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„Als habe man die eigene Seele an den Internet-Teufel verkauft“

Ehemalige Mitarbeiter beschreiben ihn als „Naturgewalt“: Rocket-Gründer Oliver Samwer.
Ehemalige Mitarbeiter beschreiben ihn als „Naturgewalt“: Rocket-Gründer Oliver Samwer.

Dieser Artikel erschien zuerst am 6. April 2020 und hat besonders viele Leserinnen und Leser interessiert.

Rocket Internet hat die Berliner Startup-Szene maßgeblich mitgeprägt. Ein Grund: Zahlreiche Männer und Frauen, die in den vergangenen Jahren Startups gegründet und teils sehr erfolgreich gemacht haben, begannen ihre Karriere bei Rocket. Vor allem sie sind es, die für die Faszination sorgen, die von der Berliner Firmenschmiede ausgeht.

Um zu sehen, hinter welchen Startups Ex-Rocket-Leute stehen, muss man bei den Linkedin-Lebensläufen der Gründerinnen und Gründer weit nach unten scrollen: Rocket Internet wurde 2007 gegründet, viele der heutigen Startup-Szeneköpfe waren zwischen 2008 und 2010 dort. Wie war es, damals bei Rocket zu arbeiten? Und inwiefern hat Oliver Samwers Unternehmen die weiteren Karrieren geprägt? Wir haben bei sechs Rocket-Leuten des Anfangs nachgefragt:

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  • Anna Alex, Gründerin von Outfittery und Planetly, von 2008 bis 2009 bei Rocket.

  • Robert Ermich, Gründer von Deinhandy, von 2008 bis 2009 bei Rocket.

  • Christian Lubasch, Gründer von Leroi, von 2007 bis 2010 bei Rocket.

  • Benedikt Franke, Gründer von Helpling und Planetly, von 2009 bis 2010 bei Rocket.

  • Tim Kunde und Janis Meyer-Plath, Gründer von Friendsurance, von 2008 bis 2009 bei Rocket.

Wie kam man in den ersten Jahren an einen Job bei Rocket?

Vor allem über einen Mann: Christian Weiß. Er war von 2007 bis 2011 Geschäftsführer bei Rocket Internet und nach eigenen Angaben dafür verantwortlich, gute Leute ranzuholen. Im Gespräch mit Gründerszene sagt er, dabei habe er vor allem auf vier Quellen zurückgegriffen: Studierende der WHU (dort haben auch Weiß und Oliver Samwer studiert), ehemalige Mitarbeiter von Samwers Klingelton-Startup Jamba, ehemalige Mitarbeiter von Weiß’ eigener Firma Mundwerk sowie Praktikanten von Weiß‘ Zeit als Ticketing-Chef der Fußball-Weltmeisterschaft 2006.

Das bestätigen die Gespräche mit den Ex-Rocket-Mitarbeitern: Janis Meyer-Plath etwa sagt, er habe im Studium ein Praktikum bei Jamba gemacht und sei „danach im lockeren Austausch mit Oli und Alex Samwer geblieben“. Robert Ermich war einer von Christian Weiß‘ Praktikanten bei der Fußball-WM 2006 und blieb offenbar im Gedächtnis: „Er hat mich nach dem Bachelor-Abschluss direkt zu Rocket geholt“, so Ermich.

Wer nicht von Weiß geholt wurde, kam über andere Kontakte zu Rocket-Mitarbeitern. „Ich kannte die damalige Führungsriege gut und hatte als WHU-Alumnus Kontakt zu diversen Leuten, die die Samwers kannten“, sagt etwa Tim Kunde. Christian Lubasch berichtet, er habe während des Auslandssemesters einen Rocket-Mitarbeiter „aus der WHU-Connection“ kennengelernt. „Er meinte ,Da braucht man so Verrückte wie dich, die alles ein bisschen können, aber nicht notwendigerweise irgendetwas richtig‘.“

Andere wiederum machten einfach zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Eindruck. Anna Alex etwa kam durch ihre Abschlussarbeit zu Rocket. Darin habe sie über Netzwerke von Startup-Investoren geschrieben, sagt sie. Für ein qualitatives Interview habe sie mit Just Beyer gesprochen, der damals beim European Founders Fund (EFF) der Samwer-Brüder gearbeitet hat. „Der hat mir direkt einen Job angeboten“, so Alex. So machte sie erst ein Praktikum beim EFF und fing später bei Rocket Internet an.

Wie sahen die damaligen Rocket-Jobs aus?

Entweder waren die Rocket-Mitarbeiter direkt beim Company Builder tätig oder in einem Venture stationiert. Aussuchen konnte man sich das nicht unbedingt, sagt Anna Alex: „Man wurde einfach auf die Jobs gesetzt, wo man am meisten gebraucht wurde.“ Präferenzen habe man aber schon äußern können. Sie sei etwa bei Zalando gewesen, als dort 150 Personen gearbeitet haben. „Das war mir zu groß, deswegen konnte ich zum kleineren Dealstreet wechseln.“ Hauptsächlich habe sie im Bereich Produktmanagement gearbeitet.

Benedikt Franke baute indes als „Head of HR“ das Recruiting für Rocket und seine Ausgründungen auf. „Heute unvorstellbar: Es war damals eine echte Herausforderung, Kandidaten zu überzeugen, dass es sinnvoll ist, Schuhe online zu verkaufen und dass ein Zalando ein guter Karriereschritt für sie wäre.“ Später gründete er das Rocket-Venture Citydeal (wurde später zu Groupon) in London mit.

Der damals 24 Jahre alte Robert Ermich bekam bei Rocket eine Stelle als Business Developer – dort habe er neue Geschäftsmodelle analysiert, sagt er. Christian Lubasch erinnert sich vor allem an ständig wechselnde Einsatzorte und Jobtitel: Er war unter anderem bei Zalando, Ecareer und Citydeal tätig; sein Jobtitel variierte zwischen Online-Marketing-, IT- oder Data Specialist. Später verantworte Lubasch das Thema Business Intelligence für Rocket-Startups in 32 Ländern.

Wie war die Zeit beim jungen Rocket – und was waren die größten Lehren?

„Alles war spannend“, beschreibt es Anna Alex. „Es herrschte eine krasse Energie in dem ganzen Laden.“ Die Arbeit bei Rocket habe sie stark geprägt. „Ich habe die Angst vor schnellem Wachstum verloren. Vor allem Groupon war dahingehend wirklich crazy“ (nur knapp sechs Monate nach der Gründung wurde das Rocket-Venture Citydeal für einen dreistelligen Millionenbetrag von Groupon gekauft). Als größten Vorteil für ihre weitere Karriere nennt Alex das Netzwerk, das sie über Rocket Internet gewann.

„An allem, was man über Rocket lesen kann, ist etwas dran“, sagt Tim Kunde. Im positiven Sinne mitgenommen habe er „die enorme Geschwindigkeit, den Pragmatismus, und die Fähigkeit, viele talentierte Leute zusammenzubringen“. Von Oliver Samwer habe er sich in Sachen Führung „das eine oder andere abgucken“ können. Manches aber auch nicht – so habe Samwer auch mal einen Locher geworfen. Ein großes Learning aus seiner Rocket-Zeit sei für ihn, als Gründer authentisch zu bleiben: „Wer kein Mini-Me von Oli ist, sollte auch in seiner Rolle als Unternehmer nicht versuchen, einer zu sein.“

Benedikt Franke war vor Rocket bei einer Unternehmensberatung. Die Arbeit bei Rocket sei völlig anders gewesen: „Wir waren alle davon berauscht, schon so früh Verantwortung zu übernehmen und selbst maßgeblich am Aufbau von Unternehmen beteiligt zu sein“, sagt er. „Dieser Geist, dass durch großen Einsatz und mit einem exzellenten Team alles möglich ist, hat uns nachhaltig geprägt.“

Wie überaus familiär es damals bei Rocket Internet zuging, beschreibt Christian Lubasch: „An meinem ersten Arbeitstag hat mich unser damaliger Chef Philipp Kreibohm kurzerhand bei Robert Ermich einquartiert“, erinnert er sich. „Er meinte: Klingle heute Abend dort – da kannst du erst mal wohnen. Robert wusste natürlich von nichts.“ Von Rocket habe er vor allem „Hands-on-Gründungserfahrung und unternehmerisches Denken“ mitgenommen, außerdem ein großes Netzwerk. „Auch wenn es sich zwischenzeitlich so angefühlt hat, als habe man die eigene Seele an den Internet-Teufel verkauft, füllen die Erfahrungen dies für mich mehr als auf.“ Robert Ermich fasst seine Learnings von Rocket Internet pragmatisch zusammen: „Ich habe gelernt, was Startup bedeutet.“

Lockte damals viele Startup-Begeisterte an: Die Website von Rocket Internet 2011 (Screenshot: Archive.org).
Lockte damals viele Startup-Begeisterte an: Die Website von Rocket Internet 2011 (Screenshot: Archive.org).

Obwohl die Ex-Rocketler viel Positives mitgenommen haben: Manches sehen sie rückblickend kritisch. „Persönlich schwierig finde ich die mangelnde DNA für echte Innovation statt Fast-Follower-Innovation“, sagt etwa Tim Kunde. Damit ist gemeint, dass Geschäftsmodelle aus anderen Ländern möglichst schnell kopiert werden.

Außerdem kritisiert er die „extreme Top-Down-Orientierung“. Viele Mitarbeiter hätten den Samwer-Brüdern blind vertraut. Das habe dafür gesorgt, dass viele Rocket-Ventures schnell wuchsen – allerdings sei so „nicht das Beste aus einem Team herausgeholt“ worden. Bei der Gründung von Friendsurance hätten er und seine Mitgründer viele Dinge anders als Rocket machen wollen. „Dabei blieb die Geschwindigkeit manchmal auf der Strecke“, räumt er ein.

Christian Lubasch sagt, er habe es nach dem Austritt bei Rocket schwer gehabt, die Unternehmen außerhalb des Rocket-Universums zu verstehen. „Rocket war damals extrem speziell. Man lebte in einer kleinen, rosaroten Welt und die andere Welt dort draußen tickt einfach anders“, sagt er. So hätte Rocket Internet für seine Ventures ein deutlich höheres Marketingbudget ausgegeben als andere Firmen.

Outfittery-Gründerin Anna Alex erlebte indes, dass es nicht nur gut ankommt, die eigene Karriere bei Rocket gestartet zu haben: „In Amerika wurde Rocket immer sehr skeptisch gesehen“, berichtet sie. „Nach dem Motto: Die Copy-Bude von amerikanischen Firmen. Dort hatten sie den Eindruck, wer bei Rocket war, könne selbst nicht kreativ sein.“ Den Kritikern habe sie entgegnet: „Es kommt auf die Umsetzung an und weit weniger auf die Idee.“

Wie es für die Rocket-Leute des Anfangs weiterging

Viele, die den Company Builder verließen, taten dies, weil sie selbst gründen wollten – aber ohne Rocket als Teilhaber. „Es ist kein Geheimnis, dass Gründer im Rocket-Inkubator weit weniger Anteile an ihrem Startup bekommen als wenn sie selbst gründen würden“, sagt Anna Alex. Tim Kunde stimmt zu: „Rocket ging schrittweise mit immer größeren Anfangs-Investments an den Start, um schnell eine Marktführerschaft in den jeweiligen Themen aufzubauen“, sagt er. „Das machte manchmal mehr Sinn, manchmal weniger – führte aber immer dazu, dass man als Gründer nur noch sehr wenig Equity bekommen konnte und auch nicht mehr unternehmerisch Herr im eigenen Haus war.“

Dennoch: Zum Gründen motiviert hat Rocket sie beide. Kunde baute nach seinem Ausstieg gemeinsam mit seinem Rocket-Kollegen Janis Meyer-Plath sowie Sebastian Herfurth Friendsurance auf, eine digitale Versicherungsplattform. Noch heute sind alle drei Gründer dabei. Eine Besonderheit in der deutschen Startup-Szene: Viele Gründerinnen und Gründer verlassen ihre Firmen nach ein paar Jahren.

Anna Alex baute nach ihrer Zeit bei Rocket gemeinsam mit Julia Bösch den Personal-Shopping-Service Outfittery auf. „Irgendwann dachte ich: Es ist anscheinend möglich, eine eigene Firma zu bauen. Dann kann ich das doch auch“, sagt sie. Sie konnte: Ihr Startup wurde international erfolgreich und mit mehr als 60 Millionen Euro finanziert. Alex verließ das Unternehmen 2018, inzwischen hat sie gemeinsam mit Benedikt Franke die Klimaschutzberatung Planetly gegründet.

Franke und Alex kennen sich aus der gemeinsamen Zeit bei Rocket Internet, gingen aber danach vorerst getrennte Wege. Franke startete nach seinem Rocket-Ausstieg 2010 gemeinsam mit seinem Rocket-Kollegen Philip Huffmann das Adtech-Unternehmen Latin American Media Group. Investoren wie Eventures und Bertelsmann stiegen ein – „auch dank des Rocket-Stempels“, ist Franke überzeugt. Für ihre nächste Geschäftsidee kehrten Franke und Huffmann dann doch zu Rocket zurück. Gemeinsam mit dem Company Builder gründeten sie 2014 Helpling. Das Startup vermittelt Putzkräfte an Privatpersonen, wurde zuletzt Ende 2019 mit 20 Millionen Euro finanziert. Franke ist inzwischen noch Beiratsmitglied bei Helpling und CEO seines neuen Unternehmens Planetly.

Auch Christian Lubasch wollte lieber ohne Rocket gründen. Nach drei Jahren bei dem Company Builder habe er ein Angebot bekommen, bei einem neuen Venture als Teilhaber einzusteigen, sagt er. Das habe er ausgeschlagen und stattdessen allein das Startup Dealvertise gegründet. Später gründete Lubasch die erfolgreiche Datenanalyse-Agentur Leroi, mit der er etwa Zalando, N26 und die Deutsche Bank beriet. Gründer-Karriere machte auch Robert Ermich. Er war nach Rocket zunächst COO beim Vergleichsportal Preis24, dann gründete er seine eigene Firma Deinhandy. Ende 2019 verkaufte Ermich sein Startup vollständig an einen Schweizer Mobilfunkkonzern und stieg auch operativ aus.

Ob Rocket Internet seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wirklich zu erfolgreicheren Karrieren verholfen hat? Ganz genau kann das heute wohl niemand sagen. Klar ist aber: Viele profitieren bis heute von dem Netzwerk, das sie sich über den Berliner Investor aufgebaut haben – obwohl sie das Unternehmen teils schon vor mehr als einem Jahrzehnt verlassen haben.