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Die Gefahr im Obstkorb: Wie Pestizide unsere Nahrung vergiften

Fünf am Tag: So viele Portionen Obst und Gemüse empfehlen Experten für eine ausgewogene Ernährung. Wer brav Hülsenfrüchte oder Himbeeren auf den Teller schichtet, versorgt den Körper allerdings nicht nur mit Nährstoffen. Eine ganze Ladung Insektenvernichtungsmittel gibt es gratis dazu – und die sorgen nicht nur für Hormonstörungen, erklärt Tomas Brückmann vom BUND für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Der Pestizid-Experte weiß, welche Lebensmittel am häufigsten belastet sind und wie Verbraucher sich schützen können.

Selbst, wer nicht den Burgerbräter, sondern zielstrebig die grünste aller Supermarktabteilungen ansteuert, ist in Sachen Gesundheit noch lange nicht auf dem richtigen Weg. Fast alle Obst- und Gemüsesorten, die nicht aus ökologischer Herstellung stammen, sind durch Insektenvernichtungsmittel belastet. Manche von ihnen so stark, dass sogar Vater Staat vor ihrem Verzehr warnt.

Giftige Informationen gut versteckt

Selbst für einen Experten ist die Suche nach den „verbotenen Früchten“ kein Leichtes. Zwar wusste Tomas Brückmann, Campaigner des BUND, wo er suchen muss: auf den Internetseiten des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Doch bis er die dort veröffentlichten Ergebnisse der amtlichen Beprobung von Obst und Gemüse fand, bedurfte es mehrerer Versuche. „Das BMELV macht es Verbrauchern nicht unbedingt leicht, sich über die Pestizidbelastung von Lebensmitteln zu informieren“, sagt der Forscher. Wer sich doch zurechtfindet, wird mit einer überraschenden Liste belohnt: Ganz oben stehen nicht etwa Erdbeeren oder Weintrauben, sondern getrocknete Linsen. 120 Stichproben hat das BMELV zuletzt im Jahr 2011 auf Pestizidrückstände getestet. 20,8 Prozent wiesen einen Chemikaliengehalt auf, der den festgelegten Maximalwert überschritt.

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Wo genau die Grenze liegt, ist von Substanz zu Substanz unterschiedlich. Bei den Linsen fand das Ministerium bedenkliche Mengen von Glyphosat, das etwa in dem weit verbreiteten Unkrautvernichtungsmittel Roundup enthalten ist. Viele Pestizide, erklärt Brückmann, können negative Auswirkungen auf den menschlichen Organismus haben: „Sie sind zum Teil krebserregend, können Allergien auslösen und sind in manchen Fällen hormonell wirksam, können also zur Brustbildung bei Männern oder dem verfrühten Eintreten der Pubertät führen.“ Mit anderen Worten: Unbedachte Obst- und Gemüseesser leben gefährlich. Wie gefährlich genau, kann jedoch niemand sagen. „Man weiß, wie ein Pestizid alleine wirkt. Im Normalfall spritzt die Argrarindustrie aber mehrere – und über Wechsel- oder Mehrfachwirkungen dieser Mittel ist bisher so gut wie nichts bekannt“, so der BUND-Experte.

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Zwar forsche etwa das Bundesinstitut für Risikobewertung an den so genannten „Mehrfachrückständen“. Nichtsdestotrotz sind sowohl der BUND als auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace der Meinung, der Gesetzgeber nehme diese Wissenslücke auf die leichte Schulter. Darauf lasse schließen, dass die Grenzwerte immer nur für ein Pestizid gelten und zudem auf „junge, gesunde Konsumenten zwischen 20 und 30 ausgelegt sind“, so Brückmann. Das heißt im Umkehrschluss: Nicht einmal fitte 35-Jährige sind in diesen Werten abgebildet. Von Menschen, deren Immunsystem etwa durch eine Erkältung oder auf Grund Schwangerschaft geschwächt ist, ganz zu schweigen. Auch für Babys und Kinder müssten andere, niedrigere Grenzwerte gelten.

Trotz Wäsche nicht ganz sauber

Gerade diese „Risikogruppen“, die diese Bezeichnung wahrlich nicht verdient hätten, sollten sich von frischen Kräutern, Paprika und frischem Spinat aus dem Discounter fernhalten. Sie belegen im Ranking des BMELV die Plätze zwei bis vier. Rückstände konnte das Ministerium hier zwar „nur“ in 7,8 bzw. 5,5 und 4,1 Prozent der Stichproben feststellen. Doch all diese Lebensmittel landen wesentlich häufiger im Einkaufswagen als getrocknete Linsen. Einfach abwaschen können Verbraucher die Pestizide nicht, warnt Brückmann. „Was einmal drin ist, wird man nur schwer wieder los. Nehmen Sie Kartoffeln: Die Pestizide dringen durch die Schale und auch über Schadstellen ein.“ Deshalb bringt selbst schälen nur teilweise Erfolg – und der, so der Experte, werde im selben Atemzug durch den Nährstoffverlust wettgemacht. Wandern doch mit dem vermeintlichen Abfall auch gesunde sekundäre Pflanzenstoffe, die unter anderem entzündungshemmend wirken, mit in den Mülleimer.

Die Top Ten der am meisten belasteten Lebensmittel:

Lebensmittel und Proben mit Rückständen über dem Rückstandshöchstgehalt
1. Linsen (getrocknet): 20,8 Prozent
2. Frische Kräuter: 7,8 Prozent
3. Paprika: 5,5 Prozent
4. Spinat: 4,1 Prozent
5. Grapefruit, Pomelo: 2,9 Prozent
6. Bohnen (mit Hülsen): 2,4 Prozent
7. Feldsalat: 2,1 Prozent
8. Gurken: 1,6 Prozent
9. Himbeeren: 1,5 Prozent
10. Tee: 1,4 Prozent

Wer weder in seinen Zwanzigern noch top in Form ist, hat deshalb nur zwei Möglichkeiten: sich mühsam auf der Homepage des BMELV informieren. Oder einfach gleich auf Bio-Produkte ausweichen. „Auch, wenn sich die Ernährungsexperten in dieser Frage uneins sind – im Hinblick auf Pestizidrückstände sind Lebensmittel aus ökologischem Landbau definitiv sicherer. Mehr als 95 Prozent der Produkte wurden pestizidfrei angebaut. Und kommen doch einmal Unkrautvernichtungsmittel zum Einsatz, sind sie für die menschliche Gesundheit unbedenklich“, sagt der Fachmann. Das betreffe vor allem den Wein- und Obstanbau, wo Pestizide manchmal unumgänglich seien. Produkte, die das Bio-Siegel der Europäischen Union oder andere Siegel wie Bioland und Demeter tragen, sind laut Brückmann deshalb uneingeschränkt empfehlenswert. Ganz nebenbei garantieren sie den Endverbrauchern den Schutz der Artenvielfalt und eine bessere Ökobilanz als herkömmliche Discounterware.

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Getrocknete Linsen haben beim nächsten Pestizidtest von Staatswegen übrigens gute Chancen, nicht mehr die Nummer eins unter den belasteten Lebensmitteln zu sein. Doch das nicht etwa, weil die herkömmliche Argrarindustrie etwas aus ihren giftigen Fehlern gelernt hätte. Vielmehr haben sich Lobbyisten für Hülsenfrüchte bei der Europäischen Union erfolgreich für die Anhebung des Linsengrenzwertes eingesetzt. Brückmann macht das nicht nur ratlos, sondern vor allem wütend: „Mir ist das vollkommen unverständlich. Diese Anpassung, von der ich aus einer Fußnote erfahren habe, ist grob fahrlässig.“ Die wirkliche Gefahr, sie lauert nicht im Obstkorb, sondern sorgt für dessen spritzigen Inhalt.