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Ölkonzern Shell attackiert die Strombranche

Das Gebäude Nummer 16 in der Carel van Bylandtlaan im Zentrum von Den Haag ist auf den ersten Blick unscheinbar. Mit seiner sandsteinfarbenen schmucklosen Fassade sticht es nicht besonders heraus. Einzig die Muschel-Logos vor den Fenstern der fünften Etage zeigen, dass hier eines der mächtigsten Unternehmen der Welt residiert: der Ölriese Royal Dutch Shell.

Und auch der äußere Eindruck trügt. Die Fassade mag alt sein – die Zentrale des Multimilliardenkonzerns dahinter befindet sich aber mitten im Umbruch. Die antiquierten Büroräume im Stil der 70er-Jahre werden nach und nach renoviert.

Alles soll modern und neu werden. Und das gilt nicht nur für das Mobiliar. In der lichtdurchfluteten Empfangshalle hat Shell seine Zukunftsvision schon in geschwungenen Linien an die Wand malen lassen: Beginnend bei Bohrtürmen und Dieseltrucks, verbindet die bunte Zeichnung den Weg zu Windmühlen, Solarzellen und Elektroautos.

Mit nur einem einzigen Satz sorgte der britisch-niederländische Gigant Anfang März für mächtig Wirbel in der fossilen Branche. „Wir wollen der größte Stromversorger der Welt werden“, kündigte Shell-Vorstand Maarten Wetselaar an. Damit läutete er den größten Umbau in der Geschichte des Unternehmens ein. Bis 2035 soll Strom neben dem Öl-, Gas- und Chemiegeschäft zur gleichberechtigten vierten Säule werden und dreißig Prozent zum Umsatz beisteuern.

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„Wir wollen uns weltweit in unterschiedlichen Märkten eine wettbewerbsfähige Position über die gesamte Wertschöpfungskette verschaffen – von der Erzeugung bis hin zum Endkunden“, erklärt Mark Gainsborough, Chef der eigens dafür geschaffenen Sparte New Energies, im Gespräch mit dem Handelsblatt den Plan.

Damit reagiert Shell so konsequent wie kein anderer Öl- und Gaskonzern auf die fundamentalen Veränderungen, die das Geschäftsmodell der erfolgsverwöhnten Branche gefährden. Während die Energienachfrage wächst, prophezeit BP in seinem jüngsten „Energy Outlook“ ein Ende des Erdölbooms ab 2040.

„Niemand stellt mehr infrage, ob die Energiewende kommt – die Frage ist, wie schnell sie da ist und ob die fossilen Energiekonzerne dann noch eine Zukunft haben“, sagt Energieexperte David Robinson vom Oxford Institute of Energy Studies in London.

Alternative Antriebe, Carsharing-Modelle und die mittlerweile günstige Energieerzeugung durch Wind, Solar und Co. läuten eine Zeitenwende für „Big Oil“ ein. „Immer mehr Öl- und Gaskonzerne stellen sich breiter auf“, erklärt Robinson.

Seit Jahren investieren die Multis in Gas und Chemie. Unter wachsendem Druck von Politik, Umweltaktivisten und klimabewussten Investoren macht mittlerweile auch fast jeder Ölkonzern ein bisschen auf grün. Aber keiner hat den Wandel bislang so konsequent vorangetrieben wie Shell.

Vor drei Jahren gründete das Unternehmen mit Sitz in Den Haag und London seine New-Energies-Division und hat seitdem über 30 Öko- und Elektrizitätsunternehmen auf der ganzen Welt aufgekauft. Wer sich die Akquisitionen näher anschaut, sieht schnell, worauf der Ölkonzern den Fokus legt. Zwei Drittel der Zukäufe konzentrieren sich auf die Bereiche Energiemanagement, Ladeinfrastruktur und alternative Antriebsarten wie Wasserstoff und Biokraftstoffe – vom Ladenetzbetreiber New Motion über Energieversorger wie das britische Unternehmen First Utility bis zu Solarspeicherherstellern wie Sonnen aus Bayern.

Das kleine Unternehmen aus dem Allgäu ist der führende Batteriehersteller auf dem Markt und setzt große Hoffnungen in die Übernahme durch den Ölriesen. „Shell macht den ersten Schritt in die richtige Richtung, und sie haben uns mit ihrer Strategie einfach überzeugt“, rechtfertigt Sonnen-Chef Christoph Ostermann den Deal zwischen alter und neuer Energiewelt.

Überzeugt haben dürfte auch die Summe, die Shell für das deutsche Start-up auf den Tisch gelegt hat. Zwischen 400 und 500 Millionen Euro soll Shell bezahlt haben, heißt es aus Branchenkreisen. Und das ist erst der Anfang: Bis zu zwei Milliarden Dollar pro Jahr will das Unternehmen zwischen 2017 und 2020 investieren.

Stromsektor gewinnt „fundamental an Bedeutung“

Dass der Ölriese gerade jetzt sein grünes Gewissen entdeckt, macht für New-Energies-Chef Gainsborough ganz einfach „wirtschaftlich Sinn“. „Jetzt konzentrieren wir uns noch auf Öl, Gas und Chemie, aber über die nächsten Jahrzehnte sollen erneuerbare Energien und speziell das Stromgeschäft ein gleichberechtigter Teil von Shell werden“, sagt der Brite.

Der Stromsektor gewinne „fundamental an Bedeutung“, ist er überzeugt. In Zukunft wolle man deswegen von der grünen Energieerzeugung über die Speicherung bis zum Vertrieb in die gesamte Wertschöpfungskette einsteigen – und zwar weltweit.

Dass zwei Milliarden im Vergleich zu den 25 Milliarden Dollar, die der Konzern zeitgleich immer noch in die Exploration und Produktion von Öl und Gas steckt, nicht besonders viel sind, ist allerdings auch Gainsborough bewusst. „Man muss sich und seinen Investoren auch beweisen, dass man sein Geld klug investiert“, verteidigt er die Summe. Bei guten Gewinnen könne man den Betrag außerdem in zwei Jahren erhöhen.

„Shell macht auf jeden Fall mehr als die anderen Ölkonzerne. Aber es ist eben erst mal nur ein Probelauf“, sagt Energieexperte Robinson. Das 400 Milliarden Dollar schwere Unternehmen kaufe sich damit eine Option. „Sie testen das Ganze, und wenn es nicht funktioniert, hat man eben nicht allzu viel investiert.“

So einen Probelauf hat Shell schon einmal gemacht. 1997 gründete der Ölkonzern unter seinem damaligen CEO Jeroen van der Veer die „Shell International Renewables“. Sie sollte damals zur „fünften Säule“ des Unternehmens werden. Acht Jahre später war das groß angekündigte Vorhaben sang- und klanglos von der Bildfläche verschwunden.

Der ehemalige Shell-Manager Robert Kleiburg begleitete das Programm von Anfang bis Ende. „Die Aussagen waren damals und heute exakt die gleichen. Nur der Fokus auf das Stromgeschäft ist neu“, sagt er. Den Wandel vom Klimasünder zum Ökokonzern kann er Shell noch nicht ganz abkaufen. Und da ist er nicht der Einzige.

Fast vier Millionen Barrel Öl und Gas holt der Ölmulti jeden Tag aus der Erde. Die Produktion und der Verkauf von Öl brachten Shell allein im vergangenen Jahr mehr als 14 Milliarden Dollar Gewinn ein. Gleichzeitig steht Shell auf der ganzen Welt vor Gericht.

In Nigeria wegen des Vorwurfs von Menschenrechtsverbrechen, in den USA wegen seiner Mitverantwortung am fortschreitenden Klimawandel, und vor der eigenen Haustür in Den Haag hat der Naturschutzverein Milieudefensie gerade erst eine Sammelklage gegen den Konzern vorgebracht. „Der Klimawandel ist wahrscheinlich die größte Herausforderung, vor der die Gesellschaft bislang stand“, gibt Gainsborough zu. Aber es sei einfach falsch, die wirtschaftlichen Argumente zu ignorieren. Eine Zukunft, in der Shell komplett aus dem Ölgeschäft aussteigt, kann sich der 60-Jährige nicht vorstellen.

Wie tief das Unternehmen mit dem schwarzen Gold verbunden ist, zeigt ein Interview aus dem Jahr 2016. Nach Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens wurde Shell-CEO Ben van Beurden gefragt, ob er von nun an zur Senkung der CO2-Ziele beitrage, indem er weniger Öl fördern werde. Die Antwort des Managers kam prompt: „Ich fördere so viel Öl, wie ich kann, um die Nachfrage zu befriedigen.“

Öffentlicher Druck wächst

Zwei Jahre später kann der CEO die Kritik aber nicht mehr so leicht abwinken. 2018 geriet Shell weltweit in die Schlagzeilen, nachdem ein vertraulicher Report des Konzerns aus dem Jahr 1986 aufgetaucht war. Darin schildern die hauseigenen Forscher sehr deutlich und ohne einen Anflug von Zweifel, dass das bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern freigesetzte Kohlendioxid die Erde aufheizen wird.

Doch die Shell-Manager ignorierten die Warnung. Genau das werfen ihnen Aktivisten und Klimaschützer nun vor. Ende des vergangenen Jahres wurde der Druck auf Shell so groß, dass der Konzern einer grünen Investorengruppe nachgab und seine Manager-Boni zukünftig an das Erreichen der hauseigenen CO2-Ziele knüpft.

Anfang April kündigte Shell seinen Vertrag mit American Fuel & Petrochemical Manufacturers (AFPM), einem der größten Erdölverbände der Welt, auf, weil es „Abweichungen bei der Klimapolitik“ gebe.

Das wirkliche Problem, warnt Energieexperte Robinson, sei jedoch die Kompetenz. „Wenn man sich zwischen Google und Shell entscheiden müsste, wer von beiden ein Energiesystem managen soll, dann fällt die erste Wahl bei den meisten eher nicht auf Shell“, gibt er zu Bedenken. Gainsborough macht sich da allerdings keine Sorgen. „Wir haben ja schon gezeigt, dass wir diese Expertise über die Zusammenarbeit mit Partnern oder Zukäufen wie Sonnen ins Unternehmen bringen können“, ist sich der New-Energies-Chef sicher.

Aktuell arbeitet der Ölkonzern an der Übernahme des niederländischen Versorgers Eneco, durch die er den ältesten deutschen Ökostromanbieter Lichtblick gleich dazubekommen würde – Eneco hatte ihn erst Ende 2018 übernommen. Und auch eine Beteiligung an dem deutschen Energieversorger EWE ist laut Insidern im Gespräch. Die Gelegenheit zumindest ist günstig, gerade werden die Karten auf dem Energiemarkt neu gemischt. Alte Konzerne wie RWE müssen sich ihren Platz in der neuen dezentralen Stromwelt künftig ebenso erarbeiten wie neue Player, die genauso gut Shell heißen könnten.

Dass der Klimasünder jetzt zum grünen Musterkonzern mutiert, ist trotzdem eher unwahrscheinlich. Noch kommt Gas nicht nur bei der Jobbezeichnung des „Integrated Gas“-Vorstands Maarten Wetselaar vor den New Energies. Auch in der Bilanz sucht man die zukünftige „vierte Säule“ der neuen Shell-Strategie bislang vergeblich.

Mehr: Shell-New-Energies-Chef Mark Gainsborough sieht in der Kombination von Öl, Gas und Erneuerbaren keinen Widerspruch. An einen Abschied vom Öl denkt er aber nicht. Lesen Sie hier das komplette Interview.