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Ölpreis fällt unter 40 Dollar pro Barrel

Sicher ist beim Ölpreis derzeit nur Eines, nämlich dass nichts sicher ist: Erst kam das Zwölfjahres-Tief im Februar, dann der Anstieg auf den Jahreshöchststand über 52 Dollar und nun wieder der Fall auf Drei-Monats-Tiefs. Der Preis schwankt. Derzeit kostet ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent weniger als 43 Dollar – am Montagabend ist nordamerikanischen Sorte WTI sogar unter die wichtige Grenze von 40 Dollar gefallen.

Innerhalb von nicht einmal zwei Monaten haben die beiden richtungsweisenden Sorten erneut ein Fünftel ihres Wertes verloren. Der Ausblick: Unsicher. Wir erklären, was den jüngsten Absturz ausgelöst hat, was den Preis jetzt weiter unter Druck setzen und wo er am Ende des Jahres stehen könnte.

1. Warum der Ölpreis fällt

Zum einen machen die Fundamentaldaten den Unterschied. Überschreitet das Angebot die Nachfrage, sinken die Preise. So einfach kann das manchmal sein. Für die derzeit fallenden Ölpreise hat das Verhältnis eine zentrale Bedeutung. Im Juli steigerte die – die Organisation erdölexportierender Staaten – ihre Förderung um 100.000 Barrel auf 33,4 Millionen Barrel täglich. So viel hat das sogenannte Ölkartell laut Daten von Bloomberg noch nie gefördert. Das entspricht mehr als einem Drittel der Weltproduktion.

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Zudem scheint es, als habe sich Saudi-Arabien im Kampf um Marktanteile zurückgemeldet. Bekräftige der saudische Prinz Mohammed bin Salman im April noch, dass er an die Kräfte des freien Marktes, von Angebot und Nachfrage glaube, gibt der staatliche Ölkonzern Saudi Aramco nun laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters offenbar Preisnachlässe auf Lieferungen nach Asien ein.

Für den starken Preisanstieg über 50 Dollar im Juni sorgten nicht zuletzt Produktionsausfälle – Waldbrände in Kanada, Anschläge auf Ölinfrastruktur in Nigeria und eine insgesamt politisch instabile Lage in Ländern wie Libyen waren die Gründe. Bis zu drei Millionen Barrel sollen laut der Statistikbehörde des US-Energieministeriums in der Spitze täglich ausgefallen sein. Gerade aus Kanada ist zu hören, dass sich die Förderung erholt und in den kommenden Wochen wieder ihr Normalniveau erreichen soll.

Zudem blieben die auf mehr Benzin sitzen, als gedacht. Analysten waren der Überzeugung, dass die Amerikaner ihre Liebe zum Auto-Urlaub in diesem Jahr so stark ausleben würden, wie lange nicht. Doch es kam anders als gedacht. Zum fünften Mal in sechs Wochen kam es in den USA zum Lageraufbau bei Benzin. „Die US-Benzinnachfrage lag in den letzten vier Wochen 2,6 Prozent über dem Vorjahr, was jedoch nicht ausreichte, um das höhere Benzinangebot zu absorbieren“, schreiben die Analysten der Commerzbank. Das Überangebot lässt den Bedarf an verarbeiteten Öl-Produkten sinken.

Nicht zuletzt ist der Fall unter die 50-Dollar-Marke eine überfällige Marktkorrektur. Spekulanten hatten nach dem Zwölf-Jahres-Tief im Februar reihenweise Wetten auf steigende Preise abgeschlossen. Das trieb die Preise an. Doch die Investoren nahmen ihre Gewinne mit. Mittlerweile bietet sich Marktbeobachtern ein gänzlich anderes Bild: Laut der amerikanischen Aufsichtsbehörde für Rohstoffhandel, der Commodity Futures Trading Commision (CFTC), haben Hedgefonds in den USA ihre Wetten auf fallende Preise in der vorletzten Juli-Woche so stark erhöht wie seit 2006 nicht mehr.


Die Preisen werden unter Druck bleiben

2. Welche Entwicklungen weiter für Unruhe sorgen

Womöglich ist die steigende Produktion der -Staaten noch nicht an ihrem Ende angelangt. Der Irak soll mittlerweile mit 4,5 Millionen Barrel pro Tag auf Rekordniveau angelangt sein. Der baut im Eiltempo seine Förderung aus. Westliche Staaten hatten zu Beginn des Jahres ihre Sanktionen gegenüber dem Iran wegen seines Atomprogramms aufgehoben. Nun will das Land so schnell wie möglich seine Öl-Förderniveaus aus Vor-Sanktions-Zeiten erreichen. Damals förderte der Iran mehr als vier Millionen Barrel täglich. Derzeit sind es knapp 3,5 Millionen Barrel.

Zudem könnten ausländische Investments den Ölmarkt im Iran weiter antreiben. Schon am Mittwoch könnte die Regierung einem Abkommen zustimmen, das es ausländischen Unternehmen erlaubt, sich an Förderprojekten im Land zu beteiligen. Der Iran erhofft sich jährlich Investitionen in Höhe von bis zu 50 Milliarden Dollar.

Nach monatelangen Rückgängen hat auch die Bohraktivität nach Ölquellen in den USA zuletzt wieder zugenommen. Wie erfolgreich die Bohrungen sein werden und ob sie den jüngsten Abwärtstrend der US-Produktion stoppen können ist zwar unklar. Gleichwohl sind die eifrigen Fracker ebenfalls ein Grund für den aktuellen Abwärtsdruck beim Preis. Seit dem Tiefstand der Bohrungen bei 316 Ende Mai ist die Zahl bis Ende Juli wieder auf 374 gestiegen. Von der Hochzeit des Fracking, das den drastischen Preisverfall von über 110 Dollar je Barrel 2014 erst auslöste, ist die Zahl freilich noch weit entfernt. Damals zählte der Öldienstleister Baker Hughes mehr als 1600 Bohrungen.

3. Wo die Preise Ende des Jahres stehen könnten

Kurzfristig wird der Abwärtstrend beim Öl wohl noch anhalten. „Die Preise werden unter Druck bleiben“, sagt -Rohstoffanalyst Eugen Weinberg.

Nach Einschätzung der Investmentbank Morgan Stanley könnte es nochmals einen heftigen Rücksetzer geben. „Wir erkennen beunruhigende Trends bei Angebot, Nachfrage und verarbeiteten Produkten“, schrieben Analysten der Bank jüngst in einem Bericht. Der Preis könnte erst bei Preisen um die 35 Dollar einen Boden erreichen.

Nicht nur die Internationale Energieagentur, auch Morgan Stanley hält mittelfristig bessere Prognosen für den Markt bereit. Angebot und Nachfrage werden sich wohl zu Beginn des kommenden Jahres ausgleichen. Das wiederum würde steigende Preise nach sich ziehen. So sieht denn auch Weinberg von der Commerzbank die Preise auf Sicht wieder klettern. „Wir glauben, dass sie bei 40 Dollar einen Boden finden werden und bis zum Jahresende wieder auf 50 Dollar steigen.“ Mit letzterer Prognose steht er nicht allein da. Im Mittel rechnen die Analysten der Banken, dass Öl Ende 2016 auf 50 Dollar anziehen wird.

KONTEXT

Die Folgen des Billigöls

1. Billiges Erdöl treibt die Wirtschaft an

Tatsache ist: Europas Verbrauchern nutzen die Niedrigpreise sehr. Im Februar war Energie im Euroraum dem Statistikamt Eurostat zufolge 8,0 Prozent günstiger als vor einem Jahr, bei Haushaltsenergie und Sprit in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamts 8,5 Prozent. Von Mitte 2014 bis Ende 2015 verbilligte sich das "schwarze Gold" um zwei Drittel, das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut meldete beim Rohstoffpreis-Index den tiefsten Stand seit 2004. Die Deutschen gaben 2015 laut Mineralölverband 13,5 Milliarden Euro weniger für Sprit und Heizöl aus. Auch große Teile der Industrie freuen sich: Je billiger der Schmierstoff der Weltwirtschaft, umso mehr Entlastung im Einkauf.Wahr ist aber auch: Die Chemie zum Beispiel muss bessere Konditionen oft mit niedrigeren Preisen für Kunst- oder Farbstoffe an ihre Kunden weitergeben. Beim Branchenriesen BASF etwa sank der Überschuss 2015 auch deshalb um fast ein Viertel auf rund 4 Milliarden Euro.

2. Bald steigen die Ölpreise stark, dann kommt das böse Erwachen

"Langfristig dürfte ein steigender (Öl-)Preis die Geldentwertung anheizen", glaubt Eugen Weinberg von der Commerzbank. Die Gefahr: Wenn es mächtigen Förderländern gelingt, das Fracking in den USA aus dem Markt zu drängen, könnte das Angebot knapp werden und die Kosten hochkatapultieren. Für Flüssigtreibstoffe ermittelte die französische Bank Société Générale von 2005 bis 2015 einen Rückgang der Preise um fast 30 Prozent. Die Internationale Energieagentur (IEA) sieht aber allerspätestens 2021 deutliche Erhöhungen. "Für Verbraucher ist es einfach, sich durch niedrige Preise einlullen zu lassen, aber sie sollten die Signale nicht überhören", warnte IEA-Chef Fatih Birol.Zwar ist vor allem die kühlere Konjunktur in China ein Grund; dort gab es 2015 mit 6,9 Prozent das schwächste Wachstum seit 25 Jahren. Aber auch unklare Ziele des Opec-Kartells spielen eine Rolle. Der Iran will nach dem Ende der Sanktionen Öl exportieren, die Saudis und das Nicht-Opec-Mitglied Russland peilen eine Deckelung der Produktion an. Wenn mehr US-Quellen dicht machen, könnten am Ende Engpässe - so fürchtet Birol - zu "nach oben schießenden Ölpreisen" führen.

3. Das Billigöl würgt den Börsen-Boom endgültig ab

Weltweit haben Aktienbesitzer nach dem Jahreswechsel herbe Verluste einstecken müssen. Ein Grund, der neben der befürchteten schwächeren Weltkonjunktur oft genannt wird: das Ölpreis-Tief. Dauerhaft billige Rohstoffe werten die Märkte als Zeichen schrumpfender Nachfrage.Chinas Schwäche sorgt weiter für Zweifel - zusammen mit den dortigen Finanzmarkt-Turbulenzen und Exporten, die im Februar um ein Fünftel einbrachen. Und wie lange können Förderer Kredite voll bedienen? "Wir erwarten, dass Banken in ölexportierenden Regionen ein höheres Gläubiger-Risiko haben", warnt die Ratingagentur Moody's. Sie prüft eine Abstufung von zwölf Förderländern, darunter Russland und Saudi-Arabien. Das Preistief werde wohl noch "mehrere Jahre" dauern.

4. Das Klima verliert, denn günstiges Öl blockiert die Energiewende

Beim Pariser Klimagipfel Ende 2015 einigte sich die Weltgemeinschaft auf einen Verzicht auf fossile Brennstoffe bis Ende des Jahrhunderts. Solange die Abkehr von Öl, Gas und Kohle nicht klappt, verschleppt das Ölpreis-Tief die Energiewende zusätzlich, sagte Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im Deutschlandfunk: "Ein niedriger Ölpreis behindert den Umstieg Richtung Energiesparen." Prognosen zum Welt-Energiebedarf gibt es viele. So erwartet BP, dass die Fossilen auch 2035 den Löwenanteil (60 Prozent) zur globalen Versorgung beitragen, obwohl erneuerbare Quellen parallel zulegen.Die Schwellenländer wollen jedoch mehr Wohlstand - und brauchen dafür mehr Energie. Andererseits entlasten niedrige Ölpreise sie nur dann, wenn rückläufige Verkäufe sie nicht treffen. IWF-Chefin Christine Lagarde bot Hilfe an: "Der IWF steht offen für alle Mitglieder."

5. "Die Elektroauto-Industrie wird unter niedrigen Ölpreisen leiden"

Dies sagt nicht irgendwer - sondern der schillernde Gründer des US-Elektroautobauers Tesla, Elon Musk. Über seine bei CNN geäußerte Einschätzung kann man streiten: Es gibt viele Faktoren, die eine "Verkehrswende" erschweren. Elektroautos sind gegenüber Benzinern meist teuer, die Reichweite ist gering. Laut Kraftfahrt-Bundesamt kamen 2015 in Deutschland gerade 12 363 reine E-Autos zusätzlich auf die Straße, verglichen mit der Gesamtzahl von 3,2 Millionen Pkw. Die Bundesregierung hat zu möglichen Subventionen noch keine klare Linie.In der Auto-Nation USA jedenfalls schiebt das billige Öl den Absatz von Spritschluckern an. Nach Zahlen der Deutschen Bank stieg der Verkaufsanteil leichter Trucks dort zwischen 2000 und 2015 von 50 auf über 60 Prozent, während normale Pkw zuletzt 40 Prozent erzielten. Ursache: "das enorme Abrutschen der Öl- und damit der Benzinpreise".