruflichen 'Warteschleife' — und das womöglich über eine lange Zeit", sagt Hofmann zu Business Insider.

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Sie warnt davor, Selbstständige, die in Hartz IV abgerutscht seien, jetzt sich selbst zu überlassen. Der Staat müsse gezielt auf sie zugehen, damit sich ihre berufliche Perspektivlosigkeit nicht verfestige.

„Die Vermittlungsangebote für Selbstständige hat man mit diesen Sonderregelungen auf null gesetzt"

Die Jobcenter sehen die Lage gelassener.

Für diejenigen, die in ihrem Beruf ohne die Einschränkungen der Pandemie voraussichtlich weiterarbeiten können, ist die vermittlerische Begleitung — außer auf Nachfrage bei Einzelfällen — gar nicht erst vorgesehen, heißt es in den Sonderregelungen der Bundesagentur für Arbeit für die Betreuung von Selbständigen und Solo-Selbstständigen. "Die Vermittlungsangebote für Selbstständige hat man mit diesen Regelungen auf null gesetzt", kritisiert Arbeitsmarktreferentin Hofmann. Es gäbe eine materielle Absicherung auf kargstem Niveau, aber keine aktive Unterstützung der beruflichen Existenz, falls sich ihre wirtschaftlichen Bedingungen nicht wie angenommen verbesserten.

Zur Wahrheit gehört aber auch: In einigen kommunalen Jobcentern, haben sich die Zahlen der arbeitslosen Selbstständigen schon wieder auf das Niveau vergangener Jahre eingependelt. Im Landkreis Düren etwa stieg die Zahl der (Solo-)Selbstständigen, die Hartz IV beantragen mussten, um die Jahreswende 2020/2021 auf einen Spitzenwert von 539. Inzwischen sind es 432 Fälle von Selbstständigen im Hartz-IV-Bezug, beinahe so viele wie im Jahr 2019, als es noch keine Pandemie gab. In anderen Jobcentern, wie etwa in Stuttgart, halten die hohen Zahlen aber an: Dort beantragten 2019 noch durchschnittlich 25 Selbstständige pro Monat Hartz IV, seit 2020 sind es 120.

Arbeitsmarktreferentin Hofmann geben nicht nur diese hohen Zahlen zu denken, sie sorgt sich auch über die Dauer der Arbeitslosigkeit einiger Selbständiger. Je länger sie arbeitslos blieben, desto schwieriger werde der Wiedereinstieg in den Job: "Es braucht Unterstützungsangebote, die sich auf eine Fortsetzung der unterbrochenen Selbstständigkeit beziehen", sagt sie. Und zum anderen benötige es geeignete Angebote zur beruflichen Neuorientierung, wenn Betroffene nicht mehr oder nur noch teilweise von ihrer Selbstständigkeit leben könnten.

Die Zahl der Selbständigen sinkt mit fortschreitender Pandemie, zeigt eine DIW-Studie

Hofmann ist mit ihren Sorgen um arbeitslose Selbstständige nicht allein.

Eine neu veröffentliche Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt, die Zahl der Selbstständigen sinkt mit fortschreitender Pandemie. Unter den Befragten sind nur noch rund 76 Prozent selbstständig tätig, fast zehn Prozent weniger als noch zwei Jahre zuvor. Hinzukommt: Ein immer größerer Anteil der Selbstständigen gibt sein Geschäft ganz auf. Während 2018 nur neun Prozent aller Befragten aus der Selbstständigkeit in die Arbeitslosigkeit rutschten, waren es 2020 doppelt so viele.

DIW-Forscher Alexander Kritikos sieht die Erklärung dafür im Umgang mit der Pandemie: Die Daten würden belegen, dass die Bundesregierung Selbstständigen in der Corona-Krise nicht konsequent genug geholfen habe, sagt er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Vor allem viele Solo-Selbständige hätten nicht von den Soforthilfen profitiert, weil sie kaum berufliche Fixkosten haben — doch nur dafür seien die Zuschüsse gedacht gewesen. Das habe sich erst mit der „Neustarthilfe“, einer einmaligen Zahlung von 7500 Euro geändert. „Ich fürchte, diese Hilfe kam zu spät“, sagte Kritikos. „Die Regierung hätte früher, schneller und verbindlicher helfen müssen.“

„Für Jobcenter waren arbeitslose Selbstständige bisher ein Randthema"

Selbstständige auf Hartz IV bleiben vielerorts also auf sich allein gestellt. Dass eine auf sie zugeschnittene Hilfe möglich wäre, zeigt das Jobcenter Stuttgart. Die Stadt hat schon seit 2013 eine spezifische Fachstelle für Selbstständige und Solo-Selbstständige eingerichtet. Das Unterstützungsportfolio sei allen Selbstständigen von Anfang an freiwillig angeboten worden, heißt es auf Nachfrage von Business Insider. Auf Wunsch hätten Betroffene das Angebot wahrnehmen können.

Stuttgart lasse sich jedoch nicht mit allen Jobcentern in Deutschland vergleichen, sagt Andreas Kuhn, der beim Deutschen Verein zur Umsetzung des SGB II durch die Jobcenter forscht. "Für Jobcenter waren arbeitslose Selbstständige bisher ein Randthema", sagt er zu Business Insider. Da mit Abstand die meisten Leistungsberechtigten in Hartz IV in eine Beschäftigung bei einem Arbeitgeber vermittelt werden wollten, seien die Jobcenter auf diesen Teil des Arbeitsmarktes fokussiert. "Nur wenige Fachkräfte in den Jobcentern sind mit den Netzwerken selbständiger Beschäftigung vertraut, die für die Wiederaufnahme einer selbständigen Existenzsicherung sehr wichtig sind."

Für Arbeitsmarktreferentin Hofmann ist die Unterstützung von Selbstständigen daher ein Glücksspiel. Profitieren würden vor allem die Selbstständigen, die in Jobcentern mit vielen Fachkräften landen würden. In Jobcentern mit weniger Personal hingegen stünden die Chancen auf qualifizierte Beratung schlechter.

Ohnehin, neue Hilfsangebote für Selbstständige sind nicht in Sicht. Spezielle Programme für (Solo-)Selbstständige während der Pandemie seien ihr nicht bekannt, teilt die Bundesagentur für Arbeit auf Anfrage von Business Insider mit. Auch ein gesondertes Budget sei nicht eingerichtet worden.