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Willkürliche Grenzwerte? EU wehrt sich gegen Kritik

Mehr als 100 Lungenexperten stellen die EU-Grenzwerte für Stickoxide infrage. Die Bundesregierung debattiert. Verkehrsminister Scheuer fordert eine Überprüfung.

Die deutsche Autobranche hat die jüngsten Diskussionen um Sinn und Unsinn von EU-Grenzwerten bei Luftschadstoffen begrüßt. „Es ist richtig, dass wir in Deutschland jetzt eine intensive Debatte darüber führen, ob die Stickoxidgrenzwerte, die die EU vorgegeben hat, auf einem seriösen wissenschaftlichen Fundament stehen, und darüber, ob die Messstellen richtig positioniert sind“, sagte Bernhard Mattes, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), dem Handelsblatt.

In der Bundesregierung wird die Diskussion schärfer. „Der Aufruf der Lungenärzte muss dazu führen, dass die Umsetzung der Grenzwerte hinterfragt und gegebenenfalls verändert wird“, sagte Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) der „Bild am Sonntag“.

Die Umweltministerin widersprach umgehend: „Es trägt nicht zur Versachlichung und erst recht nicht zur Lösung von Problemen bei, wenn wir jetzt bei jedem einzelnen Debattenbeitrag die Grenzwerte grundsätzlich infrage stellen“, sagte Svenja Schulze (SPD) der „Süddeutschen Zeitung“.

Vergangene Woche hatte eine Gruppe von Lungenfachärzten den gesundheitlichen Nutzen des aktuellen Grenzwerts unter anderem für Stickstoffoxide infrage gestellt – und damit die Grundlage für Fahrverbote für Dieselfahrzeuge.

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Zwar wird die Luft in deutschen Städten stetig besser, die Belastung mit Stickstoffdioxid (NO2) ist bislang aber ein Problem geblieben. 2017 überschritten 65 deutsche Städte den europaweit geltenden Grenzwert von 40 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel. 2016 waren es 90 Städte. Für 2018 legt das Umweltbundesamt am Donnerstag aktuelle Zahlen vor.

Trotz zahlreicher Maßnahmen der Städte gegenzusteuern ist vielerorts die Belastung mit NO2 zu hoch – was vor allem an Diesel-Pkws liegt. Sie sind laut Umweltbundesamt mit 72,5 Prozent an den NO2-Emissionen im Stadtverkehr beteiligt. Emissionen des Binnenschiffsverkehrs könnten in Städten wie Bonn oder Düsseldorf mit bis zu 30 Prozent zu den lokalen Emissionen beitragen, heißt es. Flächendeckend sei aber kein Einfluss festzustellen.

Die EU wehrt sich gegen Kritik, der zuletzt 2010 in Kraft getretene europäische Grenzwert sei willkürlich. „Die EU-Grenzwerte basieren auf soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen der Weltgesundheitsorganisation“, sagt EU-Umweltkommissar Karmenu Vella. Zuvor – zwischen 1999 und 2010 – hatte für Stickstoffdioxid ein Grenzwert von 200 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gegolten – der nicht häufiger als 18-mal im Jahr überschritten werden durfte. Brüssel überprüft regelmäßig, ob der Grenzwert angemessen ist. So auch aktuell im Rahmen eines „Fitness-Checks“ bis Ende 2019.

Internationale Fachkollegen widersprechen den deutschen Experten außerdem: Das Forum der Internationalen Lungengesellschaften (FIRS) stimme den nationalen deutschen Standards für Schadstoffe, den europäischen und denen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nachdrücklich zu, heißt es in einer in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Montag) veröffentlichten Stellungnahme. Damit widersprechen sie der Gruppe deutscher Lungenfachärzte, die in der vergangenen Woche den gesundheitlichen Nutzen der aktuellen Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide bezweifelt hat.

Die Schadstoffbelastung der Luft schädigt nach Einschätzung der Gruppe internationaler Fachärzte nicht nur die Lunge, sondern auch andere Organe und verschlechtere chronische Erkrankungen. Die Grenzwerte seien so gewählt, dass selbst für chronisch Kranke wesentliche negative Effekte auf die Gesundheit ausgeschlossen werden können.

„FIRS unterstützt deshalb nachdrücklich internationale Standards. Jede Aktivität für eine saubere Luft fördert die Gesundheit“, heißt es in der Stellungnahme. FIRS ist ein Zusammenschluss verschiedener internationaler pneumologischer Fachverbände. Angeführt wird er derzeit von Professor Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover.

Vermutlich wird die Kommission an dem momentan geltenden Grenzwert festhalten: „Der überwiegende Teil der wissenschaftlichen Erkenntnisse bestätigt immer wieder, dass Stickstoffdioxid und Partikel unsere Gesundheit bereits in den Konzentrationen beeinflussen, die in den Luftqualitätsrichtlinien der Weltgesundheitsorganisation festgelegt sind“, schreibt die Kommission.

Bei den Messmethoden lässt Brüssel allerdings große Spielräume zu. So sind Messhöhen zwischen 1,5 und vier Metern zulässig, was die Vergleichbarkeit erschwert. Fakt ist: Je höher die Messhöhe, desto geringer die Konzentration von Stickoxiden. Und was in vier Metern gemessen wird, entspricht auch nicht dem, was die Menschen auf der Straße einatmen.

So wird Griechenland vorgeworfen zu tricksen: Athen meldete an die Europäische Umweltagentur Messstationen, die höher als fünf Meter platziert sind oder in einer ruhigen Seitenstraße. Nach EU-Vorgaben sollen Messstationen aber verkehrsnah aufgestellt sein, und zwar nicht weiter als zehn Meter vom Fahrbahnrand und mindestens 25 Meter entfernt von einer stark frequentierten Kreuzung. Ebenfalls ein Kritikpunkt: In Deutschland gibt es rund 250 Messstationen an verkehrsreichen Punkten. Frankreich, Spanien und Finnland besitzen nur etwa halb so viele.

Die EU-Kommission verklagte im Mai 2018 unter anderem Deutschland, Frankreich und Rumänien vor dem Europäischen Gerichtshof, weil sie die Grenzwerte nicht einhalten. Es habe in den zurückliegenden zehn Jahren genügend Chancen gegeben, die Situation zu verbessern, heißt es in Brüssel. Eine Entscheidung des Gerichts steht noch aus.