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Die über Leichen gehen: "The White Tiger" bei Netflix

Wer in Indien dem Slum entkommen will, sollte nicht auf märchenhafte Umstände hoffen, sondern entschlossen über Leichen gehen: Der grandiose Netflix-Film "The White Tiger" erzählt eine berauschende Mär von Dienern und Herren.

Hühnerkäfige seien Indiens größte Erfindung, sagt Balram (Adarsh Gourav): Die Tiere hocken darin und wissen, was auf sie zukommt (ein Hackebeil). Aber sie sind zu fügsam (oder zu dumm), um etwas daran ändern. Balram jedenfalls will kein eingepferchtes Federvieh sein, sondern ein anderes Tier. In der grandios erzählten Romanadaption "The White Tiger" zeigt Netflix ab 22. Januar seinen Aufstieg vom Schlachtvieh zum König des Dschungels.

Der Film beginnt mit Tempo: Jay-Z und Panjabi MC dröhnen aus den Lautsprechern eines SUV, der durch die (fast) menschenleere Nacht von Neu-Delhi brettert. Bis ein Kind die Straße überquert ... Aber mit Tragik sollte man eine Geschichte nicht beginnen, erst recht nicht seine, findet Balram.

Regisseur Ramin Bahrani tut ihm den Gefallen und inszeniert "The White Tiger" bildmächtig und pointiert, bewahrt dabei den resignativen Humor und die narrative Finesse der gefeierten Romanvorlage von Aravind Adiga. Dreckig und abstoßend ist der ungeschönte Blick auf Indiens Kastengesellschaft trotzdem. Klug montiert Bahrani verschiedenen Zeitebenen miteinander, erzählt gleichzeitig vom ewigen Diener und einem erfolgreichen Mann, der das Unmögliche geschafft hat - und dem chinesischen Premierminister in einem Brief davon berichtet.

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Eigentlich ist sein Schicksal vorbestimmt: Balram wurde als Diener geboren, wird sich in seinem Dorf tot schuften und den Lohn vom korrupten Grundbesitzer stehlen lassen. Doch er will mehr, heuert bei seinem Master als Fahrer an, und arbeitet sich mit Unterwürfigkeit, Entschlossenheit und Ellenbogen zum ersten Fahrer hoch.

Leichen pflastern seinen Weg

Ein Diener ist er zwar immer noch, immerhin kann er sich jetzt vom jüngsten Sohn seines Chefs und dessen Frau in Neu-Delhi demütigen lassen. Die Herrschaften logieren in einem todschicken Apartment, Balram haust im weitläufigen Tiefgaragen-Keller des Wohnkomplexes - zusammen mit all den anderen Dienern derer da oben.

Doch er wird dem Slum entkommen, wenn auch nicht durch märchenhafte Umstände oder einen generösen Gönner - sondern durch Entschlossenheit und den Willen, über Leichen zu gehen. Viele Erniedrigungen und zwei Tote später ist Balram dann tatsächlich erfolgreicher Unternehmer - und selbst ein Master. Um in Indien aus einer niederen Kaste auszubrechen, erklärt Balram einmal, muss man Verbrecher sein (oder Politiker).

Am Ende jedenfalls, das ist die große Pointe des düsteren und zynischen Schelmenparabel, kommt der unterwürfige Diener genauso mit Mord davon, wie sein korrupter Master. Es gibt ganz einfach zu viele Hühner in Indiens Käfigen. Weil sie beliebig austauschbar sind, macht sich niemand die Mühe, sie voneinander zu unterscheiden.