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Die Position der Briten gegenüber der EU wird immer verwirrender

Die britische Haltung angesichts der Scheidung von der EU ist widersprüchlicher denn je. Die Wirtschaft pocht auf Klarheit, die Labour-Partei propagiert einen supersoften Ausstieg. Die Debatte wird immer chaotischer.

Die britische Labour-Partei setzt sich nun dafür ein, dass Großbritannien auch nach dem offiziellen EU-Ausstritt im April 2019 noch eine Weile in der Zollunion und im Binnenmarkt bleiben kann. Die Oppositionspartei hat die Brexit-Debatte mit dieser radikalen Kehrtwende wenige Stunden vor Beginn der dritten Brüsseler Verhandlungsrunde neu befeuert. Ein solcher weichgespülter Brexit gefällt im Prinzip zwar der Wirtschaft, den Gewerkschaften und den pro-Europäern auf der Insel, verstärkt jedoch den Druck auf die angeschlagene konservative Premierministerin Theresa May, die nun mit einer innerparteilichen Rebellion rechnen muss. Brexit-Minister David Davis reist zu den am heutigen Nachmittag beginnenden viertägigen Gesprächen ohnehin mit einem Bündel vager oder widersprüchlicher Positionspapiere an. Die durch Labour angestoßene Diskussion zeigt mehr denn je: statt mit den EU-Partnern zu verhandeln, beschäftigen sich die Briten wieder einmal mit sich selbst. Damit wird erneut wertvolle Zeit vergeudet.

Die Wirtschaft diesseits und jenseits des Ärmelkanals macht sich angesichts der chaotischen Verhältnisse auf der Insel zunehmend Sorgen: Sowohl der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHK) als auch die British Chambers of Commerce (BCC) kritisierten im Vorfeld der dritten Verhandlungsrunde die mangelnde Klarheit über die Austrittsbedingungen. Sie fordern, die Ungewissheit über künftige Steuer- und Zollbestimmungen ebenso wie über arbeitsrechtliche Bedingungen müssten endlich ausgeräumt werden. Der DIHK erklärte, die Unsicherheit beeinträchtigte bereits deutsche Unternehmen mit Handelsbeziehungen nach Großbritannien. DIHK-Chef Martin Wansleben warnte, deutsche Unternehmen fürchteten als Folge des Brexit mehr Bürokratie und strikte Grenzkontrollen, die zu höheren Kosten und Handelsbarrieren führen könnten. „Viele unserer Mitglieder berichten, dass sie deshalb bereits Investitionen von Großbritannien wegverlagern“, berichtete er. „Der britischen Regierung fehlt weiterhin ein klarer Kurs“, kritisierte auch der Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf. Mit solch schlechten Voraussetzungen seien kaum Fortschritte bei den Brexit-Verhandlungen zu erwarten. Von den Politikern wünschen sich die Wirtschaftsverbände eine Verhandlungsatmosphäre, die von gegenseitigem Vertrauen und einem konstruktiven Dialog gekennzeichnet sei, fordern die Verbände.

Die meisten BCC-Mitglieder seien nach dem EU-Ausstritt für eine Übergangsperiode von mindestens drei Jahren, so die britischen Handelskammern. Geht es nach der Labour-Partei, so würde sich dieser Wunsch erfüllen. Denn nach monatelangen Debatten in der Führungsetage präsentierte der für die Brexit-Strategie zuständige Schattenminister Keir Starmer am Sonntag die neue EU-Politik: Demnach will Labour, dass Großbritannien nach dem Austritt im April 2019 für eine Übergangsperiode von mindestens zwei bis vier Jahren weiterhin Mitglied des Binnenmarktes und der Zollunion bleibt. „Das bedeutet, dass wir die damit verbundenen Bestimmungen und Regeln erfüllen würden“, schrieb Starmer in einem Namensartikel des britischen „Observer“ und deutete damit an, dass Großbritannien in dieser Zeit weiterhin die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Urteile des Europäischen Gerichtshofs akzeptieren und in den EU-Haushalt einzahlen würde. Starmers Modell hätte den Vorteil, dass die Unternehmen sich nicht zweimal umstellen müssten: einmal auf die neuen Konditionen für die Übergangsphase, danach auf die endgültigen Regeln eines Post-Brexit-Modells. Der Labour-Vorschlag ist recht flexibel. „Die Übergangsphase sollte so kurz wie möglich aber so lang wie nötig dauern“, betont Starmer. Könnte das die Tür zum Exit vom Brexit öffnen? Es sieht so aus: Labour könnte sich für einen Verbleib im Binnenmarkt entscheiden, etwa wenn die EU Großbritannien im Hinblick auf die Freizügigkeit entgegenkommen sollte, heißt es. Allerdings: Rosinenpickerei lehnt die EU bisher ab. Außerdem dürften Starmers Vorschläge noch auf heftigen Widerstand der Brexit-Fans in seiner eigenen Partei stoßen.


Was wollen die Briten?

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Was wollen die Briten also? Brexit-Minister David Davis hatte in den letzten Wochen nebulös erklärt, er setze bei den Verhandlungen mit der EU auf „konstruktive Zweideutigkeit“ und wolle sich im Hinblick auf die finanziellen Scheidungsforderungen, die sich auf bis zu 100 Milliarden Euro belaufen, nicht in die Karten schauen lassen. Die Aspekte der Trennung und der künftigen Beziehungen seien unauflösbar verknüpft, argumentiert Davis. Tatsache ist, dass die britische Regierung weiterhin darauf setzt, schon jetzt über die Fragen der künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien zu verhandeln und sich nicht an den von EU-Chefunterhändler Michel Barnier festgelegten Fahrplan zu halten. Sie hat inzwischen sieben Positionspapiere für die Verhandlungen veröffentlicht, die allerdings vage und voller Widersprüche sind. Hier die wichtigsten im Überblick:

  • Europäischer Gerichtshof: die „direkte“ Rechtssprechung des EuGH in Großbritannien soll zwar mit dem Brexit enden, in einer Übergangsphase könnten die Urteile des Gerichts aber auch künftig als Richtschnur gelten. Wie das vor gehen soll, ist unklar. Und: Was passiert nach dem Brexit? Die Rede ist vage von anderen „Schiedsgerichten“.

  • Handel: Mit dem Ausstritt will die Regierung in London die Zollunion und den EU-Binnenmarkt verlassen. Dadurch soll das Land in die Lage versetzt werden, neue Handelsabkommen mit Drittländern wie den USA oder China abzuschließen. Bisher hat nur die EU das Recht, Handelsabkommen für die Zollunion zu schließen.

Die Briten setzen künftig auf ein maßgeschneidertes Abkommen mit der EU. Alle derzeit in der Europäischen Union erhältlichen britischen Waren sollen nach dem Willen Londons auch nach dem Brexit in der EU zu kaufen sein. Dienstleistungen, die mit dem Handel von Waren verknüpft seien, dürften ebenfalls keinen Einschränkungen unterliegen, heißt es weiter. Kontrollen wollen entweder elektronisch abgewickelt werden oder bereits vor dem Grenzübertritt stattfinden. Außerdem soll es eine Übergangsphase geben, in der weitgehend alles beim alten bleibt. Gleichzeitig aber möchten die Briten die Freizügigkeit einschränken. Die britische Regierung will außerdem bei Agrarprodukten und Lebensmitteln mit der EU auf gemeinsame Standards finden, um Kontrollen zu vermeiden. Das aber könnte Schwierigkeiten aufwerfen, da London Freihandelsabkommen mit Ländern schließen will, deren Produktstandards sich stark von den europäischen unterscheiden.

  • Nordirland:

    Eine Rückkehr zu einer befestigten Grenze nach der Trennung von der Europäischen Union schließt die britische Regierung aus, es soll keine Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Landesteil Nordirland sowie „keine physische Infrastruktur jeglicher Art an der Grenze“ geben. Doch wie soll das in der Praxis funktionieren? Die irische Regierung ist skeptisch, doch ihrem Vorschlag, die Grenzkontrollen an Häfen und Flughäfen der geteilten Insel zu verlegen, erteilt London ebenfalls eine klare Absage, denn das wäre für die nordirischen Protestanten niemals akzeptabel. Die rund 500 Kilometer lange Grenze wird täglich von 30.000 Menschen ohne Pass- und Warenkontrollen passiert. Briten und Iren sollen sich ungehindert zwischen Großbritannien und Irland bewegen können. Wie London die Einreise anderer EU-Bürger kontrollieren will, blieb offen.

Doch was bisher fehlt ist ein Positionspapier zu den Scheidungskosten, obwohl Außenminister Boris Johnson kürzlich in der BBC erklärt hatte, selbstverständlich werde Großbritannien seine finanziellen Verpflichtungen erfüllen. Auf eine Zahl wollte er sich freilich nicht festlegen. Einen Durchbruch in dieser entscheidenden Frage wird es diese Woche also nicht geben.

Premierministerin Theresa May, die nur mit Hilfe eines Duldungsabkommens mit den nordirischen Protestanten regieren kann, gerät zu Hause immer mehr Druck. In ihrem gespaltenen Kabinett ringen die pro- und antieuropäischen Minister um Gehör, gleichzeitig muss sie im Vorfeld der zweiten Lesung der „Repeal Bill“, des Gesetzes zur Übertragung von 20.000 EU-Bestimmungen in britisches Recht, angesichts des Vorstoßes der Labour-Partei nun mit einer Rebellion ihrer eigenen europafreundlichen Hinterbänkler rechnen. Was die Briten wollen, wird also in den nächsten Woche nicht unbedingt klarer.