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Ökonom Kenneth Rogoff: „Die Schuldenprediger irren“

Der renommierte Harvard-Ökonom warnt vor den dramatischen Folgen der weltweiten Schuldenpolitik und sieht Übertreibungen an den Finanzmärkten. Zu Donald Trump hat er eine klare Meinung.

Anhänger von US-Präsident Donald Trump hatten am Mittwoch das Gebäude gestürmt. Foto: dpa
Anhänger von US-Präsident Donald Trump hatten am Mittwoch das Gebäude gestürmt. Foto: dpa

Der ehemalige Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, Kenneth Rogoff, sieht den US-Präsidenten Donald Trump demaskiert. Nachdem seine Anhänger das Kapitol in Washington gestürmt haben, solle US-Vizepräsident Mike Pence Trump aus dem Amt zu entfernen. „ Mit dieser Aktion hat Trump jetzt allen seine wahren Intentionen vor Augen geführt. Sein Verhalten trägt totalitäre Züge“, sagt Rogoff.

Auf die politische und ökonomische Entwicklung seit Ausbruch der Corona-Pandemie blickt er mit großer Skepsis. „Alle Schuldenprediger, die glauben, wir könnten diese riesigen Haushaltsdefizite so weiterfahren, ohne dass es größere Folgen hätte, irren“, sagt der Harvard-Ökonom .

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Außerdem warnt Rogoff vor Blasen an den Finanzmärkten. „Mir scheint, als sei in den Märkten ein überoptimistisches Szenario eingepreist, das längst nicht das wahrscheinlichste ist.“

Optimistisch zeigt sich Rogoff dagegen, was den Welthandel angeht. „Ich wage die Prognose, dass der Freihandel eine Wiedergeburt erleben wird. Die Zeiten der Hyperglobalisierung mögen vorbei sein, aber die Globalisierung lebt.“

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Herr Rogoff, die Bilder vom Sturm auf den US-Kongress hat eine Welle der Erschütterung ausgelöst. Wie erklären Sie sich solche Vorgänge in der westlichen Führungsmacht?
Wer immer noch Zweifel über Donald Trumps Absichten hegte – mit dieser Aktion hat Trump jetzt allen seine wahren Intentionen vor Augen geführt. Sein Verhalten trägt totalitäre Züge.

Demokratische Kongressabgeordnete fordern, Trump absetzen zu lassen. Halten Sie das für richtig?
Ja, Vizepräsident Mike Pence sollte sich dafür einsetzen, Trump mithilfe des 25. Zusatzartikels der Verfassung aus dem Amt entfernen zu lassen. Dafür müsste sich das Kabinett gegen Trump stellen, wonach es derzeit nicht aussieht. Jetzt streben die Demokraten ein zweites Impeachment an. Ja, der Präsident ist eindeutig schuldig indirekt und auch direkt, seine radikalisierten Anhänger zum Sturm auf den Kongress aufgerufen zu haben. So etwas hat es noch nicht gegeben.

Schon das erste Impeachmentverfahren ist an der für eine Verurteilung notwendigen Zweidrittelmehrheit im Senat gescheitert. Lohnt es sich, diesen Weg einzuschlagen, keine zehn Tage vor seinem regulären Amtsantritt?
Noch mal ja, es geht um Prinzipien und Werte – und um das Vertrauen in die demokratischen Institutionen und den Rechtsstaat. Es geht um die Würde der Demokratie. Trump muss sich dafür verantworten.

Chinesen und Russen sehen in den Ereignissen einen weiteren Beleg für den Niedergang des Westens. Trump sei kein Ausnahmephänomen, sondern nur ein Symptom für eine neue Ära. Die westlichen Demokratien mit offenen Märkten hätten die besten Zeiten hinter sich ...
Nein, auch das glaube ich nicht. Das Kernproblem, das letztlich zu Trump führte, hängt mit der neuen Macht der sozialen Medien wie Facebook, Twitter und Google zusammen. Sie domminieren in einem bedrohlichen Ausmaß die Informationswelt. Das stellt ein Versagen der politischen Regulierung dar. Aber nein, ich glaube nicht an das Ende des Kapitalismus. Das jüngste Beispiel: Es war der Kapitalismus, der die Entwicklung des Corona-Impfstoffs möglich gemacht hat. Er ist die Voraussetzung für die Überwindung dieser Ausnahmekrise, die die Welt gerade erlebt.

„Das optimistische Szenario an den Märkten ist längst nicht das wahrscheinlichste“

Ökonomen versuchen seit Monaten, diese Krise zu fassen. Manche prophezeien eine schnelle Erholung, andere sehen eine Dimension vergleichbar mit der großen Depression. Halten Sie das für übertrieben?
Ich bin nicht sicher, ob das übertrieben ist. Ich glaube aber, dass der Vergleich hinkt. Es gab damals verschiedene fundamentale ökonomische Probleme, die 1929 zu der damaligen Krise führten. Die Krise, die wir jetzt erleben, lässt sich eher mit einem Krieg vergleichen. Wir erleben eine sehr tiefe und breite Rezession auf der ganzen Welt. Ohne Zweifel sind die Pandemie und ihre Folgen die größte Krise, die ich während meines Lebens erlebt habe, viel schlimmer als die Finanzkrise 2008.

Wie erklären Sie sich dann die Diskrepanz zwischen Realwirtschaft und Finanzmärkten? Viele Aktienindizes befinden auf Allzeithochs oder zumindest in deren Nähe.
Dafür gibt es drei Gründe. Erstens sind es natürlich die niedrigen Zinsen in den entwickelten Volkswirtschaften, die teilweise sogar im negativen Bereich sind. Das wird auch auf absehbare Zeit erst mal so bleiben. Und das treibt die Vermögenswerte: nicht nur Aktien, sondern auch Immobilien, Bitcoin oder Gold . Ein zweiter sehr wichtiger Grund: Diese Krise trifft vor allem die kleinen und mittelgroßen Unternehmen, die die Börsenwelt gar nicht widerspiegelt. Diese Unternehmen machen aber das Gros der Wirtschaft aus, was auch ein Zeichen für die Tiefe dieser Krise ist.

Und der dritte Grund?
Die Märkte glauben, die Krise gehe wegen der Impfstoffe, die jetzt weltweit gespritzt werden, schnell vorbei. Ich hoffe, die Märkte liegen richtig, nur glauben will ich es nicht so recht. Die Unsicherheit bleibt groß. Wir wissen noch nicht, ob das wirklich so funktioniert mit den Impfungen, erstens, was die Wirksamkeit des Impfstoffs angeht – und zweitens gibt es die logistischen Probleme, bei dem Versuch Millionen über Millionen von Menschen zu impfen.
Das heißt, wir haben eine große Blase an den Märkten?
Mir scheint, als sei in den Märkten ein überoptimistisches Szenario eingepreist, das längst nicht das wahrscheinlichste ist.

„Trump lag in manchen Bereichen auch richtig“

Nun gibt es jenseits des Impfstoffs auch andere Zeichen der Hoffnung: einen neuen US-Präsidenten, der den aggressiven Protektionismus Trumps beenden könnte, und auch einen Brexit-Vertrag gibt es jetzt. Sind das keine Gründe für Zuversicht?

Ja, vor allem die Abwahl Trumps ist eine Erleichterung. Er stand für eine derart erratische und unvorhersagbare Politik, wie es die amerikanische Geschichte noch nicht erlebt hat. Er gefährdete unsere verfassungsrechtlichen Normen, er war eine unglaubliche Zumutung für Amerikas Verbündete. Und er bedrohte das Welthandelssystem. Dass wir ihn jetzt los sind, ist ein großer Gewinn für alle – vor allem auch für die Weltwirtschaft. Aber trotz der dramatischen Ereignisse der letzten Tage: Der Präsident lag nicht überall falsch, wie oft behauptet.

Welches sind die Bereiche, wo er richtig lag?
Wie Sie wissen, bin ich eine bekennender Obama-Fan. Aber insbesondere am Ende seiner Präsidentschaft hat er es mit der Regulierung übertrieben – zu viel, zu schnell und ohne die ökonomischen und politischen Konsequenzen genug zu berücksichtigen. Diesen Kurs hat Trump korrigiert. Auch die Steuersenkungen für Unternehmen waren eine Verbesserung. Und drittens war es richtig, die Beziehung zu China einer Neubewertung zu unterziehen. Ich erzähle immer den Witz: Niemand ist so clever, dass er alles falsch machen kann. Das gilt auch für Trump.

Trump hat zuletzt immerhin das neue Konjunkturpaket unterzeichnet. Sehen Sie die USA gute gerüstet für das Jahr 2021?
Ich glaube, das Stimuluspaket ist wichtig und richtig. Es schafft Vertrauen – vor allem auch unter den kleinen und mittelgroßen Unternehmen und in Bereichen wir Kultur und Bildung, also in all jenen Wirtschaftszweigen, die nicht von den Programmen der US-Notenbank Fed profitieren. Wichtig ist auch, dass sich die politische Lage in den USA nach den vier erratischen Trump-Jahren normalisiert.

Wird Amerika unter Biden und mit einer Mehrheit der Demokraten im Kongress zur Obama-Zeit zurückkehren, wie viele hoffen?
Was mich optimistisch stimmt, ist die Tatsache, dass Biden die teileweise verrückten Ideen der demokratischen Linken klar ablehnt, etwa die Polizei finanziell auszutrocknen. Jetzt, wo die Demokaten nach den Siegen in Georgia die ganze Macht haben, wird es sicherlich einen Richtungsstreit in der Partei zwischen Cortes-, Warren-, Sanders-Demokraten und dem moderaten Lager geben, für das auch Obama stand.

Sehen Sie Chancen für ein neuen Anlauf zu einem transatlantischen Freihandelsabkommen unter Biden?
Ja, da bin ich ziemlich sicher, Biden strebt das an – und das wäre aus ökonomischer Perspektive großartig. Biden ist kein Protektionist, er ist Anhänger des Freihandels. Und sein Team und vor allem Finanzministerin Janet Yellen sind eindeutig Internationalisten.

Aber in seiner Wahlkampagne warb auch Biden mit „Buy American“-Slogans. Bei Trump hieß das ähnlich: „America first“ …
Ja, das war Wahlkampf und war sicherlich auch eher auf China bezogen und den tatsächlich unfairen Wettbewerb. Es ist eines der Kernanliegen Bidens, das Verhältnis zu Europa zu verbessern – und das ist ökonomisch wie politisch sehr bedeutsam.

Nun hat Europa mit China ein Investitionsabkommen abgeschlossen, ohne die Amerikaner zu konsultieren. War das geschickt?
Aus europäischer Sicht macht der Deal sicherlich Sinn, vor allem auch als Gegengewicht zu Trumps Handelskrieg. Ich glaube auch nicht, dass Biden das von seiner angestrebten Allianz mit Europa abhalten wird. Das Interesse der USA und Europas, eine gemeinsame Strategie gegenüber China zu verfolgen, ist einfach zu groß. Unter Trump war das unmöglich.

Aus Bidens Umfeld kam aber schon ziemlich laute Kritik an dem Abkommen ...
Ja, das müssen sie wohl kritisieren, aber das ändert nichts am großen Bild: Der Westen kann nicht einfach zusehen, wie China die dominierende Weltmacht wird, insbesondere wenn man bedenkt, wie das Land sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat.

„China ist ökonomisch wesentlich verletzlicher, als viele glauben“

Tatsächlich scheint China der große Gewinner zu sein – es wächst wieder kräftig, macht technologisch Riesensprünge und hat offenbar auch die Pandemie erfolgreich eingedämmt. Was macht das Land besser?
Als Erstes würde ich mal feststellen, dass die Pandemie in China seinen Ausgang nahm – und dass die Desinformationspolitik Pekings schwerwiegende Folgen auch für den Rest der Welt hatte. Aber sicherlich: Chinas rasanter ökonomischer Aufstieg und das Verhältnis zum Westen werden ohne Zweifel das dominierende Thema der nächsten Dekaden sein. Eine Entkopplung, wie Trump sie anstrebte, ist aber keine Lösung. Am Ende wären alle Verlierer einer Duopol-Weltwirtschaft.

China gibt sich selbstbewusst und glaubt an die Überlegenheit seines Systems. Wird es sich durchsetzen?
Trotz des Aufstiegs Chinas bin ich immer noch zutiefst überzeugt, dass sich eine dynamische, innovative Ökonomie und ein zentralistisch organisiertes System, das alles unter Kontrolle halten will, widersprechen. Ich mag mich irren, aber ohne Zweifel ist das die große Frage der Zukunft.

Die jüngste Geschichte spricht eine andere Sprache.

Ja, aber ich glaube, China ist wesentlich verletzlicher, als es im Moment den Anschein hat. Das Land gerät an seine Grenzen, die großen Wachstumsraten, die jahrelang teilweise zweistellig waren, gehören längst der Vergangenheit an. Es wird perspektivisch eher Richtung drei oder vier Prozent gehen – und das schneller, als viele erwarten.

Sie glauben also an einen Rückschlag in China? In verschiedenen Schlüsseltechnologien wie KI gilt das Land inzwischen als führend ...
Das habe ich nicht gesagt. 1,4 Milliarden Menschen, das ist und bleibt ein riesiger geoökonomischer Machtfaktor. Und natürlich macht das Land auch technologisch große Fortschritte. Aber es gibt auch riesige Probleme: die alternde Bevölkerung etwa und die bedrohliche Immobilienblase.

„Ich glaube an eine Wiedergeburt der Globalisierung“

Wie schätzen Sie insgesamt die langfristigen Folgen dieser Ausnahmekrise für die Weltwirtschaft ein? Wird sie den Trend zum Protektionismus verstärken – und womöglich eine Deglobalisierung einleiten?
Nein, an eine Deglobalisierung glaube ich nicht. Seit Jahren reden wir darüber. Trotz verschiedener Rückschläge – im langen Trend findet sie nicht statt. Im Gegenteil: Es ist doch auffällig, dass die beiden größten geoökomischen Ereignisse der vergangenen Jahre, der Brexit und der große Konflikt zwischen den USA und China, nicht zu einem generellen Einbruch des Welthandels geführt haben. Die Rückschläge für den globalen Handel waren eher lokaler Natur, die Auswirkungen auf den Rest der Weltwirtschaft waren eher gering

Seit einigen Jahren wächst der Welthandel doch langsamer als die Weltwirtschaft …
Das stimmt. Ich wage trotzdem die Prognose, dass der Freihandel eine Art Wiedergeburt erleben wird. Wir hatten im Handel im Februar und April einen Einbruch erlebt, liegen aber jetzt nur fünf Prozent unter dem Wert von Ende 2019. Trotz allem Gerede von der Verletzlichkeit der Lieferketten. Der freie Handel ist hartnäckig. Das haben wir schon 2008 erlebt. Ja, die Unternehmen handelten weniger über die Grenzen hinweg, die Handelsvolumina schrumpften, aber die Unternehmen wechselten nicht ihre Lieferanten.

Was ist mit der Entkopplung, also einer Zweiteilung der Weltwirtschaft, wie Trump sie anstrebte?
Auch das würde ich nicht überbewerten. Natürlich gibt es politische Risiken für den Welthandel und damit auch für die Weltwirtschaft: von Russland oder China initiierte Cyberwars, einen eskalierenden US-China-Konflikt. Aber: Die Wachstumsregionen – zuletzt natürlich in Asien und auch Osteuropa – werden die Treiber der Globalisierung bleiben. 200 Millionen Chinesen hat die Globalisierung aus absoluter Armut befreit und in den Arbeitsmarkt integriert. So etwas entfaltet am Ende eine größere Wucht als geopolitische Friktionen.

Aber auch die Welthandelsorganisation ist nur noch ein Schatten ihrer selbst …
Auch das würde ich nicht überbewerten. Aus globaler Sicht muss man auch nach den jüngsten Handelskriegen feststellen: Die Zölle sind in den vergangenen Jahren eher gesunken, auch wenn es seit Ewigkeiten keinen Durchbruch bei globalen Handelsrunden mehr gegeben hat. Lassen Sie es mich so formulieren: Die Zeiten der Hyperglobalisierung mögen vorbei sein, aber die Globalisierung lebt.

„Die Schuldenprediger irren, wenn sie glauben, wir könnten diese Defizitpolitik ohne gravierende Folgen fortführen“

Derzeit gibt es eine große Debatte über die richtige Pandemie-Strategie. Im Moment machen fast alle Staaten dasselbe: Lockdown, um die Infektionszahlen zu senken. Was ist, wenn sich am Ende alle irren?
Ich glaube nicht, dass die Regierungen falsch handeln. Es mag Diskussionen über die Ausgestaltung der einzelnen Maßnahmen geben, aber die Richtung stimmt. Die große Frage aber ist: Wie lange können die Regierungen diese gewaltigen Rettungspakete für die Wirtschaft leisten? Alle Schuldenprediger, die glauben, das könne so weitergehen, ohne dass es größere Folgen hätte, irren.

Vertreter einer neuen Denkschule, der „Modern Monetary Theory“, glauben, das sei wegen der neuen Rolle der Notenbanken, die beliebig Staatsanleihen ankaufen können und das Zinsniveau niedrig halten, alles kein Problem mehr …

Diese Haltung ist unverantwortlich. Es gibt keinen „Free Lunch“. Diese Mentalität, „dieses Mal ist alles anders“, ist langfristig eines der größten Risiken für die Weltwirtschaft. Wir können nicht ewig Zehn-Prozent-Defizite im Budget fahren wie derzeit in den USA.

Das passiert ja nicht nur in den USA, sondern fast überall. Wie sollen diese Summen jemals zurückgezahlt werden?
Um eines klarzustellen: Natürlich ist jetzt in dieser Ausnahmekrise nicht der Moment, auf die hohe Staatsverschuldung zu achten. Die Priorität muss auf der Bekämpfung der Pandemie liegen. Aber, um auf die USA zurückzukommen: Es ist nicht nur die historische Größe des Defizits, sondern vor allem die Frage, wie es finanziert ist. Und derzeit ist es so, dass der Durchschnitt der Laufzeiten der Staatsanleihen 3,5 Jahre beträgt. Es ist eine Wette auf niedrig bleibende Zinsen, die geradezu fahrlässig ist.

„Es droht eine Japanisierung des Westens“

Nun sagen viele Ökonomen seit Langem steigende Zinsen und Inflation voraus. Nur, es will einfach nicht passieren, vielleicht haben die Apologeten einer neuen Ära gar nicht so unrecht ...
Nur, wer garantiert, dass es so bleibt? Viele der Schuldenprediger gehen irrtümlich von der Annahme aus, die nächste Krise würde nach demselben Muster verlaufen wie die vergangene. Dass also die Kapitalmarktzinsen beim nächsten ökonomischen Schock sinken.
Die Geschichte der Krisen lehrt, dass das eine leichtfertige, ja gefährliche Annahme ist. Ich würde sagen, die Chance liegt bei 50:50. Hinzu kommt: Die staatliche Verschuldung, wie sie in der Statistik ausgewiesen wird, ist oft nur die halbe Wahrheit, meist sogar nur ein kleiner Ausschnitt der wahren Belastung. So wird zum Beispiel die Dimension des Anspruchs, den Rentner auf die zukünftigen Steuereinnahmen haben, oft unterbewertet. Oder vergessen Sie nicht die gewaltigen Kosten des Klimawandels, die wir stemmen müssen.

Ökonomen wie Ihr Kollege Lawrence Summers nennen gute Gründe dafür, dass die Zinsen auf lange Sicht niedrig bleiben, etwa die globale Ersparnisschwemme. Von dieser Theorie halten Sie nichts?
Summers hat da einen Punkt gemacht. Aber er überschätzt die Effekte und zieht bedenkliche Schlussfolgerungen. Die Zinssätze sind zum Teil extrem niedrig, weil die globalen Investoren nicht über genügend Anlagemöglichkeiten verfügen.

Aus den Schulden herauszuwachsen halten Sie für illusionär?
Das werden viele Länder – vor allem auch in Europa – nicht können. Das ist ja gerade das Problem: Die Schulden belasten das künftige Wachstum. Es wird allenfalls darum gehen, das Schuldenniveau zu stabilisieren. Sollte der Westen den japanischen Weg einschlagen, also über massive Interventionen die öffentlichen und privaten Schulden erträglich zu halten, dann bekommt der Westen ein Problem. Die Zombifizierung seiner Volkswirtschaften schadet der Leistungsfähigkeit. Je länger die Notenbanken diesen Zustand in der Schwebe halten, desto bitterer wird das Erwachen sein.

Herr Rogoff, vielen Dank für das Interview.