100 Tage Ernüchterung
Vor ein paar Tagen hat Barack Obama sein Schweigen gebrochen. An der Universität von Chicago sprach der Ex-Präsident, von monatelangen Urlaubsreisen gut erholt, über bürgerliches Engagement und seiner Erfahrungen als Sozialarbeiter. Nicht etwas werden, sondern etwas erreichen wollen – das sollte der Leitgedanke für junge Leute sein, sagte Obama. Das war als Rat an die anwesenden Studenten gemeint. Doch es ist auch als implizite Kritik an seinem Nachfolger Donald Trump zu verstehen.
Trump hat nie einen Gedanken daran verschwendet, was er als Präsident erreichen will. Er strebte die Präsidentschaft an, weil sie unbezahlbares Prestige verleiht und die ultimative Form der Selbstbestätigung ist. Nun hat er was er wollte, er ist die Nummer eins. Doch er weiß mit seinem Amt nichts anzufangen. Zum Ende seiner ersten 100 Präsidententage steht Trump mit leeren Händen da.
„Ich dachte, es wäre einfacher“, gestand er jetzt in einem Reuters-Interview und trauerte seinem alten Leben nach, als er nur ein Immobilienreich zu managen hatte, statt sich für die Sicherheit und das wirtschaftliche Wohlergehen von Millionen Amerikanern verantwortlich fühlen zu müssen. „Ich mag Arbeit, aber das ist wirklich mehr Arbeit“, klagte Trump. Das Interview ist deshalb so bemerkenswert, weil Trump offen zugibt: Er war auf seinen Job nicht vorbereitet. Trump erfährt viel Widerspruch, aber diese Einschätzung teilt die Mehrheit der Amerikaner.
Trump hat keine nennenswerte Gesetzesreform vorzuweisen. Wenn er nicht Golf spielt, Staatsgäste hofiert oder sich auf Nostalgie-Tour durch das republikanische Hinterland die Glückmomente des Wahlkampfs wiederaufleben lässt, unterzeichnet er Dekrete. Eine Form der Regierungsführung, die er als Kandidat noch als Verzweiflungstat kritisiert hatte: „Obama unterstreicht Verordnungen, weil er sonst nichts durchsetzen kann“, schimpfte er. Die meisten Trump-Dekrete sind Showeinlagen für die Reality-TV-Sendung, zu der die amerikanische Politik verkommen ist. Doch manches hat ernste Folgen: Trump dreht Obamas umweltpolitischen Errungenschaften zurück, die Polizeibehörden gehen mit ungekannter Härte gegen Immigranten vor. Seinem Land dient er damit nicht.
Der einzige innenpolitische Erfolg des Präsidenten ist die Ernennung eines konservativen Richters für das Oberste Gericht – eine Personalentscheidung, die er de facto dem republikanischen Establishment überließ. Schon nach 100 Tagen ermitteln gegen das Weiße Haus: das Abgeordnetenhaus, der Senat, das FBI und die Geheimdienste. Russlandkontakte, Vetternwirtschaft, Selbstbereicherung: Es hat in der Geschichte der USA viele politische Skandale gegeben, die Trump Ära könnte sie alle in den Schatten stellen.
Innenpolitisch von der eigenen Inkompetenz paralysiert, verlegt sich der Präsident auf die Außenpolitik. Dem Isolationismus, mit dem er als Wahlkämpfer flirtete, hat Trump abgeschworen, seinem Militarismus hingegen lässt er freien Lauf. Nach der Machtdemonstration in Syrien eskaliert er den Atomkonflikt mit Nordkorea. Es bestehe die Gefahr seines „schweren, schweren Konflikts“, warnt er. Trump wäre nicht der erste Staatschef, der sich in außenpolitische Abenteuer stürzt, um von innenpolitischen Pleiten abzulenken.
KONTEXT
Eckdaten der ersten 100 Tage Trump-Präsidentschaft
23. Januar
Die USA machen den angekündigten Rückzug aus dem transpazifischen Handelsabkommen TPP wahr. Trump unterzeichnet einen entsprechenden Erlass.
25. Januar
Trump beauftragt per Erlass das Heimatschutzministerium, den Bau einer Grenzmauer zu Mexiko in die Wege zu leiten.
27. Januar
Trump verfügt einen 90-tägigen Einreisestopp für Menschen aus sieben islamisch geprägten Ländern. Am 3. Februar unterbindet ein Bundesrichter in Seattle das Vorhaben vorläufig.
31. Januar
Trump benennt den konservativen Juristen Neil Gorsuch zum Richter am höchsten US-Gericht. Gorsuch wird am 7. April vom US-Senat bestätigt und am 10. April vereidigt.
13. Februar
Der Nationale Sicherheitsberater der US-Regierung, Michael Flynn, tritt zurück. Hintergrund ist ein Gespräch mit dem russischen Botschafter noch vor Antritt der neuen Regierung.
21. Januar
Die Regierung erweitert die Gruppe von Einwanderern, die festgenommen und abgeschoben werden können.
6. März
Trump unterzeichnet ein neues Einreiseverbot für Menschen aus nunmehr sechs vorwiegend muslimischen Ländern. Der Irak ist nicht mehr dabei. Am 15. März stoppt unter anderen ein Bundesrichter in Hawaii das Einreiseverbot vorerst.
24. März
Die Republikaner ziehen den von Trump unterstützten Gesetzentwurf für eine neue Gesundheitsversorgung kurz vor der Abstimmung im Parlament mangels Erfolgsaussichten zurück.
28. März
Der Präsident unterzeichnet ein Dekret, mit dem Kernstücke der Umweltpolitik der Vorgängerregierung aufgeweicht werden sollen.
7. April
Trump lässt im Bürgerkriegsland Syrien als Reaktion auf einen mutmaßlichen Giftgasangriff einen Luftwaffenstützpunkt der Armee von Präsident Baschar al-Assad bombardieren. Das belastet die Beziehungen zu Assads Verbündetem Russland.
8. April
Angesichts wachsender Spannungen wegen des nordkoreanischen Atom- und Raketenprogramms kündigen die USA an, Kriegsschiffe in Richtung der geteilten koreanischen Halbinsel zu schicken. Trump setzt auf die Hilfe Chinas, hat aber auch gedroht, Nordkorea notfalls im Alleingang zu stoppen.
13. April
Das Pentagon bestätigt, dass US-Streitkräfte in Afghanistan eine riesige Bombe des Typs GBU-43 eingesetzt haben - auch bekannt als "Mutter aller Bomben". Der Abwurf über der Provinz Nangarhar habe Tunnel der Terrormiliz Islamischer Staat sowie dessen Kämpfer zum Ziel gehabt.